Während unseres Lebens befinden wir uns auf vielen, unterschiedlichen Reisen. Egal, ob wir unsere Körper beispielsweise im Urlaub von A nach B transportieren und fremde Plätze und Länder erkunden oder auf persönlicher, charakterlicher Ebene: wir sind ständig on tour. Das Trio Gabriela, Michaela und Lucy ist dies mit seinen fahrbaren Untersätzen ebenfalls. Die Engel im Exil sind unentwegt unterwegs und weder Felder, Straßen, Autobahnen oder leere Kasernen sind vor ihnen sicher. Regisseur Roland Reber scheint entweder einen außerordentlichen Motorrad-Fimmel zu haben oder möchte mit den ersten Minuten seines Films durch ausgedehnte Szenen seiner Hauptdarstellerinnen auf den Zwei- und Vierrädern deren Fahrzeuge als mechanisches Symbol der Freiheit seiner Figuren dem Zuschauer penetrant unter die Nase reiben. Dazwischen sitzen sie rastend in Landschaften, blicken bedeutungsschwanger in die Ferne und lassen theatralisch gestelzte Sätze von sich. Bevor sich Lucy ebenfalls vollwertig zu einem Engel zählen darf, bekommt sie von ihren Begleiterinnen eine Aufgabe gestellt.
Diese lautet "Sei was du bist, erst dann bist du eine von uns". Die promiskuitive Lucy wird genaustens unter die Lupe genommen und in die Mangel genommen. Das, was der Film ausführlich schildert, verpackt die junge Frau in Ausreden sich selbst gegenüber. Die häufig wechselnden Liebhaber werden mit Verliebtheit schön geredet; was sie laut ihren Tagebüchern und Erlebnissen innerhalb der fortschreitenden Handlung diesen Männern offenbart, sind nichts weiter als leere, austauschbare Worte, mit denen sie sich selbst belügt. Mutet Engel mit schmutzigen Flügeln bis dahin wie ein existenzialistisches Drama mit dazu irritierenden, sterilen TV-Film-Look an, packt Reber manch offenherzige Sex-Szenen in sein Werk, dass Lucys Selbstfindung sexploitative Züge annimmt. Frei nach Descartes stellt sie dazu passend früh fest: Ich ficke, also bin ich. Während Gabriela und Michaela in überdrehten Possen das Verhalten Lucys kommentieren, sie still beim Ausleben ihrer Sexualität beobachten oder alle drei zusammen ausgelassen umhertanzen und im Kinderlied-Stil feststellen, dass die schöne Rothaarige bis auf sich selbst alles andere auf dieser Welt zu kennen scheint.
Ins rechte Licht rückt Reber dabei seine Lucy-Darstellerin und Lebensgefährtin Antje Mönning, die in der ARD-Soap Um Himmels Willen als Nonne bei einem breiteren wie betagteren Publikum bekannt wurde und mit ihrem Mitwirken in dem 2009 entstandenen Film einen kleinen Skandal im Boulevard heraufbeschwor. Wie einst Jess (Franco) bei seiner Lina (Romay) saugt die Kamera als verlängertes Auge Rebers die natürliche Schönheit von Mönning förmlich auf und lässt uns Zuschauer an ihrer Nacktheit so häufig wie nur möglich oder unmöglich teilhaben. Halbnackt auf dem Quad, beim Sex am Baggersee, als Stripperin mit Dildo-Einzelshow vor maximal tumb dreinblickenden Publikum: Reber zelebriert seine Darstellerin, die zur Muse seiner filmischen Phantasie heranwächst. Interessanterweise funktioniert Engel mit schmutzigen Flügeln am Besten, wenn er Lucys Liebesleben in den Mittelpunkt stellt. Die Szene am See mit dem Fremden erhält durch die während des gesamten Akts aus nächster Nähe filmenden Kamera eine hübsche Intimität. Die aufgesetzt wirkende Prämisse des Films löst sich in diesen Szenen weitgehend auf.
Einen Kontrast zur von Film verfolgten Reflexion über das Moralempfinden des Einzelnen stellen sie in jeder Minute trotzdem dar. Engel mit schmutzigen Flügeln wirkt über weite Strecken, als wolle Reber mit den tiefgründig gemeinten Momenten dazwischen den erdachten Ferkelkram entschuldigen und diesem damit eine Existenzberechtigung sichern. Der vom Theater stammende Regisseur inszeniert seinen Stoff steif (no pun intended) und unauthentisch. Wieder muss ich mit Franco vergleichen: während der Spanier einer inneren Lust um des reinen Filmens wegen folgte und in seinen teils schlicht ausgestalteten Geschichten Stimmungen wirken ließ, fehlt es dem Film, betrachtet man dessen Thematik, an Leidenschaft. Den ausladenden Sexploitation-Szenerien steht eine miefige Verkopftheit gegenüber, die viele dem deutschen Cinema d'Auteur als negative Eigenschaft anlasten und sich hier bestätigt fühlt. Zumal man philosophische Großleistungen wie "Ohne Liebe sind wir nur leere Hüllen in einer leeren Welt" oder "Wer gefallen will, ist schon gefallen" eher als schwülstige Sprüche-Bilder bei Facebook vermutet. Bis auf einen stetig ansteigenden Fremdscham-Faktor und gefälligen wie offenherzigen Erotik-Szenen bietet Rebers Werk wenig bemerkenswertes. Der spirituell-religiöse Überbau der Geschichte über die Befreiung und das Erkennen des eigenen Ichs und der Beschau des Begriffts Moral schwankt unkoordiniert zwischen seinen beiden Extremen hin und her. Seine Unzulänglichkeiten wirken wie der viel zitierte Unfall, bei dem man wegschauen möchte, aber nicht kann... und froh ist, wenn er am Ende angelangt ist. Autoren-Trash, bei dem Penis und Kopf gleichzeitig das Denken übernehmen; sich "viel traut" und nur geringfügig durch sein seltsames Gesamtbild geringfügig Aufmerksamkeit erlangen kann und nur für Stirnrunzeln oder Kopfschütteln sorgt.
Credits
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Montag, 29. Juni 2020
Samstag, 13. Juni 2020
Midsommar
Allzu leicht könnte man Ari Asters aktuellen Film Midsommar als bloßen Mindfuck abstempeln, der wie die Bewohner der Kommune, in die es die Protagonisten verschlägt, diese wie uns Zuschauer mit ihren archaischen Traditionen und Riten auf vielen Ebenen nur verstören möchte. Doch das Kino des schnell hoch gehandelten Regie- und Genre-Wunderkinds ist weit mehr, als mit Symbolismus aufgeladene, interpretationsreiche Bilderfluten. Wie in seinem Langfilmdebüt Hereditary behandelt Aster Verlust als zentrales Thema. Ist es dort noch der Tod eines Familienmitglieds, der Anlass für die folgenden Schrecken ist, behandelt er in seinem zweiten Werk das Ende der bereits elendig lange dahinsiechenden Beziehung der Studenten Dani und Chris. Wieder ist es ein schwerer Schicksalsschlag, den die weibliche Hauptfigur zu verkraften hat; dadurch noch mehr als ohnehin mental angeschlagen, bringt sie ihre kriselnde Partnerschaft zu Chris einen Schritt weiter Richtung Abgrund. Dieser lädt seine Freundin nur aus Höflichkeit dazu ein, ihn und seine Studienfreunde Pelle, Josh und Marc auf eine Reise nach Schweden zu einer großfamilienähnlichen Kommune, in der Pelle einen Teil seines Lebens verbrachte, zu begleiten.
Entgegen Chris' Annahme, dass sie ausschlägt, sagt Dani zu. In Schweden angekommen, treffen sie rechtzeitig zu den Feierlichkeiten zur Mittsommerwende in der Kommune ein. Das auf einige Tage ausgedehnte Fest wird durch das immer bizarrere Verhalten der dortigen Bewohner und seltsam wie grausam anmutende Rituale eine harte Prüfung für die Studenten. Als einige geschockt von den dortigen Bräuchen mit dem Gedanken spielen, vorzeitig abzureißen, ahnen sie noch nicht im geringsten, wie sehr sie in den Planungen der Kommunenmitglieder für das Fest eingeplant sind. Weitgehend löst sich Aster mit seinem Script, das er seiner Aussage nach schrieb, um das Ende einer eigenen Beziehung zu verarbeiten, von gängigen Konventionen des Horrorfilms. Packte er seinen Hereditary noch häufig in Dunkelheit und düstere Bilder, wird Midsommar von hellen, leuchtenden Farben bestimmt. Lässt er seine Figuren zunächst mit der zu dieser Jahreszeit nie untergehen wollenden Sonne hadern, konfrontiert er sein Publikum gleichzeitig mit dem Umstand, dass das Grauen nicht im Dunkel lauert und man sich gedanklich nicht davor in visuelle Schattengebilde gängiger Horrorfilme retten kann. The Sun Always Shines On TV.
Aster festigt sich mit Midsommar als scharfer Beobachter, der sich gewollt gegen die hastigen Erzählstrukturen des Mainstream-Horrors stellt und sich beim Aufbau seines Szenarios und der Ausgestaltung der Charaktere Zeit lässt. Nachdem er die emotionale Spannung des Stoffs bereits Eingangs mit der Darstellung des Dani betreffenden Unglücks eindringlich zu einem ersten Höhepunkt führt, lässt er den Horror lange außen vor. Szenen, in denen er auch durch geschickte Bildkompositionen die Distanz zwischen seinen beiden Protagonisten darstellt, überwiegen und lassen den Zuschauer in die zerklüftete Partnerschaft der beiden eintauchen. Nüchtern, ohne störende Rührseligkeiten schaut Aster auf zwei Menschen, die über immer weiter auseinander reißenden Klüfte krampfig aneinander festhalten und nicht merken oder wahr haben wollen, wie man dem Partner immer mehr entgleitet. Dani steckt in ihrer selbst geschaffenen Abhängigkeit fest, die Chris in ein Pflichtbewusstsein ihr gegenüber drängt, das eine ungesunde Einseitigkeit besitzt. Er steckt in der Rolle der Stütze der Beziehung und Wächter über ihre mentale Gesundheit fest, anstelle sich komplett aufrichtig bzw. fürsorglich um sie zu kümmern.
Die Magie der Liebe scheint lange versiegt zu sein. Dani und Chris müssen bis zur eigenen Erkenntnis, der völligen Wahrnehmung und Akzeptanz des Endes zunächst ein Martyrium durchgehen. Die fremd wirkenden Bräuche der Kommune, die ihre Freunde und sie selbst schockieren und emotional stark mitnehmen, stellen verschiedene Stufen der innerlichen Reinigung Danis und des konkreten Endes der Beziehung dar. Die in der Beziehung längst entzündete Wunde muss zunächst Schmerzen wie der Schock über die für ihre Gastgeber so normal erscheinenden Bräuche. Bis alles wieder vergeht, muss es nochmal richtig weh tun, brennen und unangenehm sein. So unbehaglich, wie sich auch die Stimmung des Films entwickelt, die Aster den Zuschauer in jeder weiteren Szene in der Kommune spüren lässt. Sein Horror ist eher das gemeinsame Erleben mit den Figuren, der kollektive Schock über die Grausamkeiten der von den Bewohnern der Kommune verübten Rituale. Die heidnischen Bräuche treffen uns christianisierte, aufgeklärten Menschen alleine schon durch ihre Fremdartigkeit. Bis auf zwei grafisch sehr explizite und äußerst wirksame Szenen verzichtet Midsommar auf den im Horror sonst meist exzessiv genutzten roten Lebenssaft.
Neben dem Verlust eines Menschen, für den man tiefgreifende Gefühle empfand, die sich immer weiter auflösen, lässt uns der Regisseur auch die Absenz von ursprünglichem, urwüchsigem Denken und Fühlen in unser Bewusstsein treten. Aster spielt mit unserer Christianisierung und deren Verdrängung alter, monotheistischer Glaubenskonstrukte. Was barbarisch für den einen scheint, empfindet ein anderer in seinem Lebensbewusst als vollkommen üblich. Was normal ist, liegt im Auge des Betrachters. Fast schon bedauerlich, dass Midsommar bei seiner Vielschichtigkeit mitunter in gängige Horrorschemata verfällt. Dies fängt bei schwachen Nebenfiguren wie Marc an, der der übliche nervige, notgeile wie dezent tumbe Auffällige ist, der zumindest mir schnell auf die Nerven ging, und hört bei zwar nur angedeuteten und nie vollständig ausformulierten Szenen auf. Sie stehen im Kontrast zum komplexen Rest der Geschichte; zu simpel und vorhersehbar formt sich ein Verdacht im Kopf des Zuschauers, der sich später bewahrheitet. Es raubt ihm seine unvergleichliche Charakteristik und oppositionelle Haltung gegenüber normaler Genreware. Am ehesten kommt einem bei Midsommar als grober Vergleich The Wicker Man in den Sinn.
Scheinbar der Einzigartigkeit seines Stoffs voll und ganz bewusst, bewahrt Aster die Einzigartigkeit des Films. Wie die weiblichen Bewohner beim Tanz auf dem Höhepunkt des Fests, strauchelt er in wenigen Momenten um in seiner Gesamtheit im Glanz seiner gleißenden Schönheit zu stehen. Eigentlich ködert Aster das Publikum mit der altbekannten und doch die Neugier anheizenden Faszination des Fremdartigen, um dies wie die Figuren des Films mit der geschaffenen, parallel zu unserer konservativ erscheinenden Gesellschaft existierenden Welt zu ängstigen. Die stetig anhaltende, unangenehme Atmosphäre und Asters feines Gespür für präzise wie nüchtern erzählte Dramen, die eins werden mit dem naturalistischen Horror des Films machen Midsommar zu einem feinen Genre-Erlebnis, dem man die plumpen Momente verzeiht. Die weitgehend durchweg positiven Stimmen nach seinem Kinostart kann ich voll und ganz nachvollziehen, selbst wenn ich mich nicht komplett vom Begeisterungssturm mitreißen lasse. Stehende Ovationen und lang anhaltenden Applaus erhält er aber auch von mir. Ist er doch allein schon mit seiner Laufzeit von knapp zweieinhalb (Kino-Fassung) bzw. drei (Director's Cut) Stunden Laufzeit und dem sich bewussten Zeit nehmen für sein Sujet, seine Figuren und seinen Absichten dem Zuschauer gegenüber ein schöner Gegenentwurf zum in Laufzeitschablonen gepressten Genre-Standard.
Entgegen Chris' Annahme, dass sie ausschlägt, sagt Dani zu. In Schweden angekommen, treffen sie rechtzeitig zu den Feierlichkeiten zur Mittsommerwende in der Kommune ein. Das auf einige Tage ausgedehnte Fest wird durch das immer bizarrere Verhalten der dortigen Bewohner und seltsam wie grausam anmutende Rituale eine harte Prüfung für die Studenten. Als einige geschockt von den dortigen Bräuchen mit dem Gedanken spielen, vorzeitig abzureißen, ahnen sie noch nicht im geringsten, wie sehr sie in den Planungen der Kommunenmitglieder für das Fest eingeplant sind. Weitgehend löst sich Aster mit seinem Script, das er seiner Aussage nach schrieb, um das Ende einer eigenen Beziehung zu verarbeiten, von gängigen Konventionen des Horrorfilms. Packte er seinen Hereditary noch häufig in Dunkelheit und düstere Bilder, wird Midsommar von hellen, leuchtenden Farben bestimmt. Lässt er seine Figuren zunächst mit der zu dieser Jahreszeit nie untergehen wollenden Sonne hadern, konfrontiert er sein Publikum gleichzeitig mit dem Umstand, dass das Grauen nicht im Dunkel lauert und man sich gedanklich nicht davor in visuelle Schattengebilde gängiger Horrorfilme retten kann. The Sun Always Shines On TV.
Aster festigt sich mit Midsommar als scharfer Beobachter, der sich gewollt gegen die hastigen Erzählstrukturen des Mainstream-Horrors stellt und sich beim Aufbau seines Szenarios und der Ausgestaltung der Charaktere Zeit lässt. Nachdem er die emotionale Spannung des Stoffs bereits Eingangs mit der Darstellung des Dani betreffenden Unglücks eindringlich zu einem ersten Höhepunkt führt, lässt er den Horror lange außen vor. Szenen, in denen er auch durch geschickte Bildkompositionen die Distanz zwischen seinen beiden Protagonisten darstellt, überwiegen und lassen den Zuschauer in die zerklüftete Partnerschaft der beiden eintauchen. Nüchtern, ohne störende Rührseligkeiten schaut Aster auf zwei Menschen, die über immer weiter auseinander reißenden Klüfte krampfig aneinander festhalten und nicht merken oder wahr haben wollen, wie man dem Partner immer mehr entgleitet. Dani steckt in ihrer selbst geschaffenen Abhängigkeit fest, die Chris in ein Pflichtbewusstsein ihr gegenüber drängt, das eine ungesunde Einseitigkeit besitzt. Er steckt in der Rolle der Stütze der Beziehung und Wächter über ihre mentale Gesundheit fest, anstelle sich komplett aufrichtig bzw. fürsorglich um sie zu kümmern.
Die Magie der Liebe scheint lange versiegt zu sein. Dani und Chris müssen bis zur eigenen Erkenntnis, der völligen Wahrnehmung und Akzeptanz des Endes zunächst ein Martyrium durchgehen. Die fremd wirkenden Bräuche der Kommune, die ihre Freunde und sie selbst schockieren und emotional stark mitnehmen, stellen verschiedene Stufen der innerlichen Reinigung Danis und des konkreten Endes der Beziehung dar. Die in der Beziehung längst entzündete Wunde muss zunächst Schmerzen wie der Schock über die für ihre Gastgeber so normal erscheinenden Bräuche. Bis alles wieder vergeht, muss es nochmal richtig weh tun, brennen und unangenehm sein. So unbehaglich, wie sich auch die Stimmung des Films entwickelt, die Aster den Zuschauer in jeder weiteren Szene in der Kommune spüren lässt. Sein Horror ist eher das gemeinsame Erleben mit den Figuren, der kollektive Schock über die Grausamkeiten der von den Bewohnern der Kommune verübten Rituale. Die heidnischen Bräuche treffen uns christianisierte, aufgeklärten Menschen alleine schon durch ihre Fremdartigkeit. Bis auf zwei grafisch sehr explizite und äußerst wirksame Szenen verzichtet Midsommar auf den im Horror sonst meist exzessiv genutzten roten Lebenssaft.
Neben dem Verlust eines Menschen, für den man tiefgreifende Gefühle empfand, die sich immer weiter auflösen, lässt uns der Regisseur auch die Absenz von ursprünglichem, urwüchsigem Denken und Fühlen in unser Bewusstsein treten. Aster spielt mit unserer Christianisierung und deren Verdrängung alter, monotheistischer Glaubenskonstrukte. Was barbarisch für den einen scheint, empfindet ein anderer in seinem Lebensbewusst als vollkommen üblich. Was normal ist, liegt im Auge des Betrachters. Fast schon bedauerlich, dass Midsommar bei seiner Vielschichtigkeit mitunter in gängige Horrorschemata verfällt. Dies fängt bei schwachen Nebenfiguren wie Marc an, der der übliche nervige, notgeile wie dezent tumbe Auffällige ist, der zumindest mir schnell auf die Nerven ging, und hört bei zwar nur angedeuteten und nie vollständig ausformulierten Szenen auf. Sie stehen im Kontrast zum komplexen Rest der Geschichte; zu simpel und vorhersehbar formt sich ein Verdacht im Kopf des Zuschauers, der sich später bewahrheitet. Es raubt ihm seine unvergleichliche Charakteristik und oppositionelle Haltung gegenüber normaler Genreware. Am ehesten kommt einem bei Midsommar als grober Vergleich The Wicker Man in den Sinn.
Scheinbar der Einzigartigkeit seines Stoffs voll und ganz bewusst, bewahrt Aster die Einzigartigkeit des Films. Wie die weiblichen Bewohner beim Tanz auf dem Höhepunkt des Fests, strauchelt er in wenigen Momenten um in seiner Gesamtheit im Glanz seiner gleißenden Schönheit zu stehen. Eigentlich ködert Aster das Publikum mit der altbekannten und doch die Neugier anheizenden Faszination des Fremdartigen, um dies wie die Figuren des Films mit der geschaffenen, parallel zu unserer konservativ erscheinenden Gesellschaft existierenden Welt zu ängstigen. Die stetig anhaltende, unangenehme Atmosphäre und Asters feines Gespür für präzise wie nüchtern erzählte Dramen, die eins werden mit dem naturalistischen Horror des Films machen Midsommar zu einem feinen Genre-Erlebnis, dem man die plumpen Momente verzeiht. Die weitgehend durchweg positiven Stimmen nach seinem Kinostart kann ich voll und ganz nachvollziehen, selbst wenn ich mich nicht komplett vom Begeisterungssturm mitreißen lasse. Stehende Ovationen und lang anhaltenden Applaus erhält er aber auch von mir. Ist er doch allein schon mit seiner Laufzeit von knapp zweieinhalb (Kino-Fassung) bzw. drei (Director's Cut) Stunden Laufzeit und dem sich bewussten Zeit nehmen für sein Sujet, seine Figuren und seinen Absichten dem Zuschauer gegenüber ein schöner Gegenentwurf zum in Laufzeitschablonen gepressten Genre-Standard.
Mittwoch, 3. Juni 2020
The Devil's Rejects
Komplett begeistert ließ mich Rob Zombies House of 1000 Corpses bei der zweiten Sichtung, nachdem ich den Film weit über zehn Jahre das letzte mal gesehen habe, nicht zurück. Wie in meiner Besprechung beschrieben merkte ich allerdings, dass das Gesamtergebnis weit weniger schlimm ist, als es in meinem Gedächtnis gespeichert war. Weitaus übler fand ich die von Zombie zwei Jahre später nachgeschobene Fortsetzung The Devil's Rejects. Während der Film von einem Gros der Leute in den Foren, in denen ich mich damals herumtrieb, positiv aufgenommen wurde, stellte ich nur ernüchternd fest, dass der gute Rob auch ein großes Herz für das B- und Terror-Kino der 70er Jahre hatte. Mehr aber auch nicht. Wie bei Tarantino kann ich bis heute den Hype um Personen nicht richtig nachvollziehen, wenn diese fast ausschließlich einzig Versatzstücke vieler persönlicher Lieblingsfilme und -genres - bei Tarantino zugegeben meist gekonnt - zu einem bunten Filmmosaik zusammenwerfen. Die erneute Sichtung von Zombies Debüt machte mich neugierig genug, um dem Sequel nochmal eine Chance zu geben; liegt die letzte Sichtung ebenfalls mehr als zehn Jahre zurück.
Dank der damals empfundenen maßlosen Enttäuschung war meine Erwartungshaltung sowie die Erinnerung an Details verschwindend gering. Aus der Zweitsichtung wurde ein neues erleben und entdecken des Films, der so ziemlich dort einsteigt, wo der Vorgänger aufhört. Die Alptraum-Nacht der von Baby in House of 1000 Corpses aufgegabelten Studenten ist längst vorbei, die Sonne lässt ihre Hitze über die Farm und das umliegende Land des Clans kriechen und in ihrem sengenden Schein fährt eine Heerschar an Polizeibeamten - angeführt von Sheriff Quincy Wydell - heran, um dem höllischen Treiben ein Ende zu setzen. Otis und Baby können sich während der Schießerei mit den Cops absetzen, während ein Beamter bei der Durchsuchung ihres Hauses entdeckt, dass der allseits bekannte Captain Spaulding ebenfalls zur Sippe gehört. Längst von Otis und Baby gewarnt, stößt dieser auf deren Flucht in einem Motel zum Duo, welches dort die Mitglieder einer Country-Band in ihre Gewalt brachten und die nächsten Stunden damit beschäftigt waren, diese zu quälen.
War House of 1000 Corpses Zombies persönliches Panoptikum seiner filmischen und popkulturellen Vorlieben und er als Regisseur ein überschwänglich agierender Präsentator in diesem, nimmt er sich in The Devil's Rejects angenehm zurück und bringt hier seine Geschichte weitaus geordneter an den Zuschauer heran. Im Stil der B-Movies der 70er und den damals aufkommenden Terrorfilmen á la The Texas Chain Saw Massacre konzentriert er sich auf diese eine Spur und bleibt erfreulicherweise über den ganzen Film hinweg auf dieser. Stilistische Ausbrüche bleiben aus; dadurch wirkt das Sequel viel runder als der Vorgänger-Film. Einziges Manko ist auch hier wieder die narrative Ebene: Zombie bewegt sich im Kreis und bietet nach dem Motel-Stopp seines Höllen-Clans im Motel wenig Variationen. Während die Fireflys auf ihrem Weg zur Spauldings Halbbruder Charlie sind, hetzt ihnen Wydell hinterher, der seinen Einsatz zu einer persönlichen Vendetta werden lässt.
Gut und böse im herkömmlichen Sinne existiert in Zombies filmischer Welt nicht. Die strikte Unterteilung zwischen schwarz und weiß lässt er zu einem schmutzigen grauen Klumpen werden. Seine Hellbillys als auch der grimme Arm des Gesetzes lässt er ausgiebig wüten, foltern, morden, dass The Devil's Rejects beinahe Züge des im gleichen Jahr auf die Menschheit losgelassenen und die Torture Porn-Welle lostretenden Hostel annimmt. Diese einseitige Ausrichtung der Story weicht die dichte Atmosphäre des Films auf und unterbricht seinen abgründigen Sog, in den der Zuschauer gezogen wird. In seinen besten Szenen klebt die Kamera auf den von Zombie erschaffenen Figuren und sorgt sogar dafür, dass seine mimisch eher unterdurchschnittlich begabte Gattin (zumindest) beim aufeinander treffen mit dem Kopf der Band eine gute Leistung hinlegt. Zombie macht den Zuschauer zum unfreiwilligen Voyeur, einem stillen Beobachter der teuflischen Taten seiner Anti-Anti-Helden. In der Tradition seiner Vorbilder geschieht dies vordergründig exploitativ, während man nicht drumherum kommt und zugeben muss, dass im Hintergrund zu jeder Zeit eine unangenehme Stimmung brodelt, wenn die Fireflys auf der Bildfläche erscheinen.
Mit The Devil's Rejects schuf Rob Zombie einen Killing Spree-Road Movie der gleichermaßen dessen Verbeugung vor den bereits genannten Spielarten des Genrefilms und eine interessante Weiterführung der Geschichte um die Fireflys geworden ist. Sein Bruch mit der bei House of 1000 Corpses herrschenden düster-bunten Horror-Comic-Stilistik ist dabei das Beste, was dem Sequel passieren kann. Nach dem dortigen wilden experimentieren Zombies scheint er seinen Weg gefunden zu haben: Beinahe schade, dass er diesen schnell wieder verlassen hat. Auf der anderen Seite kann man nachempfinden, dass die dann vielleicht gefühlte 41. Variante von TDR für ihn Stagnation bedeutet hätte. Kaum ein Kreativer tritt in seinem Schaffen gerne auf der Stelle und probiert lieber und lässt neue oder alte Einflüsse in seine Werke einfließen. Kreativer Prozess ist (meist) auch immer eine stetige Veränderung. Geändert hat sich mittlerweile auch meine Meinung zu diesem Film. Rob Zombie wird zwar nie der größte Geschichtenerzähler sein, da er sich zu sehr darauf konzentriert, seine Scum of the Earth-Figuren ausufernd darzustellen, trotzdem gelang ihm - neben Lords of Salem, den ich schon immer sehr mochte - mit The Devil's Rejects tatsächlich sein bester Film. Das ist zwar immer noch weit weg von perfekt, doch das sind die Backwood-Universen des Musikers und Regisseurs ebenfalls nicht und so schade es ist, dass er Baby, Otis und Captain Spaulding nicht noch mehr Raum gibt um der selbst vom Teufel verschmähten Sippe mehr Konturen zu verleihen, so braust man bis zum leider etwas abgehackten, aber auch schön gefilmten Finale gerne durch die schmutzigsten Ecken des Landes.
Dank der damals empfundenen maßlosen Enttäuschung war meine Erwartungshaltung sowie die Erinnerung an Details verschwindend gering. Aus der Zweitsichtung wurde ein neues erleben und entdecken des Films, der so ziemlich dort einsteigt, wo der Vorgänger aufhört. Die Alptraum-Nacht der von Baby in House of 1000 Corpses aufgegabelten Studenten ist längst vorbei, die Sonne lässt ihre Hitze über die Farm und das umliegende Land des Clans kriechen und in ihrem sengenden Schein fährt eine Heerschar an Polizeibeamten - angeführt von Sheriff Quincy Wydell - heran, um dem höllischen Treiben ein Ende zu setzen. Otis und Baby können sich während der Schießerei mit den Cops absetzen, während ein Beamter bei der Durchsuchung ihres Hauses entdeckt, dass der allseits bekannte Captain Spaulding ebenfalls zur Sippe gehört. Längst von Otis und Baby gewarnt, stößt dieser auf deren Flucht in einem Motel zum Duo, welches dort die Mitglieder einer Country-Band in ihre Gewalt brachten und die nächsten Stunden damit beschäftigt waren, diese zu quälen.
War House of 1000 Corpses Zombies persönliches Panoptikum seiner filmischen und popkulturellen Vorlieben und er als Regisseur ein überschwänglich agierender Präsentator in diesem, nimmt er sich in The Devil's Rejects angenehm zurück und bringt hier seine Geschichte weitaus geordneter an den Zuschauer heran. Im Stil der B-Movies der 70er und den damals aufkommenden Terrorfilmen á la The Texas Chain Saw Massacre konzentriert er sich auf diese eine Spur und bleibt erfreulicherweise über den ganzen Film hinweg auf dieser. Stilistische Ausbrüche bleiben aus; dadurch wirkt das Sequel viel runder als der Vorgänger-Film. Einziges Manko ist auch hier wieder die narrative Ebene: Zombie bewegt sich im Kreis und bietet nach dem Motel-Stopp seines Höllen-Clans im Motel wenig Variationen. Während die Fireflys auf ihrem Weg zur Spauldings Halbbruder Charlie sind, hetzt ihnen Wydell hinterher, der seinen Einsatz zu einer persönlichen Vendetta werden lässt.
Gut und böse im herkömmlichen Sinne existiert in Zombies filmischer Welt nicht. Die strikte Unterteilung zwischen schwarz und weiß lässt er zu einem schmutzigen grauen Klumpen werden. Seine Hellbillys als auch der grimme Arm des Gesetzes lässt er ausgiebig wüten, foltern, morden, dass The Devil's Rejects beinahe Züge des im gleichen Jahr auf die Menschheit losgelassenen und die Torture Porn-Welle lostretenden Hostel annimmt. Diese einseitige Ausrichtung der Story weicht die dichte Atmosphäre des Films auf und unterbricht seinen abgründigen Sog, in den der Zuschauer gezogen wird. In seinen besten Szenen klebt die Kamera auf den von Zombie erschaffenen Figuren und sorgt sogar dafür, dass seine mimisch eher unterdurchschnittlich begabte Gattin (zumindest) beim aufeinander treffen mit dem Kopf der Band eine gute Leistung hinlegt. Zombie macht den Zuschauer zum unfreiwilligen Voyeur, einem stillen Beobachter der teuflischen Taten seiner Anti-Anti-Helden. In der Tradition seiner Vorbilder geschieht dies vordergründig exploitativ, während man nicht drumherum kommt und zugeben muss, dass im Hintergrund zu jeder Zeit eine unangenehme Stimmung brodelt, wenn die Fireflys auf der Bildfläche erscheinen.
Mit The Devil's Rejects schuf Rob Zombie einen Killing Spree-Road Movie der gleichermaßen dessen Verbeugung vor den bereits genannten Spielarten des Genrefilms und eine interessante Weiterführung der Geschichte um die Fireflys geworden ist. Sein Bruch mit der bei House of 1000 Corpses herrschenden düster-bunten Horror-Comic-Stilistik ist dabei das Beste, was dem Sequel passieren kann. Nach dem dortigen wilden experimentieren Zombies scheint er seinen Weg gefunden zu haben: Beinahe schade, dass er diesen schnell wieder verlassen hat. Auf der anderen Seite kann man nachempfinden, dass die dann vielleicht gefühlte 41. Variante von TDR für ihn Stagnation bedeutet hätte. Kaum ein Kreativer tritt in seinem Schaffen gerne auf der Stelle und probiert lieber und lässt neue oder alte Einflüsse in seine Werke einfließen. Kreativer Prozess ist (meist) auch immer eine stetige Veränderung. Geändert hat sich mittlerweile auch meine Meinung zu diesem Film. Rob Zombie wird zwar nie der größte Geschichtenerzähler sein, da er sich zu sehr darauf konzentriert, seine Scum of the Earth-Figuren ausufernd darzustellen, trotzdem gelang ihm - neben Lords of Salem, den ich schon immer sehr mochte - mit The Devil's Rejects tatsächlich sein bester Film. Das ist zwar immer noch weit weg von perfekt, doch das sind die Backwood-Universen des Musikers und Regisseurs ebenfalls nicht und so schade es ist, dass er Baby, Otis und Captain Spaulding nicht noch mehr Raum gibt um der selbst vom Teufel verschmähten Sippe mehr Konturen zu verleihen, so braust man bis zum leider etwas abgehackten, aber auch schön gefilmten Finale gerne durch die schmutzigsten Ecken des Landes.