Samstag, 27. Oktober 2018

Horrorctober 2018: Die Mächte des Wahnsinns (9/13)

Als großer Alter des Horrorfilms bescherte John Carpenter dem Fanvolk über die Jahrzehnte mit Filmen wie dem jüngst mit einem x-ten Neueintrag für das tote Franchise versehenen Halloween, The Fog - Nebel des Grauens oder Sie leben!, welche heute - gemessen an den Beispielen - einen Klassiker- oder Kultstatut inne haben. Wie andere Altmeister rennt der Regisseur seinem erarbeiteten Ruf und Status seit längerer Zeit hinterher; zuletzt fabrizierte er vor acht Jahren den recht beliebigen und schnell wieder vergessenen Mini-Grusler The Ward. Die sattsam bekannten Großtaten, allesamt natürlich relevant für den Horrorctober wollte ich für dieses Jahr außen vor lassen. Lieber setzte ich mit Die Mächte des Wahnsinns den wahrlich letzten relevanten und leider von vielen übersehenen Film auf meine Liste. Gehörte dieser zu den (vielen) Werken, die ich aus der Erinnerung heraus als richtig gut befand, doch bis auf wenige kurze Szenen kaum noch in meinem Gedächtnis hafteten.

Die erneute Sichtung nach vielen Jahren zeigte mir einen metareferenziellen Film über das Schreiben bzw. das Schaffen von fiktiven Werken und wie sich ihre Schöpfer in diesen selbst verlieren können. Godlike errichten sie mit ihren Worten neue Welten, aufgebaut auf der uns bekannten Realität und erspinnen Kraft ihrer Gedanken für diese eigene Regeln. Fantasie wandelt sich zur Phantastik, wenn die Irrealität in den vertrauten Weltenlauf Einzug hält. Einzelne Erzählungen können zu einem Fragment eines großen Ganzen, eines Universums werden, das zum Kind des Autoren wird. Die bedingungslose Liebe zum geistigen Kinde und die stete Reise in den selbst erschaffenen Kosmos könnten, so in der mitschwingenden Theorie des Films, die Fiktion zur Realität und andersrum werden lassen. Der Übergang ist fließend und mit zunehmender Zeit nicht mehr unterscheidbar. Die Besessenheit des Künstlers vom eigenen Werk, wohlgemerkt in der Horrorvariante.

Auf der anderen Seite ist Die Mächte des Wahnsinns nicht einfach Huldigung, kurze Ehrehrbietung sondern eine große, lange Verbeugung vor dem literarischen Schöpfer des modernen Horrors und des Meisters der Weird Fiction H. P. Lovecraft. Sehen einige im verschwundenen Horrorautoren Sutter Cane, auf dessen Suche sich der Versicherungsagent John Trent macht, um ihn zusammen mit dessen Lektorin Linda Styles für den Verlag des Autoren zu suchen, da dieser wie seine tausenden Fans auf das Manuskript zum immer wieder verschobenen, neuen Werk wartet, eine Anspielung auf Carpenters engen Freund Stephen King (an einer Stelle im Film wird Cane sogar besser als King beschrieben), interpretiere ich Cane mehr als diabolisch-mysteriöse Variante des verschrobenen Schreibers. Einzig das real existierende Hobb's End, eigentlich nur eine von Cane erdachte Ortschaft wie es bei Lovecraft Arkham oder Castle Rock bei King sind, könnte man als Anspielung auf beide Autoren sehen. Erleben der rationelle Trent und Styles bereits auf der zuerst für sie ohne festes Ziel begonnenen Reise seltsame Dinge, lösen sich Zeit und weltliche Logik wenn sie Hobb's End erreichen, vollkommen auf.

Hier erhebt sich der Film zu einer filmisch nahe an das Werk Lovecrafts herankommenden Mixtur aus schleimigen, unförmigen und mit vielen Tentakeln bewehrten Monster, deren praktische Effekte mittlerweile wie das Gesamtwerk sichtbar ein Kind der 90er sind und einem am Rande des Wahnsinns und gesichtlosen Schreckens wandelnden Werk der rationellen Ohnmacht. Bilder die anscheinend zu Leben erwecken, Zeitschleifen die zu alptraumhaften Wiederholungen für die Protagonisten werden und die erschreckende Erkenntnis, dass Sutter Cane den Kontakt zu außerweltlichen Wesen, älter als die Zeit selbst und auf unbeschreibliche Art grauenvoll anzublicken hält, die ihm die Worte zu seinem neuesten Werk in den Geiste flüstern. Zu Gesicht bekommt man diese nie und wenn Carpenter auf den Spuren Lovecrafts wandelt und die für viele seiner Geschichten eigene Stimmung eines unvorstellbaren, stets präsenten Schreckens, über den man besser nie ein Wort verliert, sollte man dafür überhaupt adäquate Worte zur Beschreibung dieses im Kopfe finden, ist Die Mächte des Wahnsinns am stärksten.

Das ließ mich überlegen, was ich nun genau am Film so stark finde. Die beschriebene Stimmung des Films, die manch hübsch atmosphärische, mit Traumlogik behaftete Szene heraufbeschwört? Oder doch die ständige Präsenz Lovecrafts im Werk, was mir als Fan nicht nur ein Lächeln bescherte. In Hobb's End steigen Trent und Styles in Pickman's Hotel ab, eine klare Anspielung an die Geschichte "Pickmans Modell", die Titel der bisher erschienenen Bücher Canes ähneln den Namen der Erzählungen des Amerikaners und wenn Passagen aus diesen zitiert werden, hört man an die Handlung des Films angepasste Zeilen aus Lovecraft-Geschichten. Die außerweltlichen Geschöpfe mit denen Cane in Verbindung steht, sind eine klare Anspielung auf Cthulhu, Nyarlarthotep und die restlichen großen Alten des Cthulhu-Mythos. Anhänger des Autoren kommen auf ihre Kosten, was Die Mächte des Wahnsinns geschickt vom Umstand ablenken lässt, dass der Aufbau der Handlung zu den simpleren Vertretern des Genres gehört und Carpenter sich zu Beginn dazu hinreißen lässt, plumpe Methoden zur Schreckensverbreitung zu nutzen.

Seine ganze grauenvolle Schönheit entfaltet Die Mächte des Wahnsinns im Spiel mit der metareferenziellen Thematik, die gegen Ende die Frage was nun Realität und was Fiktion ist, auf die Spitze treibt. Der präsente Wahnsinn übernimmt das Drehbuch, bringt einerseits die als lange Rückblende erzählte Geschichte zum Ausgangspunkt des Films, die damit an Erzählstrukturen des Film Noir und seinen Hardboiled Detective-Stories erinnert. Was dann passiert ist ein dezent einsetzender Mindfuck am Ende des Films der den Metabezug einerseits erstmal zu übertreiben scheint, andererseits das bisher gesehene in Frage stellt, ob der großartig von Sam Neill dargestellte John Trent einfach nur dem Wahnsinn verfallen ist, die Fiktion sich nur in seinem Kopf abgespielt hat, er eine Wand der Erzählung von Drehbuchautor Michael De Luca durchbrochen hat oder wie bei Lovecraft das namenlose Grauen ihn in die totale geistige Instabilität getrieben hat. Die Leichtigkeit von Carpenters Regie und sein Gefühl für den Lovecraft-Vibe machen aus einem herkömmlichen Horrorfilm ein letztes, starkes Werk des Altmeisters und dazu die wohl beste Lovecraft-Verfilmung, die keine ist.
Share: