Montag, 8. November 2010

Friedhof ohne Kreuze

Eine karge Wüstenlandschaft, aufgewirbelt von den Hufen der Pferde, die von ihren Reitern gelenkt über das Land preschen. Die drei Caine-Brüder sind auf der Flucht vor den Rogers. Es geht um eine Menge Geld, doch Ben wird - schwer verwundet - auf seinem eigenen Land von den Brüdern der verfeindeten Familie gestellt. Vor den Augen seiner Frau Maria wird Ben von den gnadenlosen Männern gehängt. Schwer von dieser grausamen Tat mitgenommen und gezeichnet, bleibt ihr fast nichts. Die geflohenen Brüder ihres Mannes übergeben ihr noch den Anteil, der dem Toten zustand. Damit macht sie sich auf in eine Geisterstadt, in der Manuel lebt, ein alter Freund ihres verstorbenen Gatten. Er soll für den Obulus Rache an den Rogers üben, doch lehnt die Offärte erstmal ab. Doch er gibt Marias Willen nach und macht sich auf, dass Vertrauen der Familie zu erschleichen. Als ihm dies gelingt und er Arbeit auf deren Ranch bekommt, entführt er die Tochter Juana und entfacht damit eine Lawine grausamer und tragischer Verstrickungen.

Vor und hinter der Kamera finden wir hierbei Robert Hossein, einem französischen Akteur und Regisseur. der schon seit vielen Jahren im Geschäft dabei ist. Schon seit den 50er Jahren ist auf der Leinwand und auch der Bühne zu bewundern. Dabei hat der Herr mit dem markanten Gesicht sogar im altehrwürdigen Grand Guignol angefangen, welches durch seine reißerischen Boulevardstücke bekannt und berüchtigt wurde. Durch das angesprochene aufsehenerregende Äußere hatte Hossein zu Anfang seiner Filmkarriere desöfteren Gangsterrollen inne. Der große Durchbruch gelang ihm allerdings durch das Schmachtstück Angelique (1964), welches einige Fortsetzungen mit sich brachte, in denen Hossein auch wieder als von Narben entstelltem Peyrac und somit die große Liebe der titelgebenden Helden zu sehen ist. Zu dieser Zeit hatte er auch schon angefangen, eigene Bühnenstücke zu inszenieren, die allerdings noch recht erfolglos blieben. Dadurch angetrieben, nahm er auch schon recht früh auf dem Regiestuhl platz: Im Jahre 1961 erschien sein Debüt Haut für Haut, eine ebenfalls schon im Westerngenre beheimatete Geschichte. Noch etwas bekannter wurde der allerdings erst sieben Jahre später entstandene Friedhof ohne Kreuze, den Hossein seinem Freund Sergio Leone widmete.

Man merkt dem Werk auch an, dass der Freund des Franzosen mit ukrainisch-iranischer Abstammung ein großer Einfluss auf den Film war. Laut Hossein selbst inszenierte der leider viel zu früh verstorbene meister des "Spaghettiwesterns" beim Besuch der Dreharbeiten auch gleich mal eine Szene selbst. Allerdings ist Friedhof ohne Kreuze keine bloße Kopie der großen Westernepen Leones. Bei der französisch-italienischen Koproduktion ist der Einfluss der französischen Seite, besser gesagt die Handschrift des Regisseurs, herausragender, auch wenn man die bekannten Versatzstücke der italienischen Westernvarianten ganz klar erkennt. Das Genre hatte damals schon seinen Höhepunkt erlangt und trotz der vielen Produktionen, die damals schon aus Italien auf die Freunde der Cowboygeschichten einbrachen, sticht der im Original Une cord, un colt betitelte Film sehr schön aus dem Westerneinerlei hervor. Hossein schrieb zusammen mit Claude Desailly (die Beteiligung von Dario Argento am Buch verneinte er vor einiger Zeit in einem Interview) eine für dieses Genre auch heute noch bemerkenswerte Geschichte. Anders als im US-Western, wo man schon ab und an auch mal die Damenwelt näher behandelte, war gerade der Italowestern eigentlich eine Männerdomäne. Starke Frauen sind Fehlanzeige. In dieser Welt sind sie Beiwerk und bis auf einige kleine Nebenfiguren gibt es keine größeren bzw. bemerkenswerte, weiblichen Figuren.

Bei Friedhof ohne Kreuze ist dies anders. Die Geschichte um Rache und Sühne, einem weitverbreiteten Motiv, wird erst durch die Frau des ermordeten Ben entfacht. So nimmt dessen Witwe Maria eine zenrale Rolle in dem Stück ein. Noch nie war eine weibliche Figur so in einem Italowestern präsent, auch wenn trotzdem noch ein großer Anteil der Story von den männlichen Charakteren vorangetrieben wird. Nur ist deren Schicksal und auch Handeln zu einem gewissen Teil abhängig von der düsteren Gedankenwelt der Protagonistin. Eine gebrochene Frau, zerfressen von ihrer Wut und Trauer auf die grausamen Mörder. Es scheint, als hätten sie damit nicht nur ein Leben vom Erdenrund gefegt sondern damit auch noch gleichzeitig so gut wie ein weiteres zerstört. Die gute Frau könnte sich mit dem Anteil des verblichenen Gatten ein neues Leben irgendwo anders aufbauen. Doch Vergeltung geht voran. Natürlich wird diese Art von Geschichte auch in anderen Italowestern erzählt. Zankt man sich nicht um irgendwelche Penunzen, so muss irgendwer für eine von ihm begangene Tat aus der Vergangenheit meist schrecklich büßen. Doch es ist die inszenatorische Art Hosseins sowie die Art des Aufbaus der Geschichte von Friedhof ohne Kreuze, das dies urplötzlich so anders ist.

Dieser hat nämlich nicht nur die Art und Konventionen des Italowestern genaustens studiert und stellt diese bemerkenswert in seinem Werk dar, er fügt der an sich so simplen wie auch guten und rauen Geschichte auch eine schöne tragische Note hinzu. Die Geschichte vermag auf den ersten Blick einfach erscheinen, doch die Verstrickungen der Figuren untereinander und deren miteinander verwobenes Schicksal macht aus Friedhof ohne Kreuze mehr als eine gewöhnliche Pferdeoper. Es ist eine waschechte Italowestern-Tragödie mit starken, melodramatischen Zügen. Dabei ist die gesamte Stimmung des Films über bestimmt von der so stark in Maria schwelenden Wut und der Trauer, an der sie fast zu zerreißen droht. Es wird ein dreckiges und trostloses Bild gezeichnet. Dabei ist das ganze so trist, dass der Film stilistisch ungewöhnlich in sehr kaltem schwarz-weiß anfängt und erst nach dem Vorspann zur Farbe wechselt. Dabei schenkt Hossein seinem Film und dessen Bildern eine visuelle Kraft, die durch dessen melancholische Stimmung noch verstärkt wird. Wenn man hier von Trostlosigkeit spricht, dann werden selbst andere Genregrößen, deren Bilder auch diese Sprache kennen und sprechen, beinahe noch übertroffen. Die verfallene Geisterstadt in der Manuel haust, ist hier ein gutes und zugleich beeindruckendes Beispiel dafür, wie sehr Friedhof ohne Kreuze den Aspekt des Verfalls auch in seinen Settings zum Ausdruck bringen kann.

Es schwingt irgendwie eine gewisse Schwärze, nicht näher definierbare Dunkelheit im Unterton des Films mit. So bleibt auch Manuels Intention, weswegen er dann doch auf Marias Angbot eingeht, erst im Unklaren. Die Story schweigt sich zuerst aus, so wie seine Figuren. Schon andere Helden in Italowestern waren schon mal recht Maulfaul. Doch hier ist nicht nur Manuel ein schweigsamer (Anti-)Held, der lieber Taten an Stelle der Worte sprechen läßt. Friedhof ohne Kreuze ist ein recht dialogarmer Film. Es wird mit ausdruckstarken Bildern und mimischer Kraft gesprochen und erzählt. Dabei macht der Regisseur auch als Darsteller eine gute Figur. Geheimnisvoll gibt sich sein Manuel, seine genauen Beweggründe werden erst später genauer erläutert. Er läßt geschehen, scheint - wie andere Protagonisten des Genres auch - nur auf seinen eigenen Vorteil aus zu sein und scheint Menschen gegenüber gleichgültig. Er scheint gute Seiten zu haben, doch läßt auch die Misshandlung der entführten Rogers-Tochter durch die beiden Caine-Brüder einfach so zu geschehen. Wie Maria, scheint auch er im inneren Gebrochen zu sein.

Hossein holte sich für die Rolle der Maria niemand geringeren als seine aus den Angelique-Filmen bekannte Partnerin Michèle Mercier vor die Kamera. Dabei beweist sie, dass sie nicht nur eine hübsche Adelige darstellen kann. Sie gibt sogar die beste mimische Arbeit im Film zu Besten, so stark und nuanciert spielt sie ihre Rolle. Nicht nur sich treibt sie durch ihre von Rache getriebenen Handlungen so unweigerlich in den Abgrund. Einen Ausweg, eine bessere und positivere Alternative zum gewählten Weg gibt es hier für die Figuren nicht. Schon zu Beginn mahnt Manuel die Frau, dass Rache, ist diese erstmal vollzogen, keine hundertprozentige Befriedigung ist. Friedhof ohne Kreuze ist die Suche zweier gebeutelter Existenzen nach Erlösung, deren Schicksal nach erfolgter Katharsis allerdings nicht gerade das positivste ist. Hossein schafft es hier sehr gekonnt, Elemente des Italowesterns mit denen der Tragödie zu verbinden. Die Beziehungen und Verstrickungen zwischen den einzelnen Figuren bleiben glaubhaft und der Verlauf der Geschichte wird somit langsam aber dafür auch umso intensiver ausgearbeitet. Dabei läßt er eigentlich so für das Genre notwendige Dinge wie ordentliche Actionenszenen außen vor.

Man könnte Friedhof ohne Kreuze vormal vorwerfen, dass er fast schon langweilig sei. Doch die Spannung erreicht er nicht durch lange Shootouts oder langen Verfolgungsjagden auf so vielen Kläppern wie möglich. Der Film hat eine gewisse Härte, läßt hier aber eher durch den dreckigen Look, seinen rauhen Charme sowie der schon angesprochenen tristen Stimmung hier eher das Kopfkino arbeiten. Der durch die Geisterstadt gellende Schrei der misshandelten Juana reicht hier schon, um den Schrecken entstehen zu lassen. Die Stärken des Films liegen sowieso ganz wo anders, reine Action hat man gar nicht nötig. Die Figuren sind interessant gezeichnet, sind sogar recht gut ausgearbeitet und fernab von sonst so vorherrschender Schablonenhaftigkeit. Dies soll andere wunderbare Werke des Genres, die mit so etwas arbeiten, natürlich nicht abwerten. Dafür ist dann Hosseins Film auch wieder viel zu speziell. Es ist eine klassische Erzählung mit viel dramatischem Sprengstoff, der die Empfindungen des Zuschauers - wenn dieser sich drauf einlassen kann - explodieren lassen kann. Eine herrlich schwermütiger Film, der - dies sollte nicht unerwähnt bleiben - vom grandiosen Score von Hosseins Vater André unterstützt wird. Ein ganz und gar anderer, aber gerade deswegen so schöner Italowestern, der vordergründig genau sowas ist und tiefgründig eine klassische Tragödie von beinahe epischem Ausmaß ist. Kalt, schwarz und niederdrückend in seiner erzählerischen Kraft und gerade deswegen so faszinierend. Oder anders ausgedrückt: ein rundum gelungenes Gesamtpaket.


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