Mittwoch, 14. April 2021

Die wilde Meute

The world is yours. Was sich Toni Montana in Brian de Palmas Scarface auf einer güldenen Statue prangend in sein Büro stellte, scheint dem Kleinkriminellen Pierro, von seinen Kumpanen meist Pete genannt, vor dessem geistigen Auge zu schweben, wenn er in seine Zukunft blickt. Er fühlt sich zu größerem berufen, als nur von den kleinen krummen Dingern zu leben, die er dreht. Hier ein Bruch, dort ein Überfall; es bringt dem jungen Vater nicht viel an Moneten ein. Ein Umstand, den seine Freundin - eine Prostituierte - ihm ständig an den Kopf wirft. Scheren tut ihn dies nicht viel; lieber lebt er weiter ein Leben zwischen lockerer Ziellosigkeit und gewaltsamen Ausbrüchen, die er mit seiner Bande auslebt. Als sein Hehlerboss ihm einen größeren Auftrag zuträgt, tappt er ahnungslos in eine Falle des Kommissaren Cotrone, der schon seit geraumer Zeit den Jungkriminellen auf den Fersen ist. 

Was Pierro und Cotrone vereint, ist ihre gemeinsame Verachtung gegen das bestehende System. Während der Gossenjunge seiner Ansicht nach den Kampf auf den rauen Straßen Roms Tag für Tag aufs neue führt, resigniert Cotrone gegenüber einer Gesetzgebung, die ihn bei der Ausübung seines Berufs einengt und Steine in den Weg legt. Ein aufrichtiger Hüter des Gesetzes, der mit Leidenschaft gegen vorherrschende kleine wie große Ungerechtigkeiten vorgeht, ist der in die Jahre gekommene Kommissar schon lange nicht mehr. Gleichgültig nimmt er in Kauf, dass durch seine Methoden auf Seiten der Kriminellen weitere Tote entstehen könnten. Zynisch kommentiert er dies mit der Betrachtung, dass damit gleich etwas mehr vom Schmutz runter von den Straßen wäre. Pierro und Cotrone eint eine Indolenz, in der sie mit dem Kopf nicht durch eine, sondern gleich mehrere Wände gehen. Schmerzlos betrachten Sie den Niedergang ihrer eigenen Welt ohne ein Interesse, etwas daran ändern zu wollen. 

Was Die wilde Meute vom Poliziottescho der damaligen Zeiten unterscheidet, ist der Versuch, gleichermaßen zwischen sleazigem Krimi und ambitioniertem Sozialdrama zu wandern. Reibungslos gelingt dies dem Drehbuch nicht. Höhepunktlos zeigt es harmlose Szenen, die einerseits untermauern, dass Pierro und Co. nicht komplett der Jugend entwachsen sind, wenn man z. B. unbekümmert Spaß bei einem Nachmittag am Strand hat. Andererseits werden diese von bedrückenden und schonungslosen Momenten konterkariert, wenn Pierros Kumpanei ein Pärchen überfällt, die Frau dabei aus dem Auto zerren und vergewaltigen oder wenn die Gefühlskälte des Bandenführers dafür sorgt, dass sich seine junge Affäre in den Tod stürzt. Leider orientiert sich das Script mehr an genreüblichen Strukturen: das, was der Film erzählt, ist (nicht nur) für Freunde italienischer Gangsterfilme leicht vorauszusehen. Große Überraschungen sollte man vom Film nicht erwarten. 

Bei allen Klischees bzw. narrativen Genre-Mustern, die der Film bedient, überzeugt Marcello Andreis Gespür für die schweren Seiten dieser Geschichte. Er drängt den Zuschauer in die Rolle des stummen Betrachters und lässt wie beide männlichen Hauptfiguren die Emotionalität meist außen vor. Weder für Pierro noch für Cotrone können größere Sympathien aufgebaut werden. Die wilde Meute macht sich deren Gleichgültigkeit zum Instrument; sie definiert die Stimmung des Films Anhand der Handlungen der Protagonisten. Martin Balsams Kommissar mit schwarzem Blick in Richtung Zukunft und Joe Dallesandro der mit seinem makellosen Äußeren zunächst zu glatt als skrupelloser Egomane erscheint. Die Wahl den Amerikaner als Pierro zu besetzen, ist ein weiter Pluspunkt für den Film. In seiner totalen Ichbezogenheit konzentriert, prallt bis zum bitteren Ende alles schlechte, was um ihn herum passiert, an seiner hübschen Oberfläche ab.

Andrei hätte gut getan, diese Stimmung beizubehalten, die den Zuschauer in eine Ohnmacht gegenüber der allerorts zu verzeichnenden Apathie schickt, die später in Wut oder Fassungslosigkeit zu kippen vermag. Ohne seine exploitative Charakteristik wäre Die wilde Meute in gewisser Weise seichter Neorealismus Light geworden. So hat der Film manchmal mit seiner unspektakulären Erzählweise und den Brüchen in seiner Atmosphäre zu kämpfen, was die deutsche Synchronfassung mit ihrer Nähe an Schnodderwerken eines Karlheinz Brunnemann oder Rainer Brandt verstärkt. Genau solche Ungereimtheiten in der Gesamtwirkung sind es, die italienische Genrefilme so interessant wie liebenswert machen. Richtig schlecht oder vergessenswert ist das, was Die wilde Meute bietet keineswegs, sondern ein dezent schwächelnder aber trotzdem guter Poliziotteschi, dem manchmal mehr Ernsthaftigkeit gut getan hätte, da diese ihm wirklich gut zu Gesicht steht. 

Share:

Mittwoch, 7. April 2021

Cthulhu Mansion

Der Filmfan mit Affinität zum kosmischen, namenlosen Schrecken aus dem Geiste Lovecrafts weiß: wo dessen Name drauf steht oder ein Bezug zu seinen Geschichten hergestellt wird, muss dieser nicht immer drin sein. Als solche Mogelpackung entpuppt sich auch Cthulhu Mansion, ein später Film im Œuvre des spanischen Regisseurs Juan Piquer Simón. Ursprünglich aus der Werbung kommend, entwickelte er im Laufe seiner Karriere hinter der Kamera als Produzent und Regisseur eine Hingabe zum Film und seiner phantastischen Seite. Solche Werke wie Slugs, der einer meiner liebsten Tierhorrorfilme ist, oder Pieces - Stunden des Wahnsinns mögen auf den ersten Blick keine große Würfe in der Filmgeschichte darstellen, entpuppen sich bei aller Limitation als unvollkommene, aber schmierig unterhaltsame und auf gewisse Weise charmante Werke. Bei Cthulhu Mansion müsste man großzügig eines oder beide Augen zudrücken, um den 1991 entstandenen Schocker als rundum gelungen bezeichnen zu können.

Bis auf das alte Buch, das der Magier Chandu in einem Antiquariat entdeckt und auf dem in großen Lettern der Name Cthulhu prangt, sucht man vergebens konkrete Bezüge zum Werk Lovecrafts, obwohl einem im Vorspann erzählt wird, dass folgender Film "inspired by the writings of H. P. Lovecraft..." sei. Dem Titel entsprechend ist der Film mehr eine Spukhaus-Geschichte um besagten Zauberer und einer Gruppe von Kleinkriminellen, die, nachdem sie einem Dealer eine größere Menge Koks abgeknöpft haben, dem Zauberer bei ihrem Fluchtversuch vom Jahrmarkt, auf dem Chandu auch seine Vorstellungen gibt, über den Weg laufen. Gehandicapt durch ein angeschossenes Bandenmitglied kapern sie das Auto des Zauberers um vom Wachpersonal unbemerkt das Gelände verlassen zu können. Die Idee, den Magier zu kidnappen und sich in seinem Anwesen zu verschanzen, erweist sich als schlechte Entscheidung. Im Keller der Villa verbirgt sich eine unbekannte Macht hinter einer verriegelten Stahltür, die sich mit dem Eintreffen der Bande verselbständigt und den Anwesenden nach dem Leben trachtet.

Jene bösartige, minutiös erstarkende und die Stahltür bis zum Bersten wölbende Macht gibt dem Drehbuch Anlass für viele unheimlich gemeinte Szenen, welche die innere Logik der dünnen Geschichte leider ignoriert. Das diese durch eine in der Vergangenheit Chandus stattgefundene Tragödie beschworen wurde und nun im Haus verbannt ist, wird mit minimalem Interesse daran verfolgt und ist mehr Initiator für die Effektszenen, die Cthulhu Mansion eine alptraumhafte Stimmung schenken wollen. Ein Problem, dass bei einigen auf traditionellen Grusel oder dem, was man dafür hält, bauenden europäischen Horrorfilmen aus der zweiten oder dritten Reihe beobachten kann. So richtig kann man - zumindest auf dem europäischen Festland - selten die Mechaniken des Haunted House-Horrors korrekt anwenden. Meist hapert es daran, die tragische Komponente der Geschichte schlüssig mit dem des Horrors zu verbinden. Auch Piquer Simón muss man attestieren, dass er Potenzial liegen lässt. Die wenigen stimmigen Momente zu Beginn müssen einer auf allerlei Grusel-Klimbim fokussierten, zähen Narration weichen.

Dazwischen hat der Film leider nicht viel zu erzählen. Die Geschichte tritt auf der Stelle, arbeitet sich mühsam Richtung Finale vor, in dem dann für die bescheidenen Verhältnisse des Films nochmal alles gegeben wird. Das Cthulhu Mansion keinen kosmischen Horror á la Lovecraft sondern mehr Haunted House-Horror bietet, ist nicht einmal das enttäuschende am Film. Mehr ist es die Problematik, dass innerhalb einer mehr auf Kommerz ausgerichteten Filmgattung so schludrig mit einer Ausgangslage umgegangen wurde, die eine durchaus interessante Story hätte bieten können. Leider reicht es in diesem Genre nicht, einfach nur ein paar bemüht gruselige Szenen zu präsentieren, die leider auch unfreiwillige Komik (Stichwort: Kühlschrank-Szene) mit sich bringt. Leider wurde das Ziel verfehlt und die wenigen atmosphärischen Momente können das Gesamtergebnis nicht retten. Cthulhu Mansion verliert sogar dabei, zumindest ein obskurer Vertreter des Genres zu sein; mehr ist es ein weiterer Beweis dafür, dass man im europäischen Genrekino die funktionsweise dieser Horrorspielart gar nicht bis sehr wenig verstanden hat und das es dort mehr braucht, als allerlei Seltsamkeiten, die den Zuschauer auf irgendeine Weise ängstigen sollen.
Share: