Sonntag, 12. September 2021

Leichen unter brennender Sonne

Unbändige, enthemmte Lust. Bei Hélène Cattet und Bruno Forzani zieht sich diese thematisch durch ihr bisheriges, noch überschaubares Œuvre. Sei es in Amer oder Der Tod weint rote Tränen: das Regie-Duo lässt sich wie ihre Protagonisten von purer Lust leiten und lenken und holt die im Giallo, dem italienischen Thrillerkino der 60er und 70er Jahre, im Hintergrund schwelende Sexualität weit an die Oberfläche. In Amer ist sie das Leitmotiv; die psychosexuelle Komponente der Vorbilder explodiert beinahe in den drei Episoden des Films während Catet und Forzani lustvoll und virtuos die Eigenheiten des Genres zelebrieren und für einen Augen- und Ohrenschmaus sorgen. Mit Der Tod weint rote Tränen gruben sich beide weiter zum Kern des Genres vor und warfen darin eine stringente Narration zugunsten visuell imposanter Bildkompositionen im Verlauf ihres Werks über den Haufen. Das Mysterium der Geschichte lag in den vielschichtig zu interpretierenden Bildern vergraben, während dem optischen Exzess gefrönt wurde.

Mit Leichen unter brennender Sonne bewegt man sich weg vom deutungsreichen Thrillerkino, welches sich in manchen Fällen öfter Style over Substance als Moto auf die Fahne pinselte. Der dritte Langfilm der beiden Franzosen nähert sich mehr dem Poliziottesco und dem Italowestern an und bietet wie diese beiden Genres eine aufgeräumt wirkende, simple Geschichte. Eine Bande von Kriminellen überfällt einen Geldtransporter und versteckt sich nach diesem bei einer Künstlerin, die mit ihrem Anwalt und einem Autoren in einer kleinen Ruine lebt. Der zunächst friedlich wirkende Ort kommt nicht zur Ruhe, als wenig später sich die betrogene Frau des Schriftstellers mit deren gemeinsamen Kind und einer Freundin zur Gruppe hinzugesellt. Als zwei Motorrad-Polizisten auftauchen und erkennen, dass sich die gesuchten Räuber in der Ruine aufhalten, eskaliert die Situation und es entsteht ein Strudel aus Chaos und Gewalt. 

Was in den genannten Genres mit Variationen hundertfach in simpler Ausführung über die Leinwände der Lichtspielhäuser gejagt wurde, gestaltet sich in den Händen von Cattet und Forzani weit weniger leicht nachvollziehbar als gedacht. Der auf einem Roman von Jean-Patrick Manchette basierende Film bricht das so einfach wirkende Konstrukt des Plots auf in zeitlich von einander getrennte Fragmente, springt hierbei vorwärts wie rückwärts und stellt die Lust wiederum erneut ins Zentrum. Diesmal ist es weniger aufgestaute, unterdrückte Sexualität - diese kommt nur am Rande vor - als mehr die Begierde nach Macht, Gewalt und Gold. Das kriminelle Räuber-Trio versucht nach seiner Ankunft die hippiesk anmutende Laissez fair-Stimmung in der Ruine zu brechen. Die drei Männer sind ein toxisches Trio, nur am persönlichen Vorteil und Reichtum interessiert, dass um seine Interessen durchzusetzen notfalls über Leichen geht. Der Hingabe folgt das sich ergeben; Leichen unter brennender Sonne zeigt erneut, wie Lust die vermutete Vernunftbegabung des Menschen aushebelt und für diesen zu einem dunklen Schleier wird.

Thematisch und ästhetisch konsistent zum restlichen Werk des Duos ist auch dieser Film ein referentielles Werk, dass nach wie vor die Eigenheiten des italienischen Kinos herausarbeitet und diese in lustvoller Ergebenheit zelebriert. Gleich ob es der Italian Shot - die starke Nahaufnahme von Augenpartien - oder kunstvolle Fotografie und Montage ist: Cattet und Forzani treiben die gestalterischen Eigenheiten ihrer Vorbilder auf die Spitze, bieten visuelle Brillanz am laufenden Band und zitieren in diesem kunstvollen Rahmen liebgewonnene Schmierfinken wie Andrea Bianchi mit seinem Die Rache des Paten oder Mario Bavas großartiges Spätwerk Wild Dogs. Ebenfalls bleibt man sich seiner Linie treu und bietet auf der Tonspur keinen neu komponierten Soundtrack, sondern nutzt Stücke aus Filmen wie Von Angesicht zu Angesicht, Zombies unter Kannibalen oder The Child - Die Stadt wird zum Albtraum. Man suhlt sich als Kenner und Liebhaber solcher Werke gerne mit dem Regie-Duo in ihrem geschaffenen filmischen Rahmen der Referenzialität, der gleichermaßen den Vorbildern huldigt und nicht wie andere ähnlich gelagerte Filme dabei seine Eigenständigkeit vergisst. 

Man muss Leichen unter brennender Sonne dabei attestieren, dass Ermüdungserscheinungen auftreten. Die Rezeptur bleibt schmackhaft, doch in den Löchern, die in der hauchdünnen Story des Filmes existieren, blitzt eine Selbstverständlichkeit hervor, die dem Paar hinter der Kamera zum Verhängnis werden könnte. Irgendwann ist alles zitiert, alles auf die visuelle Spitze getrieben und jedes Stück Musik aus der italienischen Genrefilm-Geschichte abgespielt. Bestehen bleibt ein Grundgerüst, über das repetitiv eine andere Hülle gestülpt wird, die bei jedem weiteren Film mehr als austauschbar wahrgenommen wird. Es wäre schade, wenn sich Cattet und Forzani den Ausgang aus ihrem eigens geschaffenen Labyrinth nicht mehr finden würden. Noch geht man gerne den Weg mit ihnen, nur beginnt man als Zuschauer bereits bei ihrem dritten Langfilm in einem attraktiven, aber unüberschaubar wirkenden Lustgarten stecken zu bleiben, aus dem man schwerlich einen Ausweg zu finden scheint. Es ist wunderschön anzuschauen, wie in Leichen unter brennender Sonne mit inszenatorischen Konventionen bricht und das subversive, tiefgründige Potenzial des Genrefilms nutzt, nur schlägt man derweil einen Weg ein, in dem das Mysterium des Künstlers dieses bleibt, weil entweder bereits (in vorhergehenden Werken) alles gesagt wurde oder es hinter der Fassade leerer und weniger erkundungsreich wird.


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