Donnerstag, 31. März 2022

Verdammt zu leben - verdammt zu sterben

Anders als zur Zeit des kalten Krieges war man Mitte der 70er bei allen politischen und gesellschaftlichen Turbulenzen von einer Weltuntergangsstimmung weit entfernt. Bei den in dieser Zeit spät entstandenen Italowestern sieht die Sache anders aus. Das kleine Revival des Genres, gleichermaßen ein Abschiedsgruß an dieses, öffnet mehr noch als bei der Jahre zuvor genüsslich zelebrierten und über einige Jahre kommerziell ausgeschlachteten Demontage des glorreichen wilden Westens das Tor für apokalyptische Stimmung und Nihilismus. Castellaris Keoma (hier besprochen) bringt es schließlich auf den Punkt: Die Welt ist schlecht! Zwar sollten nach diesem weiter einige wenige Italowestern auf der Leinwand erscheinen, doch stellt der Film einen gütlichen Schlusspunkt für das Genre dar. Bevor der römische Regisseur 1976 sein Requiem hielt, ebnete ein Jahr zuvor Lucio Fulci, ebenfalls ein Experte für schwarz gefärbte Weltsicht, mit seinem Verdammt zu leben - verdammt zu sterben diesem den Weg.

Seine Vier der Apokalypse begeben sich auf eine Reise durch eine Welt, die sich aufzulösen scheint. Begonnen in Salt Flat, einem Eldorado für Gesinde aller Art, werden sie nach ihrer Inhaftierung mit spärlicher Versorgung ihrer selbst überlassen. Als Protagonisten wählt Fulci vier wahrhaftige Outlaws der Gesellschaft: den Falschspieler Stubby Preston, die schwangere Prostituierte Emmanuelle "Bunny" O'Neill, der psychisch nicht ganz intakte Buddy sowie den Alkoholiker Clem. Die heterogene Gruppierung mag der nächtlichen Säuberungsaktion eines durch die Kleinstadt ziehenden Lynchmobs entkommen sein, doch prägt ihre Begegnung mit dem perniziösen Chaco ihr weiteres Schicksal. Den kleinen Funken Hoffnung auf ein gutes Leben für das Quartett erstickt Fulci im Keim, nur um der unausweichlich wie dunkel scheinenden Zukunft etwas Licht zuzuführen. Doch Fulci wäre nicht er selbst, wenn er dem versöhnlich anmutenden Ende nicht noch eine bittere Note hinzufügen würde.

Stubby muss einen schmerzlich hohen Preis zahlen, um neugeboren einer ungewissen Zukunft entgegen zu reiten. Die längst gewaltsam aufgelöste Zweckfamilie brachte ihm seine neue Bestimmung als das, was im Genre längst als Antiheld etabliert war. Sein Fall auf den Boden der Tatsachen ist tief und schmerzhaft; auferstanden aus dem Schmutz, der über die Zeit mehr und mehr wie eine neue Haut an ihm haften bleibt, beendet er seine Transformation mit einer Vendetta. Im modernen Filmjargon könnte man die Geschichte Stubbys als eine Origin sehen, die erst mit ihrem Ende einen Anfang schafft. Lange hält der Film das klassische Rache-Motiv außen vor und gibt sich mehr als episodisch angelegten Trip durch einen dystopischen wilden Westen, dessen Konstrukt und Gesellschaft als gescheitert erscheint, bevor erste zivilisatorische Höhepunkte erreicht wurden. Einen Platz scheint es für das Gute in dieser Welt nicht zu geben, was das Massaker an den Pilgern zu bestätigen scheint.

Dem stellt Fulci die rein männliche Bevölkerung des Bergdorfs Altaville entgegen, die nach der Geburt von Bunnys Kind ihre erste Ablehnung gegenüber dieser und Stubby ablegen und euphorisch im gemeinsamen Aufziehen des Kindes einen Lichtblick in ihrer ansonsten trostlosen, von Schnee verhüllten kargen Welt sehen. Während Fulci in späteren Filmen ab seiner Horrorphase die auch in Verdammt zu leben - verdammt zu sterben behandelte Unausweichlichkeit gegenüber dem endgültigen Ende zum Standard erhebt und in Über dem Jenseits (hier besprochen) ihren Höhepunkt findet, schlägt er mit dieser Sequenz für ihn fast schon milde, liebevolle Töne an. Es scheint nicht alles verloren und schenkt den dunkelsten Stunden ein Quentchen Licht; ein Quell, aus dem Hoffnung auf bessere Zeiten entspringt. Vielleicht ist das erzählte einfach nur wie in seinem Horror-Opus Magnum eine Art Alptraum, aus dem am Schluss nur Stubby zu erwachen vermag.

Dieses (alp)traumhafte wohnt dem Film dank seiner stets leicht entrückten Stimmung inne, verstärkt durch einen sanften, folkigen Soundtrack, an dem auch Fabio Frizzi mitwirkte. Narrativ kohärenter als spätere cineastische Nachtmahre, fällt es an einigen Stellen trotzdem schwer, den roten Faden der Story dann wieder aufzunehmen, wenn der Film in dieser sprunghaft die Szenerie wechselt. Bereits hier konzentriert sich Fulci mehr auf die bedrückende Stimmung seiner Geschichte, als dass diese detailliert ausgearbeitet geschildert wird. Eher kann Verdammt zu leben - verdammt zu sterben als Vorbote des Endes des Italowesterns angesehen werden, der in seiner Gesamtheit dessen Alleinstellungsmerkmale nochmal besonders hervorhebt und verstärkt, bevor das Genre endgültig zu Grabe gelassen wurde. Zwar sollte Fulci drei Jahre später mit Silbersattel (hier besprochen) tatsächlich nochmal einen Western drehen, doch hebt der sich wiederum von seinen Mitstreitern dadurch ab, dass darin eher zahmere Töne angeschlagen werden und mit Verdammt zu leben - verdammt zu leben bereits unmissverständlich stark alles gesagt wurde.



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