Sonntag, 14. Februar 2010

Gewalt rast durch die Stadt

Es ist eine ganz logische Sache: alles was eine gute und schöne Seite besitzt, hat auch eine schlechte. So ist es auch mit Rom, der italienischen Hauptstadt, in der es eben auch eine menge kleiner Ganoven gibt, die es den Einwohnern sehr schwer machen. Doch zum Glück gibt es solche Hardliner wie Kommisar Berti, der hart durchgreift. Und dies ist durchaus wörtlich zu nehmen. Egal ob Raubüberfälle auf Linienbusse, Supermärkte, Autodiebe oder Handtaschenräuber: bei Berti muss jeder irgendwann seinen Kopf hinhalten und wo er hinlangt, wächst kein Gras mehr. Als ein ihm nahestehender Kollege bei einem Einsatz hinterrücks niedergeschossen wird und sich Berti bei der anschließenden Verfolgung der Täter nicht mehr beherrschen kann und den gestellten Täter erschießt, wird er vom Dienst suspendiert. Doch Dank des Anwalts Sartori kann der Ex-Kommisar trotzdem weiter gegen die Gesetzlosen vorgehen: er schließt sich der vom Anwalt gebildeten Bürgermiliz an und fährt Nachts mit seinen Mitstreitern Streife durch die Straßen Roms um die Stadt vom Abschaum zu befreien.
Und wenn es so etwas wie eine Blaupause für den Poliziotteschi, also den italienischen Polizeifilm, gibt, dann muss man auf jeden Fall den Mitte der 70er entstandenen Gewalt rast durch die Stadt angeben. Zwar gab es auch schon vor ihm einige Crime- und Actionthriller, die den Fokus der Geschichte auf die Arbeit eines harten Ermittlers oder auf die kleinen und großen Fische aus dem Untergrund legte, doch dieser Film gilt für viele Freunde des Genres als wahrer Prototyp und das Beispiel für eben diese Sparte. Selbst wenn das Muster für den Handlungsablauf auch schon vorher bestand, Gewalt rast durch die Stadt bringt die verschiedenen Elemente des Genres präzise auf den Punkt. Doch nicht nur der Storyablauf vieler nachkommender Filme wurde hier geprägt, Hauptdarsteller Maurizio Merli wurde durch seine Rolle als Berti der Inbegriff des unkorumpierbaren Bullen, der mit seinen überharten, unkonventionellen Methoden seinen Vorgesetzten zum Haareraufen bringt. Der 1940 in Rom geborene Merli tauchte zunächst nur mal hier und da in einigen Produktionen auf, bevor er 1975 die Hauptrolle in Roma violenta ergattern konnte. Mit stoischem Blick, kaum akzentuiertem Minenspiel und vollstem Körpereinsatz stellte er in vielen weiteren Poliziotteschi den unkonventionellen, harten Bullen dar. Darunter führte er mit einem buckeligen Tomas Milian eine harte Schlacht in Die Viper, traf auch nochmal in Die Gewalt bin ich auf Milian, jagte in Camorra - Ein Bulle räumt auf die Gangster durch Neapel oder bekämpfte die Convoy Busters. Bis in die späten 80er Jahre durfte er sich im Actionsektor austoben und war so auf dieses Genre festgefahren, dass er in all den Jahren nur in einem Film aus einem anderen Genre zu sehen war. 1977 grub er für Sergio Martino im späten Italowestern Mannaja das Beil des Todes aus. 1989 verstarb Merli im Alter von gerade mal 49 Jahren an einem Herzinfarkt, der ihn während eines Tennisspiels ereilte.

Ein Verlust für die Fans und auch für die allerdings damals schon in den letzten Zügen liegende, alte Filmindustrie des Stiefellandes. Merli war ein markanter Typ, der mit seinem strengen Gesicht, dem zum Markenzeichen gewordenen Schnäuzer und einer ebenso strengen, gescheilteten Frisur nicht gerade wenigen Filmpartnern den Scheitel mit ordentlichem Wums langzog. Während in Deutschland erst Götz George im deutschen TV als Schimanski nach dem Motto "Erst schießen, dann fragen" agierte, so war schon Merli ein Jahrzehnt früher auf den Trichter gekommen, dass dies auch eine wirksame Methode ist, um unliebsame Gestalten von der Straße ins Kittchen zu befördern. So ruppig wie sich auch Merli gibt, so ist auch der Film inszeniert. Schnörkellos und ohne großen Pomp oder unnötigem Ballast zieht sich ein dünner Faden durch diverse Episoden, die Kommissar Berti bei seinen Ermittlungen zeigt. Das von Vincenzo Mannino geschriebene Script schafft es dabei, dass die Sprünge von Geschichte zu Geschichte nicht ganz so grob ausfallen. Hauptaugenmerk liegt hier nicht wie in anderen Poliziotteschi auf einer größeren Story, die von Banden-, Mafiabossen oder schweren Verbrechen handelt, sondern von den Gangstern auf den Straßen, diesen vielen kleinen Fischen, die ebenfalls organisiert sind, allerdings trotzdem kleinere Nummern sind. Dabei verfügt Merli über Kollegen, die sich getarnt im Milieu aufhalten und so auch Informationen über die Drahtzieher der im Film darsgestellten Verbrechen beibringen.

Am häufigsten darf dabei der allseits bekannte Ray Lovelock der als Biondi an der Seite von Merli agieren darf, seiner blonden Haarpracht beraubt wurde und nun Brünett durch Rom tingeln die Gangster ausspitzeln darf. Dabei ereilt ihn schon recht früh im Film ein hartes Schicksal, dass Berti dann noch verbissener und härter agieren darf. Hier wird auch das bisher vorherrschende Muster der Geschichte aus Verbrechen, Ermittlung und Action aufgebrochen und läßt auch einige ruhigere Momente zu. Diese sind dabei trotzdem noch relativ selten anzutreffen. Über das Privatleben von Berti erfährt man sehr wenig, nur dass er eine Freundin hat, die er unregelmäßig sieht und mit ihr dann meist auch schnell in der Horizontalen landet. Als seine Freundin agiert übrigens Daniela Girodano, die allerdings weitaus weniger Screentime besitzt als zum Beispiel in Blutiger Freitag oder Blutige Magie, in denen sie ebenfalls zu sehen ist. Dabei hat sie die einzigste und nennenswerte weibliche Rolle inne und ist - wenn überhaupt - vielleicht gerade mal an die 10 Minuten zu sehen. Gewalt rast durch die Stadt ist eben ein echter Männerfilm, zu 101% Testosterongeschwängert, wo selbst die holde Weiblichkeit keinen Platz mehr hat. Hier müssen Gesetze bekämpft werden, was höchste Konzentration erfordert. Dabei ist Merli zum Beispiel so konzentriert, das sein Schauspiel auf das Mindeste reduziert ist. Streng blickt er hinter seiner Schenkelbürste hervor läßt anstatt der Mimik lieber die Fäuste oder die Wumme sprechen. Da macht sich Lovelock schon besser. Ein wirklich guter Charakterdarsteller war Merli ohnehin nie, allerdings macht dies sein Charisma und seine Präsenz wieder wett. Die durchaus namhaften Kollegen wie Silvano Tranquilli als sein Vorgesetzter, Richard Conte als Anwalt Sartori oder John Steiner als absolut schmierigem Gangster "Nagel" bewegen sich auf gutem bis durchschnittlichem Niveau. Gerade Conte ist dabei genauso stoisch wie Kollege Merli.

Große Darstellerleistungen sind hier sowieso fehl am Platze. Wie der Filmtitel schon so schön sagt, rast die Gewalt durch Rom. Der deutsche Videotitel ist schon geeignet für den Film, doch passender ist da Verdammte, heilige Stadt, unter dem der Film in den deutschen Kinos lief. Ein griffiger Titel der den harten und auch teils resignierenden Ton des Films gut einfängt. Resignierend vor allem gegenüber der Polizeiarbeit im damaligen Italien, denn Merli fungiert hier wohl auch als Sprachrohr des einfachen Volkes, dass sich von den Ordnungshütern verlassen fühlt. Da wird nach dem Überfall auf den Bus mit Todesopfer von einigen Insassen die Todesstrafe gefordert, während andere sich über die Unfähigkeit von Bertis mokieren. Und auch Berti fühlt sich, als seiem ihm durch unnötige Gesetze die Hände gebunden. So stellt er sich die Frage, ob er im Einsatz - konfrontiert von gewaltbereiten Tätern - eher das Gesetzbuch anstatt die Pistole ziehen soll. Härte soll regieren und den Brechern von gesellschaftlichen Regeln zeigen, wo denn nun der Hammer hängt. Vor allem gibt dies aber auch eine gute Rechtfertigung für so einige harte Szenen, in denen geprügelt und geballert wird, dass sich die Balken biegen. Während Merli bei einer Befragung seinem Gegenüber auch schon mal gerne fast den Arm bricht, so wollen Räuber, verfolgt von diesem bärbeisigem Typen diesen abhängen, in dem sie ihm Arbeit verschaffen: aus dem fahrenden Auto heraus ballert man mit der MG wahllos in die Menschenmenge und tötet so vollkommen unbeteiligte Menschen. Eine unheimlich zynische und intensive Szene, die sich ins Gedächtnis prägt.

Da könnte man auch von einem modernen Don Quichotte, also Kommissar Berti sprechen, der gegen die übergroßen Windmühlen des organisierten Verbrechens ankämpft und trotz all seiner Entschlossenheit und Erfolgen daran verzweifelt. Gerade nach seiner Suspendierung spürt er seine eigene Waffen, als er von einem bekannten Ganoven eine Abreibung verpasst bekommt, wie sonst nur er sie verteilt. Hier zeigt der Film auch seine Schwächen, da eine minimal veränderte Grundkonstellation - Merli ist kein Polizist mehr sondern nun Mitglied einer Bürgermiliz - nicht großartig die Erzählstruktur des Films ändert. Sowohl Merli als auch das Werk an sich benutzen weiterhin ihre bekannten Muster. Durch den episodenhaften Aufbau schafft man es auch nicht wirklich, eine gewisse Spannung aufzubauen. Es macht durchaus Spaß den Kommissaren auf seine Wege durch ein sehr tristes und nüchtern eingefangenes Rom zu begleiten, nur merkt man, dass es ihm an gewisser Substanz mangelt. Seine Stärken hat er allerdings in den Actionszenen. Ruppig geht es zu und gibt dem Zuschauer direkt auf die 12. Sehr gut und herausstechend ist dabei eine längere Verfolgungsjagd durch ganz Rom, die an Unglaublichkeit, aber auch in Intensität von den restlichen Szenen kaum zu überbieten ist. Sehr geschickt ist hierbei die Egoperspektive, da die meiste Zeit aus Merlis Auto heraus oder direkt am Reifen kurz über dem Asphalt gefilmt wurde. Die ansonsten eher wenig vorhandene Spannung wacht hier aus ihrem Dornröschenschlaf auf und beschert eine richtig tolle Szene. Merlis Charakter ist dabei so abgebrüht, dass er während der Fahrt die beschädigte Windschutzscheibe raustritt und ganz lässig weiterfährt!

Untermalt ist der Film von einem etwas schwächeren, aber doch noch gutklassigem Score der Gebrüder de Angelis. In seinen besten Momenten groovt er ordentlich und untermalt die diversen Episoden wirklich sehr passend. Zusammen mit dem sehr grauen und verwaschenen Look, der wie angesprochen die Hauptstadt sehr nüchtern und beinahe trostlos einfängt ergibt dies einen gutklassigen, vollkommen in Ordnung gehenden Poliziotteschi der vor allem durch die ruppige Action und den ebenfalls sehr hart agierenden Maurizio Merli punkten kann. Seine dabei unterschwellig schwermütige Stimmung geht in einem bitteren Ende auf. Gewalt rast durch die Stadt ist ein durch und durch sehr ordentlich inszenierter Film von Marino Girolami, der übrigens der Vater des ebenfalls sehr bekannten Regisseurs Enzo G. Castellari ist, welcher ja auch von Quentin Tarantino sehr verehrt wird. Neben Gewalt rast durch die Stadt gehört der hochgeradig exploitative Trashklopper Zombies unter Kannibalen zu Girolamis bekanntesten Arbeiten. Wer sich also an die Filme mit Merli in der Hauptrolle oder auch an das Poliziotteschi-Genre an und für sich heranwagen möchte, ist mit diesem Film bestens bedient, da er ein wirklich guter Einsteig darstellt und bestens unterhalten kann, auch wenn ihm einige Ausreißer nach oben auch gut gestanden hätten.
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