Dienstag, 3. Januar 2012

Il Nero - Hass war sein Gebet

Wirklich erstaunlich, wenn ein eigenes althergebrachtes und bestens bekanntes Motiv urplötzlich so frisch, so anders daherkommt. Selbst dann, wie dieses nicht mal einen völlig neuen Anstrich verpasst bekommen hat, sondern einfach mal sehr experimentierfreudig und offen für Neues behandelt wird. Ist dies dann auch noch in einem Italowestern der Fall, dann hat man mit etwas Glück einen wirklich außerordentlich bemerkenswerten Film vorliegen. Immerhin bieten die Pferdeepen aus dem Mittelmeerland bis auf einige Ausnahmen meist immer selbe Motive in ihrer Handlund. Entweder geht es um den großen Reibach oder offene Rechnungen aus vergangenen Tagen, die es zu begleichen gilt. Nicht zu vergessen das Ausspielen einer oder mehrerer Banden, die meist ein kleines Städtchen terrorisieren. Dies soll gar nicht dispektierlich gegenüber diesem so wunderbaren Genre klingen. Es ist nun mal eher ein Fakt, dass viele Werke aus dieser Sparte sich solchen groben Handlungsverläufen bedienen. Selbst dann, wenn sie an und für sich wirklich neue, frische Wege gehen.

Der Western ist alleine ja schon wegen seiner zeitlichen Beschränkung zusätzlich eingeengt, bei möglichen Geschichten, auch wenn es natürlich auch im europäischen bzw. konkret italienischen einige (mal mehr, mal weniger) gute Beispiele gibt, dieses zu sprengen. Nur war der kommerzielle Aspekt immer noch im Vordergrund und selbst bei experimentierfreudigeren Streifen wollte man immer die Balance halten, einem eher der Unterhaltung und leichten Kost zugewandten Publikum gerecht zu werden, aber auch eher dem intellektuellen Filmfreund eine interessante Geschichte aufzutischen. Dann gibt es wiederum auch die Filmemacher, welche sich scheinbar nicht weiter für starre Korsetts und Abläufe innerhalb eines Genres interessieren. Claudio Gora scheint mit solch einer Attitüde an Il Nero herangegangen zu sein. Wobei der Film auf den ersten Blick rein Handlungstechnisch nichts Neues bietet.

Man hat es hier mit dem beliebten Motiv der Rache ist, die die Motivation für die Handlungen von Vincent Kearney darstellt. Dieser musste als kleiner Junge mit ansehen, wie man seinen zu unrecht als Mörder verurteilten Bruder Steven am Baume des eigenen Grundstücks aufgehangen wurde. Als Mann kehrt er in die Heimatstadt Big Springs zurück, die von einem Dreigestirn bestehend aus dem Bankier Alex Carter, dem Großgrundbesitzer Arthur Field und dem Richter Smith beherrscht wird. Diese bestimmen eisern über die Vorgänge in dem kleinen Städtchen, bis eben Stephens Bruder auf der Bildfläche erscheint. Die drei Herren ahnen, weshalb er sich blicken läßt und versuchen alles menschenmögliche, ihn den Radies von unten begucken zu lassen. Allerdings ist Vincent ein sehr gerissener Bursche. Als wäre dies nicht genug, taucht zur gleichen Zeit ein ebenfalls sehr schweigsamer Geselle samt seines Hündchens im Schlepptau in der Stadt auf, der sich schnell auf die Seite von Vincent schlägt. In loser Gemeinschaft raufen sich die beiden zusammen um das Trio und ihre Gehilfen zu bekämpfen, damit Vincent seine Rache bekommt.

Also eine gewöhnliche Story, die viele Italowestern bieten. Doch unter der Fuchtel vom eher als Film- und in seiner Heimat auch als Theaterschauspieler bekannten Claudio Gora wird Il Nero zu einem wahren Erlebnis. Innerhalb der allseits bekannten Geschichte, die sich sogar ganz herkömmlicher Erzählmuster von bekannten Rachegeschichten bedient, brennt der Mann ein wahres Feuerwerk an Ideen ab. Hier und da scheint das ganze ja sogar regelrecht auszuufern und das Grundgerüst des Films beinahe nicht mehr fähig, dies alles zu tragen. Dann scheint sich der Herr, welcher auch am Script mitgeschrieben, aber nochmal zu fangen und die gewöhnlicheren Wege eines Western zu beschreiten. Aber die Freude am experimentieren, mit der Gora an den Stoff herangegangen ist, merkt man dem Film jede Minute an. Gora bricht gerne die klassischen Vorgänge des (Italo-)Westerns auf nur um dann innerhalb von Sekunden sicher dieser wieder zu bedienen. Doch nicht nur dies lässt den Film so unheimlich grotesk erscheinen.

Il Nero scheint Wege zu gehen, wie man es einige Jahre später bei Deodatos Eiskalte Typen auf heißen Öfen (1975) der Fall war. Dieser ist eine übergroße Karikatur und Überzeichnung des Poliziotteschis, der alle Klischees dieses Genres vereint, sich dieser bedient und dabei trotz aller Ernsthaftigkeit die er ausstrahlt, das gezeigte auch eben wieder karikiert. Auch Il Nero wirkt an einigen Stellen stark comichaft und überzeichnet, was allerdings auch gerade wieder die Faszination dieses Films ausmacht. Dabei nimmt sich der Film bierernst und driftet nie ins parodistische oder komödiantische ab. Dies würde Il Nero auch gar nicht stehen. Seine Stärken liegen darin, dass Gora eben mit dem Genre und seinen Mechanismen spielt. Und so manche Szene wie man sie aus tausend anderen Italowestern kennt, mit geringem Aufwand so sehr absurd aussehen lassen kann. Ganz groß und am offensichtlichsten ist hier der Einsatz des Soundtracks. Die von Pippo Franco komponierten Stücke sind wirklich großartige, schmissige Ohrenschmeichler. Nur: sie sind in den meisten Szenen schlicht und ergreifend unpassend.

Was nun bei so manchem Film eine Schwäche wäre, versetzt hier erstmal in ungläubige Starre und Verwunderung. Schon zu Beginn, wenn Carter, Smith und Field auf die Hinrichtung von Vincents Bruder warten, setzt eine äußerst beschwingte und fröhliche Musik an, welche man eher in alten Slapstickfilmen vermuten würde. Das Stück ist dabei nicht nur äußerst eingängig sondern verwandelt diese an und für sich so unscheinbare Szene in eine beinahe schon surreal anmutende, am ehesten aber sehr grotesk erscheinende Sequenz. Dieser Sache bleibt sich Gora treu und experimentiert auch ansonsten munter darauf los. Nach der Titelsequenz ist der erste Auftritt von Tony Kendall als schweigsamer, namenloser Pistolero eine unheimlich coole und überaus schön montierte Szene, welche mit geringen Mitteln einen schönen Spannungsmoment mit sich bringt. Die Spannungen zwischen ihm und diesen Fieslingen im Sammlung ist förmlich spürbar.

Wie auch einige andere Western so bietet auch Il Nero wahrlich extravagante Schnittfolgen und Kameraperspektiven, die sich hier homogen in den ansonsten eher sehr unscheinbar auftretenden Film einfügen. Damit verstärken die etwas ungewöhnlicheren Sequenzen aber diesen sehr speziellen Eindruck, den der Film hinterlässt. Noch stärker wird dieser durch die unheimlich große Anzahl an sehr überzeichneten, skurrilen Figuren, die den Film bevölkern. Alleine schon der durch eine Vielzahl von Agentenstreifen aus der Kommissar X-Reihe bekannt gewordene Tony Kendall und seine Figur ist hier ein schönes Beispiel. Wie der von Goras Sohn Carlo Giordana verkörperte Vincent verkörpert er einen stereotypen Charakter des schweigsamen Pistoleros, der ohne jeglichen Hinweis auf seine Vergangenheit auf der Bildfläche erscheint. Nur: seine Motivation, was er überhaupt in der Stadt will und wieso er vor allem Vincent hilft, bleibt die ganze Zeit über im Dunkeln. Die Protagonisten im Italowestern kommen ja meistens ohnehin ohne große Hintergründe aus, bleiben Schemen und beinahe schon Superhelden aus alten, staubigen Tagen die dort erscheinen, wo Hilfe benötigt wird. Hier wird dies auf die Spitze getrieben. Man schweigt sich nicht nur über die Hintergrundgeschichte des Charakters aus. Man lässt seine Handlungsmotivation vollkommen außen vor.

Außerdem: wo sonst ein Italowestern meist nur einen wortkargen Hauptcharakter zu bieten hat, so fügt Gora in Il Nero sogar zwei ein. Das bemerkenswerte ist ja, dass dies sogar funktioniert. Durch die mit sich gebrachte Extravaganz des gezeigten, spielt es alsbald ohnehin keine Rolle mehr, wieso da Kendall mitsamt kleinem Schosshündchen (!), einer sehr ungewöhnlichen Begleitung für so einen harten Kerl (womit Gora das bekannte Bild des harten Rächers auch gekonnt ironisiert und aufweicht), durch die Handlung spaziert. Bei Vincent hat man ja noch das Motiv der Rache am Tod des Bruders als Grund für dessen handeln. Und wie einst Jean-Louis Trintignant in Leichen pflastern seinen Weg (1968) spricht Vincent kein einziges Wort. Wobei er - anders als Trintignants xxx - mit Sicherheit kein Handicap mit sich bringt. Kendall tut diesem übrigens gleich. Den beiden gegenüber steht der u. a. aus der deutsch-italienischen Co-Produktion Zinksärge für die Goldjungen (1973) Herbert Fleischmann als fieser Bänker gegenüber. In einer kleinen Rolle schaut auch der wieder schön fies rüberkommende Herbert Fux vorbei. Am außergewöhnlichsten ist wohl aber das Mitwirken des österreichischen Schauspielers Gunther Philipp. Der ansonsten eher für leichte Lustspiel- und Komödienkost bekannte Mime macht seine Sache als cholerischer Richter sogar richtig ausgezeichnet. Da hätte die Rolle ruhig etwas größer ausfallen dürfen.

Das Ensemble ist bis in die Nebenrollen gut besetzt (auch noch bemerkenswert: Venantino Venantini als weinerlicher Killer) und macht auch mimisch nicht viel verkehrt. Vielen Charakteren merkt man eine kleine Überzeichnung an, deren Hauptcharekteristika übergroß dargestellt. Das tolle an Il Nero ist einfach die losgelöste Inszenierung die er mit sich bringt. Goras einzigste Regiearbeit im Westerngenre zeichnet sich vor allem durch durch eine spürbare Lust an Andersartigkeit aus, die vor Ideenreichtum nur so sprüht, an diesem aber auch etwas stolpert. Während die meisten Ideen auch wirklich zünden, so verpuffen manche dann allerdings auch und lassen den Film etwas straucheln. Zumal die Handlung dadurch auch etwas sprunghaft erscheint, wobei hier allerdings auch angemerkt sei, dass die deutsche Fassung an manchen Stellen leider doch merklich und leider gekürzt ist. Allerdings kann sie nichts an der Qualität ändern, die der Film mit sich bringt. Vor allem auch nicht an seiner so vollkommen einzigartigen Art, trotz seines sehr unscheinbaren Looks, der nichts von den Außergewöhnlichkeiten die Il Nero mit sich bringt, auf den ersten Blick verrät.

Dafür ist der Reichtum an Details, der haarscharf am Rande des Fasses halt macht bevor dieses droht vor lauter Einfällen überschwappt, einfach zu groß. Dies läßt auch zu, dass sowas wie der eben nicht erklärte Antrieb Kendalls Figur nicht als Schwäche angekreidet werden kann. Die kurze Andeutung, als sich der namenlose Pistolero und dem angeheuerten Killer Sweetey gegenüberstehen (und hier mal nebenbei das klassische Westernduell ebenfalls sehr schön überspitzen), bleibt ja eigentlich zu wenig, bietet aber auch Raum für Interpretationen. Für die eigene Phantasie des Zuschauers. Es scheint beinahe so, als wäre dies beim Schreiben des Buchs sogar Absicht gewesen. Funktionieren tut es und das sogar prächtig. An manchen Stellen wirkt der Film zwar, als wolle man hier und da doch auf Nummer sicher gehen, doch überwiegen hier die vielen bizarren Einfälle. Das tolle an Il Nero ist ja auch, dass diese niemals drohen, den Film zu erdrücken. Sie bereichern ihn und machen ihn zu einem unvergleichlichen Westernerlebnis, dass sich lohnt, zu entdecken. Immerhin hat man es hier mit einer zu unrecht viel zu unbekannten Perle aus dem Wust des Genres zu tun.

Man könnte dem Film und seinem Regisseur einzig und allein anhängen, dass die dünne Geschichte vielleicht eben nur Aufhänger für diese vielen absurden und bizarren Momente sei. Um einfach ein wenig herumzuexperimentieren. Immerhin bietet man eben "nur" dieses allseits bekannte Rachemotiv und verzichtet darauf, in diese noch eine weitere Ebene zu transportieren, um Sozialkritik oder ähnlich hintersinnige Botschaften einzuflechten. Dafür ist Il Nero auch der vollkommen falsche Film. Während spätere Italowesternkomödien teils zu überdreht und krampfhaft versuchen, das Genre zu parodieren, schafft dies Gora auf gewisser Weise auf eine vollkommen ernsthafte Art indem er eben wie bereits angesprochen so manches Klischee vollkommen übertrieben ausarbeitet und dem Zuschauer vorsetzt. An manchen Stellen kratzt er sogar an der Schwelle zur Surrealität, begibt sich dann aber wieder auf leichter bekömmliche Pfade. Hier funktioniert der Hang zur Kommerzialität, die ganz klar erkennbare Trivialität des Films, die aber auch gut genutzt wird, um eben so manch' wunderbar schräge Szene zu gebären. Vollkommen ungläubig kann man sich als Zuschauer auf diesen Trip einlassen, der eben trotz all seiner (prächtigen) Bizarrheiten auch schön bodenständig bleibt. Gora gelang hier ein rundum gelungener Western, der in der zweiten Reihe Genre beinahe in Vergessenheit zu geraten scheint, was der Film in keinster Weise verdient hat. Dies hat dieses sehr tolle und begeisternde Unikum das einen hinterher erstmal geplättet zurücklässt, einfach nicht nötig.
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