Mittwoch, 14. März 2018

Auslöschung

Auslöschung. Ein Wort mit negativer Ausstrahlung, welches man mit Gewalt und Brutalität assoziert. Der Duden umschreibt es mit "völlige Vernichtung". Kriegerisches Treiben unserer Spezies sorgte die letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte dafür, dass man die dunkelsten Stunden der Menschheit damit verbindet. Verknüpft man dieses Wort mit Science-Fiction, tun sich Assoziationen mit gewaltsamen Invasionen der Erde von außerirdischen Wesen auf. In Alex Garlands Romanverfilmung, seinem zweiten Film nach seinem hochgelobten Debüt Ex Machina, steht es nicht für eine titelgebende, offen ausgetragene Zerstörungswut extraterrestrischer Wesen gegenüber der Menschheit, sondern für einen schleichenden Prozess. Den Beginn dazu liefert mit einem Meteoriteneinschlag in einen Leuchtturm allerdings etwas außerweltliches. Als würde damit ein stummer Beobachter von Außerhalb den Anstoß dazu geben, dass sich die Verhältnisse zwischen den auf unserem Planeten befindlichen Lebewesen neu ordnen.

In einem größeren Gebiet um den Leuchtturm herum, Area X genannt, geschehen bald mysteriöse Ereignisse. Erkundungstrupps, die sich durch den Schimmer, einem bunten Lichtphänomen, das die Grenze zum betroffenen Landstrich darstellt, wagten, kehrten bisher nie zurück. Bis auf Kane, Ehemann der Biologin und Dozentin Lena. Nach seiner überraschenden Rückkehr nimmt sie den bereits totgeglaubten Gatten im Wesen verändert, distanziert wahr. Als er über Unwohlsein klagt und er kollabierend ins Krankenhaus gebracht werden soll, wird der Krankenwagen von schwarzen Limousinen abgefangen. Diese bringen den Berufssoldaten und seine Frau in eine Forschungsstation, in der Lena von deren Leiterin Dr. Ventress über die letzte Mission ihres Gatten aufgeklärt wird. Sie schließt sich Ventress und ihrem Team an, als sie sich einen Tag später zu einer erneuten Erkundungstour in das Areal aufmachen. Dort findet das fünf-köpfige, weibliche Team eine vollkommen veränderte Natur mit mutierten Pflanzen und Tieren und Hinterbleibsel des letzten Erkundungstrupps vor.

So fremdartig die vorgefundene Flora und Fauna wirkt, erscheinen eher die Personen hier als Fremdkörper. Das stattgefundene Ereignis verwandelt das Areal in eine wilde, urzeitliche erscheinende Landschaft, unberührt vom Menschen und alle bisherigen, uns bekannten Naturregeln brechend. Die Erde selbst wird zu einer außerirdisch wirkenden Welt. Die Mutationen, welche das Leben der im Gebiet befindlichen Menschen bedrohen und die dort wirkenden Kräfte, ebenfalls für Leib und Leben eine Gefahr, sind Ergebnis eines uns vertrauten und hier so fremdartig wie bedrohlich wirkenden Prozess. Die hier stattfindende Evolution und Veränderung führt zur Auslöschung der für uns (be)greif- und sichtbaren Lebensformen, schafft gleichzeitig aber auch neue. Jedem Ende wohnt ein Anfang inne: der Tod erscheint lediglich als Übergang in eine andere Form des Lebens. Immer wieder nimmt die Geschichte querverweise zu unheilbaren Krankheiten auf, wenn Lena zu Beginn über Krebs referiert oder die bunt gefärbten, alles überwuchernden Pflanzen sie Anhand ihres Wachstumsart an Tumore erinnert. Am Ende, wenn Garlands Film der Geschichte Platz lässt für Stimmungen und Eindrücke, die keine konventionelle Erzählstruktur bedürfen, steht der Beginn für etwas Neues.

Im Leuchtturm selbst, den Ventress aufsuchen will um Erklärungen für den Schimmer und die mit ihm auftauchenden Phänomene zu finden, steigt Lena in einen durch den Meteoriteneinschlag geschaffenen Tunnel hinab in eine Höhle. Symbolisch scheint sie hier den umgekehrten Weg zurück in den Geburtskanal zu gehen um sich am warmen, dunklen Ziel ihrer langen Reise wortwörtlich zu erneuern. In diesem Finale lässt Auslöschung seine Geschichte, die in einigen Abschnitten mehr die Nähe zum Horror- als zum Science Fiction-Genre sucht und damit die ruhige, fast meditative Stimmung des Films durchbricht, zurück. Garland konzentriert sich auf die Atmosphäre und seine symbolhaften Bilder, bevor er mit der letzten Einstellung einen altbekannten, aber letztendlich ebenfalls interpretatonsreichen Twist präsentiert. Auslöschung schlägt damit eine Brücke vom erwachsenen, spröden Science-Fiction-Film der 70er Jahre, dessen Spirit er unleugbar versprüht, zum Paranoia-Kino der 50er Jahre á la Die Dämonischen. Ob nun wirklich eine außerirdische Macht versucht, die Menschheit zu infiltrieren und langsam auszulöschen, oder es einfach nur eine komplett vollzogene Veränderung Lenas darstellt, ist zu diskutieren.

Garlands Film ist herrlich erwachsenes Science-Fiction-Kino fernab von Effektdauerbeschallungsspektakeln des modernen Blockbusterkinos, welches mit seiner in beeindruckenden Bildern eingefangene Welt und ihren Details begeistern kann. Sein sperriges Wesen, sein Willen, eine deutungsreiche Geschichte zu präsentieren, bremst ihn gelegentlich aus, lässt ihn allerdings nicht, wie vom Produktionsstudio Paramount deklariert, zu intellektuell erscheinen. Auslöschung ist viel mehr ein Trip, eine Reise des Zuschauers mit der Protagonistin durch einen Lebensabschnitt der Umwälzungen verspricht. Trotz aller Gefahren, die um den symbolisch Rettung und Sicherheit versprechenden Leuchtturm lauern, schafft es Lena diesen zu erreichen um einen Abschnitt des bisherigen Seins zu beenden. Ob dies nun die Übernahme ihres Körpers durch eine außerirdische Macht ist oder es für eine erneute Zuwendung zu ihrem Mann steht, den sie gegen Ende in die Arme schließt, nachdem sein verändertes Wesen auch für die Entfremdung in einer Beziehung zwischen zwei Menschen steht, sei jedem selbst überlassen. Oder steht dies für die eventuell von außen gesteuerte Rache der Natur am Menschen für sein ignorantes, rücksichtsloses Verhalten dieser gegenüber? Der Tod, dem durch einige Einstellungen des Films eine makabre wie betörende Schönheit innewohnt, löscht aus und erschafft neu - so gefährlich und bedrohlich er für uns Menschen und unsere Existenz erscheint. Es kann einfach nur eine Übergang in eine neue Phase des Seines sein. Garlands Film kann man aus vielen Blickwinkeln sehen und diese Vielschichtigkeit, die Auschlöschung besitzt, der Gedanken aufwirbelt und wie die neuen, evolutionären Gesetze in der Area, neu zusammensetzt, machen ihn schon jetzt zu einem ersten Highlight des Jahres.
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