Donnerstag, 19. September 2019

Der goldene Handschuh

Ein kleiner Mann, sichtlich gegerbt vom Leben, steht in der Tür zwischen Wohnstube und kleiner Küche und schimpft über den von seinem Besuch angesprochenen Gestank, den sein kleines Wohnreich durchflutet. Es sind "die scheiß' Griechen unter ihm", welche "von morgens bis abends Lamm und all so'n Zeug" kochen und damit das Haus vollstinken. Das Gezeter wird mit leicht ostdeutschem Dialekt durch die Lippen in den Raum geschleudert; die Szene spielt in den 70ern und irgendwie denkt man sich, dass sich im Vergleich zu heute nicht wirklich was geändert hat. Der Name des schimpfenden Herren ist Fritz Honka, ein dem Anschein nach vom Leben und der Trunksucht mitgenommener, einfacher Mann. Während viele Menschen metaphorisch ihre Leichen im Keller haben, hat Honka diese wortwörtlich hinter seiner Zimmerwand. Gelegenheitsprostituierte, obdachlose Frauen, verlorene Seelen, welche er in seiner Stammkneipe - dem goldenen Handschuh - und ebenso wie er sichtlich vom Leben und dem Alkohol ausgezehrt, werden von ihm in Hoffnung auf Sex und vielleicht auch auf etwas mehr Menschlichkeit in seine Dachstube gelockt und überwältigt von seinem ungestümen Trieb umgebracht.

Die Leichenteile entsorgt er teils in Müllbeuteln, die er in alten Industrieanlagen etc. versteckt oder in einem dürftig vernagelten Loch in seiner Wohnzimmerwand, von wo aus der süßliche Duft des Todes seinen Gestank in Honkas Reich ausbreitet. Er wollte schon immer einen Horrorfilm machen, erklärte Fatih Akin während der Promotion-Phase zu seiner Verfilmung von Heinz Strunks Buch Der goldene Handschuh, beruhend auf dem Leben und den Taten des echten Fritz Honka, dessen mörderisches Treiben erst durch einen Brand in seinem Wohnhaus durch das auffinden von Leichenteilen durch einen Feuerwehrmann entdeckt wurde. Akins Umsetzung erinnert weniger an düstere Serienmörder-Filme wie John McNaughtons Henry oder Finchers Se7en, welche in ihrer Stilistik neben Thriller- oder Drama-Elementen sichtbar eine Brücke zum Horror schlagen. Der goldene Handschuh ist deutscher Autoren-Horror, weit weg von üblichen Formeln des Genres, was dem Film die Unterbringung in die Rotten Potatoes-Rubrik verwehrte.

Strunk nicht unähnlich, blickt Akin in seiner Umsetzung nicht alleine auf das Leben eines Mannes, der durch seine in Heimen verbrachte Kindheit und durch Unfälle, Krankheit und Alkoholsucht ein wenig attraktives Äußeres besaß, welches sein Selbstwertgefühl äußerst niedrig hielt. Der goldene Handschuh streift durch das Kiez-Milieu Hamburgs mit seinen schrulligen, traurigen und gebrochenen Gestalten und schält seinen Protagonisten und seine Stammkneipe als dessen Mittelpunkt heraus. Soldaten-Norbert, Doornkaat-Max, Tampon-Günther, Anus: sie bleiben Kuriosa der Geschichte; im Buch "die Schimmligen" genannt; Hamburger Originale von ganz unten, um anscheinend den nüchternen Blick auf Honkas Treiben aufzulockern. Ein Ankerpunkt für das Publikum, an dem es Rasten kann, bevor der gammelige Gestank, spärlich von Raumduftsprays und einer Armada Wunderbäumchen bekämpft, phantomartig die Nase des Zuschauers wieder kitzelt. Was Heinz Strunk in schockierend quälend langen Szenerien beschreibt, konzentriert Akin in seinem Film zu abstoßenden Momentaufnahmen, die berechnend zwischen Schock und Aussparung pendeln. Wirksam ist beides.

Im Buch klebt man mehr an "Fiete", wie Honka gerufen wurde, ist näher an der Figur dran; Akin bewahrt sich eine Distanz. Starr bleibt die Kamera beispielsweise vor Honkas Schlafzimmertür stehen und gibt vom Treiben des Mannes mit den wehrlosen Frauen so viel Preis, wie es der schmale Durchgang zulässt. Morde geschehen zudem meist im Off und lassen das Kopfkino des Zuschauers den Rest erledigen. Mehr ist Akin bemüht, einen Einblick in das trostlose Leben und das Umfeld des Protagonisten zu geben. Trotz der neuen Arbeit nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit, einem versuchten Entsagen vom Alkohol bleibt unmissverständlich zu sehen, dass Honka mit seinem Milieu verzahnt war. Ein Zwischenfall auf der neuen Arbeit, sein (erneutes) soziales Scheitern treibt ihn zurück in die Arme des Alkohols, der ihm nur für kurze Zeit Wärme schenkt. Der goldene Handschuh ist dabei Sammelpunkt für die Leidgenossen, die zwischen ihren gegenseitigen Derbheiten und dem rauen nordischen Charme wohl auch sowas wie Sympathie für einander empfinden können, wenn sie nicht vom betörend betäubenden Fusel verblendet werden.

Akin arbeitet brav die wichtigsten Punkte der Buchvorlage heraus, schreitet flotten Schrittes zum Finale um bis dorthin in einen spröden Erzählstil zu verfallen, der entfernt an den des neuen deutschen Films oder Kurt Raabs Die Zärtlichkeit der Wölfe (hier besprochen) erinnert. Wenig spannend, weniger schockierend oder gleichzeitig faszinierend wie anekelnd als manche Passagen des Buchs bleibt Der goldene Handschuh eine durchaus interessante Sozialstudie, ein Sozialdrama das leicht genug bleiben möchte, um das deutsche Mainstream-Publikum aus dem Mittelstand und darüber hinaus in ihren kuschelig-weichen Kinosesseln oder auf ihren monströsen Wohnlandschaften zu gruseln. Manchmal verirrt sich Akin in seiner Faszination von dieser Welt von unten und treibt planlos durch die Geschichte. Planlos bleibt man auch beim kleinen Nebenplot um Jungspund Willi und seiner Angebeteten Petra, der diese irgendwann nach einer ersten Solo-Erkundung in die titelgebende Kneipe einlädt.

Sie scheinen nur dafür da zu sein, um zwischen all dem Pöbel und Gesocks normale Menschen in den Plot einzubauen und sind eigentlich Überbleibsel zweier Nebengeschichten des Buchs. Sein gut getroffener Milieu-Ton kann nicht verstecken, dass vieles an Der goldene Handschuh doch oberflächlich bleibt wie um Niveau bemühte Hartz-IV-Dokus auf RTL2 und weniger den gewollten Horror bietet, den sich Akin ausgemalt hat. Faszination übt der Film aus, auch durch seine extreme Detailgenauigkeit in der Darstellung des Kiez-Prekariats und dessen extra für den Film nachgebauten Treffpunkts. Fritz Honka selbst verkommt leider zum next german Boogey Man in einer durchaus bemühten und ebenfalls durchaus sehenswerten Sozial- und Milieustudie, die "ganz unten" angekommen sich wie Kiez-Touristen letztendlich nicht trauen, ganz in diese Welt einzutauchen. Akin ist eben nur mal kurz gucken, während Strunk in seinem Buch das ganze Übel schonungslos offen legt.
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