Es lauert etwas da draußen. Es ist nicht sichtbar, scheint gleichzeitig überall und doch wieder nirgendwo zu sein. Ein schnell verfliegender Schatten, der sich kurz nach seiner Bildung wieder auflöst. Er lauert in den Hinterköpfen weniger Menschen, trachtet nach ihrem liebsten, mit dünnen, langgliedrigen Fingern, die in langen und spitzen Nägeln enden. Geschaffen vom Menschen trachtet es wie Jäger vor dutzenden von Jahrzehnten nach einer angeblich vom Aussterben bedrohten Art. Wenn wir ehrlich sind, ist dieses geschilderte Horrorszenario, in dem Netflix das traditionelle Kino auslöscht, es langsam ausbluten lässt, nur ein Weltuntergangsszenario weniger konservativer Traditionalisten, die der digitalen Entwicklung wenig abgewinnen können. Ausgerechnet Netflix werfen nun mit The Ritual einen Horrorfilm exklusiv in ihr Angebot, welcher bei weitem nicht das Rad neu erfindet, allerdings einem der frischen und (noch) unverbrauchten Gesichter des Indie-Horrors die Chance bzw. eine Plattform für seinen ersten, komplett alleine abgedrehten Langfilm gab.
An dieser Stelle könnte ich meine Worte aus dem Review zu Southbound wiederholen. Es ist einfach fantastisch zu sehen, was in der unabhängigen Horrorfilmszene in den USA passiert. Schön, dass David Bruckner, der neben dem bereits erwähnten Southbound u. a. auch an der Horror-Anthologie V/H/S oder The Signal (2007) beteiligt war, keineswegs krampfhaft (mit einer Ausnahme) versucht, überambitionert Innovationen in das Genre zu bringen oder auf Teufel komm raus gezwungen kreativ zu agieren. Bruckner scheint die Schwächen der unter seiner Beteiligung entstandenen Anthologienfilme erkannt zu haben und konzentriert sich in The Ritual darauf, dem Zuschauer einen traditionellen und doch leicht andersartigen Survial- bzw. Backwood-Horrorfilm zu präsentieren. Vier Freunde befinden sich im Wanderurlaub im winterlichen Schweden, um ihren tragisch bei einem Überfall auf einen Laden ums Leben gekommenen Freund zu ehren. Dieser hatte damals im Pub die Idee zu diesem Ausflug; es scheint, als mache das Quartett nur dem toten Freund zu liebe diesen Trip, der von Beginn an mit viel Beschwerden über das Wetter und den fehlenden Komfort begleitet wird. Es kommt, wie es in solchen Geschichten kommen muss: einer der Freunde verletzt sich am Knie, alle verlieren langsam die Lust an der Wanderung und versuchen mit einer Abkürzung die Basis, den Ausgangsort ihres Trips, zu erreichen.
Der neue, kürzer erscheinende Weg führt die Freunde quer durch den Wald, in dem sie am Abend von einem heftigen Gewitter überrascht werden. Sie retten sich in eine mysteriöse Hütte, in der sie eine seltsame Holzfigur, die an eine heidnische Gestalt erinnert, vorfinden. Am nächsten Morgen wachen die Männer in Angst und Panik versetzt auf, als seien sie von kollektiven Alpträumen und Schlafwandeln geplagt worden. Einen Freund finden sie völlig nackt kniend vor der Holzfigur auf. Nach den unerklärlichen Vorkommnissen brechen innerhalb der Gruppe schwelende Konflikte auf, während eine unerklärliche und scheinbar unsichtbare Kreatur nach dem Leben der Freunde trachtet. Lange Zeit lässt das Drehbuch dabei offen, ob es sich um eine wirklich übernatürliche Entität, es doch "nur wieder" degenerierte Waldschrate oder einfach eine sich gefährlich entwickelnde, kollektive Halluzination ist, die die Bedrohung darstellt. Mit Bruckners unaufgeregter Herangehensweise an den zugegeben wenig innovativ wirkenden Stoff wird The Ritual zu einem Horrorfilm, wie man ihn in der heutigen Zeit leider selten sieht.
Auch wenn die Freunde für das Subgenre eine bekannte Konstellation verschiedener, Konfliktpotenzial mit sich bringender Figuren sind, die wenig Tiefe mit sich bringen, so ist die vor der Kamera abgelieferte Leistung ausreichend, um die sich langsam entwickelnde Story mit genügend Suspense auszustatten. Neben der ungewöhnlichen Verbindung von Traumszenen, die sich mit dem Trauma eines am Tod des gemeinsamen Freundes beteiligten Mannes beschäftigen, gibt es auf weiter Flur keinen einzigen, mittlerweile ziemlich nervenden Jumpscare zu sehen. Bruckner vertraut auf die unwirtlich und gleichzeitig schön wirkende Location, die mit langen Einstellungen ihre Wirkung entfalten darf. Im Wald schaffen es die so eingefangenen Stamm- und Astgewirre, ein undurchsichtiges Geflecht zu schaffen, bei dem man sich als Zuschauer zusammen mit den Protagonisten dabei ertappt, irgendetwas seltsames zwischen den Stämmen und Ästen entdeckt zu haben. Leider vertrauen weder Regisseur noch Drehbuch komplett auf die packende Stimmung zwischen Paranoia und namenlosen, unsichtbaren Schrecken, der durch die Wälder schleicht.
Zum Finale hin verlässt Bruckner der Mut und die Konstanz. Das zuarbeiten auf das titelgebende Ritual ist für die Logiksyntax der Geschichte soweit in Ordnung. Das das Drehbuch wohl als Zugeständnis an die Fans von Creature-Movies sich dafür entschließt, den schemenhaft erscheinenden Unheilsbringer mehr ins Rampenlicht zu rücken, ist ein bekannter narrativer Vorgang für Monsterfilme. Wirklich bedauerlich ist, dass dem Zuschauer über einen Nebencharakter erklärt wird, worum es bei dem Monstrum handelt. Zum Handlungsort passend bedient man sich der nordischen Mythologie, es erscheint interessant, schlüssig und gleichzeitig bedauerlich, dass nicht konsequent bis zum Schluss ausgespart und eben mal nicht erklärt wird. The Ritual wandelt sich zu einem traditionell agierenden Monsterfilm, der der unausweichlichen Konfrontation zwischen dem einzigen Überlebenden und der Kreatur hinarbeitet. Diese wartet zwar mit einer Überraschung auf, ist im Kontext des restlichen Films irritierend wie unbefriedigend. Da taucht das Problem auf, an dem V/H/S und Southbound leiden: dieser ungezwungene, krampfige Versuch entgegen dem Strich und den Erwartungen zu arbeiten. Ein löbliches Unterfangen, das in zu gezwungener Weise leider nicht immer funktioniert. Glücklicherweise funktioniert der Rest von The Ritual gut genug, um ihn zu einem kleinen und feinen Highlight des noch frischen Horrorjahres zu machen.
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