Dienstag, 27. Februar 2018

Der Schrecken vom Amazonas

Dank Guillermo del Toros kürzlich besprochenen The Shape of Water schaffte ich es nach gefühlt zu vielen Jahren, vor ein paar Tagen eine weitere filmische Lücke zu schließen. Alleine schon wegen der Ähnlichkeit des anthropomorphen Meeresbewohner in del Toros Multi-Oscar-Aspirant zum Monster aus Jack Arnolds Klassiker Der Schrecken vom Amazonas packte mich die Neugier auf das Vorbild aus alten Tagen. Die titelgebende Kreatur gilt als letztes klassisches Universalmonster, welches insgesamt dreimal zwischen 1954 und 1956 auf der Leinwand der Lichtspielhäuser auftauchte. Meine größte Befürchtung wenn es um Monster, Andersartigkeit und Filmen die mehr als 60 Jahre auf dem Buckel haben geht, war, dass in Arnolds Werk mehr als nur deutlich irgendwelche rassistische Untertöne auftauchen könnten. Umso überraschter war ich, dass Der Schrecken vom Amazonas trotz seiner irreführender Trailer, die aus dem Film einen für die 50er typischen Monsterbash filmischer Art macht, in seinem Kern die gleiche Botschaft transportiert wie del Toros Film.

Toleranz gegenüber (dem) Fremden und ihrer Heimat schreibt auch Jack Arnolds ebenfalls überraschend nur leicht in die Jahre gekommener Film groß. Ganz klassisch kommt alles ins Rollen, als Professor Maia einen unglaublichen Fund macht. Im tiefsten Amazonasgebiet Brasiliens pflückt er eine gut erhaltene Hand eines bisher unbekannten Wesens aus dem Gestein. Er legt seinen Fund einem nahe gelegenen Labor für Meeresbiologie und seinem ehemaligen Schüler David und dessen Freundin Kay vor. Beflügelt vom Fund, ordnet deren Vorgesetzter Mark Williams an, die Ausgrabungen zu intensivieren. Nach Tagen ohne weitere Entdeckungen kommt David auf die Idee, an einem anderen Ort zu suchen. Immerhin könnte das Gestein über die Jahre weggeschwemmt worden und früher woanders beheimatet sein. Ihr Bootsmann Lucas weist die Forscher auf die nicht weit weg gelegene schwarze Lagune hin, über die Eingeborene berichten, dass dort ein unheimliches Wesen im Wasser lebt. Die zuerst als Ammenmärchen abgetane Geschichte bewahrheitet sich zum Entsetzen der Wissenschaftler, als David und Mark während eines ersten Tauchgangs auf einen fischähnlichen Humanoiden im Gewässer treffen.

Ab diesem Punkt stellt der Film die Frage wer nun das wahre Monster ist. Der vom Fund beflügelte Williams mausert sich zu einem waschechten Ekelpaket, der unter Zuhilfenahme aller zur Verfügung stehender Mittel versucht, die Kreatur zu fangen. Egal ob tot oder lebendig. Die Einwände seiner Kollegen prallen an ihm ab. Williams scheint es nur um die Sensation und den winkenden, wissenschaftlichen Ruhm zu gehen. Dem Monster selbst schenkt man dank der Darstellung des Buchs und der menschlichen Figuren bald sämtliche Sympathien. Verteidigt es immerhin nur seinen Lebensraum, in den gewaltsam eingedrungen wurde. Einzig der Beginn, wenn zwei Helfer Maias in ihrem Zelt während der Abwesenheit des Professors getötet werden, mag zur restlichen Handlung nicht richtig passen. Man könnte dies auch schon als Verteidigung des Lebensraums deuten, allerdings geben sich Maia und sein Team zu Beginn friedlicher als später Williams in seinem Bestreben, das (angebliche) Monstrum zu fangen.

Selbst wenn es dieses auf Kay, der einzigen Frau des Teams, abgesehen hat, schafft es die geradelinige Ausrichtung des Drehbuchs in seinen Untertönen den Fischmensch zum wahren, tragischen Protagonisten zu machen. Man fragt sich unweigerlich, wer diese andere Kreatur war, die einmal existierte, wie der Fund zu Beginn beweist. Eine etwaige Gefährtin des nun einsam umherschwimmenden und wohl nun einzigen Exemplars? Die aus dem Wasser ragende Hand, die schon kurz nach Ankunft der Forscher nach Kay greift, bekommt eine romantische Symbolik und wird von der vordergründig angedeuteten, im Wasser lauernden Gefahr, befreit. Der Höhepunkt ist dabei die Szene, in der Kay eine Runde in der Lagune schwimmt und die Kreatur in einigem Abstand fast als Spiegelbild der Frau fungiert und unter ihr unbemerkt umherschwimmt. Es drückt eine gewisse Sehnsucht des Lebewesens aus, das lange Zeit in den dunklen Höhlen und in Einsamkeit verbringen musste. Die Liebe bleibt unerwidert; die menschliche Seite hat durch das besitzergreifende Jagdwesen nach einer neuen Gefährtin einen weiteren Grund, ihre gewaltsame Konfliktbewältigung zu verteidigen.

Man könnte del Toros The Shape of Water damit fast als Umkehrung dieser in Der Schrecken vom Amazonas vorherrschende Situation der unerwiderten Liebe und Werbung des Monsters ansehen, wenn Sally Hawkins als Elisa das Heft in die Hand nimmt und sich offen dem Wasserbewohner hingibt. Es ist das kurz anhaltende Happy End, auf die das Monstrum in Arnolds Film hofft und diesem verwehrt bleibt. Die Entführung Kays ruft wiederum die Männer auf den Plan, diesmal auch deren Freund David, der wie die Frau selbst moderate Töne im Umgang mit dem Lebewesen anschlug. Doch geht es um das Begehren des eigenen Weibs, schlagen archaische Emotionen Alarm; Waffengewalt wird legimitiert. Bis zum Finale bleibt Arnolds schuppiger Protagonist eine tragische Figur, die leider nur verlieren kann. Der Beigeschmack bleibt selbst dann, wenn David seine Kay wieder in die Arme schließen kann. Das Happy End ist auf den zweiten Blick ein bitteres Ende und zeigt den Menschen als wahren Schrecken und lässt auch die liberal denkenden Figuren in einem anderen Licht erscheinen. Spätestens dann, wenn es um "persönlichen Besitz" bzw. dem aggressiven Werben um den eigenen Partner geht, erliegt selbst David seinen schlechten Seiten.

Der Schrecken vom Amazonas will uns weniger offensichtlich durch eine phantastische Figur Angst einjagen. Unterschwellig erzählt er vom Horror, der von unserer Spezies ausgeht und abgewiesenen, romantischen Gefühlen. Man könnte das Eindringen der Forscher in den Lebensraum des fremden Wesens und dessen Verteidigung vielfach interpretieren: als beginnende Auseinandersetzung mit dem Schutz der Umwelt, in die der Mensch schon in den 50ern aggressiv eingriff; als Metapher auf kriegerisches Treiben von uns Menschen und der Absicht, das Land von Fremden (anderen Nationen) einzunehmen oder als Plädoyer für Toleranz gegenüber Andersartigem, dem nicht sofort mit gewaltsam gegenüber getreten wird, wenn man es zuerst nicht versteht. Diesen Kern greift del Toro auch in The Shape of Water auf, schafft es dort nicht zur Gänze, diese Botschaft eindeutig auf den Punkt zu bringen. Egal für welche Interpretation man sich entscheidet: sie funktioniert wie der Film an und für sich. Die Handlung wird schnell vorangetrieben, einzig die häufigen, auf den damaligen 3D-Effekt, mit der Film im Kino lief, zugeschnittenen Unterwasserszenen rauben dem Schrecken vom Amazonas sein zügiges Erzähltempo. Sie wirken auch heute noch sehr imposant, bremsen die Handlung leider manches Mal aus und wirken, als hätte man sie zum Strecken der Filmlänge benutzt. Sogar das Outfit des Monsters scheint zeitlos zu sein und wirkt keineswegs altbacken oder angestaubt. Eine Zeitlosigkeit, die sich der Film durch seine im Kern einfache wie tolle Botschaft heute noch bewahrt hat. Ein wirklicher Klassiker, dessen einfache Erzählung bei genauerem Blick einen vielschichtigen Unterbau offenbart.
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