Samstag, 17. November 2018

Pyewacket

Pyewacket ist ein Film des Schleichens. Selten wird der zweite Langfilm des Kanadiers Adam MacDonald, der bisher häufiger als Schauspieler in Fernsehproduktionen denn als Regisseur in Erscheinung trat, richtig laut. Im okkult gefärbten Kosmos des Films sind die dort anwesenden Dämonen (meist) gesichtslose, tief in der Dunkelheit lauernde Schatten. Titelgebendes Wesen Pyewacket wächst zu einer omnipräsenten Bedrohung, zugleich überall und nirgendwo und immer verwachsen mit Protagonistin Leah. Der von dem Mädchen aus Frust und Wut gerufene Dämon soll einen im pubertären Wutaffekt herausgeschleuderten Wunsch in die Tat umsetzen: Leahs Mutter soll sterben. Ein Resultat aus Missverständnissen und unüberbrückbar erscheinenden Differenzen zwischen der Jugendlichen und ihrer Mutter, die trotz ihres kleinen, engen Familienverbunds einsam erscheinen.

Der Tod des Mannes bzw. Vaters riss sichtlich ein großes Loch in die Seelen der beiden Frauen. Während sich die Mutter im stillen Kämmerlein tränenversunken mit Hochprozentigem betäubt, flüchtet sich Leah in die Arme alternativer Subkulturen. Ihre Gothic-/Metal-Freunde geben ihr halt in schweren Stunden und mit Aaron ist da ein erster, leichter Schwarm, der in den gemeinsamen Szenen die Unsicherheit Leahs offenbart. Verloren, alleingelassen in der Trauer schöpft sie Kraft mit nach außen gestülptem Seelenleben, dass sie die Subkultur ihrer Freunde ausleben lässt. Das einst brav und unschuldige Mädchen entwickelt Interesse am Okkulten, liest Bücher darüber und besucht Lesungen ihres Lieblingsautoren. In ihrer sozialen Blase fühlt sie sich sicher; die Mutter bringt sie mit dem Plan eines Neuanfangs, sprich eines Umzugs, zum Platzen. Die angestaute Teenage Angst birst vor Angst, Enttäuschung, Trauer und Wut.

Trotz des Kompromiss, dass Leah die alte Schule weiter besuchen kann, spitzt sich die angespannte Situation zu. Nach einem weiteren von vielen Streits kommt es zur schicksalhaften Kurzschlussreaktion und das Mädchen beschwört Mittels eines Rituals im das neue Heim umschließenden Wald eine alte, bösartige Kraft. Bis auf wenige Ausnahmen lässt MacDonald, gleichzeitig Autor des Scripts, diese immateriell. Eher tritt sie als atmosphärisches Stimmungsmittel für den Filmemacher und listig boshafter Geist für Leah auf. Sein Schabernack wirkt für den Freund des düsteren Unterhaltungsfilms altbacken: nur sie selbst scheint dessen Treiben wahrzunehmen, seltsame Geräusche auf dem Dachboden zu hören oder das Gefühl zu haben, verfolgt zu werden. Dazu manifestiert sich der Dämon im Zimmer Leahs, als diese längst dem Schlaf erlegen ist um drohend über ihr zu wachen. Die direkte Begegnung folgt im im Vergleich mit dem bisherigen Ton des Films hektischen Finale.

Dort angelangt, ist für uns als Zuschauer längst nicht mehr klar, was Realität oder Einbildung Leahs ist. Pyewacket ist psychologischer Horror, eine Dämon gewordene Psychose eines in ihrer Trauer umherirrenden, stumm nach Hilfe schreienden Mädchens. Die vom Drehbuch gestiftete Verwirrung lässt ratlos zurück, unentschlossen, ob offensichtliche Logikfehler in Beziehung mit MacDonalds Absicht den Eindruck schmälern. Der Kanadier beherrscht von ihm leise angeschlagenen Töne; als Mutter-Tochter-Drama wäre Pyewacket feinstes Indiekino. Den Beginn von Leahs Reise in die vermeintlich dämonische oder doch innere Dunkelheit gestaltet sich indes einfallslos. Das Spiel mit Wahrnehmung, geisterhafte Schatten, mysteriöses Gepolter stehen im Gegensatz zu gut gespielter, in den besten Momenten bodenständig authentische, fühlbare Tragödie um den Verlust des geliebten Ehemanns und Vaters. Ganz gleich, ob Pyewacket im Film ein tatsächlich übersinnliches Wesen ist: als Verkörperung aller negativen Gedanken und Gefühle in der Protagonistin existiert er. Sein endgültiger Ausbruch, die komplette Besitzergreifung von Leahs Körper und Geist, ist schockierend und erinnert an eine ähnliche Szene im famosen Eden Lake.

MacDonalds Ansatz, Horror und Drama zu verschmelzen und den realen Schrecken des Coming of Age zu einer übernatürlichen Metapher werden zu lassen, vermag nicht komplett auf die Seite des Regisseurs zu ziehen. Den guten Absichten fehlt es an Kraft in der Umsetzung, obwohl Pyewacket seine Geschichte angenehm zurückgenommen erzählt. Das erzeugt zugleich eine Distanz zum Zuschauer, die bei allen guten mimischen Momenten auf der Leinwand von Nicole Muñoz und Laurie Holden nie richtig verschwindet. Diese Schranke verwehrt Pyewacket, im Rotten Tomatoes-Ranking der besten Horrorfilme des Jahres immerhin auf Platz 9, das er den Zuschauer gänzlich mit seinem Wesen gefangen nimmt. Aber es kann nicht alles so interpretationsreich und gleichzeitig packend sein wie It Follows. Gut war das Erlebnis mit MacDonalds Film trotzdem.
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