Montag, 16. November 2020

[Rotten Potatoes #06] Hagazussa - Der Hexenfluch

Ich mag Horrorfilme, welche einen Kontrast zur bei größeren Produktionen des Genres mittlerweile immer häufiger vorherrschenden zwanghaften Event-Schockerei darstellen. Hagazussa bewegt sich von sowas meilenweit weg. Für das anti-cineastische Big Budget-Movie-Party-Volk dürfte der Film mit seiner elegischen Stimmung, in dem mehr seine Bilder als die Figuren sprechen, eine harte Geduldsprobe darstellen. Lukas Feigelfelds Abschluss- und gleichzeitiger Debütfilm spiegelt hierbei in seiner erzählerischen Beschaffenheit den Ort seiner Geschichte wieder. Das heimelige Tal mit der abgelegen liegenden Hütte, in welcher Protagonistin Albrun als kleines Mädchen alleine mit ihrer Mutter, später als erwachsene Frau, nun selbst Mutter, lebt, ist nur scheinbar ein Schutz versprechender Rückzugsort. Die sich darüber ringsum auftürmenden Alpen, deren steilen Anstiege unter einer schweren Schneedecke auf das nächste Frühjahr warten, besitzen manch unwirtlichen Pfad, unter dem sich unerwartet manche tiefe, schwarze Schlucht auftut. 

In solche schwarzen Untiefen lässt Feigelfeld den Zuschauer blicken, wenn er sich seiner weiblichen Hauptfigur Albrun widmet. Die Frau hatte und hat es in ihrem Leben nicht leicht. Deutet der Film zuerst ein sexuell übergriffiges Verhalten der todkranken, von ihrer kleinen Tochter mühevoll gepflegten Mutter an, wird die zur Frau gereiften Albrun als von der Gemeinschaft des nahe gelegenen Dorfs als Hexe verschrien gemieden und ausgegrenzt. In ständiger Isolation befindlich, muss sie sich mit ihrem Baby - über den Vater verliert das Script kein Wort - alleine durch die Welt schlagen. Mit Swinda findet sie eine vermeintliche Freundin, welche die zerbrechliche Persönlichkeit Albruns mit einer vordergründig gut gemeinten Tat näher Richtung Abgrund führt. Die finstere Präsenz, welche Albrun bereits davor wahrgenommen hat, lässt mit dem neuerlichen Trauma die grenzen zwischen diesem, Nachtmahren und der Realitäten weiter verschwimmen. 

Seinen Horror nährt Hagazussa nicht aus irgendwelchem dunklen Hexenwerk sondern aus dem Verfall der Psyche seiner Protagonistin. Atmosphärisch dichte, metaphorisch aufgeladene Bilder schildern die traurige Geschichte einer gefemten, ausgegrenzten Frau, allein gelassen mit den dunklen Geistern ihres Innersten. Selbst auf Hilfe von der allmächtigen Kirche darf Albrun nicht hoffen. Das starre Gefüge der kleinen Gemeinschaft hat keinen Platz für diese. Ihre abgeschiedene Behausung steht klein und verloren im bedrohlichen Schatten der Bergwand; so verloren, wie sie es schon seit jüngsten Jahren ist. Manchmal ist das leider auch der Film. Die unheilschwangere Bilder- und Stimmungsschar fühlt sich abgrenzend in. Wie die Hauptfigur steckt das Script zum Teil in seiner eigenen Welt fest. Albrun verliert sich in den verschwimmenden Grenzen zwischen Realität und Einbildung und der Zuschauer diese an die aufgeheizte, sperrige Bilderpracht.

Davon abgesehen ist Hagazussa für einen Abschlussfilm auf allen Ebenen überzeugend wie beeindruckend. Die sorgfältige Bildgestaltung, Aleksandra Cwens Schauspiel, der sphärische, zwischen Drone und Ambient Neofolk zu verortende Soundtrack der Band MMMD und ein detailliertes Setdesign lassen schnell vergessen, dass es sich bei diesem Film um ein kleines, mit Fördermitteln umgesetztes Werk handelt. Den Vergleich mit Robert Eggers großartigem The VVitch (hier besprochen) muss er sich wegen der vermeintlichen Hexenthematik gefallen lassen. Feigelfeld zielt mit seiner Prämisse nicht darauf ab, unserer traditionell vorherrschenden Vorstellung von Hexen Platz zu lassen. Sein Horror ist menschlischer Natur, in verzerrte Bilder von Aberglauben und lebendig gewordener Psychosen getränkt, der deswegen umso schrecklicher und nachhallender ist, als hätte er sich auf formelhafte Genrekost beschränkt. Vielleicht hab ich den Film unterbewusst absichtlich nicht näher an mich rangelassen und habe mich von seiner Geschichte abgegrenzt, um mich nicht komplett verloren in Albruns Schicksal zurecht zu finden. Nichtsdestotrotz ist der Film ein tolles Beispiel dafür, dass Genre selbst innerhalb der hiesigen und schwierigen Filmförderungs-Landschaft einen Platz hat bzw. haben sollte.

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