Mittwoch, 29. August 2018

Poltergeist (1982)

Bereits im Entstehungs- und Aufführungsjahr 1982 gab es Produzent Steven Spielberg zuerst großspurig zu, dass er bei Poltergeist mehr Regie führte, als der offiziell geführte Regisseur Tobe Hooper. Spielberg ruderte schnell zurück, sprach davon, lediglich bei kreativen Prozessen mitentschieden zu haben, während Hooper den Rest machte. Es stellt sich die Frage, wo Mithilfe bei kreativen Fragen und Prozessen aufhört und was der (traurige) Rest des Regiewerks für Hooper war. Letzterer, der durch seinen The Texas Chainsaw Massacre die Aufmerksamkeit Spielbergs erweckte, hätte mit mehr Entscheidungsfreiheit aus Poltergeist vielleicht einen ganz anderen Film gemacht. Von der ersten Minute an spürt man den immensen Einfluss und Spielbergs Handschrift. Mit nicht weniger als dem "Star-spangled Banner" lässt er den Film beginnen, die Credits weichen einer extremen Nahaufnahme die langsam einen Videozusammenschnitt amerikanischer Monumente ergibt. Sendeschluss im Hause Freeling: die Bilder, welche in Zeiten, als noch nicht jeder gammelige TV-Käse bis spät in die Nacht von den Sendeanstalten wiedergekäut wurde, das Ende des regulären Programms bedeuteten, weichen dem weißen Rauschen, während der Familienpatriarch im Sessel zusammengesunken längst in anderen Sphären weilt.

Einzig der Hund der Familie ist noch wach und nimmt uns als Zuschauer mit zu einer kleinen Tour durch das schnieke Anwesen und stellt uns die Mitglieder der Freelings vor. Noch scheint alles friedlich, bevor diese Vorzeigeamerikaner von seltsamen Phänomenen heimgesucht werden. Carol-Ann, jüngstes der drei Kinder, verbringt gerne viel Zeit vor dem rauschenden Schnee des Fernsehers und ihre Unterhaltungen mit unsichtbaren Figuren schieben ihre Eltern zuerst noch auf die kindliche Fantasie. Dann jedoch bewegen sich Möbel von alleine, im stumm vor sich hinrauschenden Fernseher im elterlichen Schlafzimmer bündelt sich ektoplasmische Energie, welche in die Wand hinter dem Bett rauscht und Carol-Ann mit einem freudigen "Sie sind hier!" begrüßt. Während eines Gewitters bricht das Chaos aus: ein alter, knochiger Baum scheint zum Leben erwacht zu sein und greift nach Sohn Robbie, während im Kinderzimmer sich ein Tor zu einer Zwischenwelt öffnet, in die Carol-Ann heingezogen wird. Die verzweifelten Freelings rufen kurz darauf ein Team von Parapsychologen hinzu, um ihre Tochter, mit der sie noch über die eingeschalteten Fernsehgeräte kommunizieren können, aus den Fängen der ihnen unbekannten Macht zu befreien.

Spielberg, Hooper, wer auch immer. Inszenierungstechnisch ist Poltergeist, von mir zuletzt vor über zehn Jahren gesehen, erstaunlich gut gealtert. Die amerikanische Bilderbuchfamilie der Freelings wird mit viel Gefühl und punktgenauen Szenen eingeführt. Im Hintergrund mag immer etwas Kitsch und Pathos mitschwingen, was das ganze dezent unangenehm erscheinen lässt; anders betrachtet möchte man das gezeigte eine überspitzte Darstellung des American Dream nennen. Gleichzeitig zeigt der Film beiläufig die damals einsetzenden Anzeichen von Veränderungen im Medienkonsum. Überall im Hause finden sich Fernsehgeräte: im Wohnzimmer, im Schlafzimmer, in der Küche. Selbst im größten Getümmel läuft nebenher die Flimmerkiste, die, so scheint es, unbemerkt zum Dreh- und Angelpunkt im familiären Kosmos wird. Wenn Carol-Ann in der Küche fast schon mit der Nase am Schirm klebt, das weiße Rauschen betrachtend und ihre Mutter Diane mahnend zu verstehen gibt, dass sie sich die Augen kaputt macht, gleichzeitig den Kanal wechselt und plötzlich ein alter Kriegsfilm mit sterbenden Soldaten läuft, unbedacht dem Kind vorgesetzt, ist das ein hübsch ätzender Kommentar auf unbedachten Medienkonsum.

Der Fernseher spielt weiter eine große Rolle, als der Horror verstärkt zu Tage tritt und nach dem Angriff der noch unbekannten Macht das Nesthäkchen der Freelings in die Zwischenwelt gezogen wurde. Einzig mit dem eingeschalteten Gerät können die Eltern mit ihrer Tochter kommunizieren, ihre Verzweiflung in diesen seltenen Momenten vergessend, da auch das dreiköpfige Parapsychologen-Team wenig helfen kann. Die Familie leidet sicht- wie fühlbar am Verlust der Tochter und trotz der am Anfang stärkeren Kritik über den unbedarften Umgang mit dem Medium des Fernsehens, ist Poltergeist in seinem Kern ein in der Phantastik verhaftetes, kleines Familiendrama über den plötzlichen Verlust eines Kindes. Der Film lässt beiden Teilen seiner Geschichte genügend Raum zum Atmen und baut diese sehr gut auf. Die ungewöhnlichen Phänomene nehmen stetig zu, eine drohende Gefahr ist für die Protagonisten noch weit weg. Der erste Ausbruch der geisterhaften Kraft, der tatsächliche Angriff auf die Familie, ist schon ein erster Fingerzeig in die Richtung, in welche sich Poltergeist noch entwickeln sollte, bevor mit dem Verschwinden Carol-Anns das persönliche Drama der Familie aufgegriffen wird. Gefühlvoll erzählt, vor der Kamera mit super Leistungen - allen voran JoBeth Williams als verzweifelnd trauernde und doch weiter um ihre Tochter kämpfende Mutter - unterstützt, bereitet das Drehbuch den finalen Akt vor.

Hier taucht mit Zelda Rubinstein als ebenso exzentrisches wie warmherziges Medium Tangina, von den nicht mehr weiter wissenden Parapsychologen empfohlen, der heimliche Star des Films auf. Sie ist gleichzeitig eine Verbindung zur Welt der Geister, Helferin im Bestreben die Tochter zu befreien wie auch Trauerbewältigungshilfe, damit die auseinanderbrechende Familie wieder zusammenfindet um den letzten Kampf bzw. Kraftakt bewältigen zu können. Dort explodiert Poltergeist förmlich und wird zu einem Effektgewitter, der nach erfolgreicher Befreiung nicht einfach ein Happy End beschert sondern den Zuschauer einen weiteren Versuch der Geisterwelt das kleine Mädchen zu sich zu holen, beschert. Spätestens nach diesem Film übernahmen unzählige größere und kleinere Filme diesen "Erzählkniff" noch häufiger als die Jahre zuvor. Bis auf zwei/drei Ausnahmen können sich die Effekte heute noch sehen lassen und bieten bestes Gruseltainment, das einem nicht mehr komplett einen Schrecken einjagen, aber eine Gänsehaut bescheren kann. Einzig der überbordende Showdown ist für mich nach dem eher gefühlvollen und zurückhaltenden Aufbau zu diesem ebenso kontraproduktiv wie in Conjuring. Auf der Gegenseite kann dieser Film, der mittlerweile wie ich selbst 36 Jahre als ist, mit mehr Gefühl für seine Geschichte und Figuren aufwarten als neuere Filme und schafft es ohne einen einzigen Filmtod für angenehmen, heute vielleicht noch etwas leichteren Grusel zu sorgen. Sowas bekam zuletzt nur noch der vor einigen Jahren entstandene Insidious hin.
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Dienstag, 28. August 2018

Hardcore

Ist Ilya Naishullers Debüt Hardcore noch ein an den Grenzen der gewöhnlichen Narration wandelnder Film oder ein gut 90-Minütiges Let's Play eines vom Regisseur insgeheim herbei gewünschten, nicht existenten Games, welches er gerne spielen würde? Komplett aus der Egoperspektive des stummen Protagonisten erzählt, verfolgen wir hier Henry, wie er nach einem Unfall auf dem Labortisch seiner Frau Estelle erwacht. Seiner Stimme beraubt, kann er keine der Fragen stellen, die ihn wohl beschäftigen. Erklärungen liefert ihm seine Gattin kaum. Ihre wenigen Sätze, die sie darüber verliert, wieso Henry einen mechanischen Fuß und Unterarm an seinen Körper montiert bekommt, liefern keine ausreichende Aufklärung darüber. Bevor sie doch ins Detail gehen könnte, ertönt Alarm und eine Computerstimme erzählt davon, dass sich gewaltsam Zutritt zum Labor verschafft wurde. Der Eindringling entpuppt sich als der größenwahnsinnige Akan, der noch eine persönliche Rechnung mit Estelle und Henry zu begleichen hat. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch, entführt der filmische Endboss die Wissenschaftlerin und Henry versucht zusammen mit dem in immer unterschiedlichen Verkleidungen auftauchenden Jimmy, diese aus Akans Fängen zu befreien.

Was mich als kleine Passage in der Verfilmungen Des Kultspiels Doom zu Belustigungsanfällen hinreißen ließ, wird vom russischen Regisseur auf die Spitze des erträglichen und verfolgbaren getrieben. Hardcore ist ein bis oben hin vollgestopfter Actionfilm, der seinen Protagonisten durch etliche Locations jagt, einen hohen Blutzoll fordert und dem Zuschauer kaum Verschnaufpausen schenkt. Ruhige Momente bekommen gar nicht die Möglichkeit, sich zu entfalten. Das nächste Actiongewitter entlädt sich auf dem Bildschirm und präsentiert dabei überraschend gut choreographierte, in den stärksten Szenen mitreißende Kämpfe in allen möglichen und unmöglichen Situationen. Cinematisch ist das nur im Ansatz. Mehr erinnert Naishullers Script auf vielen Ebenen an ein Spiel. Die flache Story verkommt zu einem Alibi, zu einem vertretbaren Grund, die vielen Ideen die man für ultracoole Kracherszenen hatte, aneinander zu reihen. Protagonist Henry bleibt den kompletten Film lang stumm wie die Helden früher Egoshooter; gegenüber der Handlung passiv, einzig dazu da, um als wütende Exekutive den Bodycount in die Höhe zu treiben. Der Rest der Figuren existiert lediglich, um die Story nach vorne zu treiben. Alle verkommen sie gefühlt zu NPCs, die nur an Wichtigkeit gewinnen, wenn es nötig ist.

Auf der anderen Seite bleibt auch Bösewicht Akan schwach, den man alleine wegen der Geschichte gleich Bowser, Dr. Wily, Ganon oder anders hätte nennen können. Naishullers Plan, aus Hardcore ein filmgewordenes, ultraviolent Game zu schaffen, geht auf. Henry kämpft von Szene zu Szene, analog von Level zu Level, bis der Endboss kommt. Die Wummen oder andere Waffen immer im Anschlag, wie aus Egoshootern gewohnt, am unteren Rand des Bildes sichtbar. Man wartet förmlich nur darauf, dass Henry als Filmgimmick ein HUD eingeblendet bekommt. Entgegen der starken Einbeziehung von Spieleästhetik und -mechanismen, ist der entbrennende Kampf auf den Straßen Moskaus auch eine - das muss ich zugeben - ziemlich gelungene Demonstration, zu was Indie-Produktion in der Lage sind. Die Action muss sich, ebenso weit entfernt von jeglicher Logik wie die großen Blockbuster Hollywoods, nicht vor diesen verstecken. Naishuller und sein Team verstehen ihr Handwerk. Als Zuschauer wird man schnell in das Treiben auf dem Schirm gezogen, wie zu Beginn eines Games, welches ohne großartiges Tutorial auskommt, ist man wie Henry selbst ahnungslos. Man möchte mehr von dieser Welt wissen, in der alles möglich scheint.

Sie zu entdecken, fehlt durch das hohe Tempo an einigen Stellen schwer. Die fehlende Verschnaufpause und die hohe Dichte an verarbeiteten Einfällen lässt Hardcore zu einem Setpiece-Overkill werden, bei dem man manchmal fast das weiße Handtuch werfen möchte. Bevor man weiter überlegen kann, packt einen der Film, reißt uns von der Stelle und zieht uns weiter durch die nächste Szene, mit anderer Location, anderen zu bekämpfenden Problematiken. Spaß hat man trotzdem daran, auch wenn die überbordende Coolness zu lasten einer etwas runderen Geschichte geht. Actionfilme müssen nicht aufgebläht und unnötig komplex sein, selbst Freunde der Actiondauerbeschallung dürfte alleine wegen der ungewöhnlichen Perspektive des Films dieser an einigen Stellen zu dünn, vielleicht sogar zu anstrengend sein. Bevor einem diese Erkenntnis im Bewusstsein präsent wird, ist der ganze Spuk mit einem letzten, großen Knall zu Ende. Obwohl Hardcore einfachstes, pures und aufs minimal nötigste heruntergebrochenes Actionkino, dass seine Mechanismen aus Videospielen bezieht, ist, einen Nobrainer-Charakter besitzt, ist der Film kurzweilig und spaßig. Naishuller sollte nur lernen, nicht alle Ideen in ein einzelnes Werk zu knallen. So kann geschehen, dass am Ende keine Nachhaltigkeit, keine bleibende Erinnerung an den Film übrig bleibt. Dafür ist Hardcore die beste Videospiel-Verfilmung eines Games, das überhaupt nicht existiert.
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Donnerstag, 23. August 2018

The Pyramid

Beinahe kann man diese Besprechung als "Outing" verstehen. Seht her und rümpft die Nasen! Ziehet die Augenbrauen hoch! Das folgende Geständnis ist gleichzeitig ein erstes, vereinfachtes Fazit: ich finde The Pyramid gut. Jetzt ist es raus. Stille allerorten. Viele Augenpaare sind immer noch geweitet. Ungläubiges Kopfschütteln. Erstes verzweifeltes beißen in den Finger und leicht greifbarem in der Nähe. Irgendwo im Hintergrund murmelt ein elitärer Filmblogger, der sich ohne Studium der Filmwissenschaften für fähiger als Leute mit diesem Abschluss hält, mit abwinkender Geste schlimme Wörter in den Bart. Ich selbst habe einen ersten Besprechungstext komplett über den Haufen geworfen, da ich dort anfing, über die Wahrnehmung des Individuums über Film zu referieren. Das ist mir alsbald einen gesonderten Beitrag wert. Im nun zweiten Versuch und endgültigen Text, den der Leser vor Augen hat, versuche ich mich mehr auf den Film zu konzentrieren. Was mich dazu bewegte, über die verschiedenen Sehweisen zu schreiben? Meine überraschende Feststellung, dass The Pyramid bei anderen Zeitgenossen äußerst schlecht wegkommt.

Grégory Levasseurs bisher einziger Film (die Schlechtfinder schärfen hier schon die böse Zunge um zum "kein Wunder..."-Kommentar anzusetzen) erfindet wahrlich das Rad nicht neu. Er traf bei mir persönlich dafür nicht nur einen, sondern zwei Nerven. Der von mir in seinem Veröffentlichungsjahr mit marginalem Interesse wahrgenommene Film, der mir erst wieder ins Bewusstsein gerufen wurde, als ich las, dass er neu auf Netflix verfügbar ist, versucht dem Zuschauer sein Thema durch seinen semidokumentarischen Stil so nah wie möglich zu bringen. Die Grenzen zwischen den Found Footage-Charakteristika und cinematischer Narrative verschwimmen; Schatten huschen an einer dritten, den Regeln der von vielen deswegen nicht gemochten Handkamerawackelfilmen nach nicht möglichen, Kamera in der titelgebenden Pyramide vorbei. Das ist grob fahrlässig und fühlt sich schludrig ausgeführt an. Gesamt betrachtet kann man The Pyramid trotzdem mehr Found Footage nennen als z. B. Romeros Diary Of The Dead, bei dem man seinem Regisseur schnell anmerkt, wie wenig ihm die gewählte Erzählart liegt.

Zum Zweiten wirft der Film den Betrachter in das von Unruhen durchgerüttelte Ägypten. Weit ab davon buddeln die Archäologen Nora und Holden, ein Vater-Tochter-Gespann einen Sensationsfund aus: eine Pyramide, die geschätzt älter als die bekannten ist und nur drei Seiten besitzt. Die Freilegung geschieht nicht ohne Zwischenfall, als beim Durchbruch ein Arbeiter freigesetzte toxische Luft einatmet. Als nächstes erreicht das Team die Hiobsbotschaft, dass man wegen der Unruhen das Gelände binnen 24 Stunden verlassen soll. Kurz vorm Ziel stehend, überredet Nora ihren Vater, einen von der Nasa geliehenen Erkundungsroboter in das Innere der Pyramide zu schicken. Kurze Zeit später stößt dieser mit etwas unbekanntem zusammen und verliert die Verbindung. Die beiden Wissenschaftler, ihr technischer Assistent und das zweiköpfige Reporterteam, von dem sie für eine Dokumentation auf Schritt und Tritt begleitet werden, rafft sich nach regen Diskussionen in der Gruppe auf, den Roboter aus den alten Gemäuern zu bergen. Nichtsahnend, in welche Gefahr sie sich dabei begeben.

Horrorfilme die thematisch um das alte Ägypten und/oder dessen Mythologie kreisen, rennen bei mir ebenso wie Found Footage-Filme offene Türen ein. Das war nicht die sprichwörtliche halbe Miete für The Pyramid um eine Punktlandung hinzulegen, sind aber zwei nicht zu widerlegende, positive Punkte. Das Setting ist durchaus interessant, der Rest bedient sich bei gängigen Mustern des Genres. Die Gruppierung und deren einzelnen Mitglieder stempelt man schnell als austauschbar ab, sind sie ohnehin nur existent, um mit den im titelgebenden Gebilde lauernden Gefahren zu kämpfen. Bis dahin vergeht wenig Zeit, der Build Up ist zielstrebig; im Inneren der Pyramide spult das Drehbuch weiterhin brav die erprobten Formeln des Horrorfilms ab, was in einer angenehm zügigen Erzählweise geschieht. Levasseur und das Script treiben die Darsteller von einer Szene zur anderen. Schnörkellos. Das Script lässt wenig Leerlauf zu, in dem Konflikte in der Gruppe abgearbeitet werden, die zum nächsten dramatischen Punkt hinarbeiten. Zuerst fühlt sich The Pyramid wie ein in die Neuzeit transportierter Abenteuerfilm aus vergangenen Jahrzehnten an. Der Horroraspekt wird schrittweise in die Geschichte gestreut, die Kontinuität der klassischen Darstellungsweise behält der Film bei.

Nachdem die Wissenschaftler bei der Suche nach dem Ausgang der Pyramide, die erwartungsgemäß ins Gegenteil umschlägt, dem Zuschauer durch ihr Know-How die an die Wände gemeißelte Geschichte des Grabmals näher bringen, ahnt die geübte Genrenase, wie der Braten riechen wird. Die Vorhersehbarkeit nimmt der Geschichte den gewünschten Impact, selbst wenn der Film zuerst ausspart und dem Zuschauer nicht zu schnell die Auflösung präsentiert. Über deren Umsetzung kann man sich streiten. Fakt ist, dass es sich um eine kleine, gering budgetierte Produktion handelt und die CGI wirklich nicht das Gelbe von Hühnerprodukt ist. Das wirft The Pyramid mehr in Richtung Trash, als es der Film ist. Die von den Schöpfern verfolgte Idee bleibt konstant interessant und meines Erachtens gibt es Filme mit höherem Budget, die noch schlechtere, computergenerierte F/X bieten (mein Lieblingsbeispiel: Deep Blue Sea). Auch gibt es in in ihrer Ausführung deutlich üblere Werke. The Pyramid verschleiert nur nie, dass er darauf aus ist, dem Zuschauer für knapp 90 Minuten einfachste Unterhaltung, modernen Pulp, unterzujubeln. In dieser Zeitspanne baut Levasseur eine angenehme Grundspannung auf. Diese bleibt dank der leicht zu durchschauenden Handlung linear und schlägt nie in höhere Regionen aus, bietet jedoch genügend Kurzweil, um schon wenige Minuten, nachdem die letzten Credits über den Schirm gerollt sind, das ganze komplett abzuhaken. The Pyramid ist astreine B-Ware, mit all' den bekannten Dingen des Genres versehen und bot wenigstens für mich ein Feeling wie in den ausgehenden 90ern, als ich die Liebe zum Horrorfilm durch solche Schinken fand und sich daraus mein ganzes Hobby entwickelte.
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Samstag, 18. August 2018

Ghostland

Pascal Laugier hat ein Problem. Ob bewusst oder unbewusst, misst man seine neuesten Werke bis zu einem gewissen Punkt immer an seinem Opus Magnus Martyrs. Mit The Tall Man (hier besprochen) schien er bewusst einen anderen Weg einzuschlagen und gab dort leichte Töne von sich. Mit seinem neuesten Film bringt er den Terror zurück in sein Schaffen. In Ghostland konfrontiert der Franzose die alleinerziehende Mutter Pauline und deren Töchter Vera und Beth nach ihrer Ankunft im neuen Heim, dem Haus von Paulines verstorbener Tante, mit den Insassen eines schäbigen Eistrucks. Kaum dort angekommen, leuchten die Scheinwerfer des Trucks fahl und bedrohlich aus der Dunkelheit. Seine Insassen, ein hagerer Transsexueller und sein breitkreuziger, geistig zurückgebliebener Partner, brechen unbemerkt in das alte Haus ein und überwältigen die drei Frauen. Es folgt eine Nacht voller Terror und Folter. Wie von Laugier fast gewohnt, folgt ein harter Schnitt und ein Sprung in eine andere Zeit. Beth, seit ihrem Teenageralter eine glühende Verehrerin von H. P. Lovecraft, hat es von der unsicheren, schüchternen Jugendlichen, die für sich selbst Kurzgeschichten verfasste, zu einer erfolgreichen Horrorromanautorin geschafft.

Zuerst wird Beth von Alpträumen über die damalige Schreckensnacht geplagt, bevor sie ein verstörender Anruf ihrer Schwester Vera erreicht. Die alarmierte junge Frau lässt den Gatten und ihren Sohn zurück und reißt zu ihrer Familie, die immer noch im gleichen Haus lebt. Kaum dort angekommen haben Beth und ihre Mutter große Probleme, die vollkommen traumatisierte Vera, die zurückgezogen im Keller des Hauses lebt, unter Kontrolle zu halten. Ihre Panikattacken werden länger und schlimmer und bald steigt bei Beth der Verdacht, dass etwas aus der damaligen Nacht in irgendeiner Weise wiederkehrt. Schnörkellos, ohne große Umschweife und auf maximale Durchschlagkraft bedacht, baut Laugier Ghostland auf. Zügig führt er seine drei Hauptpersonen ein um genau so schnell die Konfrontation mit den Antagonisten zu erwirken. Nahezu brachial explodiert die über die Protagonisten hereinbrechende Gewalt. Schnelle Schnitte, extreme Nahaufnahmen. Man wird förmlich in diese Horrornacht mit hineingerissen. Die gewollte Wirkung erzielt Laugier so plötzlich, wie das psychopathische Pärchen auftaucht, um dann einfach die Stimmung herumzureißen.

Pascal Laugier hat ein weiteres Problem. Ihm gehen die Ideen aus. Es fehlt dem Franzosen an Inspiration. Der zeitliche Sprung bringt als erstes einen Starken Bruch in der Atmosphäre; als zweites entpuppt sich der Handlungsbogen um die traumatisierte Vera als unentschlossenes Pendeln zwischen verkappten Besessenheitshorror und Psychothriller. Die vom Regisseur ausgelegte Fährte, ob das im Haus erlebte nun Einbildung ist oder nicht, sein hinarbeiten auf die eintretende Wendung und diese selbst ist - nicht nur für geübte Genrefreunde - leider sehr offensichtlich ausgelegt. Es nimmt Ghostland einen Großteil seiner Spannung. Einzig die von Laugier angestimmte Tortour de Force kann das Abgleiten in die Mittelmäßigkeit aufhalten. Nach besagter Wendung macht Laugier das einzig richtige und widmet sich dem Kampf seiner weiblichen Protagonisten gegen ihre Peiniger. Terror kann der Franzose, auch wenn sich dieser in Ghostland abgenutzt anfühlt. Vieles kennt man aus ähnlich gelagerten Home Invasion-Filmen. Es ist routiniert umgesetzt, aber auch altbekannt. Einzig das Tempo des Films und das düstere, dreckige Haus, von oben bis unten mit beängstigend leblosen Puppen vollgestopft, halten bei der Stange. Würde Laugier nicht wie ein wütender Berserker mit tosendem Schritt durch die Geschichte donnern, wäre Ghostland viel enttäuschender.

Langsam aber sicher sollte der Mann sich von seinen bevorzugten Themen lösen. Laugiers Werke sind ein Kino verdrängter Traumata, welches bevölkert ist von Frauenfiguren, die einen gewaltsamen und beschwerlichen Weg auf sich nehmen müssen. Meist erscheinen sie so gebrochen wie die Gesicht auf dem Kinoplakat von Ghostland. Aber alles, was er in seinem eng gesteckten Themengebiet aufgreift, brachte er bereits mit Martyrs auf den Punkt. Ob The Tall Man oder Ghostland: es sind Variationen seiner Grundthematik. Sujet, Erzählweise, Anreicherung mit anderen Stoffen mögen sich ändern, im Kern bleiben die Geschichten des Franzosen gleich. Jetzt gilt es nach diesem Film aufzupassen, sich nicht ständig zu wiederholen und auf diesem Grundrezept auszuruhen, bevor Laugier plötzlich zu einem Künstler wird, der gefühlt seit vielen Jahren das ein und selbe bringt, nur immer etwas anders verpackt. Das er die Formeln des Terrorkinos beherrscht, zeigt er. Ghostland ist für die Figuren des Films selbst wie auch den Zuschauer eine physische Erfahrung. Was er mit fehlenden Variationen und der missglückten Wendung verpasst, schafft er mit einer Geschwindigkeit, die zusammen mit der kompromisslosen Gewalt schier überrollt. Es fehlt nur an neuen Sichtweisen und Perspektiven, um sich aus der Hölle der Wiederholungen raus zu holen.
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Sonntag, 5. August 2018

Settegialli: Liebe und Tod im Garten der Götter

Es ist alles kein Muss, alles keine Pflicht, aber: wenn man sich selbst vornimmt und halbwegs plant, trotz knapp bemessener Zeit die ausgewählten Filme für Settegialli vom Abspanngucker-Podcast zu schauen und einem dann etwas dazwischen kommt, ärgert es insgeheim doch ein bisschen. Dadurch wurden es letztendlich statt der angedachten sieben "nur" fünf Gialli. Als Resümee zur Aktion lässt sich festhalten, dass sie für mich als Cineast mit breit gefächertem Geschmack wirklich toll war, sich nach längerer Zeit mit diesem Genre wieder mehr auseinanderzusetzen. Außerdem ist es für alle, die Spaß haben, an solchen Aktionen teilzunehmen und bisher kaum bis keine Gialli sahen, aber durchaus Interesse daran besitzen, ein schöner Anlass, endlich mehr in die Thematik einzutauchen. Zwar sah man auf den Listen häufig den "Mainstream", all' die übergroßen und (sattsam bekannten) Werke auftauchen; das zu monieren wäre an falscher Stelle gemeckert. Wenn man durch Settegialli angefixt wurde, fischt man bestimmt auch nach den kleineren Werken im Teich. Nur der Monat, natürlich als siebter des Jahres passend um sich sieben Italothriller auf einen Streich anzuschauen, ist ein für mich nicht komplett glückliche Wahl. Die Sonne, die Temperaturen: sie locken mich anders als andere weit weniger in das dunkle Heimkinokämmerchen sondern häufiger nach draußen.

In dicht bevölkerte Innenstädte, in Parks und - wenn meine Heimatstadt sowas besäße - auch in solche Gärten, von denen im Titel von Sauro Scovlinis Film Liebe und Tod im Garten der Götter die Rede ist. Nach Un bianco vestito per Marialé von Romano Scavolini blieb ich der Familie treu und wählte einen der wenigen Filme, bei denen dessen Bruder Sauro Regie führte. Davor und danach machte dieser eher an der Schreibmaschine von sich reden und verfasste unter anderem das Drehbuch zu den beiden Sergio Martino-Gialli Die Farben der Nacht und Your Vice Is A Locked Room And Only I Have The Key oder zu dessen harten Spätwestern Mannaja - Das Beil des Todes. In seinem Debüt bleibt Scavolini seiner als Autor verfolgten Linie treu. Der Giallo ist bei ihm der Aufbau, mehr das Gerüst für seine Geschichten, mit denen er im Morast menschlicher Verfehlungen watet. Wie der Ornithologe, der sich im Nebenhaus einer alten Villa einmietet um seinen Forschungen nachzugehen und während seiner Wanderschaft im Gebüsch ein Tonband findet, ergründet der Zuschauer in langsamen Schritten die wahre Größe der von Scavolini zusammengezimmerten Tragödie.

Besagter Ornithologe bringt seinen Fund ins Haus, säubert sorgfältig das Tonband, spannt es in sein Abspielgerät ein und lauscht still den Aufnahmen. Als Rückblenden erzählen diese dem alten Mann und dem Zuschauer, was in der nahe gelegenen Villa zwischen der Erzählerin Azzurra, deren Ehemann Timothy und ihrem Bruder Manfredi geschah. Untreue, Missbrauch, Suizid, Mord und eine gleichermaßen wahnhafte wie inzestuöse Beziehung sind Gegenstand der Unterhaltungen. Dazwischen sehen wir in kurzen Abständen den beinahe regungslosen und passiv wirkenden Vogelkundler, der gegen Ende in den Fokus der Geschichte rückt und nicht nur das aktive Element ist, das durch seine Handlungen dem Zuschauer die Story erst näher bringt sondern das entscheidende Zünglein an der Wage wird. Bis dorthin entzieht sich Scavolini den konservativen Formeln des Giallo und kreiert ein gothisch angehauchtes Drama, angesiedelt im höheren Bürgertum, was eines der wenigen typischen Giallo-Merkmale des Films sind. Mit Liebe und Tod im Garten der Götter schlägt Scavolini eine Brücke vom psychosexualisierten Thrillerstück, der häufiger die Bewohner der Welt der reichen und schönen als von Traumata zerfresse, getriebene Mörder, Heuchler und Intriganten darstellt zu einem Autorenkino á la Chabrol, der in den 70ern häufiger eben dieses gehobene Bürgertum mit scharfem Ton demontierte und hinter dessen Fassaden blickte.

Absicht Scavolinis ist weder ein gewöhnliches Kriminalstück, noch ein anklagendes, treffsicheres Soziogramm abzuliefern. Wie später sein Bruder Romano, der hier die Kamera führte und den Film mitproduzierte (durch die dabei angehäuften Schulden wurde erst dessen Un bianco vestito per Marialé möglich), konzentriert sich dieser auf die Menschen seiner Geschichte. Zwischen Azzurra und Manfredi entsteht ein Gemisch explosiver Emotionen, deren Sprengkraft beide auf unterschiedliche Weise Richtung Wahnsinn treibt. Scavolini inszeniert das wie ein klassische Tragödie, bei der er mehr als einmal Stilelemente des gothischen Horrors aufgreift. Erst in der zweiten Hälfte orientiert sich Scavolini mehr hin Richtung Giallo unter bewusstem Verzicht auf dessen visuellen Charakteristika á la schwarze Handschuhe etc. Gleichzeitig stellt dies die Hinwendung zur filmischen Gegenwart, weg von der auf den Bändern festgehaltenen Vergangenheit, dar. Es ist ein effektiver Twist, der in der sonst so meditativ ruhig wirkenden Atmosphäre fast einem Donnerhall gleich kommt.

Ohnehin: die Stimmung. Für Scavolini ein Instrument, mit dem er in seine Geschichte stoische Melodien der Entrücktheit webt. Liebe und Tod im Garten der Götter ist fest verankert im Präsenz der damaligen Zeit und wirkt gleichzeitig losgelöst von jeglicher Zeit; einer eigenen kleinen Welt gleich, die sich vom restlichen Gefüge der Zeit getrennt hat. Der Garten, der die Villa und das Herrenhaus umschließt, erscheint als vom Verfall bedrohtes Paradies, aus dem sich die darin lebenden Leute als Ansammlungen schlechter Eigenschaften selbst vertrieben haben. So kann man den Ornithologen in seiner Passivität als Metapher auf einen Gott sehen, der weniger lenkt, sondern beinahe lethargisch dem Schalten und Walten der Menschen beiwohnt und erst dann eingreift, wenn das unausweichliche Ende vor der Tür steht um dann so wortlos wie er erschienen ist aus der Szenerie verschwindet, und den Menschen in seinen letzten Zügen alleine lässt. Nietzsche sagte, dass Gott tot ist. Scavolini spräche demnach davon, dass er seinen Auslegungen nach teilnahmslos passiv beobachtet, selten eingreift. God has left paradise before mankind. Der Eklektizismus des Italieners macht aus Liebe und Tod im Garten der Götter einen manchmal schwer zugänglichen, weitgehend von erzählerischen Standards und Spannungsbögen befreiten Film, der dies gleichzeitig als Stärke nutzen kann. Dem Zuschauer bleibt nur die Wahl, ob er mit Lust oder Widerwillen durch diesen verwucherten Garten menschlicher Abgründe und Tragödien wandelt. Ein Giallo, der in mit seinen Auswüchsen mehr als ein schnöder, weiterer Thriller ist, sondern viel mehr ein verwinkelter Garten mit entdeckenswerten Wegen und Plätzen. Das ist eigenwillig aber verdammt interessant und gut umgesetzt.

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