Freitag, 19. März 2021

Porträt einer jungen Frau in Flammen

Es sind diese Blicke zwischen Malerin Marianne und ihrem Modell Héloise und die darin innewohnenden Gefühle, Begehrlichkeiten und Sehnsüchte, die so nuanciert und für den Zuschauer emotional spürbar von ihren beiden Darstellerinnen ausgetauscht werden, die Porträt einer jungen Frau in Flammen zu einer wahren Schönheit von Film werden lassen. Die Zuneigung der beiden Frauen wächst zu einer zarten, betörenden Pflanze mit leider kurzer Lebensdauer heran. Es ist eine Liebesbeziehung im Zeitraffer; zeitlich begrenzt, deren Schicksal unausweichlich ist. Marianne und Héloise finden zueinander, weil letztere Modell für ein Porträt stehen soll, welches zu einem potentiellen Heiratskandidaten ins ferne Mailand geschickt werden soll. Bei gefallen soll die Vermählung folgen; Héloise findet keinen gefallen an dem Plan, verlor sie dadurch ihre geliebte Schwester, die sich deswegen von den Klippen der Insel, auf der ihre Familie ansässig ist, in den Tod stürzte. Aus dem Kloster geholt, soll die verschlossene Frau den Platz der jüngeren Schwester einnehmen.

Verschlossen, ergriffen von Wut,  auf die Mutter, auf den Verlust  und trauernd, trifft sie auf Marianne, die ihr als Gesellschafterin vorgestellt wird, um sie bei ihren Spaziergängen an der Küste zu begleiten. Was Héloise nicht weiß: eigentlich ist Marianne eine Malerin, die heimlich von ihr ein Porträt anfertigen soll. Geschuldet ist diese Heimlichkeit der Sturheit der Hochzeitskandidatin, die sich vehement weigert, Modell zu sitzen und das Gemälde von Mariannes Vorgänger zerstörte. Es scheint, als ahne Héloise, dass Marianne nicht die ist, die sie vorgibt zu sein. Skeptische, misstrauische Blicke treffen auf die beobachtenden Augen der Malerin, die in den späten Abendstunden aus der Erinnerung heraus das Porträt fertigt. Je länger die beiden Frauen Zeit miteinander verbringen, wächst die Sympathie und Héloises harte Gesichtszüge, aus deren fast versteinerter Mine so viel Schmerz und Bitternis stumm herausschreit, werden langsam weicher. Sie öffnet sich ihrer Begleiterin, die wegen ihrer Maskerade immer mehr von Gewissensbissen geplagt wird.

Mit Mariannes Offenbarung wird im doppelten Sinne eine Maske abgelegt. Héloise erfährt den wahren Grund derer Anwesenheit und öffnet sich dieser entgegen aller Erwartungen weiter. Bereitwillig will sie der Malerin nun für ein Porträt Modell sitzen, weil Marianne mit dem ersten Bild nur die Oberfläche der Frau eingefangen hat. Dessen Schemenhaftigkeit stellt wunderbar dar, dass auch die Geschichte des Films bisher nur eine gewisse Vorarbeit geleistet hat. Mit der Abreise von Héloises Mutter nach Mailand erblüht die zeitlich begrenzte Liebe zwischen der Malerin und ihrem anfangs noch so verschlossenen Modell gänzlich. Was Céline Sciammas Porträt einer jungen Frau in Flammen von anderen Liebesgeschichten angenehm abhebt, ist die ruhige und nüchterne Art, in der sie von der Liebe beider Frauen erzählt. Sie fühlt sich natürlich an, fängt die wunderbare Chemie zwischen ihren beiden Hauptdarstellerinnen mit jeder Einstellung ein und begegnet der Liebe ihrer Figuren im Kontrast zu den gesellschaftlichen Verhältnissen des 18. Jahrhunderts, der Zeit, in der die Geschichte spielt. 

Sciammsas Film ist ein Film der tiefen Blicke, die durch die Oberfläche hindurch in das Fundament der beiden Menschen schaut, die er porträtiert. Die Autorin und Regisseurin stellt unser Verhältnis zum Sehen in Frage und fördert es mit bemerkenswerter Beiläufigkeit. Die Augen ihrer beiden Charaktere müssen sich oft treffen, durchbohren, dringlich das aufsaugen, was augenscheinlich und fast versteckt vor fremden Blicken wahrzunehmen ist, bevor beide ihren Kern und das wahre Ich des Gegenübers und ihrer selbst erkennen. Gleichzeitig erschafft sie eine der schönsten Liebesgeschichten im Film der jüngsten Zeit. Distanziert und dann wieder ganz nahe am Geschehen fängt sie jede noch so kleine Geste, Berührung, Zärtlichkeit und immer wieder Blicke der zwei Frauen ein. Die hier geschaffene Intimität greift spürbar auf den Zuschauer über; das ist hochgradig sinnliches Kino, welches uns dazu herausfordert, einem Künstler gleich den Blick zu schärfen und das wahrzunehmen, was auch Marianne bei Héloise zuerst verborgen bliebt.

Augenscheinlich überlässt Sciamma in ihrem Film den Frauen das Feld. Bis auf einige Minuten gegen Ende ist kein männliches Wesen anwesend. Bleibt der Mann physisch abwesend, ist er trotzdem allgegenwärtig. Die Welt des Films ist eine feminine, bei der das Patriarchat gleichwohl Auslöser für das Aufeinandertreffen von Marianne und Héloise ist und wie ein schwerer Schatten über dieser thront. Er sorgt für die Erkenntnis, dass die Liebe der beiden Frauen nicht für ewig währt, bringt im Subplot Haushälterin Sophie eine ungewollte Schwangerschaft und wird mit seiner im Hintergrund schwelenden Präsenz dafür sorgen, dass die von Sciamma hinreisend als ganz selbstverständlich dargestellte Liebe in der von ihr gewählten Zeit nicht existieren darf. Sie begegnet dieser patriarchalisch aufgebauten und gelenkten Welt nicht mit Groll oder Wut. Mehr feiert sie in Porträt einer jungen Frau in Flammen feminine Unabhängigkeit allgemein und im Kontext der zeitlichen Gegebenheiten ihrer Geschichte. Die Tragik dieser, so emotional schön und betörend die Blütezeit der Beziehung ist, leidet dafür leicht an Sciammas Sachlichkeit. Das leider keine Zukunft für Héloise und Marianne besteht, ist als gegeben zu fest im Steine gemeißelt. Die zuvor so ergreifende Emotionalität lässt hier an Kraft vermissen. Im Vergleich zum Sciammas Prämisse und der Anmut ihres Films ist das meckern auf hohem Niveau.


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Donnerstag, 18. März 2021

Alien Predators

Eigentlich ist Alien Predators mit daran schuld, dass ich heute noch bei jedem noch so kleinsten und austauschbarsten B- oder C-Horrorfilm einem Erdmännchen gleich neugierig mit dem Kopf in die Höhe schnelle, wenn ein deutscher oder in der letzten Zeit ein gewisser amerikanischer Anbieter sowas auf den Markt wirft. Es war einer der ersten Horrorfilme, den ich als Jugendlicher im Fernsehen aufnahm und in eine später groß angewachsene Sammlung von auf Video gebannte TV-Aufnahmen stellte. Die wilde Mixtur, die der Film über meine Netzhaut ergoss, fühlte sich neu und aufregend an und über die Jahre stellte die Erinnerung an den Film - wie ich unlängst feststellen musste - allerlei Unsinn in meinem Kopf an. Es mag auch der nostalgischen Verklärung meiner damaligen Entdecker-Zeit geschuldet sein, dass ich jedes Mal, wenn ich alleine oder im Beisein meines besten Freundes - der wie wir feststellten, den Film ungefähr zur selben Zeit wie ich damals im Spät-Programm der Privaten aufgabelte - mich an diesen zurückerinnerte und innerlich jauchzend einer erneuten Sichtung entgegensehnte.


Mittlerweile ist Alien Predators daran schuld, dass ich der Meinung bin, man sollte Erinnerungen an manche Filme so bewahren, wie sich sich über die Jahre entwickelt haben und ruhen lassen. Das Alter schreitet voran, Geschmäcker ändern sich leicht oder stark und haargenau das Gefühl zu reproduzieren, welches man beim ersten Sehen, beim ersten Erleben eines Films in sich getragen hat, gelingt schwer bis gar nicht. Den Spaß an an günstig inszenierter Filmware für den Videotheken-Markt hab ich nicht verloren; nur Alien Predators entpuppt sich beim späten, zweiten Blick als fahriges Hybrid-Kino, dessen Bruch in der Tonalität einiger Szenen mit dem Feingefühl eines Holzhammers vorgenommen wird. Schuld daran sind wiederum die drei Hauptfiguren Samantha, Michael und Damon, die während ihres Europa-Ferientrips im kleinen spanischen Dorf Duarte landen, welches wie ausgestorben scheint. Die wenigen Bewohner, die sie dort treffen, verhalten sich allesamt sehr seltsam oder geben sich ungemein aggressiv.

Auslöser hierfür ist das fünf Jahre zuvor in der Region abgestürzte NASA-Weltraumlabor Skylab Space Station, welches auf seinem schroffen Weg zurück auf die Erde einen Virus mitbrachte, an dem man im All allerlei Experimente durchführte. Das sich dieser dabei zu einer hochgradig gefährlichen Version entwickelte, musste zuerst die hiesige Tierwelt erfahren, bevor sie zum Leidwesen des Urlauber-Trios auf die Einwohner des Dorfs übergriff. Rettung naht in Gestalt des NASA-Wissenschafters Dr. Tracer, der sich im Verlauf der Geschichte mit den Touristen zusammentut, um den sich langsam aber stetig ausbreitenden Alien-Virus aufzuhalten. Während der amerikanische Teil der Crew mit ihrer sehr lockeren und leichtsinnigen Herangehensweise die spanische (Genre-)Produzenten-Legende Carlos Aured dazu zwang, sich hinterher vollständig aus dem Filmgeschäft zurückzuziehen, zwingt die überentspannte Auseinandersetzung mit dem Stoff auf Regie-Seite den Zuschauer ständig aus einer annähernd aufkommenden kohärenten Atmosphäre.

Kaum wird diese durch manche wirklich gelungene Einzelszenen aufgebaut, kracht die überbordende Fröhlichkeit der drei Freunde dazwischen. Die mit diesen auftauchende Komik lässt Alien Predators wie eine krude Mischung verschiedenster Horror- und Thriller-Vorbilder und aufgedrehter Teenie-Comedy wirken. Regisseur Deran Serafian, der auch am Script mitschrieb, nutzt diese schon fast als Bindeglied, um die einzelnen Suspense-Szenen miteinander zu verbinden, um somit wenigstens einen dünnen roten Faden zu spinnen. Die durchaus wilde Mixtur bedient sich bei Vorbildern wie Andromeda - Tödlicher Staub aus dem All, Das Ding aus einer anderen Welt oder Spielbergs Duell. Richtig verkehrt ist das darin gezeigte nicht und bietet kurzzeitig Pläsier; bis wieder die drei Protagonisten-Krawallschachteln die Oberhand gewinnen und ihre Show abziehen. 

Mir einzureden, dass deren Darstellung absichtlich überzogene Klischees gängiger Figuren des amerikanischen (Genre-)Kinos in ihren Figuren konzentrieren, hat ebenfalls nicht lange funktioniert. Ohne die kurzen, herrlich umgesetzten F/X und einigen richtig gut funktionierenden Momenten wäre Alien Predators ein größerer Reinfall geworden. Vielleicht ist es das letzte Stück verklärende Nostalgie in mir, die ihn nicht ganz aufgeben möchte, obwohl er objektiv betrachtet zusammengeflickte B-Massenware ist, die gegen Ende leicht zusammenhängender in ihrer Tonalität wird. Zumindest lehrte er mir, es min Zukunft zwei- oder dreimal zu überlegen, wenn ich lange nicht gesehene Filme, die mein junges (und naives) Horror- bzw. Filmfan-Ich feierte, nochmal schauen möchte.



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Freitag, 5. März 2021

Guns Akimbo

Mit Beginn der 2000er zog das Internet immer weiter in mein und das Leben vieler anderer Menschen ein. Das verlockende Neuland wurde von mir ausführlich und wissbegierig erforscht und auf den langen Exkursionen im World Wide Web bemerkte ich, dass wo viel Licht, auch viel Schatten ist. Die dunkle Seite des Internets mit schnell berühmt-berüchtigten Seiten wie rotten.com oder der später (nicht nur) für deutsche User gesperrten Seite ogrish.com war schnell im Freundes- und Bekanntenkreis gewisses Gesprächsthema. Da ich von solchen Seiten wie von zugegeben häufig mit Fake-Material gefüllten Mondo-Filmen der Marke Gesichter des Todes und Co. nicht viel hielt und halte, genügten mir die Erzählungen darüber, die ich aufschnappte. Beide Webseiten gingen ihren Weg ins Datennirvana, doch das Internet verhält sich in manchen Dingen wie eine Hydra. Wird ein Kopf abgeschlagen, wachsen dafür drei nach. 

Heißester "Darknet"-Scheiß in der Welt von Guns Akimbo ist Skizm, ein Death Match zweier Kontrahenten, welche sich auf brutalste Weise bis zum Tod jagen und bekriegen und von einer schnell wachsenden Nutzerschaft verfolgt wird. Aus Langeweile beschließt der frisch von seiner Ex-Freundin Nova verlassene Handy-Game-Entwickler Miles eines Abends die User und Macher im Chat der Webseite zu trollen und zu beleidigen. Letztere stehen anhand seiner ausgelesenen IP-Adresse alsbald vor Miles Tür, nageln ihm zwei automatische Feuerwaffen an jede Hand und küren ihn zum neuesten Gegner der aktuellen Championesse Nix. Zunächst darauf bedacht, sich ohne Kampf aus der Affäre zu ziehen und lieber die Hilfe seiner Verflossenen zu suchen, muss Miles sich widerwillig dem Skizm-Erfinder Riktor beugen, als dieser als Druckmittel Nova entführt. Um diese zu retten, stellt er sich dem Kampf gegen Nix und wird mit seiner unbeholfenen Art bei den Besuchern der Seite ein wahrer Publikumsliebling. 

Dies überträgt Guns Akimbo auf den Zuschauer, der für den von Daniel Radcliffe in einer hinreißenden Performance dargestellten, Durchschnitts-Losertypen Miles schnell derartig starke Sympathie entwickelt, dass manche vorhersehbare Entwicklung der vom Film erzählten Geschichte billigend in Kauf genommen wird. Jason Lei Howdens Werk ist so manipulativ, wie das, was er zwischen seinen abertausenden optischen Gimmicks und den breit aufgestellten Over The Edge-Actionszenen aufzeigen will. Die Lust auf Sensationen, das Interesse an der dunklen Seite unseres Daseins, wie Mord und Totschlag, welches man seit Existenz bzw. Ausbreitung des Internets mit wenigen Klicks aufrufen kann, weckt Guns Akimbo einerseits mit cleverem Timing. Die ruhigen Minuten bis zum nächsten Setpiece lassen dem Zuschauer genügend Zeit zum Verschnaufen, bindet ihn mehr an den Protagonisten, um mit diesem das nächste Level zu bestehen. Die Konzeptionierung des Scripts erinnert hier an den Aufbau eines Videospiels. 

Andererseits wird der Zuschauer auf die Ebene eines Zuschauers von Skizm gestellt, welche sich mit Miles durch seine zuerst langweilig erscheinende Durchschnittlichkeit immer mehr mit ihm Identifizieren können, wenn sich dieser immer mehr in die Rolle, in die er von Riktor gezwängt wird, einfindet. Der Everymen's and -women's Action Hero ist ein Mann aus der Mitte, bringt das greifbare Leben in die dröhnende Welt des Death Matchs und führt zu Szenen, in denen Guns Akimbo die Heuchelei, Manipulation und das Getrolle innerhalb von Social Media in überdrehter Manier durch den Kakao zieht. Komplett nimmt man das erst wahr, wenn die Credits über die Mattscheibe rollen. Zunächst walzt er mit seiner durchgestylten, ideenreichen und fantastisch fotografierten Action mit Übercoolness-Faktor alles platt, was sich nicht schnell genug vor diesem vollgestopften Film retten kann.

Verständlich, wenn das für manche Semester so gleich und oberflächlich erscheint, wie ähnlich gelagerte Actioner vergangener Jahre. Eine gewisse Affinität für von Ideen und Anspielungen vollgestopfte Filme, die gleichzeitig einer Epoche oder einem Genre ihre Ehre ihre Ehre erweisen - hier das Actionkino der letzten 40 Jahre - muss man schon mitbringen. Guns Akimbo ist der Crank für die Generation Fortnite, ohne den Film mit diesem Vergleich durch den schlechten Ruf des Spiels bzw. seiner Community abwerten zu wollen. Ein rasend schnelle Film-Erlebnis mit gut eingesetztem Humor, starker Performance von Ratcliffe und Samara Weaving als Nix und mitreißender Style over Substance-Action. Das überzeugt selbst solche mittelalte Knochen wie mich, die immer weniger Lust auf vollgestopfte Filme im Dauerfeuermodus, welche die Brücke zwischen zwei Medien wie Games und Film schlagen wollen, haben und vergleichbares wie Hardcore Henry (hier besprochen) zwar gut, aber auch anstrengend fanden.


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