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Samstag, 30. März 2013

Anthony

Die Wissenschaft und der damit einhergehende Fortschritt, die Angst vor dem Fremden, dem Neuen. Ein Motiv, welches (nicht erst) seit dem paranoiden Horrorkino der 50er Jahre aus der McCarthy-Ära durch die Phantastik wabert, dort aber seinen ersten Höhepunkt fand. Seitdem gibt es immer wieder, mal mehr, mal weniger, Horrorfilme mit verrückten Wissenschaftlern. Der Grat zwischen Genie und Wahnsinn ist wirklich ein schmaler, wie auch immer solche Filme beweisen. In den 80ern wiederum kann man, wohl bedingt durch den Erfolg solcher Filme wie Re-Animator (1985) oder auch From Beyond (1986), den Anstieg bei der Produktion solcher Mad Scientist-Streifen beobachten. In diese Kerbe schlägt auch der Streifen The Kindred, welcher unter der Fuchtel des Regie-Duos Stephen Carpenter und Jeffrey Obrow enstand.

Die beiden haben auch, unter Mithilfe dreier anderer Autoren, am Script geschrieben und ein kleines "Best of" des 80ies-Mad Scientist-Horrors ausgebrütet. Elemente, die auch andere Horrorstreifen aus dem Zeitalter etabliert oder übernommen haben, werden hier gerne wie Legosteine aneinandergesteckt und damit also die Geschichte um den Wissenschaftler John Hollins gebaut. Dieser wird von seiner Mutter Amanda an deren Krankenbett gebeten, ihre wissenschaftlichen Arbeiten in ihrem Haus zu vernichten. Irgendwie scheint sie den Missbrauch derer zu fürchten, was - man ahnt es sicher schon - gar nicht so abwegig ist. Mit den wirren Worten über einen "Anthony", Johns Bruder, erleidet sie einen weiteren Herzanfall und stirbt leider auch alsbald. John hingegen ist weniger wegen dem Tod seiner Mutter niedergeschlagen (immerhin ruft die Wissenschaft und das Script, welches zügig voranschreitet), sondern viel mehr verwirrt.

Einen Bruder hat er eigentlich gar nicht. Also nimmt er sich seine Freundin Sharon sowie sein Forschungsteam um im Haus der Mutter aufzuräumen und deren Bitte nachzukommen, ihre letzten Experimente zu vernichten. Oder wenigstens einmal zu ordnen und zu schauen, was es mit Anthony auf sich hat. Zu dem Team stößt auch noch die geheimnisvolle Wissenschaftlerin Melissa, für die Johns Mutter ein Vorbild war, welche er auf der Beerdigung der werten Frau Mama kennengelernt hat. Neben dieser scheint sich im übrigen auch noch der sich sehr bedeckt haltende (und dadurch sehr dubios wirkende) Dr. Floyd für die Arbeit von Amanda zu interessieren, hatten die beiden doch einige Jahre zusammen gearbeitet. Im Haus der Mutter angekommen, machen John und seine Kollegen nach einiger Zeit eine wortwörtlich monströse Bekanntschaft.

Man tut aber Carpenter und Obrow (auf deren Konto übrigens auch der leider viel zu unbekannte, feine Frühslasher Todestrauma (1982) geht) etwas unrecht, wenn man The Kindred als reines "Best of" der Schublade für verrückte Wissenschaftler im phatastischen Film abtut. Die beiden geben ein überaus souveränes Team und schaffen aus dem Script, in dem es eben nur so vor Anspielungen und Elementen anderer Streifen wimmelt, aber auch einen sehr ordentlichen Film der eine gewisse Kurzweil mit sich bringt. Schade, dass die beiden nur drei Filme zusammen geschaffen haben. Sie hätten sicher noch so einige nette, kleine Dinger geschaffen. The Kindred markiert dabei sogar ihre letzte Zusammenarbeit. Obrow drehte alleine noch drei Filme, Carpenter mit Soul Survivors (2001) nur noch einen. Danach zogen sie sich lieber hinter bzw. vor die Schreibmaschine zurück und betätigten sich als Writer. Carpenter unter anderem auch an der derzeit auch ganz aktuell im deutschen TV laufenden Serie Grimm.

Anthony
selbst ist ein sehr solides Stück Horror, welches nun nicht wirklich irgendwelche Innovationen oder Überraschungen mit sich bringt. Aber er versteht es, wie schon angesprochen, auch den erfahrensten Kenner solcher Filme über die Laufzeit hinweg zu unterhalten. Darüber hinaus bringt es auch einigen Spaß mit sich, die Einflüsse des Films zu erraten. Als Basis wäre da also mal wieder ein bzw. hier sogar zwei verrückte Wissenschaftler, die fernab jeglicher Moral oder Ethik versuchen, die Welt bzw. Menschheit zu ver(schlimm)bessern. Man kennt es: dies geht höllisch schief und irgendwelche Ahnungslose müssen den Schlammassel ausbaden. Diese sind ebenfalls Wissenschaftler, forschen also recht tüchtig zusammen mit John, was dessen Mutter in diesem abgelegenen Haus so getrieben hat. Dieses ist im übrigen auch der am meist genutzte Schauplatz des Films.

Haunted House-Versatzstücke kommen allerdings nicht so richtig zum Tragen. Man geht lieber in die Richtung des Monsterhorrors und lässt sich hier nicht nur von den angesprochenen Stuart Gordon-Werken, sondern auch von Schaffer derer literarischen Vorlagen, H.P. Lovecraft, beeinflussen. Schleimig, modrig und matschig wird es im Verlauf des Films. Zudem ziemlich fischig und die vielen Tentakel, die als Vorboten auf das komplette Monster im Film auftauchen, erinnern an die "großen Alten" oder auch so einigen Szenen von Gordons From Beyond. Sehr nett ist es hier übrigens, dass Obrow und Carpenter hier nicht von Anfang an auf die Kacke hauen, sondern schön aussparen. Ein Umstand, der bestimmt auch das eher geringere Budget mit sich bringt, somit aus Anthony einen Hybriden (wunderbar zum Thema des Films passendes Wort) aus 80er Jahre-Effekt-Party und aussparendem Horror der 50er macht. Die Regeln des Horrorfilms kennt man, beherrscht sie auch und kann diese auch fein abarbeiten.

Mit der dramatischen, aber niemals zu schwer und aufdringlich wirkenden Musik von David Newman spult man dieses Schema F ab. Dies mag sich jetzt abwertender lesen, als es der Fall ist. Die Mechanismen des klassischen und modernen Horrors haben die beiden (sowie die Mitautoren) verstanden und bringen sie auch gut rüber. Spannung können sie auch bis zu einem Punkt erzeugen, allerdings ist der Aufbau des Scripts allerdings nicht so konstruiert, dass man von einem den Zuschauer hinwegfegenden Burner sprechen kann. Es bleibt gutklassig, aber eben durchschaubar. Die Figuren, wie man sie auch in anderen Gattungen, die in 80ern populär waren - wie z. B. dem Slasher - bleiben grob umrissen. Tiefgehende Charakterzeichnung sollte man allerdings auch von den wenigsten B-Horrorfilmen erwarten. Hier bringt Anthony aber auch noch eine bunte Mischung zu Stande. Hier schafft man es auch, kleine und auflockernde, humorige Szenen einzustreuen.

Bevor es aber mit den Anspielungen, und kleineren Tentakelauftritten zu langweilig wird, kommt die Story schön in fahrt. Straight wird der Film erzählt und neben einem kleinen, schon sehr vielversprechenden Intermezzo im Keller von Dr. Floyd, darf nach und nach auch das Effektteam sich austoben. Die Transformation einer Person des Teams wähend des Teams läßt sogar ein klein wenig die Kinnlade nach unten schieben. Sehr schön gemachte Handarbeit aus den 80ern, die sich dann noch bis zum Finale steigert. Man sieht den Effekten und auch dem kompletten Anthony zwar schon an, dass der Film aus den 80ern ist, aber neben dem nostalgischen Faktor kommt man nicht drumherum zu sagen, dass hier gute Arbeit geleistet wurde. Betrachtet man sich Anthony mal genauer, dann erinnert dieser übrigens an eine Art Mischung Lovecraft'scher Kreaturen aus dem Cthulu-Mythos, Gigers Aliens und ganz entfernt auch Ann Turkels' Grauen aus der Tiefe.

Wem es in so manchen ruhigen Phasen doch zu langatmig wurde, obwohl man es recht gut schafft, zu variieren bzw. abzuwechseln, für den überschlägt sich der Streifen am Ende sogar und bietet noch so einiges Tam Tam nach dem Finale. Viel Spektakel wird da gemacht, welches noch mehr zum Unterhaltungsfaktor dieser typischen B-Schote, wie sie zu hauf in den 80ern gemacht wurden, beiträgt. Der Beitrag der Mimen geht auch recht in Ordnung. Keiner fällt zu negativ auf, eventuell hätte es dem Streifen sogar noch gut getan, wenn jemand mit Overacting um die Ecke gekommen wäre. Dafür bietet Anthony mit Rod Steiger als Dr. Floyd und Kim Hunter als Johns Mutter noch zwei Schauspiel-Veteranen im Cast. Zusammen gibt das eine gar nicht mal so übles Horror-Fast Food aus den 80ern, mit aufgewärmten Zutaten, die allerdings doch noch ganz lecker sind. Ordentlich ist das Ding. Und wenigstens so für die Videofirmen in hiesigen Ländern ertragreich, dass sie ihm noch zwei "Fortsetzungen" bescherten, wobei beide Teile nichts mit diesem schleimigen Mutanten/Mad Scientist-Klopper zu tun haben.

Montag, 25. März 2013

Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra

Männer, deren Körpern man ein Leben im Wohlstand ansieht. Zufrieden. Beinahe schon mit einem gewissen Hauch Dekadenz in der Luft frönen sie der Kultivierung ihrer Leiber. Beiläufige, nichtige Unterhaltungen. Kurze Sätze werden hin und her gewechselt. Plötzlich geht alles ganz schnell: aus einem harmlosen Dialog heraus bricht die Gewalt herein. Die lockere Stimmung bricht eben so schnell zusammen wie die toten Leiber der Herren, die es sich gut gehen lassen. Eine Episode aus dem Alltag der kleinen Fische im großen Teich der illegalen Machenschaften. Tagwerk der Camorra und Beginn von Matteo Garrones Gomorrha, der - wie es der Untertitel auch schon verrät - eine Reise in das Reich der Camorra ist.

Der Film selbst ist eine Adaption des Bestsellers von Roberto Saviano. Dieser hat darin seine eigenen Erfahrungen mit fiktiven Einzelschicksalen und Geschichten vermengt und damit eine riesige Bombe platzen lassen. In doppeltem Sinne: nicht nur, dass das Buch an die Spitze so einiger Bestsellerlisten gesprengt wurde, die Camorra selbst hat dadurch natürlich auch Wind von dem Buch bekommen. Mittlerweile wechselt der Buchautor öfter seinen Wohnort und lebt unter ständigem Polizeischutz, da die Organisation Morddrohungen in Richtung Saviano ausgesprochen hat. Brisantes und schwer wiegendes Material, dass in dem Buch gesammelt wurde. Kein leichter Stoff.

Dies lässt sich so auch über den Film sagen. Garrone, übrigens nicht mit dem Exploitation-Regisseur Sergio Garrone verwandt, pickt aus dem Wust an kleinen Geschichten, welche das Buch bietet, fünf heraus und lässt die Geschichten parallel nebeneinander herlaufen. Da wäre der gerade mal 14-jährige Toto, der schon immer davon träumt, in der Camorra aufgenommen zu werden und sich den in seinem Wohnviertel Männern anbietet, Jobs für diese zu erledigen. Als nächstes wäre da der blauäugige Student Roberto, der als frischer Assistent von Franco mit diesem um die nicht ganz so saubere Beseitigung von Giftmüll kümmert. Der Schneider Pasquale wiederum fertigt für seinen Boss teure Designerkleidung, allerdings kommt für ihn selbst dabei kaum etwas rum. Als er ein Angebot von einem chinesischen Kleidungsfabrikanten bekommt, zögert er erst, um dann doch Nachtschichten für diesen zu schieben. Don Ciro arbeitet als Geldbote und Buchhalter und überbringt den Angehörigen Inhaftierter die Abfindungen und rutscht in einen blutigen Bandenkrieg. Zuguterletzt gibt es auch noch die beiden blauäugigen Ciro und Marco, die offensichtlich zu oft de Palmas Scarface gesehen haben. Sie träumen vom schnellen Aufstieg in der Gangsterwelt und legen sich in ihrem jugendlichen Leichtsinn mit einem Boss vor Ort an.

Während Hollywood in dem genannten Streifen, von dem Ciro und Marco zu Beginn schwärmen und diesen in runtergekommenen Hallen nachspielen, oder auch anderen Mafia-Epen wie Der Pate (1972) oder Goodfellas (1990) in gewisser Weise das Handeln der "ehrenwerten Organisation" glorifiziert und vor allem den Aufstieg einzelner oder eines Clans zeigt, bleibt Garrone auf dem Boden. Gomorrha bleibt sehr nüchtern und trist. Genau so trist wie die Armenviertel, in denen er spielt und dadurch faszinierende Bilder einfängt. Der zum größten Teil mit Laiendarstellern besetzte Film gewinnt dadurch einen starken Touch von Authentizität, verstärkt durch den Verzicht auf einen richtigen Score. Seinen Stil kann man ohne große Überlegungen semi-dokumentarisch nennen. Garrone springt in eine traurig-alltägliche Episode zu Beginn und bleibt dieser Erzählart treu. Wie bereits angesprochen, werden die Gesichten nebeneinander her geschildert und die Handlungsstränge laufen auch am Ende nicht ineinander über. Damit erschwert er dem Zuschauer aber den Einstieg in den Film.

Es braucht eine gewisse Zeit bis man sich einen Überblick in den verschiedenen Geschichten verschafft hat. Die Sprünge zwischen diesen sind nicht allzu hart und sprunghaft, aber der Erzählfluss ist bildlich gesprochen sehr zähflüssig. So richtig kann sich Gomorrha diesem nicht entledigen. Hat man erstmal Zugang zum Film gefunden, kann man sich aber auch nicht dieser faszinierenden Welt entledigen. Vor allem wird nichts beschönigt. Eher schonungslos wird hier das Schicksal der Protagonisten in den verschiedenen Stories geschildert und bei einigen weiß man schon recht schnell, dass dies nicht gerade schön enden wird. Greifbar werden dabei nur wenige Figuren. Verstörend. Schockierend. Es macht nachdenklich. Der Regisseur lässt den Zuschauer mit seinen Empfindungen, die sich während dem Schauen manifestieren, allein. Er kommentiert nicht. Er zeigt.

Das allerdings auch in einem flüchtigen Stil, als wolle er ansatzweise all das, was das Buch seinen Lesern näherbringt, auch mit seinem Film transportieren. Es misslingt. Die Handlungen und Beweggründe der Hauptfiguren werden nach und nach aufgedeckt. Es zeigt sich aus deren Handlungen und den Dialogen. Garrone geht nicht in die Tiefe. Eine Tiefe, nach der er trachtet, die er auch gerne mit Gomorrha transportieren würde. Als wolle er die gesamte Komplexität des Buches durch kleine Stücke, die er aus diesen gezogen und für die Leinwand adaptiert hat, dadurch in seinen Film bringen. Nur diese kleinen Stücke können dies nicht tragen und leider auch nie ganz bewerkstelligen. Trotz allem ist Gomorrha allerdings nicht missglückt. In seinen besten Momenten ist der Film ein aufwühlender Blick auf die Machenschaften der Camorra. Vollkommen ohne Kitsch oder Übertreibungen.

Es ist nur Schade, dass der Zuschauer sich eben auch etwas verloren im Moloch der napolitanischen Kleinkriminellen zurückläßt. Es sind eben nur Episoden, die der Film schildert. Selten, dass ein Werk daran krankt, dass es zu nüchtern erzählt wird. Sicherlich muss nicht sensationsgeil im Boulevard-Stil auf den "krassen Scheiß" der im südlichen Italien vor sich geht, hingewiesen werden. Nur vermag Gomorrha es nicht, im Endeffekt komplett zu bewegen. Eine gute Dokumentation schafft dies, gut erzählte Filme ebenfalls. Ein ernstes Thema sollte natürlich auch ernsthaftig angepackt werden. Das Script wirkt etwas verloren, auch wenn es sehr sauber und technisch ansprechend umgesetzt wurde. Gerade seine Reduziertheit lässt ihn auch wieder gewinnen. Und doch: einen richtig guten, zufriedenstellenden Eindruck kann er nicht hinterlassen. Überdurchschnittlich. Gutklassig. Worte, die für Gomorrha zutreffen. Etwas mehr Biss hätte ihm - gerade bei so einem Thema - doch gut getan. Überkluges Beobachterkino. In seinen besten Momenten so gut wie italienische Politstreifen aus den 70ern. Aber auch diese beinhalteten genau das, was Gomorrha gut tun würde. Etwas mehr Emotion. Das Porträt über die kleinsten und untersten in der Mafiahierarchie weiß dennoch zu gefallen.