Samstag, 20. April 2019

Our Evil

Wenn amoralische Taten sich zur Rettung des eigenen Kindes von vornherein ausschließen, diese allerdings als letzter Ausweg wahrgenommen werden und keine andere Rettung möglich zu sein scheint, wie weit würde man als Elternteil gehen? Eine sperrige Frage, gleichzeitig Kern des Debütfilms von Samuel Galli. Seinen Protagonisten Arthur zeichnet er als vom Leben erschöpften, sich durch dieses watenden, verschlossenen Mann. Erst zusammen mit seiner Tochter erlebt man ihn von einer anderen, durch und durch gütigen und liebevollen Seite kennen. Was ihn dazu trieb, im Darknet mit dem Menschenhasser Charles einen Auftragskiller zu engagieren, lernen Zuschauer wie letzterer erst, als der Honorarmörder via Passwort Zugriff zu einem alles erklärenden Video erhält. In diesem offenbart Arthur die unglaubliche Last, die auf seinen Schultern ruhte.

Dies eröffnet Regisseur wie Autor Galli die Möglichkeit, übernatürliche Momente in die zuvor in düsteren, realistischen Tönen gehaltene Geschichte einzubauen. Das Schicksal Arthurs ist kein leichtes und wird in einer ausgiebigen Rückblende in einer Art erzählt, die seiner Wahrnehmung der eigenen Bestimmung als schleichende Qual gleicht. Galli tischt viel auf; vage gleicht Our Evil zu Beginn nüchtern-analytischen Serienmörder-Filmen, bevor er mit der zweiten Hälfte das Tor für Geister und Dämonen öffnet. Selbst einen Exorzismus bekommt er in seine Geschichte unter. Sehr wohl wichtig für die weitere Geschichte, bleibt der leichte Eindruck bestehen, dass Galli absichtlich das Erreichen des finalen Twists hinauszögert. Das hält den angenehm zurückhaltenden Erzählfluss der ersten Hälfte unnötig auf. Zum Finale wird förmlich geschlichen.

Die dort offenbarte Wendung erweist sich auf den ersten Blick höchst moralisch. Der im Entstehungsland Brasilien und seiner Gesellschaft verwurzelte Katholizismus tritt mit der Vertretung, dass schlechte Menschen ein ebenso schlechtes Schicksal ereilt, in Erscheinung. Die begangenen Taten Charles' - äußerst unangenehm durch sein "Werbevideo", welches schonungslos die brutale Tötung einer Frau zeigt und einem außer Kontrolle geratenen Tête-á-Tête mit zwei Frauen, die Charles in einer Bar kennenlernt, geschildert - prädestinieren ihn dazu, auf diese Weise verurteilt zu werden. Arthurs Handeln, um Erlösung zu gelangen und zeitgleich seine geliebte Tochter vor einer schrecklichen Zukunft zu bewahren, erscheint zur gleichen Zeit, betrachtet mit christlichen Werten, bitter und doppelmoralisch.

Wie weit Gutes/gut gemeintes gleichzeitig böse, ebenso negativ und amoralisch sein kann, arbeitet der Film bemüht heraus. Galli hinterfragt in seinem Script diese Scheinheiligkeit des christlichen Glaubens. Gleichzeitig damit auch Genrefans zu befriedigen, gelingt ihm mit Our Evil nur bedingt. Seine Prämisse ist gut gemeint, scheitert dabei daran, zu viel auf einmal zu wollen. Die minimalistische Struktur des Films in der ersten Hälfte steht diesem recht gut, bevor die Geschichte in der zweiten Hälfte zerfasert. Unnötige Füllszenen - darunter surreal gestaltete Unterredungen mit einem traurigen Clown - lassen Our Evil unnötig pseudophilosophisch wirken. Gallis Landsmann José Mojica Marins und sein Alter Ego Zé do Caixão bewiesen schon vor Jahrzehnten, wie man gekonnt und sehr einfach fragwürdige Moralen entlarvt und gleichzeitig blutrünstigen Horror auf die Leinwand zaubert. Dank seiner nüchternen Stimmung und der größtenteils okay umgesetzten Grundidee ist Our Evil ein durchaus sehenswertes Debüt.



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