Manche Filme können mit einigen Voraussetzungen recht schnell mein Interesse wecken: unter anderem, wenn seine Thematik von Serienmördern handelt oder er zeitlich im viktorianischen England spielt und im besten Falle dabei einen leichten Touch von Gothic Horror mit sich bringt. The Limehouse Golem beinhaltet beides, weckte bei seiner Ankündigung für den heimischen Kinorelease mein Interesse und ging bei mir dann wie wohl beim übrigen Publikum leider etwas unter. Mein täglicher Besuch auf bestimmten Seiten, um mich zu informieren, was neu auf Netflix oder Amazon Prime hinzugefügt wurde, rief mir den zweiten Film von Juan Carlos Medina wieder ins Gedächtnis. Meinem manchmal stinkfaulem Gemüt kommt die Möglichkeit, sich Filme von zu Hause aus digital zu leihen, mehr entgegen als das damalige Konzept der Videothek. Man muss anders als früher nicht mehr die heimische Umgebung verlassen, um sich gegen schlanke Gebühr einen aktuelleren Film auszuleihen. Doppelter Gewinn, wenn man durch bestimmte Aktionen sogar nur einen Euro zahlen muss.
So ärgert man sich auch weniger, wenn, wie bei Get Out der Fall (siehe hier), der Film nicht überzeugen konnte. The Limehouse Golem ist das umgekehrte Beispiel: ohne jegliche Erwartungshaltung machte ich mich an diesen heran und wurde positiv überrascht. Seine Geschichte klingt dabei recht bekannt. Um 1880 geht im Londoner Hafenviertel Limehouse der Golem um, ein Mörder der scheinbar wahllos unter der Bevölkerung mit scharfer Klinge diese richtet. Eine Spur führt den ermittelnden Kommissar John Kildare zum unlängst verstorbenen Reporter und Theaterautoren John Cree, dessen Frau Lizzie, eine Berühmtheit in der Varieté-Szene, verdächtigt wird ihn vergiftet zu haben. Kildare sucht in Folge seiner Ermittlungen die inhaftierte öfter auf, um herauszufinden, was für ein Mensch Cree war und ob er und sein Assistent auf der richtigen Fährte sind. Lizzie schildert ihm dabei auch ihre eigene, tragische Kindheitsgeschichte und wie sie als Waise vom Komödianten Dan Leno unter seine Fittiche genommen wird und schließlich Cree kennenlernte.
Dies präsentiert der Film als munteres Springen in den Zeitebenen, lässt seine Figuren in der filmischen Gegenwart nach dem gesichtslosen Mörder suchen und lässt bei Lizzies Erzählungen ausgiebigen Rückblenden den Platz, um die bisherigen Ereignisse der Geschichte zu schildern. Dies mag ein Zugeständnis an die Romanvorlage sein, die stilistisch zwischen Briefen, Augenzeugenberichten oder Interviews aus der Perspektive verschiedener Figuren springt. Dem Buch des Engländers Peter Ayckroyd wird deswegen trotz größtenteils guter Besprechungen vorgeworfen, unübersichtlich zu sein. Durch sein hohes Tempo und der Etablierung vieler verschiedener Figuren, könnte man auch bei der Verfilmung schnell den Anschluss verlieren. Nach dieser kurzen Phase zu Beginn lässt sich das Drehbuch Zeit um ein düsteres Bild eines armen Londons und der Bewohner dieses Randgebiets zu zeichnen. Das nun ein Serienmörder in den engen, verworrenen Gassen von Limehouse sein Unwesen treibt, stellt der Film schnell an den Rand.
Dieser hält mehr die Geschichte zusammen und fügt mit Kildares Versuchen, die Unschuld Lizzies und gleichzeitig zu beweisen, dass in ihrem Ehemann ein wahres Monster steckte, die Geschichte um die junge Frau und ihren Aufstieg im Theater des charismatischen Dan Lenos, diese einzelnen Teile der Rückblenden, in ein sich mehr und mehr erschließendes Ganzes zusammen. Das die historische Person Dan Leno, der von 1890 bis 1904 lebte und tatsächlich ein zu seiner Zeit gefeierter Komödiant und Schauspieler war, in den Hintergrund rückt, scheint Absicht zu sein. Teile seiner Biographie und der Persönlichkeit gehen in die Hauptfigur der Lizzie über, Leno selbst wird ein kleiner Teil des größeren Ganzen. Hier besticht The Limehouse Golem inmitten seines herrlich üppigen, schweren und verfallenen Settings durch seine Doppelbödigkeit. Der simplen Serienmörder-Jagd steht gleichberechtigt ein Sittengemälde gegenüber und die Geschichte einer jungen Frau, die in einer strikt schwarz und weiß denkenden Gesellschaft, patriarchalisch geprägt, ihren eigenen Weg zu gehen versucht. Das funktioniert meist besser als der Thriller-Teil des Films, der durch die ausladend erzählten Rückblenden nicht kaschieren kann, dass das Drehbuch und der Täter nach einiger Zeit schon zu erahnen sind.
Sein Twist bleibt weniger überraschend wie geplant, wobei durch die straffe Erzählweise und der zielgeführten Regie Medinas sich trotzdem Spannung und ein leichtes Whodunnit-Gefühl aufbaut. Der zweite, in der finalen Einstellung präsentierte Twist wirkt hiermi bemüht, verfehlt aber nicht die durch seine schnell zu erratende Spur gewünschte Verwirrung des Zuschauers mit Interpretationsspielraum. Man fühlt sich an die so abwegigen wie herrlich verkomplizierten Auflösungen diverser Gialli erinnert. Die eingestreuten Mordszenen erinnern in ihrer Inszenierungsweise ebenfalls an diese italienischer Thrillerspielart, ohne allerdings die eigentliche Tat zu stark in den Vordergrund zu rücken. The Limehouse Golem stützt sich auf die erzählerische und mimische Stärke, der dank seiner Darsteller wie Bill Nighy, der den getriebenen Kommissar mimt, glänzen kann. Ihm zur Seite steht mit Olivia Cooke, welche mich schon in Bates Motel überzeugen konnte, eine bezaubernde und ebenfalls sehr gut aufgelegte Hauptdarstellerin, die Lizzie schön zwischen zerbrechlich und selbstbewusst springend darstellt.
Zuletzt fällt an The Limehouse Golem das wiederkehrende Thema der tabuisierten, weil von der Norm abweichenden Sexualität auf. Durch Lenos Auftreten, seine vielen weiblichen Rollen, dem androgynen Auftreten oder der immer wieder thematisierten, gerüchteten Homosexualität Kildares ist der Film ein leichter Blick in die Schwierigkeit des Anders sein, selbst wenn man sich schon am Rande der Gesellschaft, bei den "Freaks" der damaligen Zeit, befindet. Ausführlich behandelt wird dies nie, wie zur damaligen Zeit passend, schneidet es der Film an, ohne es aber großartig in die weitere Geschichte einzubauen. Lizzies selbstbewusste Seite und ihr damit verbundenes Auftreten passte wie das offene Ausleben seiner Persönlichkeit, fernab heterosexueller Normen, nicht richtig in das damals vorhandene Rollenbild. Diese Vielseitigkeit vereint The Limehouse Golem in ein stimmiges Gesamtbild, bei dem Fans richtiger Serienmörderschnetzeleien nicht zu viel roten Lebenssaft erwarten sollen. Mehr konzentriert sich Medina mit seinem Film auf das stimmige Gesamtbild seiner Geschichte, einem traditionellem Thriller mit dramatischer Note, der auch mit wirklich fantastischen Setdesign und seiner Atmosphäre punkten kann. Schade, dass der Film bisher so wenig Beachtung fand.
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