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Sonntag, 28. März 2010

Töte Amigo

In Mexiko wütet die Revolution und mitten drin ist dabei auch El Chuncho, ein Bandit der mit seinem Mitstreitern durch das Land zieht und meist auf Raubzug gegen die Militärs ist, um von diesen Waffen und ähnliches zu stehlen, welche dann verhökert werden. Während einem Überfall auf einen Zug lernt er einen US-Amerikaner kennen, den er nur "Niño" nennt und sich der revolutionären Bande anschließt. Während Chuncho neben dem Geld auch auf Wein, Weib und Gesang aus ist, so ist Niño immer nur auf die blanke Kohle aus. Als Chuncho während seinem Aufenthalt in dem Dorf San Miguel endlich ein lang ersehntes Maschinengewehr - für das es  vom federführendenden General Elias so einiges an Pesos gibt, in die Hände fällt - verändert sich die Situation: während er im Dorf zurückbleibt, machen sich Chunchos Mitstreiter auf den Weg, bevor das Militär das Dorf erreicht hat. Allerdings mit dem Maschinengewehr im Gepäck, was Chuncho so nicht auf sich sitzen lassen kann.

Auch wenn sich Töte Amigo dabei im ersten Moment wie ein typischer Italowestern mit dem Hintergrund der mexikanischen Revolution anhört, so untypisch ist er bei näherer Betrachtung dann doch. Sich verantwortlich zeigte sich hier der eher für seine politischen Thriller bekannte Damiano Damiani. Während der 1975 von ihm zusammen mit Sergio Leone gedrehte Nobody ist der Größte noch ungewöhnlicher für den 1922 geborenen Regisseur ist, da eher ein komödiantischer Western, so ist der im Original als Quien sabe bekannte Revoluzzerstreifen eher dem Muster des ofmals politisch motivierten Filmer zuzuschreiben. Wirkte er doch zum Beispiel auch an der vielgerühmten TV-Serie Allein gegen die Mafia (1984) mit und zeigte sich auch in seinen Spielfilmen sehr oft kritisch gegenüber der mafiösen Strukturen im Staat und seiner Politik. Zu seinen bekanntesten Filmen mit diesem Anstrich gehören Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert (1971), Der Tag der Eule (1968), Warum musste Staatsanwalt Traini sterben? (1974) oder auch Das Verfahren ist eingestellt: Vergessen Sie's! (1971). Anfang der 80er war dann Damiani etwas offener was die filmischen Themen anging und so findet man in seiner Filmographie eben auch Amityville II - Der Besessene (1982), das Sequel zum erfolgreichen Okkultschocker Amityville Horror (1979).

In seinem ersten Western kann er es dabei ebenfalls nicht lassen, politische Bezüge bzw. Anspielungen in die Handlung einfließen zu lassen. Vordergründig hat man es hier mit dem bekannten Motiv zu tun, dass einige Gestalten dem verlockenden Traum des großen Geldes nachzujagen. Dabei haben wir mit der Figur des El Chuncho einen einfach gestrickten Mann, der zu hundert Prozent hinter seinen Überzeugungen steht. Er geht zwar mit nicht vollster Disziplin vor, um die laufende Revolution zu unterstützen, aber was soll man von so einem einfachen Kerl auch erwarten. Er ist von der Verlockung getrieben, die eine große Summe an Geld so mit sich bringt. Dabei geht er gnadenlos gegen seine Gegner vor und bedient so manches Klischee. Da wird gesoffen, geraucht, gefressen und auch so manchem Rock hinterher gejagt. Wobei sein Traum bzw. das anvisierte Ziel gar nicht mal so weit weg erscheint wie bei anderen, ähnlich gezeichneten Figuren im Italowestern. Das Maschinengewehr, welches soviel Peso bescheren kann, wird dabei sogar im Verlaufe des Films gefunden. Ihm gegenüber steht sein Amigo, sein Kumpel: einem US-Amerikaner, von hohem stand. Während Chuncho mit einfacher, verdreckter Kleidung durch die mexikanische Wüste reitet, so lernt der Zuschauer den nur "Niño" genannten Mann als Herr von Welt im feinen Zwirn kennen.

Er gibt sich unnahbar und wird dabei herrlich eis- und gefühlskalt dargestellt. So fragt sich Chuncho in einer Szene, was das für ein Mensch ist, der weder raucht, säuft, noch sich für Frauen interessiert. Während der Mexikaner ein vom Bauch und Gefühl getriebener Mensch ist, so ist Niño klar ein kopfgesteuerter Charakter. Berechnend und überheblich. Er strahlt eine gewisse Distanz aus und so ist man sich als Zuschauer bis zu einem gewissen Punkt nicht wirklich im Klaren, welches Ziel der Amerikaner überhaupt verfolgt. Er ist ein gerissener Kerl, der es auch alleine weit bringen kann, aber sich doch diesen gänzlich gegensätzlichen Banditen anschließt. Die einfachen Freuden des Lebens scheinen für ihn nicht existent. Als Antwort auf die angesprochen Frage von Chuncho antwortet Niño ganz kurz und klar, dass ihn das Geld jucke. So ist er auch immer darauf bedacht, die Waffen der feindlichen Militärs und Polizisten zu sammeln und so schnell wie möglich zum Befehlshaber der Revolutionäre, General Elias, zu bringen. Es tönt alles nach einem herkömmlichen Handlungsablauf eines Italowestern, würde da nicht eben Damiano Damiani auf dem Regiestuhl sitzen.

So könnte man den von Lou Castel herrlich unterkühlt dargestellten Niño als eine Verkörperung der gesamten Vereinigten Staaten interpretieren. Man kennt ja die Vorwürfe gegen die Amerikaner: sie geben sich unantastbar und als eine große Macht aus, seien ihrer Meinung das Maß aller Dinge und schauen als Übermacht auf den Rest der Welt einfach herab. So antwortet Niño am Anfang des Films auf die Frage eines kleinen Jungen, ob es ihm denn in Mexiko gefalle, ganz kurz angebunden "Nein. Überhaupt nicht.". Seine Abneigung gegen diese "armen Schlucker" um ihn herum trägt er ganz offen mit sich herum und ihm ist es auch egal, ob er dafür von seinen Mitmenschen verurteilt wird oder nicht. Ideale, wie sie Chuncho und seine Kumpane verfolgen und für diese Leben, scheinen ihm fremd zu sein. Seine Beweggründe sind dabei aber eigentlich genau so nieder wie die der Bande: deren gewaltsames Leben und Handeln begründet sich nicht nur aus der politischen Überzeugung heraus, das gebeutelte Mexiko zu einem besseren Ort zu machen, sondern auch, dass man darüberhinaus durch das Handeln mit Waffen eben sowohl die gute Sache - also die Revolution - unterstützt, als auch den großen Reibach machen kann. Doch dieser Idealismus scheint dem Gringo vollkommen fremd zu sein. Geld, Geld und nochmals Geld sind der Antrieb des Amerikaners, überhaupt mit den Mexikanern gemeinsame Sache zu machen.

Zeit ist Geld. Und so ist für Niño in einer Szene von Töte Amigo die Vergeltung für die geschundenen Bewohner des Dorfes San Miguel, in dem Chunchos Kumpanen die Frau des reichen Gutsbesitzers Don Felipo vergewaltigen wollen, einfache Zeitverschwendung. Man merke hier an, dass ihm dabei allerdings das Schicksal der Dame auch recht egal ist. Egoistisch verfolgt er hier nur das Ziel, soviel Kapital wie möglich zu erwirtschaften. So ist Niño der Inbegriff des herzlosen, eiskalten Kapitalismus, dem das Schicksal einzelner Menschen vollkommen egal ist. Sie sind ein Mittel zum Zweck, um eben an den möglichst hohen Ertrag zu kommen. Dabei wird über Leichen gegangen. Ein selbst heute noch aktueller Kritikpunkt, der kurz im Film angesprochen wird, ist dabei auch das außenpolitische Verhalten der USA. So wird Niño von einem Rebellen mit dem Umstand konfrontiert, dass die Regierung seines Heimatlandes die verhasste mexikanische Führung und deren Militärs finanziell unterstützt. Im weiteren Verlauf der Geschichte könnte man Niño neben der Kapitalismus-Interpretation auch noch als Verkörperung der Staatsgewalt darstellen, deren Schicksal im Aufeianandertreffen der beiden Hauptfiguren aufgezeigt wird. Die politische Dimension von Damianis Western ist wirklich sehr ausgeprägt und sorgfältig ausgearbeitet, so dass das Szenario dieses Films nur als Aufhänger für eine tiefer gehende Erzählung um Gewalt innerhalb eines Staates und den Kampf zwischen arm und reich ist.

Schon andere Italowestern spielen mit politischem Bezug und Anspielungen, gehen dabei aber wohl nicht so weit wie Töte Amigo. Wohlgemerkt in der ungekürzten Fassung, konzentrierte sich doch die alte deutsche Kino- und Videofassung eindeutig auf den grimmigen, trivialeren Part um die Jagd nach dem ganzen Geld. Dabei stellt sich heute noch die Frage, ob der deutsche Verleih damals den Film einfach nur straffen wollte - immerhin geht in seiner Originalfassung knapp zwei Stunden lang - oder die politischen Bezüge absichtlich getilgt hat. Es geht um die Unterdrückung der kleinen, einfachen Leute durch eine Obrigkeit, die dazu mit äußerster Gewalt vorgeht. So ist auch dieses Werk was das angeht, nicht gerade zimperlich. Durch die Überfälle und Duelle mit den mexikanischen Militärs ist so manche Leiche zu zählen und der Wüstenboden müsste dabei schon längst von Blut getränkt sein. In dieser Darstellung gibt sich der Film keine allzu große Blöße, besitzt zwar einen harten Grundton, läßt die Gewalt aber nicht Überhand über die Handlung gewinnen. Damiani stellt da lieber die Zeichnung der beiden Protagonisten in der Vordergrund und läßt sich auch ausgiebig Zeit damit. Längen kommen dabei keine auf, sind die darstellerischen Leistungen von Castel als kühlem und berechnendem Niño und Gian Maria Volonté als Chuncho als idealistischer Kämpfer und Verfechter einfacher Werte über jeden Zweifel erhaben. Da gerät sogar ein gestandener Name wie Klaus Kinski als Santo, dem religiös-wahnhaft auftretenden Bruder von Chuncho, klar ins Hintertreffen. Die starke Frau innerhalb der Banditengruppe, Adelita, wird dabei von der auf Jamaica geborenen Martine Beswick verkörpert, welche auch durch einige Rollen in Filmen der legendären Hammer-Filmstudios bekannt wurde.

Doch hier hat man es dann schon eher mit Nebenfiguren zu tun. Die Beziehung zwischen Chuncho und seinem so ungleichen Freund steht ganz klar im Vordergrund, so dass auch die mexikanische Revolution etwas außer Acht gelassen wird und erst wieder im finalen Akt des Films eine größere Rolle bekommt. Das Verhältnis zwischen den beiden ist dabei ein wunderbares Beispiel für das große Gefälle zwischen den "Privilegierten" und dem einfachen Volk, welches sich für kein Geld der Welt verkaufen wollte. Selbst wenn man es versucht. Einmal Revoluzzer, immer Revoluzzer. Dabei zeigt Töte Amigo auch schön die verschiedenen Seiten eines Menschen. Chucho mag ein harter Hund sein, doch eigentlich hat er sein Herz am rechten Fleck. Er ist eben einer der einfachen Leute aus dem Volk, selbst wenn er hinter dem schnellen Reichtum her ist. Aber er verfolgt seine Ziele eben mit einer Unnachgiebigkeit, die Damiani genauso in Frage stellt wie das Verhalten der mexikanischen Staatsmacht. Die Frage um den (Grat des) Missbrauch von Gewalt steht in einem Film aus einem Genre zur Frage, welches zu seinen Hochzeiten selbst als eben diese Gewalt zum selbszweckhaften Gebrauch einsetzendes Medium kritisiert wurde. Doch dabei erschafft Damiani einen Standard, der Töte Amigo zu einem ganz großen unter den "Spaghettis" werden läßt.

Zwar ist der Film kein bis zur perfektion ausgearbeitetes Revolutionsepos wie etwa Leones Todesmelodie (1971), doch kann man ihn zu einem der besten Vertreter des Genres zählen. Der Produktionsstandard ist hoch, die Umsetzung ist keineswegs schludrig sondern hochwertig ausgefallen. Töte Amigo ist vor allem so ein Film, der seine Vielschichtigkeit erst im Verlauf der Handlung und auch noch hinterher entfaltet, um so eine ganz unnachahmliche Wirkung zu erzielen. Vor allem beschönigt der Film nichts und stellt sich nicht auf eine der beiden Seiten. Sowohl Banditen als auch Militärs werden mit all dem Licht und Schatten dargestellt, die so eine Revolution mit sich bringt. Ideale und Überzeugungen können die Seiten, so scheint es Damiani mit seinem beobachterischen Blick sagen zu wollen, nur mit roher Gewalt und ohne jeglichen Humanismus durchsetzen bzw. verfolgen. Man hat es hier mit großartigem Westernkino italienischer Machart zu tun, welches durch ein kompetentes Team vor und hinter der Kamera getragen wird.

Sonntag, 14. März 2010

Die Banditen von Mailand

Kommissar Basevi hat alle Hände voll zu tun in den Straßen von Mailand. Egal ob Schutzgelderpresser, Prostitution oder illegale Spielhöllen: die Gangster fallen dem jungen Polizisten reihenweise in die Hände. Etwas mehr zu schaffen macht ihm da schon der brutale Banküberfall einer mit Kalkül vorgehenden Bande von vier Männern, angeführt vom sehr von sich überzeugten Piero Cavallero. In den vergangenen Jahren hat dieser mit seinen Kumpanen schon einige Überfälle auf Banken verübt und hat einen letzten großen Coup geplant. Dieser geht trotz sorgfältiger Vorbereitung etwas schief und auf der Flucht durch ganz Mailand kommen auch einige unschuldige Menschen um bevor der Kommissar mit Hilfe einer aufgebrachten Menschenmenge Bartolini, den Fahrer der Vier, festnehmen kann. Auf der Wache packt dieser aus und schildert Basevi detailliert die Planungen zum Raub während seine Kumpanen, verfolgt von der Polente, versuchen ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Im Jahre 1968 war die Landschaft des italienischen Genrefilms außerhalb des wilden Westens noch recht beschaulich. Der Giallo war zwar schon präsent, doch bis zu seinen stärksten Zeiten dauerte es noch gut zwei Jahre als Dario Argento mit seinem Geheimnis der schwarzen Handschuhe die Welle ins Rolle brachte. An den Poliziotteschi war da noch fast gar nicht zu denken, immerhin hatte dieser seine Hochphase kurz nach dem abbebben der Giallowelle. Auch wenn für dieses Genre ebenfalls Anfang der 70er der Startschuss gegeben wurde. So kann man Die Banditen von Mailand zu einem der ganz frühen Vertreter der Bullen- und Gangsterfilme aus Bella Italia zählen, der gerade in den heutigen Zeiten einen sehr angenehmen, oldschooligen Charme versprüht. Wie die späteren Werke eines Fernando di Leo bietet der im englischen Sprachraum als The Violent Four bekannte Streifen eine gute Mischung aus Milieustudie und geradliniger Krimiunterhaltung, die, anders als bei di Leo, noch gemäßigter zu Werke geht. Auch hier werden zwar schon die garstigen Methoden der Gangster in den Vordergrund gerückt, doch die Brutalität hält im Vergleich mit den großen Werken aus den 70ern sich noch recht in Grenzen.

In Szene gesetzt wurde das ganze Geschehen von Carlo Lizzani. Der 1922 in Rom geborene Lizzani kam nach dem Ende des zweiten Weltkriegs zum Film und machte es sich dort erstmal in der aufkeimenden Bewegung des Neorealismus gemütlich. So arbeitete er an Rossellinis Deutschland im Jahre Null (1948) mit und wurde mit der Mitwirkung am Buch von Bitterer Reis (1950) sogar für den Academy Award nominiert. Desweiteren steuerte er auch noch eine Sequenz zu Liebe in der Stadt (1953) bei und arbeitete hier mit Fellini und Antonioni zusammen. Nach und nach setzte man Lizzani dann auch für trivialere Werke ein, bis er ungefähr ab Mitte der 60er sich ganz der leichten Filmunterhaltung widmete. Startschuß bildete dabei der Thriller Spione unter sich aus dem Jahre 1965. Mit dem ein Jahr später entstandenen Eine Flut von Dollars lieferte er einen von insgesamt zwei Western ab. Der frühere Filmkritiker hüpfte nun also von Genre zu Genre und schaffte es dabei sogar den Schmuddelklassiker Straßenmädchen-Report (1975), von dem sogar eine Hardcorefassung angefertigt wurde, zu drehen. Wie wechselhaft das Werk von Lizzani ist, beweißt unter anderem auch die Tatsache, dass er auch für das Kriegsdrama Mussolini - Die letzten Tage (1974) verantwortlich ist. Weitere bekannte Werke von ihm wären noch der Abenteuerstreifen Verflucht in alle Ewigkeit (1969) mit Terence Hill in der Hauptrolle und der Bud Spencer-Streifen Der Sizilianer (1972).

Bei Die Banditen von Mailand merkt man dabei, wie gut Lizzani die Gratwanderung zwischen anspruchsvollerem und trivialen Kino gelang. So ist der Film zu Anfang ein semidokumentarisches Stück welches Tomas Milian, zur damaligen Zeit noch sichtlich jung und grün hinter den Ohren, als Kommissaren bei seiner Arbeit begleitet. Der meist unsichtbare Reporter beschäftigt sich dabei mit der Frage, woher die aufkommende Brutalität der jüngeren Gangstergeneration kommt. Mit einem Interview eines Ganoven der alten Garde und von Milian geschilderten Fallbeispielen wird gezeigt, dass den jüngeren Kriminellen eine gewisse Moral fehlt, die man damals hatte und so zum Beispiel vor Mord an Unschuldigen zurückschreckte. Lizzani beschäftigt sich hier nicht groß mit dem Vorstellen von gewissen Charakteren sondern wirft uns gleich in das Geschehen. So sind nach dem recht kurzen deutschen Credits die ersten Szenen, wie ein Mob von Menschen einen Gangster dingfest macht. Nach der angesprochenen dokumentarischen Abhandlung der Arbeit von Basevi wechselt man auf eine gewohntere Erzählstruktur. Der Einstieg, wie ein Pulk von Menschen einen Kriminellen stellt, wird wieder aufgenommen. Dieser sitzt nun auf der Polizei und schildert dem Kommissaren sowie dem Zuschauer in einer Rückblende, wie es zu dieser Situation zu Beginn überhaupt kommen konnte. Diese wird also auch nochmal mitten im Film aufgegriffen und erst dann erzählt Lizzani die mittlerweile begonnene Geschichte um eine Bande von Bankräubern zu Ende.

Ein schöner erzählerischer Kniff, der es so schafft, den Zuschauer bei Stange zu halten. Wobei man sich hier nicht über fehlende Spannung beklagen muss. Die Bildung des Teams, Ausarbeitung und Durchführung des Bankraubs ist ohnehin schon ein sehr toller Prozess, den Lizzani sorgfältig ausgearbeitet schildert. Somit rückt die Polizeiarbeit von Milian alias Herrn Basevi in den Hintergrund bzw. wird immer nur sehr kurz angeschnitten. Der später durch seine Rollen in Poliziotteschi wie Der Berserker (1974) oder Die Kröte (1978) viel gerühmte Milian bleibt hier noch recht verhalten. Zwar macht er seine Sache ordentlich, doch großartige mimische Akzente kann er anders als in seinen Rollen in den 70ern noch nicht setzen. Wobei der eigentliche Star von Die Banditen von Mailand auch eher Gian Maria Volonté ist. Sein Piero Cavallero ist ein einnehmender und großartig gemimter Charakter, der sich als vollkommen und perfekt ansieht. Die Überdosis Selbstvertrauen wird dem ganz schön gerissenen und skrupellosen Herrn letztendlich aber auch sein Untergang. Wobei er selbst nach dem Scheitern seines so herrlichen Plans immer noch so schön verblendet ist, dass er sich trotz Niederlage als halber Sieger sieht. Der 1994 leider schon verstorbene Volonté trumpft geradezu auf und überzeugt durch nuancierte Mimik und Spielfreude auf. Er scheint ein gescheiterter Revoluzzer zu sein, wie eine kurze Sequenz andeutet, als sein Waffenhändler anmerkt, dass er aus der Partei geschmissen wurde. Auch in dieser Phase seines Lebens scheint Cavallero zu sehr von seinem einnehmden Ego bestimmt gewesen zu sein.

Neben Volonté wird Die Banditen von Mailand vor allem durch seine Erzählstruktur getragen, die auch inmitten der Handlung von einigen kleinen dokumentarischen Stilelementen durchdrungen wird. Der Reporter vom Anfang fungiert hierbei als erklärender Zusatz, wenn Lizzani urplötzlich zwischen Zeitebenen springt oder kurz vor dem großen Banküberfall dem Zuschauer die späteren, unschuldigen Opfer vorstellt. Hinterher muss man gestehen, geht dem Film etwas die Luft aus. Da gingen Lizzani eventuell die Ideen und die Actionanteile aus. Zwar fliegt hier nicht so dolle die Kuh wie in späteren Poliziotteschi, trotzdem können die Mailänder Banditen auch hier überzeugen. Egal ob Schießereien oder Verfolgungsjagden, auch die Action paßt sich dem gehobenen Niveau des Werks an. Die Kamera hält frontal auf das Geschehen, welches von dynamischen und schnellen Schnittfolgen verstärkt wird. Unterstützt werden diese Szenen vom einem funky Soundtrack aus der Feder von Riz Ortolani, durchtränkt vom damaligen Zeitgeist aber hundertprozentig passend. Dieser schafft es dabei auch die härtesten Szenen des Films mit Stücken zu untermalen, die unheimlich catchy sind. Trotzdem sinkt der Spannungspegel im letzten Viertel rapide und Lizzani kann auch mit dem Ende nur noch schwer versöhnen. Wobei man hier immer noch realistischer und nicht so abgehoben erzählt, wie die Kollegen einige Jahre später.

Daher auch die recht ungeschönten, grobkörnigen und triste Bilder um den Grundton des Films einfach wie möglich zu halten. Hier und da gibt es eine tolle Einstellung oder Montage, doch an und für sich ist Die Banditen von Mailand ein sehr nüchterner Film. Es ist eine Momentaufnahme gescheiterter Figuren, die von einem besseren Leben träumen und dabei mit Piero Cavallero an einen gefährlichen Egomanen gerät, der um sich selbst und sein Ego zu befriedigen, den Weg der Kriminalität beschreitet. Seine Sucht im Mittelpunkt zu stehen, wird gerade durch das Ende nochmal sehr gut dargestellt. Er genießt das Bad in der Menge, ganz egal, welchen Hintergrund dieses überhaupt hat. Der Traum vom Reichtum und Aufmerksamkeit um seine Person ist überhaupt der ganze Antrieb hinter seinen Taten. Er ist rücksichtslos und voller Zynismus, den Lizzani in seinem Film sehr gut transportieren kann. Dieser schuf mit Die Banditen von Mailand eine kleine, frühe Perle des italienischen Polizei- bzw. Gangsterfilms, der mit einem gelungenen Anteil an Spannung und Action aufwarten kann und dabei sogar die Figurenzeichnung nicht außer acht läßt. Sie ist vielleicht nicht so richtig ausgearbeitet wie in anspruchsvolleren Autorenwerken, doch Lizzani kann seinen neorealistischen Hintergrund auch durch die Zeichnung des einfachen Bürgers im Film nicht verleugnen. 

Einzig und allein das etwas sang- und klanglose Ende stellt hier einen kleinen Minuspunkt dar. Ansonst bietet Die Banditen von Mailand eine gute Mischung aus klassischem Kriminalfilm, der schon einige Elemente der späten Poliziotteschi in sich trägt und leichter Gesellschaftsbeobachtung bzw. -kritik. Zusammen mit einem erlesenen Cast, unter dem ein ebenfalls noch recht junger Ray Lovelock sowie die britische Darstellerin Margaret Lee zu finden sind, hat man es hier mit einem erlesenen Gangsterstreifen zu tun, der mehr als nur einen flüchtigen Blick wert ist.