Samstag, 25. Juli 2020

Das Grauen von Schloss Montserrat

Jess Franco. Man liebt oder hasst ihn; ein in between scheint (fast) nicht zu existieren. Mich selbst habe ich, was die Haltung zum spanischen Regisseur angeht, lange in dieser grauen Zone zwischen Verehrung und Ablehnung verortet. Zuerst durch die größeren Produktionen für Erwin C. Dietrich mit seinem Schaffen in Berührung gekommen und dann von für Eurocine geschossene Werken wie Oase der Zombies abgeschreckt worden, war ich längere Zeit der Meinung, dass höher budgetierte Filme mit ihrer Gesamtwirkung von Francos mangelndem Regie-Talent ablenken und deswegen gut unterhalten können. Mit dem steigenden Interesse an italienischem bzw. europäischem Genrekino und dem Aufenthalt im damaligen Internet-Tummelplatz für Liebhaber dieser Filmsparten, wuchs auch mein Interesse an Franco und seiner Filmographie. Das Grauen von Schloss Montserrat hielt dabei als erster Film zur Neuentdeckung her, nachdem mich Schwärmereien von francophilen Filmfreunden nochmal neugierig auf den Film machten, der mich bei meiner ersten Sichtung schulterzuckend zurück ließ. Das ich kurz darauf die für den Anfang der 80er grasierenden Untoten-Boom mit nachgedrehten Zombie-Szenen erweiterte Fassung, in Deutschland als Eine Jungfrau in den Krallen von Zombies vermarktet, sah und mich nicht dafür begeistern konnte, tat ihr übriges.

Obwohl durchaus großes Interesse am Wirken des Spaniers bei mir besteht, war dieser leider bisher immer Randthema in meinem Sein als aufgeschlossener Cineast und selbstbetitelter Allesglotzer. Im Blog selbst blieb er bisher außen vor; bis auf Beiträge zu einem Geburtstag und zu seinem Ableben wurde über all' die Jahre keiner seiner Filme hier besprochen. Das Grauen von Schloss Montserrat ist demzufolge ein zweifacher Beginn: es ist einerseits das erste von hoffentlich vielen weiteren Werken Francos, über die hier im Blog einige Worte verloren werden sollen und andererseits der Film, der die lange verschlossene Knospe (damals wie heute) zum Aufblühen und meine große Sympathie für Jess Franco brachte. Der 1971 entstandene Film ist weit weg von den größeren Produktionen, die er zuvor für Harry Allan Towers und hinterher für Erwin C. Dietrich drehte und gleichzeitig ein großes Trademark für die ureigene Filmwelt Francos. Vordergründig scheint er damit auf schmalbrüstige Weise die Tropes des gothischen Horrorfilms und mehr noch des seichten Mystery-Krimis abzuhandeln, wenn seine Protagonistin Christina im Gasthaus eines kleinen Dorfs eintrifft, da sie zur Testamenteröffnung ihres Vaters, welchen sie niemals kennenlernte, geladen wurde. Ihr eigentliches Ziel, Schloss Montserrat, soll laut der Wirtin vollkommen unbewohnt sein, woraufhin Christina dagegen hält, dass ihre Familie schon lange darin wohne und sie bisher immer Briefe von ihrem Onkel Howard erhalten hat. 

Das ist das Stichwort für den zurückgebliebenen Basilio (Franco selbst), der Christina abholt um sie auf das Schloss zu bringen. In jenem lernt sie ihren Onkel, Tante Abigail sowie die verruchte Carmencé kennen und erfährt, dass ihre Cousine Hermina im Sterben liegt, welche sie wenige Momente vor ihrem Ableben am Sterbebett besuchen kann und von dieser angefleht wird, sofort wieder abzureisen. Christina bleibt jedoch und wird in den nächsten Tagen von Alpträumen und seltsamen Ereignissen geplagt, bevor sie Warnungen vor ihren Verwandten vom Geiste ihres toten Vaters erhält. Diese scheinen zu spät zu kommen, offenbaren die Familienmitglieder Christinas ihr fast zeitgleich, was sie mit der jungen Frau eigentlich im Sinn haben. Mit gemäßigtem Tempo setzt der Spanier lose zusammenhängende Szenen aneinander und entfernt sich mit fortlaufender Zeit von einer kohärenten Handlung. Sphärische Tonwelten, mystifizierte Bilderfolgen und irrationales Verhalten seiner Figuren formen Das Grauen von Schloss Montserrat zu einem surrealen Erlebnis, dessen (alp)traumhafte Stimmung die offensichtlichen Mängel in Francos Regie und Script aufhebt. Die Logik befindet sich fortwährend in einem Auflösungszustand bis der auf Christina übergreifende Wahnsinn, der sich in den Mauern des Schlosses abspielt, komplett auf die Handlung übergreift. Der sich über deren narratives Gerüst hindurch schlängelnde rote Faden hilft nur dabei, die angerissene, nie konkretisiert behandelte Auflösung um das angebliche Geheimnis von Christinas Familie zu erreichen.

Mehr vertraut der passionierte Musiker mit großer Liebe zum Jazz auf dessen Kunst der Improvisation und lässt seinen Film und den Zuschauer von Piece zu Piece gleiten um im Hintergrund ein Grundthema zu implementieren. Das Grauen von Schloss Montserrat wirkt in seiner Gesamtheit wie ein düsteres Märchen. Christina ist die Adult Alice; das von Franco erschaffene Wunderland konfrontiert die naiv-unschuldig wirkende Frau mit fleischlicher Versuchung und einem durchgängigen morbiden Unterton. Der Tod ist allgegenwärtig; er ist wichtige Antriebskraft für die Geschichte und gleichzeitig breiten sich seine fauligen schwarzen Schwingen in düster poetischer Kraft über dem Gesamtbild aus. Verstärkt wird dies in der von mir präferierten deutschen Fassung des Films, die sich in der Übersetzung der Dialoge zwar einige Freiheiten nimmt, gleichzeitig mit überbordender Ausgestaltung mancher Passagen die Stimmung des Films verstärkt. Beispielsweise wird Christinas Schilderung aus dem Off über die Fahrt zum Schloss dort zu einer übertrieben ausgestalteten wie faszinierenden Erzählung, während die O-Ton- sowie englisch gedubbte Fassung sich hier deutlich mehr zurückhält. Ebenfalls tauscht die deutsche Fassung nahezu komplett den Score Bruno Nicolais, der mehr den märchenhaften Aspekt des Films unterstreicht, aus und ersetzt ihn mit düsteren und schweren Synthesizer-Kompositionen, die Das Grauen von Schloss Montserrat mehr zur surrealen Alptraum-Mär macht.

Tatsächlich gab Franco in einem Gespräch mit Stephen Thrower zu, hier Lewis Carrolls "Alice im Wunderland" auf intellektueller Ebene umgestalten zu wollen. Beschäftigt man sich mehr mit Francos Leben zu dieser Zeit, kommt man nicht drumherum, seinen Film zeitweise auch als Trauerbewältigung zu betrachten. Es ist der erste Film nach dem tragischen Tod seiner Muse Soledad Miranda, welche bei einem Autounfall ums Leben kam. Die abgefahrene Strecke, die man während der originalen Credit-Sequenz erblickt, ist eben diese, auf der Miranda verunfallte und verstarb. Zwar ist Hauptdarstellerin Christina von Blanc ein anderer Typ als die wunderschöne Spanierin, besitzt aber genauso eine fragil erscheinende Figur. Der Eintritt ihrer Figur in die im Schloss existente Parallelwelt lässt Franco Miranda auf fiktiver Ebene in das Totenreich hinüber geleiten. Francos last farewell ist angetrieben von einer dunkel leuchtenden Flamme, welche die Gedankenwelt des Schöpfers antreibt und in ihrer Hitze einen fiebrigen Film gebiert, der Francos Qualitäten als Schöpfer surrealer Traumwelten on point präsentiert. Leicht zugänglich für Kenner kohärenterer Filme des Spaniers möchte man ihn nicht unbedingt nennen, wenn man sich an die Essenz seiner umfangreichen Filmographie heranwagen möchte. Für mich persönlich vereint der Film diese ziemlich gut und ist immer wieder ein guter Begleiter in Francos Limbo aus fetischisierter, sado-erotischer Sexualität und schauerromantischen Stoffen.

Für mich steht Das Grauen von Schloss Montserrat als ein kompaktes Werk, dass die Obsession und Getriebenheit des Spaniers spürbar bündelt und greifbar macht. Alles muss gefilmt werden, auf Zelluloid gebannt; gleich, wie fragmentarisch sich die Story am Ende anfühlt. Francos Filme sind sicher nicht vollkommen und weit weg von Perfektion und selbst dieser Film kann bei seiner kurzen Laufzeit an manchen Stellen zum Finale sich in der ungeordneten Ideenflut seines Regisseurs verlieren. Die Ecken und Kanten, die der Film trotzig zur Schau trägt und inmitten belanglos wirkender Füllsel kurz aufblitzende Geistesblitze sowie das Talent des Spaniers, die imposante Architektur des Schlosses in wenigen Einstellungen eindrucksvoll in Szene zu setzen, lassen mich zusammen mit der Princesse de l'érotisme gerne ihr wundersames Königreich mit dessen in seiner Gewöhnlichkeit innewohnenden, morbiden Schönheit besuchen. Würden sie sich nicht dem normativen Aufbau des Mediums unterwerfen, könnte man sich in seinen Filmen wie diesem und der traumhaften Stimmung gänzlich verlieren. Ganz gleich, dass hier wohl die Psyche nach dem Verlust eines geliebten Menschen gereinigt wird und wiederkehrende Motive wie beispielsweise sadomasochistische Gewalt behandelt werden. Die traumwandlerische Atmosphäre von Das Grauen von Schloss Montserrat lässt zum Schluss kommen, dass Franco (und seine Filme) zeitlos sind. Mehr noch lässt sich feststellen: Jess is Jazz, der mit seinen beschränkt wirkenden, filmischen Improvisationen und den darin stattfindenden schrägen Melodien nicht den Ton eines jeden, aber mancher Cineasten trifft, die sich im vor sich hin plänkelnden "Filmgedudel" gerne treiben lassen. 
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