Bemüht man Google um Informationen über Andrea Bianchi stößt man auf ein Bild des Regisseurs, der darauf ein wenig so aussieht, wie sich seine Filme anfühlen. Auf den ersten Blick bemüht seriös, nach längerem Hinsehen bemerkt man eine latente Schmierigkeit. Schmutz schimmert durch die mühsam aufrecht erhaltene Seriosität. Bianchi wirkt abgekämpft, ausgelaugt und an einem Punkt angelangt, an dem er für Geld (fast) alles machen würde. Der italienische Regisseur gehört nicht gerade zu den Meistern seines Faches und wird sogar in Fankreisen des öfteren Nase rümpfend betrachtet. Seine Filme polarisieren, stehen sie doch für schnell und möglichst billig heruntergekurbeltes Unterhaltungskino, welches sich einen Dreck um künstlerischen Anspruch oder Message kümmert. Das sind 101 Prozent Exploitation und Filme wie der immer wieder an der Pornografie schrammende, dauerberammelte Exorzisten-Rip Off Malabimba oder der schnell auf die damalige Zombiewelle aufzuspringen versuchende Die Rückkehr der Zombies, der noch nie so spaßig inhaltslosen Matschesplatter präsentierte.
Nach vielen Jahren, in denen ich nur eventuell verklärte Liebesbekundungen im Internet las oder von Freunden hörte, war endlich - dank der jüngst erschienenen Blu Ray von filmArt - die Zeit gekommen, eine Lücke zu schließen und Bianchis Die Rache des Paten anzuschauen. Meine Erwartungen waren so gut es durch seinen ihm vorauseilenden Ruf ging, auf ein Minimum zurückgeschraubt. Ich mag seinen Zombiefilm und auch sein sleaziger Giallo Die Nacht der langen Messer bereitet mir viel Freude. Die niedrig gesteckten Erwartungen wurden übertroffen und meine Meinung über das limitierte Talent Bianchis Lügen gestraft. Sein mit schmalem Geldbeutel realisierter Poliziottescho entpuppt sich als sein am sorgfältigsten umgesetzter Film. Der prägnante Score, mit für das Genre ungewohnte Instrumenten wie einer Maultrommel umgesetzt, untermalt zu Beginn eine aus dem Wageninneren heraus gefilmte Autofahrt. Die vorbeirauschenden Landschaften schaffen zusammen mit der Musik eine leichte Atmosphäre, die Bianchi innerhalb weniger Minuten durch einen plötzlichen Unfall der Wageninsassen samt erster Brachialeffekte zunichte macht.
Kurz darauf folgt die erste Geschmacklosigkeit, über die sich auch die örtlichen Mafiachefs des Films echauvieren. Das im Auto befindliche Kind war nicht nur schon längst tot, sondern auch befüllt. Schergen des unverfrorenen Unholds Don Ricuzzo nutzen Kinderleichen, um ihr Heroin durch die Lande zu schmuggeln. Das sowas ehrenloses nicht zum Mafiaehrenkodex passt, stellen die Vertreter verschiedener Mafiaclans schnell fest und entsenden den richtigen Mann, um Don Ricuzzo auszuschalten: Toni Aniante ist ein Italo-Amerikaner, frisch aus den USA zurückgekehrt um im Land des Stiefels aufzuräumen. Aniante stellt schnell klar, dass mit ihm wortwörtlich nicht gut Kirschen essen ist; die von ihm gekaperte Ladung an frischem Obst entlarvt sich geschwind als weitere Drogenschmuggelei. Toni macht zuerst gemeinsame Sache mit Don Turi, um sich dessen Unterstützung im Kampf gegen Ricuzzo zu sichern. Im weiteren Verlauf wechselt Aniante absichtlich oder gezwungenermaßen die Seiten zwischen Turi und Ricuzzo um diese gegeneinander auszuspielen und die Männer des verhassten Mafiabosses auszuschalten.
Sowas könnte zu einem Gangsterfilm unter vielen werden; setzt man die rosarote Fanbrille ab, ist Die Rache des Paten dies auch. Seine Besonderheit besteht darin, wie hübsch Bianchi hier die Geschmacklosigkeiten und unglaublichen Momente verpackt und sich frech bei der Geschichte von Für eine Handvoll Dollar bedient. In Bianchis Schmalspur-Gangster-Epos ist der lachende Dritte, der zwei Clans gegeneinander ausspielt, kein Fremder ohne Namen oder Hintergrundgeschichte. Toni Aniante wird knapp und prägnant vorgestellt, macht wie Clint Eastwood in Leones legendärem Italowestern mit beiden Parteien gemeinsame Sache um dann allen menschlichen Schwächen zum Trotz, die bei jeder näher beleuchteten Figur herausgearbeitet wurde, der vermeintlich guten Seite beizustehen. Diese Entscheidung ist für das manchmal löchrige Drehbuch, dass die Geschichte in grob zusammengehaltenen Episoden erzählt, ein Gewinn. Diese erzählerische Variation mag nicht die raffinierteste sein, lässt Die Rache des Paten im Gesamten eigenständiger und nicht als bloße Kopie eines großen Vorbildes wirken.
Was das Drehbuch und Bianchis schludrige Regie nicht schaffen, macht der Film mit seinen Darstellern, einzelnen Szenen voller entfesselter Hemmungslosigkeit in Gewalt- und Figurendarstellung und seinem Drehort wett. Der in Ligurien gedrehte Film wird im Vergleich mit anderen Poliziotteschi zu einem erfrischenden Kontrast; die Drehorte erinnern manchmal sogar an süditalienische Dörfer. Eine schöne Abwechslung zu den meist in den reichen, dicht bevölkerten Städten des italienischen Nordens spielenden Polizeifilmen. Die ländliche Umgebung wird zum Stellvertreter der verfallenen, staubigen Ansammlungen an Bretterbuden, die im Italowestern eine Stadt zu bilden versuchen. Die Landsitze der beiden Mafiosi sind mit den Ranches der Bandenbosse gleichzusetzen. Was Bianchi ohne mit der Wimper zu zucken an ungeheuerlichen Dingen präsentiert, lässt Die Rache des Paten zum Citizen Kane des italienischen Exploitationkinos mutieren. Gut und Böse werden beinahe aufgelöst, Bianchis Kosmos wird von unmenschlich agierenden Figuren bevölkert, die ihre Menschlichkeit und Empathie am Rande durchblitzen lassen. Die vom Italowestern etablierte Zuwendung zu einem Antihelden wird hier auf die Spitze getrieben.
Toni Aniante, herrlich steinern von Henry Silva gemimt, ist ein nicht zimperlicher Genosse, dessen Werte dem alten System seiner Bosse entspricht, der dieses mit gleicher Gnadenlosigkeit wie seine Gegenspieler verteidigt. Er ist nicht gerade zurückhaltend bei der Verteidigung moralischer Werte innerhalb der Mafia und geht in seiner Entschlossenheit über Leichen. Das Aniante dabei immer wieder mit einem geheimnisvollen Pfeifen angekündigt wird, lange bevor er das Bild betritt, unterstreicht die Nähe des Films zum Italowestern. Diese findet man auch in den hübschen Bildern von Kameramann Carlo Carlini, welche die Bildsprache des Genres aufgreift und diese in ein Buket aus Gewalt und landschaftlicher Schönheit bettet. Nach den überästhetisierten Symbiosen aus Blut, Brutalitäten und Hochglanzbildern des Giallo schafft es (ausgerechnet) Andrea Bianchi, auch das stark sleazige Exploitationkino, den schundigen Orkus des Films, der bisher trist und trostlos von Gewaltspitze zu Gewaltspitze und Sexszene zu Sexszene eilte, einen gewissen Stil zu verleihen. Da wirken Szenen, in denen Henry Silva die hübsche Barbara Bouchet mit einer Gürtelschnalle verprügelt, sie in einer Küche beim Akt brutal in eine von der Decke hängendes, ausgenommenes Schwein hineinvögelt, er längst tote Handlanger von Don Riccuzo nochmal mit einem Bulldozer überrollt oder Don Ricuzzos Liebesspiele mit seiner Prostituiertengattin nicht komplett schäbig und schundig.
Wirken diese Szenen im ersten Moment ob ihres stumpfen Charakters überraschend und überzogen, entfalten sie auf längerer Sicht eine beinahe epische Wirkung. Bianchi und sein Team griffen nach klassischem Stoff, der in ihren Händen zu Schund der schönsten Sorte wird. Der Italiener hätte öfter mit einem Team arbeiten sollen, welches wie hier seine Schwächen in der Erzählung der Geschichte mit ihrem Einsatz an Kamera, Schnitt und Musik kaschieren kann. Mit gut aufgelegten Darstellern gewinnt die manchmal unübersichtlich werdende Geschichte, die eigentlich so einfach aufgebaut ist, durch die Kraft ihrer einzelnen Szenen. Jedes kleinste Detail, wie zum Beispiel die Sturzbäche, die Silva während des Films zu schwitzen scheint, wird zu einem weiteren, feiernswerten Moment. Ich meine Christian Keßler war es, der irgendwann über Bianchi schrieb, dass er ruhig mehr Filme hätte machen können. Dem kann ich nur beipflichten. Nach der Sichtung von Die Rache des Paten hätte ich mir von ihm ruhig auch mehr Poliziotteschi oder ruhig auch einen Italowestern von ihm gewünscht. Es sind Genres, die dem Italiener wohl sehr gelegen hätten. Doch es kam nicht so. Dafür kann man sich mit bestem Gewissen diese kleine Sternstunde des italienischen Exploitationfilms anschauen. Bianchi schuf mit diesem Film nicht nur einen tollen, unglaublichen und vollkommen positiv widerwärtigen Poliziottescho der im Kern ein verkappter Italowestern ist, sondern - das stellt Keßler auch im Booklet des filmArt-Releases fest - auch eine gut 90-minütige Antwort auf die Frage, was das italienische "Schund"- bzw. Genrekino so liebenswert macht.
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