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Montag, 1. November 2010

Das Waisenhaus

Mit ihrem Ehemann Carlos zieht Laura in ein leer stehenden Haus ein, um aus diesem ein Pflegeheim für behinderte Kinder zu machen. Somit kehrt sie nach gut 30 Jahren dorthin zurück, wo sie einen Teil ihrer Kindheit verbrachte. Immerhin war ihr neues Zuhause früher einmal ein Waisenhaus, in dem sie bis zu ihrer Adoption wohnte. Mit dabei ist auch der gemeinsame Sohn Simon, ein aufgeweckter Junge, der eine wahrlich lebhafte Phantasie besitzt. Seine liebsten Spielgefährten sind zwei imaginäre Freunde, zu denen sich nach einem Besuch am nahegelegenen Strand und einer in der Nähe befindlichen Höhle mit Tomàs noch ein dritter hinzugesellt. Eigentlich haben sich seine Eltern schon daran gewöhnt, doch sein neuer Freund als auch die Alten bringen immer seltsamere Ereignisse mit sich. Die Lage dramatisiert sich sogar so sehr, dass an der Eröffnung des neuen Kinderheims Simon verschwindet. Kurz zuvor hatte Laura einen geheimnisvollen Jungen mit Sack über dem Kopf, den von Simon durch eine Zeichnung so dargestellte Tomàs, im Haus gesehen. Die Suche nach Simon bringt keine Ergebnisse, das Kind scheint wie vom Erdboden verschluckt und die seltsamen Ereignisse im Haus häufen sich. Es scheint, als wollen die unsichtbaren Freunde des Verschwundenen der verzweifelten Laura etwas mitteilen. 

Die derzeitigen Trends innerhalb des Horrorfilms kann man mit der Bezeichnung Rustikal schon wirklich gut beschreiben. Der Gore und Splatter sind im Mainstream angekommen und fast jede neuere Horrorproduktion hat auch einen immensen Kunstblutverbrauch. Da freut man sich doch, wenn hier und da auch mal noch ein eher traditionellerer Film der eher auf Subtilität und unterschwelligen Grusel setzt, veröffentlicht wird. Vor knapp drei Jahren war Das Waisenhaus so ein Kandidat, der darüber hinaus von allen Seiten bejubelt wurde. In seinem Entstehungsland Spanien wurde er mächtig gehypt und als neues Aushängeschild für den iberischen Genrefilm angesehen. Und man muss sagen: die Lobeshymnen auf das bisher einzige abendfüllende Werk des ehemaligen Videoclip-Regisseurs Juan Antonio Bayona sind verständlich.

Das Waisenhaus ist dabei ein schön ruhiger Film, dem es nicht auf große und aufwendige Effekthascherei ankommt. Die Geschichte um Laura, Carlos und ihren Sohn Simon entwickelt sich langsam, vorangestellt ist dabei ein kurzer Blick auf die Kindheit der Mutter und deren Zeit in dem Haus, das nun - nach langen Jahren - nochmals zu ihrem Heim wird. Schon in dieser kleinen Rückblende schafft es der Film ein gewisses Gefühl der Behaglichkeit zu schaffen. Wohlfühlmomente stellen sich ein und die Familie erweist sich als ein sicherer Hort für die Protagonisten. Dabei arbeitet Bayona mit einem gekonnten Mix aus warmen aber auch gleichzeitig recht kalt und stilisiert wirkenden Bildern. Das Haus wird so in Perspektiven eingefangen, die es einerseits als angenehm erscheinende Wohnung, aber auch als unheimliches altes Gemäuer zeigen. Innen sieht es genauso aus. Viele dunkle Plätze und Gänge gibt es hier, die sich mit anfänglich noch hell erleuchteten Zimmern abwechseln. Doch mit dem Verschwinden Simons wird Platz für die Dunkelheit gemacht. Die Verzweiflung der Figuren, allen voran Laura, wird auch durch die immer düsterer werdenden Räumlichkeiten des Hauses dargestellt. 

Mit der Dunkelheit und den Schatten zieht auch der Schrecken in das Haus ein. Auch dieser erweist sich als sanft und steigert sich nur marginal. Bayona inszeniert den Horror zwar nicht mit angezogener Handbremse, beruft sich hier aber auf den ganz klassischen Grusel mit Andeutungen, dunklen Geheimnissen und ähnlichem, dem es auf den Grund zu gehen heißt. Es sind bewährte Standards, die man hier in die Story packt. Nach einem schweren Schicksalsschlag droht der Protagonist daran schon fast zu zerbrechen und wird für den unheimlichen und paranormalen Aspekt der Story sensibilisiert. Ob Lauras Ehemann Carlos genauso direkt mit den seltsamen Begebenheiten im Haus konfrontiert wird bzw. diese so wie seine Frau wahrnimmt, wird nie zur Gänze beantwortet. Auch hier ist die Rollenverteilung klassisch: Carlos bleibt der ewige Zweifler, ein nüchterner Realist, was durch seinen Beruf als Arzt und der somit vorhandenen Verwurzlung in die realistisch denkende Wissenschaft nochmals betont wird. Auf der anderen Seite ist da Laura, seine Frau. Versunken in ihrem Schmerz ist sie empfänglich für das, was normale Menschen nur schwerlich wahrnehmen können oder wenn, als Hirngespinst abtun würden. Das nach dem Verschwinden ihres geliebten Sohns doch noch irgendwas im Haus ist, dem ist sie sich sicher. Mit ihr auch der Zuschauer, kann man sich durch so manche Andeutungen zu Beginn schon denken, welche Richtung Das Waisenhaus einnehmen kann.

So sieht man Simon sich in der Höhle flüsternd mit seinem neuen imaginären Freund unterhalten. Er  legt am Strand gesammelte Muscheln als Spur auf dem Nachhauseweg aus, damit dieser auch zu ihm findet. Immerhin hat er vorher ja auch ganz artig gefragt, ob sein neuer Freund ihn zu Hause besuchen dürfe. Das Waisenhaus nimmt hiermit den Aspekt auf, dass Kinder dazu in der Lage sind, immer etwas mehr zu sehen als die abgestumpften Erwachsenen. Das Auftauchen von Tomàs kurz vor seinem Verschwinden könnte darauf deuten, dass es ab sofort im Verlauf des Films zügiger von statten geht, doch der Film bleibt eher ruhig. Gänsehautmomente, ganz große sogar, kann er trotzdem aufbauen. Altbekannte Gruselelemente lehren einem, sofern sie sauber inszeniert sind, eben auch heute noch das Fürchten. Eines der vielen kleinen Highlights ist dabei auch Lauras Zuhilfenahme eines Mediums, das schaut, ob sich neben dem Ehepaar noch etwas im Haus befindet. Die sehr glaubwürdige Umsetzung der nun vorkommenden Parapsychologen in Kombination mit den sich steigernden Schock- bzw. Schreckmomenten ist ein gelungener Mix. So möchte man mit der immer verzweifelter werdenden Laura, eindringlich von Belén Rueda dargestellt, hinter das Geheimnis des Verschwindens von Simon kommen.

Man nimmt ihr diesen tief von innen kommenden Schmerz über den Verlust des Kindes jede Minute ab. So gelingt es wie vielen seiner Kollegen auch Bayona, eine schöne Mischung aus Horror und Drama darzubieten. Gerade der moderne bzw. neuere Genrefilm aus Spanien geht immer Hand in Hand mit Dramaelementen, die so auch emotional höhrere Bindung mit der Hauptfigur beim Zuschauer schaffen. Und selbst wenn Das Waisenhaus wahrlich keine unverbrauchten Ideen oder Innovationen zu bieten hat, so zeugt es auch von Qualität, wenn ein Film das Altbekannte ansprechend gut verpacken kann. Dies kann der Film auf jeden Fall, da er mit genügend Raffinesse umgesetzt wurde. Gegen Ende hin fällt er ein klein wenig ab, da man die in hohe Gefilde wachsenden Erwartungen des Zuschauers nicht ganz halten kann. Man könnte es sogar kitschig nennen, wenn man etwas negatives am Film suchen wollte. Gekonnt und dem Versuch widerstehend, es allzu offensichtlich bzw. plump darzustellen, könnte man es auch nennen. Es ist ein versöhnliches Ende, gepaart mit schrecklicher Erkenntnis wenn das Geheimnis um Simons Verschwinden endlich aufgedeckt ist.

Hier wird aber auch schön gezeigt, dass mitunter die besten traditionellen Horror-, Grusel- oder auch Spukfilme genannten Werke meist aus Spanien kommen. Die Leute dort haben das richtige Händchen dafür, interessante Geschichten mit dramatischen Zügen und einer gehörigen Portion Spannung umzusetzen. Das Waisenhaus ist dafür der beste Beweis, schafft er es sogar durch seine kleine vorauszusehenden Entwicklungen trotzdem eine meterdicke Gänsehaut zu erschaffen und den Zuschauer zu packen. Er ist vielleicht nicht der beste und größte Film dieser Sparte, aber auf jeden Fall ein sehr guter Horrorstreifen. Sollte man gesehen haben.


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