Sonntag, 26. März 2017

Die Kröte

Da muss Tomas Milian erst sterben, damit ich mir nach längerer Zeit mal wieder diesen großen Film anschauen muss. Der gebürtige Kubaner erlag Anfang der Woche einem Schlaganfall und wurde 84 Jahre alt. Dieser Text soll weniger ein Nachruf werden, auf den ich verzichtete, zumal Marco von Filmforum Bremen mittlerweile einen geschrieben hat. Die Endlichkeit gehört zum Leben leider dazu, unsere Helden vor und hinter der Kamera werden alle einmal die Augen zum letzten Mal schließen und doch hat mich Milians Tod getroffen. War ich ab Mitte der 90er schon durch die großen Splatter-Klassiker aus Italien dem Genrekino aus dem südeuropäischen Land nicht abgeneigt, so tauchte ich ab meinem persönlichen Wechsel auf das Medium der DVD zu Beginn der 2000er vollends in die verschiedenen Subgenres des italienischen Populärkinos ab. Tomas Milian begleitete mich überall. Sei es in Western wie Ohne Dollar keinen Sarg, Gialli wie Don't Torture A Duckling oder den Poliziotteschi wie Die Banditen von Mailand oder Die Viper: der wandelbare Schauspieler faszinierte mich mit eben dieser Fähigkeit und war mit ein Grund, wieso ich mich immer mehr für das italienische Kino der vergangenen Jahrzehnte immer mehr begeisterte.

In Die Kröte ist er sogar doppelt zu bewundern: einmal als schlappmäuligen Sergio Marazzi, von seinen Monezza genannt und dann als dessen Zwillingsbruder Vincenzo Marazzi, dem "Buckligen von Rom", einem Gangster, der nach 16 Monaten zurück in die Landeshauptstadt kommt um mit seinen alten Kumpanen ein Ding zu drehen. Der geplante Überfall auf den Geldtransporter geht glatt über die Bühne, doch Vincenzos Komplizen spielen ein doppeltes Spiel. Im Trubel und im Schutz des Nebels der eingesetzten Rauchbomben schießen sie auf diesen. Vincenzo wird nicht getroffen, kann sich in die Kanalisation und dann zu seiner Freundin, der Prostituierten Maria, flüchten. Von dort aus rächt er sich mit einem eiskalten Plan an den drei Mittätern, hat allerdings auch die Polizei in Form des Kommissars Sarti auf den Fersen. Anders als der in Lenzis Die Viper und Die Gewalt bin ich omnipräsente Maurizio Merli rückt der von Pino Colizzi dargestellte Polizist in den Hintergrund der Geschichte. Der Charakter ist, anders als die meisten von Merlis Figuren, sehr nüchtern und bedacht. Keine Spur von Hitzköpfigkeit und dem unbändigen Trieb nach Gerechtigkeit, der auch über die gesetzlichen Schranken des Berufs hinausgeht.

Sowieso ist Die Kröte im Vergleich mit anderen Lenzi-Polizeifilmen zurückhaltender und ruhiger. Wirken viele seiner Filme episodisch und wie verschiedene inszenierte Momentaufnahmen, die dem roten Faden der Geschichte bzw. der Hauptstoryline zum Teil nicht einmal dienlich sind, gibt sich La banda del gobbo weitaus aufgeräumter und durchdachter. Selbst die Action rückt in den Hintergrund und macht Platz für einen vordergründig einfach gehaltenen Gangsterfilm, der bei genauerem hinsehen ein triviales, leicht schmieriges aber gut umgesetztes Sozialdrama ist. Die Kröte ist so einfach gehalten, wie die Leute und deren Milieu, das er porträtiert: die armen Leute, die im Abseits der Gesellschaft stehenden, welche durch eben diese sich dazu gezwungen fühlen, ihren Unterhalt mit nicht ganz legalen Mitteln zu bestreiten. Milians Rollen als Monezza und Vincenzo zeigen dabei die krassen Gegensätze innerhalb der Unterschicht. Der proletenhafte Monezza ist wie Eingangs erwähnt ein lauter Charakter, der seinem Unmut ohne große Umschweife Luft verschafft. "Wenn man eines Tages aus Scheiße Gold machen kann, werden wir Armen ohne Arsch geboren!" ist dabei nur einer der vielen Sprüche des vulgären Lockenkopfs. Vincenzo ist dabei - anders als Milians Buckliger in Die Viper - ein bedachter Mensch, loyal gegenüber seiner selbst gewählten Familie, der sich als Opfer der Gesellschaft ansieht, die ihn dazu treibt, dass zu tun, was er eben macht.

Legendär ist hier die Szene in der Nobeldisco, in der Vincenzo eine Hasstirade auf die feine Gesellschaft ablässt, nachdem sie ihm wegen seines leicht unbeholfenen Tanzens auslachen. Seine Konsequenz: während seiner Rede lässt er seine Kumpanen die Besucher des Schuppens ausrauben und flößt ihnen dann Abführmittel ein. Wie sagt sein Bruder zu Beginn so treffend? "Ja wir sind scheiße und werden immer scheiße sein!" Sein Zwilling zeigt den feinen Pinkeln physisch mit ebenjener Aktion physisch, wie es sich anfühlt. Gleichbedeutend mit Monezzas Ausspruch kann man hier Vincenzos Flucht durch die Kanalisation ansehen, die diese durch Schlamm und Dreck waten lässt. Schwer gebeutelt vom sich durch den Matsch kämpfen und der Flucht vor den hinterhältigen Mittätern schafft er es, das Ende des Kanals zu erreichen. Mit seinen Möglichkeiten versucht er, aus seinem einfachen Leben auszubrechen. Der vielleicht auch wegen schlechter Erfahrungen distanziert erscheinende Vincenzo zeigt dabei in kleinen, leisen Momenten seine Emotionalität. Vor allem dann, wenn man vermutet, dass der Vulkan, der da vielleicht in dem Mann brodelt, auszubrechen droht. Hier präsentieren uns Lenzi und Milian, der für die Dialoge der Brüder verantwortlich ist und damit noch eine ganze Kelle mehr Sozialkritik in den Film packt, das Gegenteilige und hiermit auch für das Genre ungewohnt zurückhaltende Momente.

Die Kröte kann man vielleicht in der Tradition von Ferndando di Leos Gangstertrilogie, bestehend aus Milano Kaliber 9, Der Mafiaboss und Der Teufel führt Regie sehen. Wobei selbst die drei genannten Filme mehr Action bieten als Die Kröte, der aus den Poliziotteschi Lenzis mit seiner Andersartigkeit einsam heraus sticht. Nur manchmal bemerkt den gewohnten, lieb gewonnenen ruppigen Stil des Italieners. Wenn Vincenzo zum Beispiel zur Rache an den Komplizen schreitet oder in den hier weniger vertretenen Verfolgungsjagden. Lenzi und Milian schienen hier vielleicht dem Genre, dessen kurzer Hype hier schon am abebben war, überdrüssig zu sein und wollten etwas anderes ausprobieren. Was im Falle von Die Kröte auch gut funktioniert. Die technische Überwindung der doppelten Rolle von Tomas Milian ist meist simpel aber gut umgesetzt, dank des guten Schnitts von Eugenio Alabiso. Hinzu kommt ein sehr guter Score von Franco Micalizzi, der sonst für sehr breite und aufwändige Musikstücke (wie zum Beispiel bei Die Gewalt bin ich) mit viel Groove bekannt ist, die sich stark an den Soundtracks der amerikanischen Polizeifilm-Vorbildern orientieren. Mit dem härteren, gewaltigeren Der Berserker dürfte Die Kröte Lenzis bester Poliziottscho sein, der für dieses Genre ohnehin ein sehr gutes Händchen hatte. Trotz seiner reduzierten Action, bietet der Film ein gut voranschreitendes Erzähltempo und ein Ende, dass weder zu stark sentimental ist noch auf den Spuren Hollywoods wandelt.

Der Ausbruch aus dem Leben, in das man hineingeboren wurde, erscheint schwer und manchmal unmöglich. Gerade dann, wenn man weniger legale Wege beschreitet. Als würde man sich moralisch gerade rücken, bevor das Publikum zuviel Sympathien für die Methoden Vincenzos entwickeln. Schlechten Menschen widerfährt auch schlechtes. Als Höhepunkt stellen Lenzi und Milian ihrem Protagonisten, der immer wieder beißend-ironisch den Aberglauben, dass das Berühren seines Buckels Glück bringt koketiert, anspricht, ihm das abergläubische Symbol des Unglücks entgegen, wenn Vincenzos Fahrt in eine eigentlich frei gewähnte Welt von einer schwarzen Katze gekreuzt wird. Um es mit Monezzas Worten auszudrücken: Scheiße bleibt eben Scheiße. Und Die Kröte ein außergewöhnlicher und sehr guter Polizeifilm, der sich wie Lenzis schmierige und dreckige Version eines Accatones des italienischen Genrefilms anfühlt. Mein Dank gebührt dem Duo Lenzi und Milian, dass sie sich dafür entschieden haben, es eine ganze Ecke ruhiger als in ihren bisherigen Filmen angehen zu lassen und Milian selbst. Nicht nur für seine Performance in diesem, sondern auch in den vielen anderen Werken, die er mit seinem Können bereichert hat.
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