Copy & Paste. Das italienische Genrekino lebt(e) seit Jahrzehnten vom schamlosen kopieren, einfügen und remixen. Auch Dario Argento. Der zuvor als Drehbuchautor in Erscheinung getretene Regisseur orientiert sich in seinem Debüt Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe klar an Vorbildern. Der Unterschied zu seinen Kollegen ist, dass es hier mit Respekt geschieht. Orientierte sich der Giallo in den 60ern, seit Mario Bavas das Subgenre begründende Filmen La ragazza che sapove troppo (aka The Girl Who Knew Too Much) und Blutige Seide, am manches Mal arg gemächlichen britischen und deutschen Krimi, steht Argento für den italienischen Thriller Anfang der 70er für den Aufbruch zu neuen Ufern. Er entstaubt den Giallo, frischt ihn auf, fügt ihm Elemente hinzu, die sich in unzähligen folgenden Werken wiederfinden. Mit seinem Debüt legt Argento eine Blaupause vor, an der sich nachfolgende Regisseure mit ihren Werken orientieren.
"This italian fellow is starting to make me nervous." - Die Worte von Alfred Hitchcock, nachdem er Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe sah. Kennt man die Filme des Master of Suspense, ist der Einfluss dessen auf Argento bei seinem Erstlingswerk unübersehbar. Die Geschichte bietet schon das erste für den Briten typische Motiv, das ein vollkommen unbehelligter, unschuldiger Mensch urplötzlich in einen Kriminalfall hineingezogen wird. Bei Argento ist das Sam Dalmas, ein in Rom Urlaub machender Autor, der Nachts bei einem Spaziergang Zeuge eines versuchten Mordes an der Galeristengattin Monica Ranieri wird. Durch sein versuchtes Eingreifen verhindert er diesen so, dass die schwer verletzte Frau überlebt und versucht fortan, die Polizei und den ermittelnden Kommissaren Morosini bei der Lösung des Falls zu helfen. Er stößt auf eine zuerst zusammenhanglos erscheinende Serie von Morden an jungen Frauen und ein geheimnisvolles Bild, welches etwas mit diesen zu tun haben scheint. Der Mörder bekommt Wind von der Sache und versucht fortan, Sam und seiner Freundin Giulia nach dem Leben zu trachten.
Violence and sexy suspense. Der Kern, die Grundformel und -aussage des (traditionell ausgerichteten) Giallo, welche dessen unbändigen Willen nach Stilisierung von Mord und Sex mit diesem Film festgelegt wurde. Hintergründig wird sie von Argento definiert und in wenigen Szenen angewandt. Der gesellschaftliche Wandel, der Einfluss der friedlichen Protestbewegungen seit 1968, schlägt sich merklich ab diesem Jahr auch in der Popkultur nieder. Das triviale Kino selbst wird ebenfalls von den auf ihm lastenden dicken Staubschichten letzter, überholten Moralvorstellungen befreit. Sex und Gewalt drängen aus dem Untergrund, dessen mehr oder minder halbprofessionellen Low Budget-Werken, hervor; das katholische Italien befreit sich auch mit Hilfe solcher Filmemacher wie Argento von einer Fessel der Zensur. Wie bei Hitchcock erhalten einfache Krimigeschichten einen psychologischen Unterbau. Weniger mit der Tiefe des Engländers verbunden. Italienische Filmemacher orientieren sich an den dem Subgenre seine Bezeichnung schenkende Groschenromankrimis mit seinen gelben Einbänden. Sie setzen die psychosexualisierten Motive der Täter spekulativ ein. Argento hält sich in Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe weitgehend zurück, lässt den Morden an weiteren Opfern des unbekannten Täters einiges an Raum und inszeniert eine Tötung wie eine stilisierte Vergewaltigung.
Wie bei Hitchcock ist das gezeigte Bild der Frau auch bei Argento nicht das allerbeste. Eine Feindlichkeit gegenüber dem Geschlecht, wie sie dem Italiener damals vorgeworfen wurde, kann man ihm nicht komplett abstreiten. Der Film wirkt manchmal wie das Abbild einer leichten Angst vor stark wirkenden Frauen. Ihnen wird mit dem Protagonisten das typische Bild des markanten Mannes entgegengestellt; kantig, ein guter Job für Darsteller Tony Musante. Ein, wie man sagt, damals schwieriger Geselle. Infolgedessen ist er nicht nur Hobbyermittler. Er ist auch Held für seine Freundin, der schützenswerten Frauenfigur, die den Killer, das wortwörtlich schwarze Phantom, stärker als Bedrohung etabliert. Dazwischen spielt Argento mit Wahrnehmung und Erinnerung. Motive, die er in seinem Profondo Rosso etabliert. Es ist nicht nur die vage Annahme des Kommissaren, dass Salmas vielleicht was mit dem versuchten Mord an Ranieri zu tun hat. Der Autor jagt den Mörder und dieses eine Detail, das fehlende Puzzlestück, mit dem er alle Indizien verbinden kann. Once again: Hitchcock.
Und was macht der deutsche Verleih daraus? Bryan Edgar Wallace. Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe wurde als Verfilmung eines Stoffs des Wallace-Sohnes vermarktet, der eigentlich mehr mit Spionagegeschichten unterwegs war und dessen Werke man im Zuge der Edgar Wallace-Filmreihe versuchte, ebenfalls im Kino zu etablieren. Was macht die deutsche Synchro daraus? eine gutklassige, zu Beginn leicht besorgniserregende Synchronisation, wenn Rainer Brandt auf Tony Musante arg flapsig um die Ecke stapft. Die Sorge wird groß, dass, wie andere Werke des Sprechers und Dialogbuchautoren, die deutsche Sprachversion arg kalauernd ausfällt. Es hält sich in Grenzen. Ausgerechnet die obskuren Nebenfiguren werden hierdurch in ihren Eigenschaften verstärkt. Na servus! Was macht aber nun Argento aus dem Film? Es ist mehr als eine Fingerübung, obwohl, und da liegt eine Schwäche, Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe unentschlossen wirkt. Das, was der Giallo in späteren Jahren bietet, ist da: die stilisierten Mordszenen, hier noch nicht so groß ausgedehnt; eine ansprechende Fotografie, weit weg von späteren Verspieltheiten des Regisseurs, wie sie z. B. Profondo Rosso bietet. Ein tief verwurzeltes Trauma, das den Mörder den Antrieb für seine Taten bietet.
Argento sucht mit diesem Film seinen Weg, zeigt aber dem Kenner seiner späteren Werke deutlich, in welche Richtung es noch gehen sollte. Den Suspense eines Hitchcocks erreicht er nur selten. Die spannendsten Szenen werden von klassischen Spannungsszenen des Krimis, teils sogar am gothischen Horror orientiert, beeinflusst. Nebelschwaden wabern durch die dunkle Stadt, in Hut und Mantel gehüllte Polizisten erscheinen wie mögliche Meuchelmörder in einer nächtlichen Stadt, die in ihrer Ausleuchtung an den Film Noir erinnert. Die Orientierungslosigkeit, das Suchen nach der filmischen Identität Argentos hält den Film manchmal auf. Man merkt, dass er sich noch ausprobieren will. Was der Italiener hier schon gefunden hat, ist das Talent für spannende Sequenzen, die hier durch einen experimentellen, dissonanten Score von Ennio Morricone verstärkt werden. In vielerlei Hinsicht ist Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe ein Übungsfilm, der dafür sehr gelungen ausgefallen ist. Wenige schaffen zudem, für ein Subgenre eine Blaupause, beinahe ein Regelwerk aufzustellen. Argento gelingt es und trotz der starken Orientierung an Hitchcock blitzt hier schon seine eigene Handschrift auf, die er spätestens Mitte der 70er perfektionierte. Es ist ein toller, aufregender Startschuss für die Hochphase des Giallo mit minimalen Schwächen.
Credits
▼
Donnerstag, 31. Mai 2018
Mittwoch, 23. Mai 2018
Cargo (2017, Netflix)
Der Raubbau am Planeten schreitet voran. Der Mensch stemmt sich mit internationalen Abkommen, erneuerbaren Energien, einem neuen Bewusstsein für den Lebensraum und seine Natur dagegen und beutet ihn im Gegenzug weiter aus. Wälder werden gerodet, die Erderwärmung um einige Grad hochgeballert, obwohl man sie senken will und Rohstoffe werden durch Methoden wie Fracking rücksichtslos gefördert, abgebaut - bis nichts mehr übrig ist. Inmitten des australischen Buschs steht in Cargo eine Frackinganlage als stummes Mahnmal für die katastrophale Entwicklungen, mit der die Menschheit im neuesten, potenziellen Netflix-Hit konfrontiert wird. Es wird nicht direkt benannt, der Förderturm wird nur von der Kamera mit einem fast vorwurfsvollen Blick eingefangen. Umweltschützer kritisieren schon lange auf Grund des mit dem Prozess verbundenen Chemikalieneinsatzes die Vergiftung des Grundwassers. Yolanda Ramke und ihr Regiepartner Ben Howling spinnen daraus ein maximales Katastrophen- und Horrorszenario.
Dieses entfalten die beiden Filmemacher langsam. Es deutet zu Beginn wenig darauf hin, dass Kay, ihr Mann Andy und deren einjährige Tochter Rosie sich auf einer ungewissen Reise, einer Flucht vor einer unsichtbaren Bedrohung sind. Ihr langsam auf dem Fluss treibendes Hausboot, die hübsch eingefangene Landschaft: eher sieht es wie ein neu begonnenes Aussteigerleben aus. Erst mit der Zeit offenbart die Geschichte, dass die Menschheit von einem aggressiven Virus ausgemerzt wurde. Wenige Überlebende versuchen sich im unwirtlichen Land zurechtzufinden; die kleine Familie ist auf dem Weg, einen letzten Rest Zivilisation zu finden. Zuerst stoßen sie auf eine gekenterte Yacht, die Andy erfolgreich nach neuem Proviant plündert. Kurze Zeit später macht sich seine Frau Kay eigenmächtig ebenfalls zur Yacht auf um nach weiteren, brauchbaren Dingen zu suchen. Was sie findet, ist der Tod: sie wird von etwas angefallen, mit dem Virus angesteckt. Die Anleitungen in den Notfallpacks, welche die australische Regierung verteilt hat, sprechen von 48 Stunden bis zum eintretenden Tod, der nur einen Übergang zum Dasein als Untoten darstellt. In seiner Verzweiflung versucht Andy, ein Krankenhaus, eine Auffangstation zu finden, in der man Kay behandeln kann. Auf dem angetretenen Landweg kommt es zu einem Unfall in dem Andy von seiner Frau gebissen wird. Ebenfalls infiziert, versucht er vor seinem eintretenden Ableben ein neues Heim für seine Tochter zu finden. Auf seinem Weg trifft er auf das Aborigine-Mädchen Thoomie sowie den zwielichtigen Vic und seine Partnerin Lorraine.
Andy trägt dabei nicht bloß seine Tochter auf dem Rücken. Rosie steht gleichzeitig für eine ganze Generation, neu, die wach und aufgeklärt durch die Fehler der vorhergehenden Generationen sein wird. Es sind nicht unbedingt die Fehler ihrer Eltern. Andy und Kay erscheinen progressiv und alternativ; im einfachen Bürgertum verwurzelt, aber mit aufmerksamen Auge ausgestattet. Sie werden selbst das Opfer ihrer Jahrgangsgenossen und der Älteren. Derer, die ihren Blick vor den drohenden Konsequenzen ihres Handelns verschließen. Mit Vic begegnet Andy einem Vertreter dieser Menschen. Er ist der klassische Antagonist, den eine Zombiegeschichte braucht, schon seit Romeros Night Of The Living Dead, um einen Gegenpol zu den Hauptfiguren zu schaffen. Ein Arschloch wie er im Regelbuch steht. Vic ist eines der wenigen Zugeständnisse Ramkes und Howlings an die Formeln des Subgenres selbst, welches sie mit Cargo streifen. Dessen Grundstrukturen übertragen sie in einen Horrorfilm, der seinen Schrecken aus dem Drama um die kleine Familie zieht und weniger von den vorhandenen, geschickt in der Geschichte eingesetzten Untoten oder den dafür verantwortlichen Virus. "Endlich!" möchte man dem Film zujubeln, wenn die wandelnden Leichname einmal nicht die heimlichen Stars sind und deren unstillbarer Hunger für ausgiebig zelebrierte Fressorgien sorgt.
Es gibt sie einmal; die Regisseure schneiden sie nur an, lassen sie beiläufig geschehen. Ihr eigentlicher Fokus liegt auf diese verzweifelte Rettung der Familie, der nachwachsenden Generation inmitten einer postapokalyptischen Restwelt. Einmal mehr beweist Australien dabei, wie gut seine Landschaften, die ein ständiges Oxymoron wunderschön fremdartiger Verwüstung in der Natur bilden, als Handlungsort für solche Szenarien funktionieren. Cargo zieht daraus eine einzigartig schöne Atmosphäre. Verstärkt wird sie in der zweiten Hälfte, wenn die Geschichte sich Thoomie und deren Familie zuwendet. Die angeschnittene Aborigine-Mythik wird gut mit der Erzählung verwoben; das Finale lässt den Film zu einem einzigartigen Ethnohorrorzombiedrama heranwachsen, dessen Faszination weniger von den (zugegeben herrlich ekligen) Effekten, sondern der leicht entrückten Stimmung herrührt. Sie schwankt zwischen Verzweiflung, die der Hoffnung weicht. Ramke und Howling legen diese auf zwei Ebenen: für den Protagonisten auf seiner Mission, die Zeit immer im Nacken und der Menschheit selbst. Man spart sich das Happy End bis zum allerletzten Moment auf und erzeugt gleichzeitig einen schmerzlichen Moment. Jedem Ende wohnt ein Anfang inne. Nicht zuletzt, weil Thoomie und Andy, die zuerst eine reine Zweckgemeinschaft bilden, zueinander finden und irgendwie auch als Vermittler zwischen den Weißen und den Aborigines fungieren und Differenzen zwischen den Völkern ausradieren.
Cargo ist ein Horrorfilm, der die Natur - once again - zurückschlagen lässt; zeigt, dass die Rücksichtslosigkeit gegenüber unseres Planeten sich früher oder später rächen wird und inmitten seines aufgebauten Szenarios und dessen auswegloser Grundstimmung positive Vibes versprühen möchte. Es gelingt. Jederzeit im Subgenre verwurzelt und weit weniger mit Arthouse-Elementen bestückt wie es irgendwann wirkt, bringen die zwei Regisseure eine wunderbare Botschaft mit auf den Weg. Anders als im US-Horrorfilm, der die Familie final die Bedrohung besiegen lässt, wirkt Cargo weniger kitschig. Die Entwicklung der Handlung bleibt nachvollziehbar. Das ist weit mehr emotional als die meisten positiven Enden der letzten Jahre im US-Genrefilm. Cargo hält sich zurück; lässt den sich aufbauenden Gefühlen genug Raum und ist letztendlich ein Film über Aufopferung. Gegenüber geliebter Menschen, der Familie, den Kindern um diesen eine gute, lebenswerte Zukunft zu bieten, so schlecht diese in Anbetracht der Gegenwart erscheint. Auch der US-Horrorfilm stellt Kinder häufig als schützenswert dar, schafft es aber nicht immer, hier vollkommen ohne Schmalz und Kitsch auszukommen. Andys Opfer, seine Tochter bis zu seinem Ende sicher behütet zu wissen, ist vielleicht sogar der emotionalste Moment in einem Horrorfilm sein langem. Hätten sich Ramke und Howling im narrativen Aufbau und mehr von Genrekonventionen wegbewegt, sich nicht komplett der Stimmung unterworfen, sondern manchmal mehr der Spannung zugewandt, wäre Cargo noch großartiger als er schon ist. Das ist nach The Dead, der noch weitaus mehr die typischen Zombiefilmformeln nutzt, der beste Film des Subgenres seit Jahren.
Dieses entfalten die beiden Filmemacher langsam. Es deutet zu Beginn wenig darauf hin, dass Kay, ihr Mann Andy und deren einjährige Tochter Rosie sich auf einer ungewissen Reise, einer Flucht vor einer unsichtbaren Bedrohung sind. Ihr langsam auf dem Fluss treibendes Hausboot, die hübsch eingefangene Landschaft: eher sieht es wie ein neu begonnenes Aussteigerleben aus. Erst mit der Zeit offenbart die Geschichte, dass die Menschheit von einem aggressiven Virus ausgemerzt wurde. Wenige Überlebende versuchen sich im unwirtlichen Land zurechtzufinden; die kleine Familie ist auf dem Weg, einen letzten Rest Zivilisation zu finden. Zuerst stoßen sie auf eine gekenterte Yacht, die Andy erfolgreich nach neuem Proviant plündert. Kurze Zeit später macht sich seine Frau Kay eigenmächtig ebenfalls zur Yacht auf um nach weiteren, brauchbaren Dingen zu suchen. Was sie findet, ist der Tod: sie wird von etwas angefallen, mit dem Virus angesteckt. Die Anleitungen in den Notfallpacks, welche die australische Regierung verteilt hat, sprechen von 48 Stunden bis zum eintretenden Tod, der nur einen Übergang zum Dasein als Untoten darstellt. In seiner Verzweiflung versucht Andy, ein Krankenhaus, eine Auffangstation zu finden, in der man Kay behandeln kann. Auf dem angetretenen Landweg kommt es zu einem Unfall in dem Andy von seiner Frau gebissen wird. Ebenfalls infiziert, versucht er vor seinem eintretenden Ableben ein neues Heim für seine Tochter zu finden. Auf seinem Weg trifft er auf das Aborigine-Mädchen Thoomie sowie den zwielichtigen Vic und seine Partnerin Lorraine.
Andy trägt dabei nicht bloß seine Tochter auf dem Rücken. Rosie steht gleichzeitig für eine ganze Generation, neu, die wach und aufgeklärt durch die Fehler der vorhergehenden Generationen sein wird. Es sind nicht unbedingt die Fehler ihrer Eltern. Andy und Kay erscheinen progressiv und alternativ; im einfachen Bürgertum verwurzelt, aber mit aufmerksamen Auge ausgestattet. Sie werden selbst das Opfer ihrer Jahrgangsgenossen und der Älteren. Derer, die ihren Blick vor den drohenden Konsequenzen ihres Handelns verschließen. Mit Vic begegnet Andy einem Vertreter dieser Menschen. Er ist der klassische Antagonist, den eine Zombiegeschichte braucht, schon seit Romeros Night Of The Living Dead, um einen Gegenpol zu den Hauptfiguren zu schaffen. Ein Arschloch wie er im Regelbuch steht. Vic ist eines der wenigen Zugeständnisse Ramkes und Howlings an die Formeln des Subgenres selbst, welches sie mit Cargo streifen. Dessen Grundstrukturen übertragen sie in einen Horrorfilm, der seinen Schrecken aus dem Drama um die kleine Familie zieht und weniger von den vorhandenen, geschickt in der Geschichte eingesetzten Untoten oder den dafür verantwortlichen Virus. "Endlich!" möchte man dem Film zujubeln, wenn die wandelnden Leichname einmal nicht die heimlichen Stars sind und deren unstillbarer Hunger für ausgiebig zelebrierte Fressorgien sorgt.
Es gibt sie einmal; die Regisseure schneiden sie nur an, lassen sie beiläufig geschehen. Ihr eigentlicher Fokus liegt auf diese verzweifelte Rettung der Familie, der nachwachsenden Generation inmitten einer postapokalyptischen Restwelt. Einmal mehr beweist Australien dabei, wie gut seine Landschaften, die ein ständiges Oxymoron wunderschön fremdartiger Verwüstung in der Natur bilden, als Handlungsort für solche Szenarien funktionieren. Cargo zieht daraus eine einzigartig schöne Atmosphäre. Verstärkt wird sie in der zweiten Hälfte, wenn die Geschichte sich Thoomie und deren Familie zuwendet. Die angeschnittene Aborigine-Mythik wird gut mit der Erzählung verwoben; das Finale lässt den Film zu einem einzigartigen Ethnohorrorzombiedrama heranwachsen, dessen Faszination weniger von den (zugegeben herrlich ekligen) Effekten, sondern der leicht entrückten Stimmung herrührt. Sie schwankt zwischen Verzweiflung, die der Hoffnung weicht. Ramke und Howling legen diese auf zwei Ebenen: für den Protagonisten auf seiner Mission, die Zeit immer im Nacken und der Menschheit selbst. Man spart sich das Happy End bis zum allerletzten Moment auf und erzeugt gleichzeitig einen schmerzlichen Moment. Jedem Ende wohnt ein Anfang inne. Nicht zuletzt, weil Thoomie und Andy, die zuerst eine reine Zweckgemeinschaft bilden, zueinander finden und irgendwie auch als Vermittler zwischen den Weißen und den Aborigines fungieren und Differenzen zwischen den Völkern ausradieren.
Cargo ist ein Horrorfilm, der die Natur - once again - zurückschlagen lässt; zeigt, dass die Rücksichtslosigkeit gegenüber unseres Planeten sich früher oder später rächen wird und inmitten seines aufgebauten Szenarios und dessen auswegloser Grundstimmung positive Vibes versprühen möchte. Es gelingt. Jederzeit im Subgenre verwurzelt und weit weniger mit Arthouse-Elementen bestückt wie es irgendwann wirkt, bringen die zwei Regisseure eine wunderbare Botschaft mit auf den Weg. Anders als im US-Horrorfilm, der die Familie final die Bedrohung besiegen lässt, wirkt Cargo weniger kitschig. Die Entwicklung der Handlung bleibt nachvollziehbar. Das ist weit mehr emotional als die meisten positiven Enden der letzten Jahre im US-Genrefilm. Cargo hält sich zurück; lässt den sich aufbauenden Gefühlen genug Raum und ist letztendlich ein Film über Aufopferung. Gegenüber geliebter Menschen, der Familie, den Kindern um diesen eine gute, lebenswerte Zukunft zu bieten, so schlecht diese in Anbetracht der Gegenwart erscheint. Auch der US-Horrorfilm stellt Kinder häufig als schützenswert dar, schafft es aber nicht immer, hier vollkommen ohne Schmalz und Kitsch auszukommen. Andys Opfer, seine Tochter bis zu seinem Ende sicher behütet zu wissen, ist vielleicht sogar der emotionalste Moment in einem Horrorfilm sein langem. Hätten sich Ramke und Howling im narrativen Aufbau und mehr von Genrekonventionen wegbewegt, sich nicht komplett der Stimmung unterworfen, sondern manchmal mehr der Spannung zugewandt, wäre Cargo noch großartiger als er schon ist. Das ist nach The Dead, der noch weitaus mehr die typischen Zombiefilmformeln nutzt, der beste Film des Subgenres seit Jahren.
Samstag, 19. Mai 2018
Deadpool 2
Man sollte mit Comic-Verfilmungen nicht so hart ins Gericht gehen. Die Filme des MCU mögen seichte effektüberladene Mainstream-Blockbuster sein, die Werke im DC-Universum düster, aber qualitativ nicht überzeugend; diese Filme als Kinderquatsch abzutun wie das Ursprungsmedium selbst ist ein voreiliger Schluss. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten; Comicverfilmungen sind mein Guilty Pleasure und so war Deadpool 2 tatsächlich seit langem einer der Filme, an dessen Starttag ich ins Kino pilgern musste. Schon mit dem Erstling wählte man eine andere Richtung als das, was man ansonsten aus dem Kinouniversum Marvels kennt. Zur Erinnerung: die Filmrechte am plauderlustigen Antiheld gehören 20th Century Fox und damit in deren X-Men-Universum. Auch der zweite Aufguss bietet all das, was die Comicvorlage und deren erste Verfilmung boten: zotige Sprüche, Schimpfwörter, blutige Action die Deadpool 2 ebenfalls zu einem R-Rating verhalf und die Meta-Ebene, auf der popkulturelle Anspielungen und nicht zuletzt das durchbrechen der vierten Wand stattfinden.
Deadpool spricht. Ständig. Egal ob mit den Protagonisten oder dem Zuschauer. Eröffnet wird der Film mit einer persönlichen Ansprache an den Zuschauer, der die sympathische Nervensäge dabei zeigt, wie er sich selbst in die Luft sprengt. Nach den Credits, die herrlich die Vorspänne der James Bond-Filme aufs Korn nehmen, erklärt uns Wade Wilson, wieso er zu diesem drastischen Schritt griff: Gangster, die ihn nach Hause verfolgten, verschaffen sich gewaltsam Zutritt und bringen seine Freundin Vanessa um. Die Trauer um sie wirft ihn in ein tiefes Loch und ausgerechnet X:Men-Mitglied Colossus nimmt sich diesem an, um ihm heraus zu helfen. Er wird zum "X-Men in Ausbildung" und trifft bei seinem ersten Einsatz auf den Jungen Russell, einem Mutanten mit leichten Aggressionsproblemen. Da Deadpool hierbei wie für ihn typisch über die Stränge schlägt, werden er und der Junge verhaftet und in die Ice Box, einem riesigen Gefängnis für Mutanten im tiefsten Kanada, gebracht. Dort treffen sie zum ersten Mal auf den Zeitreisenden Cable, der aus der Zukunft gekommen ist, um Russell umzubringen. Deadpool kann sich bei Cables Massaker in der Ice Box retten und ruft zu einem Casting für seine eigene Superheldengruppe, der X-Force auf, um mit seinen neuen Mitstreitern, darunter die ständig das Glück anziehende und für sich ausnutzende Domino, Russell zu befreien und vor Cable zu retten.
Das passiert in einem Affenzahn. In der ersten Hälfte des Films ergibt sich die Handlung mehr aus einer mit einem roten Faden versehenen episodischen Sammlung von Set Pieces, unterbrochen von Zwischensequenzen die sich mehr dem komödiantischen Teil widmen. Als Zuschauer findet man schwer in den Film hinein. Das Sequel lässt kaum zu, sich länger auf Charaktere, Situationen und die zugegeben zuerst recht dünnen Geschichte einzulassen. Das Druckmittel der Fanerwartungshaltung schlägt hier zu und es wird alles, was auch die comicunkundigeren Fans am Anarchohelden lieben lernten, in das Drehbuch gequetscht. Erst mit dem Überfall auf die Ice Box entwickelt sich eine zusammenhängendere Geschichte, die einem nun kleinere Verschnaufpausen gönnt und sich etwas weg von der bisherigen One-Man-Show des Protagonisten bewegt. Die Nebencharaktere kommen dennoch zu kurz. Die Hintergründe Cables, schön schroff von Josh Brolin dargestellt, werden des Plots wegen etwas ausführlicher beleuchtet. Die ebenfalls interessante Domino, die anders als in den Comics hier als Pam-Grier-Like Blaxploitation-Superheroin dargestellt wird, bekommt außer in den Actionszenen wenig Zeit, zu glänzen. Deadpool 2 ist ein Film mit Ryan Reynolds, der auch wenn er mal nicht zu sehen gefühlt ständig präsent ist und sich manchmal so anfühlt, als wäre er auch von ihm (immerhin hat der Mime beide Teile mitproduziert und am Buch mitgeschrieben).
Das prädestiniert Reynolds, in die Rolle des Deadpools zu schlüpfen, scheinen beide doch äußerste Egozentriker zu sein, ein bisschen in sich selbst verliebt, die wissen, dass man sie einfach toll finden muss, weil sie einfach so lausbübisch und lustig sind. Funktionieren tut dies nicht hundertprozentig. Das Gag- und Spruchfeuerwerk, das im Stakkato über den Zuschauer hereinbricht, zündet nicht immer. Deadpool 2 lässt sich hier mit dem damaligen Klassenclown in der Schule vergleichen, der immer mit Sprüchen um sich warf, von denen aber so einige ihr Ziel (meilenweit) verfehlten. Wenn sich der Film in der zweiten Hälfte dem Druck der Fans verwehrt, wird er zugänglicher. Die Gags funktionieren besser, ja irgendwie gewöhnt man sich an die Spruchdauersalven, obwohl sie - kennt man Teil 1 - nichts neues sind. Die Action füllt die Leinwand ganz aus, erhöht das Tempo des Films nochmal und bietet gute Fights, viel Gerumpel und einige ziemlich blutige Szenen (ohne groß zu spoilern geht das "X-Force-Massaker" fast in die Richtung Funsplatter). Mit Regisseur David Leitch, dessen Atomic Blonde ich vor kurzem besprochen habe, hat man sich dafür jemanden geholt, der mit solchen Szenen überzeugen und sowas inszenieren kann.
Dann ertappt man sich, dass das Grinsen immer breiter wird und dieser lausbübische Charme einen um den Finger gewickelt hat. Selbst wenn man erkennt, dass Deadpool schon anders ist, sich im Kern aber nicht groß von den großen Brüdern des MCU unterscheidet. Die Reihe ist eine Art adoleszente Form des Marvel-Films, eine filmische Pubertät, die nach einer konservativen, gleichförmigen Phase und den Vorbildern zugewandten Werken (trotz der ein oder zwei Ausreißer) über die Stränge schlägt, es gerne übertreibt und sich versucht. Das muss nicht immer funktionieren und kann auch scheitern. Das darf bescheuert sein, das darf lustig gemeint sein und dann vollkommen versagen. Kitschig darf es meinetwegen auch sein; die Lovestory, die Trauer Wades um die tote Dame des Herzens: emotionale Momente werden gerne mit einer lustigen Wendung erstickt. In der Pubertät kann das eben dann doch zu peinlich sein. Komplett könnte man es Deadpool 2 nicht abnehmen, wenn er versuchen würde, ernsthaft eine Botschaft mit auf den Weg zu geben. Oder versteckt sie sich doch zwischen all dem Action- und Gag(a)-Dauerfeuer? Vielleicht mit viel Augenzwinkern verdeckt: Schicksal ist, was man selbst daraus macht; man bestimmt seine Zukunft selbst - das zeigt uns Deadpool 2 in einem der größten Lacher des Films während des Abspanns, der zugleich die beste selbstironische Szene darstellt. Dann packt man noch ein wenig Familie dazu und das Herz schmilzt komplett; zumindest beim US-Publikum, bei dem man auch in R-Rating-Filmen mit grundkonservativen Themen punkten kann. Man verzeiht es dem Sequel, wie auch seine Schwierigkeiten, aus den anfänglichen episodischen Momenten auszubrechen und sich seiner Geschichte zu widmen. Für zwei Stunden Kurzweil reicht es, auch wenn der Unterhaltungsgrad im Vergleich zum ersten Teil minimal schwächer ist.
Deadpool spricht. Ständig. Egal ob mit den Protagonisten oder dem Zuschauer. Eröffnet wird der Film mit einer persönlichen Ansprache an den Zuschauer, der die sympathische Nervensäge dabei zeigt, wie er sich selbst in die Luft sprengt. Nach den Credits, die herrlich die Vorspänne der James Bond-Filme aufs Korn nehmen, erklärt uns Wade Wilson, wieso er zu diesem drastischen Schritt griff: Gangster, die ihn nach Hause verfolgten, verschaffen sich gewaltsam Zutritt und bringen seine Freundin Vanessa um. Die Trauer um sie wirft ihn in ein tiefes Loch und ausgerechnet X:Men-Mitglied Colossus nimmt sich diesem an, um ihm heraus zu helfen. Er wird zum "X-Men in Ausbildung" und trifft bei seinem ersten Einsatz auf den Jungen Russell, einem Mutanten mit leichten Aggressionsproblemen. Da Deadpool hierbei wie für ihn typisch über die Stränge schlägt, werden er und der Junge verhaftet und in die Ice Box, einem riesigen Gefängnis für Mutanten im tiefsten Kanada, gebracht. Dort treffen sie zum ersten Mal auf den Zeitreisenden Cable, der aus der Zukunft gekommen ist, um Russell umzubringen. Deadpool kann sich bei Cables Massaker in der Ice Box retten und ruft zu einem Casting für seine eigene Superheldengruppe, der X-Force auf, um mit seinen neuen Mitstreitern, darunter die ständig das Glück anziehende und für sich ausnutzende Domino, Russell zu befreien und vor Cable zu retten.
Das passiert in einem Affenzahn. In der ersten Hälfte des Films ergibt sich die Handlung mehr aus einer mit einem roten Faden versehenen episodischen Sammlung von Set Pieces, unterbrochen von Zwischensequenzen die sich mehr dem komödiantischen Teil widmen. Als Zuschauer findet man schwer in den Film hinein. Das Sequel lässt kaum zu, sich länger auf Charaktere, Situationen und die zugegeben zuerst recht dünnen Geschichte einzulassen. Das Druckmittel der Fanerwartungshaltung schlägt hier zu und es wird alles, was auch die comicunkundigeren Fans am Anarchohelden lieben lernten, in das Drehbuch gequetscht. Erst mit dem Überfall auf die Ice Box entwickelt sich eine zusammenhängendere Geschichte, die einem nun kleinere Verschnaufpausen gönnt und sich etwas weg von der bisherigen One-Man-Show des Protagonisten bewegt. Die Nebencharaktere kommen dennoch zu kurz. Die Hintergründe Cables, schön schroff von Josh Brolin dargestellt, werden des Plots wegen etwas ausführlicher beleuchtet. Die ebenfalls interessante Domino, die anders als in den Comics hier als Pam-Grier-Like Blaxploitation-Superheroin dargestellt wird, bekommt außer in den Actionszenen wenig Zeit, zu glänzen. Deadpool 2 ist ein Film mit Ryan Reynolds, der auch wenn er mal nicht zu sehen gefühlt ständig präsent ist und sich manchmal so anfühlt, als wäre er auch von ihm (immerhin hat der Mime beide Teile mitproduziert und am Buch mitgeschrieben).
Das prädestiniert Reynolds, in die Rolle des Deadpools zu schlüpfen, scheinen beide doch äußerste Egozentriker zu sein, ein bisschen in sich selbst verliebt, die wissen, dass man sie einfach toll finden muss, weil sie einfach so lausbübisch und lustig sind. Funktionieren tut dies nicht hundertprozentig. Das Gag- und Spruchfeuerwerk, das im Stakkato über den Zuschauer hereinbricht, zündet nicht immer. Deadpool 2 lässt sich hier mit dem damaligen Klassenclown in der Schule vergleichen, der immer mit Sprüchen um sich warf, von denen aber so einige ihr Ziel (meilenweit) verfehlten. Wenn sich der Film in der zweiten Hälfte dem Druck der Fans verwehrt, wird er zugänglicher. Die Gags funktionieren besser, ja irgendwie gewöhnt man sich an die Spruchdauersalven, obwohl sie - kennt man Teil 1 - nichts neues sind. Die Action füllt die Leinwand ganz aus, erhöht das Tempo des Films nochmal und bietet gute Fights, viel Gerumpel und einige ziemlich blutige Szenen (ohne groß zu spoilern geht das "X-Force-Massaker" fast in die Richtung Funsplatter). Mit Regisseur David Leitch, dessen Atomic Blonde ich vor kurzem besprochen habe, hat man sich dafür jemanden geholt, der mit solchen Szenen überzeugen und sowas inszenieren kann.
Dann ertappt man sich, dass das Grinsen immer breiter wird und dieser lausbübische Charme einen um den Finger gewickelt hat. Selbst wenn man erkennt, dass Deadpool schon anders ist, sich im Kern aber nicht groß von den großen Brüdern des MCU unterscheidet. Die Reihe ist eine Art adoleszente Form des Marvel-Films, eine filmische Pubertät, die nach einer konservativen, gleichförmigen Phase und den Vorbildern zugewandten Werken (trotz der ein oder zwei Ausreißer) über die Stränge schlägt, es gerne übertreibt und sich versucht. Das muss nicht immer funktionieren und kann auch scheitern. Das darf bescheuert sein, das darf lustig gemeint sein und dann vollkommen versagen. Kitschig darf es meinetwegen auch sein; die Lovestory, die Trauer Wades um die tote Dame des Herzens: emotionale Momente werden gerne mit einer lustigen Wendung erstickt. In der Pubertät kann das eben dann doch zu peinlich sein. Komplett könnte man es Deadpool 2 nicht abnehmen, wenn er versuchen würde, ernsthaft eine Botschaft mit auf den Weg zu geben. Oder versteckt sie sich doch zwischen all dem Action- und Gag(a)-Dauerfeuer? Vielleicht mit viel Augenzwinkern verdeckt: Schicksal ist, was man selbst daraus macht; man bestimmt seine Zukunft selbst - das zeigt uns Deadpool 2 in einem der größten Lacher des Films während des Abspanns, der zugleich die beste selbstironische Szene darstellt. Dann packt man noch ein wenig Familie dazu und das Herz schmilzt komplett; zumindest beim US-Publikum, bei dem man auch in R-Rating-Filmen mit grundkonservativen Themen punkten kann. Man verzeiht es dem Sequel, wie auch seine Schwierigkeiten, aus den anfänglichen episodischen Momenten auszubrechen und sich seiner Geschichte zu widmen. Für zwei Stunden Kurzweil reicht es, auch wenn der Unterhaltungsgrad im Vergleich zum ersten Teil minimal schwächer ist.
Dienstag, 15. Mai 2018
Auge um Auge
Fernando di Leo weiß oder war sich zumindest sicher: die Kluft zwischen Arm und Reich ist überwindbar. Überbrückbar. Was Erwachsene nicht schaffen, vermögen Kinder mit Leichtigkeit fertig zu bringen: Fabrizio ist der Sohn des verwitweten Motoradschraubers Mario, Antonio ist der Sprössling des schwerreichen Bauunternehmers Filippini. Die Credits von Auge um Auge machen unmöglich geglaubtes möglich: Mario braust mit dem Sohnemann hinter sich auf dem Motorrad zur Schule, Antonio mit der noblen Karosse des Vaters mitsamt Chauffeur. Wenn dieses ungleiche Bild mit Vertretern des Proletariats und reicher Oberschicht entsteht, der Motorradfahrer neben dem teuren Auto an der Ampel steht und diesen krassen Kontrast bilden, lässt der Film diesen in sich zusammenfallen, als sich die beiden Schüler vom Gefährt aus grüßen. Kaum an der Lehranstalt angekommen, vereint in Freundschaft, braust ein Wagen vor, maskierte Menschen springen heraus und versuchen, Antonio zu entführen. Fabrizio versucht mit aller Kraft, seinem Freund zu helfen, die Entführung zu verhindern und muss wegen der geleisteten Gegenwehr am Ende mit in den Wagen.
Daraufhin kredenzt uns di Leo einen manchmal zähen, einfach aufgebauten Entführungskrimi. Das Kidnapping schlägt Wellen, die Zeitungen berichten in Sonderausgaben darüber, die Polizei ist in heller Aufruhr, sucht Antonios Vater bei der Arbeit auf um ihm die fürchterliche Nachricht zu überbringen. Mario erfährt zufällig durch die Zeitungen davon und schlägt sich auf eigene Faust zum Haus des Bauunternehmers vor. Dort findet er einen fast ratlosen Kommissaren, die hysterische Mutter und den eisernen Vater kennen. Letzterer weigert sich, das geforderte Lösegeld zu zahlen, da er es für zu hoch hält. Die Verhandlungen ziehen sich in die Länge, die Kidnapper üben mehr Druck aus und drohen damit, eines der Kinder zu ermorden, wenn Filippini nicht nachgibt. Alles Flehen des finanziell nicht gut gepolsterten Marios hilft nichts, dieser bleibt hart und die Kidnapper erschießen, als sie ihre Drohungen wahr machen, dessen Sohn. Der Mechaniker sieht daraufhin wie einst Charles Bronson rot und startet einen Rachefeldzug. Bis dahin kämpft sich der mit Ungereimtheiten gespickte Plot mühsam in die zweite Hälfte, die Auge um Auge fast zu einem komplett anderen Film macht und durch den Originaltitel, der ins Deutsche übersetzt Die schockierte Stadt: rücksichtslose Jagd auf die Entführer lautet, sehr treffend beschrieben wird.
Wenn Luc Merenda Selbstjustiz als einzige Form seiner persönlichen Genugtuung in Betracht zieht, legt das Buch ein paar Bricketts nach. Das entfachte Feuer in der Story kommt dem Film zu gute. Dem sichtbar geringen Budget zum Trotz mausert sich Auge um Auge zu einem straighten Racheactioner. Im Vergleich zu anderen Filmen aus Italien aus dieser Zeit zwar zahmer (obwohl er sich nicht groß vom Rest unterscheidet), aber mit einigen netten Szenen - darunter eine gut gefilmte Verfolgungsjagd durch eine verwinkelte, kleine Ortschaft - versehen. Merendas Figur kämpft sich durch eine ganze Gangsterorganisation und manchmal fühlt sich die erste Hälfte so an, als wäre sie nur ein zu lang geratener Aufbau dafür gewesen. Richtig zusammenfügen kann di Leo die beiden Hälften leider nicht; der Film zeigt, dass der Italiener besser mit aktionsreichen Stoffen konnte und deren genutzte Dynamik auch gut auf den restlichen Plot übertragen konnte. Bei Auge um Auge fällt es ihm schwer, die zugegeben undankbar zusammenkonstruierte Geschichte voran zu treiben. Das, was di Leo darin zu sagen hat, geht fast sogar unter dabei.
Der Zeit seines Lebens politisch immer links orientierte Regisseur entfacht in dieser ersten Hälfte einen Klassenkampf auf Dialogebene; Proletariat gegen Oberschicht, arm gegen reich. Die Sympathien verteilt di Leo zügig auf den Mechaniker, den einfachen Bürger, der am emotional versteinerten, kühl kalkulierenden Reichen scheitert. Dieser vom in die Jahre gekommenen James Mason dargestellte Bauunternehmer wird schön verabscheuungswürdig gezeichnet. Ein Mensch, der selbst dem eigenen Sohn einen maximalen, nicht überschreitbaren Geldwert zurechnet, kann kaum noch ein Wesen mit menschlichen Zügen sein. Marios Kampf mit Filippi ist hart und der Mechaniker zerschellt an diesem; seine Verzweiflung wächst und explodiert in der Szene, als er den toten Sohn identifizieren muss. Selten erlangt Auge um Auge eine Durchschlagkraft, wie er sie dort besitzt. Die Logiklöcher, der konstruierte Plot, der auf das unvermeidbare für Mario zusteuert, bremsen in ihrem spröden Wesen diese aus. Das von di Leo gewollte Politikum wabert nur leicht erahnbar, im Hintergrund schlummernd, durch den Raum. Entfalten kann es sich kaum. Leider. Besitzt er doch (auch in der deutschen Sprachfassung) einige verbissene und scharfe Dialoge. Mario und Filippini werden, das spürt man als Zuschauer, nie das sein, was ihre Söhne waren: Freunde, bei denen die soziale Herkunft keine Rolle spielt. Das schenkt Auge und Auge eine gewisse Zeitlosigkeit, was den sonst durchschnittlichen Film, dessen Score übrigens häufiger Motive von di Leos Milano Kaliber 9 aufgreift und damit noch etwas punkten kann, interessant bleiben lässt.
Daraufhin kredenzt uns di Leo einen manchmal zähen, einfach aufgebauten Entführungskrimi. Das Kidnapping schlägt Wellen, die Zeitungen berichten in Sonderausgaben darüber, die Polizei ist in heller Aufruhr, sucht Antonios Vater bei der Arbeit auf um ihm die fürchterliche Nachricht zu überbringen. Mario erfährt zufällig durch die Zeitungen davon und schlägt sich auf eigene Faust zum Haus des Bauunternehmers vor. Dort findet er einen fast ratlosen Kommissaren, die hysterische Mutter und den eisernen Vater kennen. Letzterer weigert sich, das geforderte Lösegeld zu zahlen, da er es für zu hoch hält. Die Verhandlungen ziehen sich in die Länge, die Kidnapper üben mehr Druck aus und drohen damit, eines der Kinder zu ermorden, wenn Filippini nicht nachgibt. Alles Flehen des finanziell nicht gut gepolsterten Marios hilft nichts, dieser bleibt hart und die Kidnapper erschießen, als sie ihre Drohungen wahr machen, dessen Sohn. Der Mechaniker sieht daraufhin wie einst Charles Bronson rot und startet einen Rachefeldzug. Bis dahin kämpft sich der mit Ungereimtheiten gespickte Plot mühsam in die zweite Hälfte, die Auge um Auge fast zu einem komplett anderen Film macht und durch den Originaltitel, der ins Deutsche übersetzt Die schockierte Stadt: rücksichtslose Jagd auf die Entführer lautet, sehr treffend beschrieben wird.
Wenn Luc Merenda Selbstjustiz als einzige Form seiner persönlichen Genugtuung in Betracht zieht, legt das Buch ein paar Bricketts nach. Das entfachte Feuer in der Story kommt dem Film zu gute. Dem sichtbar geringen Budget zum Trotz mausert sich Auge um Auge zu einem straighten Racheactioner. Im Vergleich zu anderen Filmen aus Italien aus dieser Zeit zwar zahmer (obwohl er sich nicht groß vom Rest unterscheidet), aber mit einigen netten Szenen - darunter eine gut gefilmte Verfolgungsjagd durch eine verwinkelte, kleine Ortschaft - versehen. Merendas Figur kämpft sich durch eine ganze Gangsterorganisation und manchmal fühlt sich die erste Hälfte so an, als wäre sie nur ein zu lang geratener Aufbau dafür gewesen. Richtig zusammenfügen kann di Leo die beiden Hälften leider nicht; der Film zeigt, dass der Italiener besser mit aktionsreichen Stoffen konnte und deren genutzte Dynamik auch gut auf den restlichen Plot übertragen konnte. Bei Auge um Auge fällt es ihm schwer, die zugegeben undankbar zusammenkonstruierte Geschichte voran zu treiben. Das, was di Leo darin zu sagen hat, geht fast sogar unter dabei.
Der Zeit seines Lebens politisch immer links orientierte Regisseur entfacht in dieser ersten Hälfte einen Klassenkampf auf Dialogebene; Proletariat gegen Oberschicht, arm gegen reich. Die Sympathien verteilt di Leo zügig auf den Mechaniker, den einfachen Bürger, der am emotional versteinerten, kühl kalkulierenden Reichen scheitert. Dieser vom in die Jahre gekommenen James Mason dargestellte Bauunternehmer wird schön verabscheuungswürdig gezeichnet. Ein Mensch, der selbst dem eigenen Sohn einen maximalen, nicht überschreitbaren Geldwert zurechnet, kann kaum noch ein Wesen mit menschlichen Zügen sein. Marios Kampf mit Filippi ist hart und der Mechaniker zerschellt an diesem; seine Verzweiflung wächst und explodiert in der Szene, als er den toten Sohn identifizieren muss. Selten erlangt Auge um Auge eine Durchschlagkraft, wie er sie dort besitzt. Die Logiklöcher, der konstruierte Plot, der auf das unvermeidbare für Mario zusteuert, bremsen in ihrem spröden Wesen diese aus. Das von di Leo gewollte Politikum wabert nur leicht erahnbar, im Hintergrund schlummernd, durch den Raum. Entfalten kann es sich kaum. Leider. Besitzt er doch (auch in der deutschen Sprachfassung) einige verbissene und scharfe Dialoge. Mario und Filippini werden, das spürt man als Zuschauer, nie das sein, was ihre Söhne waren: Freunde, bei denen die soziale Herkunft keine Rolle spielt. Das schenkt Auge und Auge eine gewisse Zeitlosigkeit, was den sonst durchschnittlichen Film, dessen Score übrigens häufiger Motive von di Leos Milano Kaliber 9 aufgreift und damit noch etwas punkten kann, interessant bleiben lässt.
Mittwoch, 9. Mai 2018
The Villainess
Die eigene Vergangenheit lässt einen nie richtig los. Zwischen Tränendrüsendrücker-Melodram und State of the Art-Action zelebriert Jeong Byeong-gil dies in seinem dritten Film The Villainess und lässt die Prämisse seiner Geschichte irgendwo auf der Strecke. Sie wird wie Protagonistin Sook-hee verschluckt. Während diese langsam in den Schlund der näher schleichenden Monster der bisherigen Lebensgeschichte gleitet, lässt der Film aus, blendet aus, ignoriert. Es wird angerissen, als würden nach einer Amnesie dämmernde Fetzen der Erinnerung aufblitzen und im dunkel des Vergessens verschwinden. Darüber packt man atemberaubende Actionsequenzen, in langen One-Takes, nahe am Geschehen dran gefilmt. Es fühlt sich an, als möchte der Film die Lücken seiner Story damit ausstopfen und davon ablenken.
Sook-hee ist eine junge, unscheinbar erscheinende, aber brandgefährliche Frau. Sie mäht im Alleingang ein ganzes Haus vollgestopft mit halbseidenen Gestalten der Unterwelt nieder um dann, nach der erlangten Katharsis, von der Polizei aufgegriffen zu werden. Dem Untergrund, wie uns The Villainess in verschachtelt montierten Rückblenden lehrt, selbst entstiegen, wechselt Sook-hee dort die Seiten. Eine geheime Organisation bildet sie zur Schläferin in einem abgeriegelten Camp aus, um nach erfolgreicher Ausbildung in einem ihr geschenkten, bürgerlichen Leben samt neuer Identität, Auftragsmorde auszuführen. Nicht wissend, das ihr neuer Nachbar ein von der eigenen Organisation abgestellter Spitzel zu ihrer Überwachung ist, verliebt sie sich in den unnachgiebig um sie werbenden Herren, wird allerdings von ihrer Vergangenheit bei einem Auftrag während der eigenen Hochzeit eingeholt. Alte, vergessen geglaubte Gefühle schwappen in ihr hoch und es entbrennt ein Konflikt um Leben und Tod.
So unglaublich und technisch einwandfrei The Villainess in den Actionszenen ist, ein gutes Gleichgewicht zwischen leisen und lautstark krachigen Momenten findet er wenig. Die Konzentration auf Sook-hees Leben außerhalb der Organisation, das langsame Anbandeln mit ihrem hartnäckigen Verehrer, das sich zurechtfinden in dem neuen Leben bis ihr alter, innewohnender Rachegeist erneut erwacht: es treibt auf einer narrativen Oberfläche ohne komplett eine emotionale Ebene erschaffen zu können. Die ausgesparten, wenig erklärten Hintergründe über die Organisation, die sich der Frau, mehr ihres Lebens, annimmt, über das alte Leben Sook-hees, ist hinderlich für die Entwicklung der Story. Richtig kann dies den Zuschauer nicht packen. Die melodramatischen Einschläge, wie sie viele Actionfilme aus Korea besitzen, können sich nur bedingt entfalten. Der ihnen eingeräumte Platz wird mit guten Leistungen im Schauspiel, einigen stimmigen Momenten und hübschen Bildern ausgefüllt; dahinter verbirgt sich leider ein dünnes, brüchiges Geäst emotionaler Zwangsmomente, die sich nicht auf den Zuschauer übertragen können.
Bedauernswert, ist The Villainess in seinen besten Momenten tatsächlich ein einnehmendes, modern ausgestaltetes Actionspektakel, dass sich grob an furios choreographierter Action wie in Atomic Blonde (hier besprochen) oder dem traditionellen Heroic Bloodshed-Film des Hong Kong-Kinos orientiert. Ganz selten dringt auch die Tragik in einigen Momenten dorthin, wohin die Geschichte von Beginn an zielt. Dann hetzt man wie Sook-hee der herbeigesehnten Erlösung entgegen; ein vollständiges Aufgehen in der Geschichte, dem Versinken darin bzw. auf Seiten der Protagonistin den andauernden Durst der blutig gewünschten Rache stillend. Doch dann ist jede Träne und jeder Tropfen Blut vergossen, die Credits rollen ihren Weg über den Bildschirm und The Vilainess lässt einen verloren zurück. Irgendwas fehlte da zum kompletten Filmglück. Es beginnt so wie es endet; im Film wie vor dem Bildschirm: das vermeintliche Ende ist der Beginn einer Geschichte, die ob all' ihrer Tragik, all' der unvermeidbaren Gewalt nach mehr dürsten lässt. Weil man den aufblitzenden Geist, die Seele einer melodramatischen Geschichte aufblitzen sieht, der leider allzu schnell verblasst. Im Vergleich mit manchen Actionblockbustern aus der Traumfabrik besitzt der Film immer noch mehr als diese.
Sook-hee ist eine junge, unscheinbar erscheinende, aber brandgefährliche Frau. Sie mäht im Alleingang ein ganzes Haus vollgestopft mit halbseidenen Gestalten der Unterwelt nieder um dann, nach der erlangten Katharsis, von der Polizei aufgegriffen zu werden. Dem Untergrund, wie uns The Villainess in verschachtelt montierten Rückblenden lehrt, selbst entstiegen, wechselt Sook-hee dort die Seiten. Eine geheime Organisation bildet sie zur Schläferin in einem abgeriegelten Camp aus, um nach erfolgreicher Ausbildung in einem ihr geschenkten, bürgerlichen Leben samt neuer Identität, Auftragsmorde auszuführen. Nicht wissend, das ihr neuer Nachbar ein von der eigenen Organisation abgestellter Spitzel zu ihrer Überwachung ist, verliebt sie sich in den unnachgiebig um sie werbenden Herren, wird allerdings von ihrer Vergangenheit bei einem Auftrag während der eigenen Hochzeit eingeholt. Alte, vergessen geglaubte Gefühle schwappen in ihr hoch und es entbrennt ein Konflikt um Leben und Tod.
So unglaublich und technisch einwandfrei The Villainess in den Actionszenen ist, ein gutes Gleichgewicht zwischen leisen und lautstark krachigen Momenten findet er wenig. Die Konzentration auf Sook-hees Leben außerhalb der Organisation, das langsame Anbandeln mit ihrem hartnäckigen Verehrer, das sich zurechtfinden in dem neuen Leben bis ihr alter, innewohnender Rachegeist erneut erwacht: es treibt auf einer narrativen Oberfläche ohne komplett eine emotionale Ebene erschaffen zu können. Die ausgesparten, wenig erklärten Hintergründe über die Organisation, die sich der Frau, mehr ihres Lebens, annimmt, über das alte Leben Sook-hees, ist hinderlich für die Entwicklung der Story. Richtig kann dies den Zuschauer nicht packen. Die melodramatischen Einschläge, wie sie viele Actionfilme aus Korea besitzen, können sich nur bedingt entfalten. Der ihnen eingeräumte Platz wird mit guten Leistungen im Schauspiel, einigen stimmigen Momenten und hübschen Bildern ausgefüllt; dahinter verbirgt sich leider ein dünnes, brüchiges Geäst emotionaler Zwangsmomente, die sich nicht auf den Zuschauer übertragen können.
Bedauernswert, ist The Villainess in seinen besten Momenten tatsächlich ein einnehmendes, modern ausgestaltetes Actionspektakel, dass sich grob an furios choreographierter Action wie in Atomic Blonde (hier besprochen) oder dem traditionellen Heroic Bloodshed-Film des Hong Kong-Kinos orientiert. Ganz selten dringt auch die Tragik in einigen Momenten dorthin, wohin die Geschichte von Beginn an zielt. Dann hetzt man wie Sook-hee der herbeigesehnten Erlösung entgegen; ein vollständiges Aufgehen in der Geschichte, dem Versinken darin bzw. auf Seiten der Protagonistin den andauernden Durst der blutig gewünschten Rache stillend. Doch dann ist jede Träne und jeder Tropfen Blut vergossen, die Credits rollen ihren Weg über den Bildschirm und The Vilainess lässt einen verloren zurück. Irgendwas fehlte da zum kompletten Filmglück. Es beginnt so wie es endet; im Film wie vor dem Bildschirm: das vermeintliche Ende ist der Beginn einer Geschichte, die ob all' ihrer Tragik, all' der unvermeidbaren Gewalt nach mehr dürsten lässt. Weil man den aufblitzenden Geist, die Seele einer melodramatischen Geschichte aufblitzen sieht, der leider allzu schnell verblasst. Im Vergleich mit manchen Actionblockbustern aus der Traumfabrik besitzt der Film immer noch mehr als diese.
Montag, 7. Mai 2018
Der blutige Pfad Gottes
Gleich vorneweg: Der blutige Pfad Gottes, dieser "geile", "hammergeniale" oder "absolut abgefahrene" Film der es beim durchschnittlichen Filmfreund über die Jahre zu einem Kultstreifen geschafft ist, ist kein guter Film. Um das "Bashing" zu beginnen muss ich leicht ausholen. Seien wir ehrlich: das Dilemma, das solche vergessenswerte Filme, die sich munter durch kleine und große Werke der vergangenen Jahrzehnte zitieren, begann doch mit diesem einen Mann, dessen kultische Verehrung von diesen Durchschnittsfilmleuten sich mir heute noch nicht erschlossen hat: Quentin Tarantino. Ich bin es nicht müde zu sagen, dass der Zauber seiner Filme, seine vielgepriesenen Qualitäten, genau dann ihren Glanz verlieren, wenn man Tarantinos Vorbilder, die er ja auch nur fröhlich zitiert, remixt, mashupped und mit leichter eigenen Note versieht, kennt und gesehen hat. Wenigstens hat Tarantino aber so viel Talent und hat beim VHS-Verschlingen zu damaligen Videothekarenzeiten so gut aufgepasst, dass er ja wirklich was kann. Man soll mich nicht falsch verstehen: Tarantino geht okay. Pulp Fiction ist wirklich ein Kultfilm und würde sich Tarantino und seine Fähigkeiten nicht so merklich geil finden und sich zusammenreißen, wären auch seine anderen Filme nicht nur okay bis sehenswert, sondern richtige Knaller.
Nach Tarantinos Erfolg kamen sie alle und machten Natural Born Killers, True Romance (wobei Tarantino bei beiden das Drehbuch verfasste...), U Turn, Thursday, Love and a .45 (eigentlich ein kleiner Geheimtipp) und wie sie alle heißen. Irgendwann tauchte dann der Kanadier Troy Duffy auf und präsentierte seine zwei heiligen Mörderbrüder, die als Vigilanten durch Boston stapfen und der Reihe nach Mafiagangster umnieten. Eigentlich war es ja nur ein Versehen, dass Connor und Murphy MacManus als rächendes Brüderpaar unterwegs ist und nach ihrem ersten Mord von FBI-Agent Paul Smecker verfolgt werden. In der Lieblingsbar aufgetauchte Mitglieder der russischen Mafia erhalten eine ordentliche Tracht Prügel, möchten sich am Tag darauf an den Brüdern rächen und beißen dann zufällig bei der Auseinandersetzung ins Gras. Da die Brüder scheinbar ohnehin wenig zu tun haben, finden sie urplötzlich eine neue Berufung, bekommen mit dem Mafialaufburschen Rocco noch einen dritten Mitstreiter und mischen die örtliche Unterwelt auf, indem sie einen Gangster nach dem anderen kalt machen.
Das Drehbuch verfasste Autor und Regisseur Duffy während seiner Tätigkeit als Türsteher in einer Bar. Ich persönlich nehme an, dass das Buch wegen großen Arbeitsaufkommen nebenher auf einen dünnen Block gekritzelt wurde. Der blutige Pfad Gottes bietet wenig Story, leider auch wenig Eigenständigkeit und wirklich hängenbleibende Szenen, um überhaupt punkten zu können. Der Kanadier orientiert sich merklich an seinen großen Vorbildern und ist bemüht, ein cooles Ding nach dem anderen zu präsentieren. Das geht leider äußerst selten auf. Duffys verkrampfte Regie hetzt gestresst von einer Szene zur anderen um in diesen die seine heilige Dreifaltigkeit Coolness, Gewalt und schrägen Humor voll aufzudrehen. Die Multiplikatoren erreichen dabei niemals das gewollt hohe Ergebnis. Die Coolness ist spürbar aufgesetzt, die damit verbundene Gewalt lässt kalt, da Duffys Buch es versäumt, seine Figuren wenigstens im Ansatz etwas feiner zu zeichnen und der Film von Anfang bis Ende unangenehm oberflächlich, weil äußerst flach, bleibt. Über den Humor will man gar nicht reden. Duffy klebt viele Klischees zusammen, lässt krawalligen Witz regieren der die weitere Laufzeit über anstrengend wird, aber in keinster Weise lustig ist. Gut zu bemerken am Nebencharakter Rocco, der einem in seiner hyperaktiven Darstellung schnell auf den Zeiger geht.
Das, was Duffy mit Der blutige Pfad Gottes versucht, kann Tarantino besser. Wenn man sich schlechte Kopien, ein faules und unmotiviertes Plagiat dessen Werke, was Duffys Film im Endeffekt ist, anschaut, wird einem dies erst wieder richtig bewusst. Die wenigen positiven Dinge können den Film kaum retten. Duffys sprunghafter Erzählstil, der in den Zeiten vorspringt um zuerst ausgesparte Stränge der Handlung als Rückblende nachzuerzählen, erweist sich überraschend nicht als fahrig oder angestrengt bemüht künstlerisch. Einer der wenigen Moves des Regisseurs, der wirklich cool ist. Zweiter großer Pluspunkt ist auf darstellerischer Seite Willem Dafoe, der den schrägen wie getriebenen FBI-Mann großartig overacted und immer einen Grinser auf seiner Seite hat, sobald er im Bild ist. Helfen tut dies dem Film wenig. Schnell verabschiedet man sich innerlich von diesem krachigen Gemälde des stilisierten Stumpfsinns, der sich nicht nur allein bei Tarantino, sondern (wie dieser selbst) an Gangsterfilmen der letzten Jahrzehnte oder Ansatzweise der Ästhetik der Heroic Bloodshed-Werken des Hong Kong-Kinos orientiert. Wenn alles zu Ende ist, atmet man erleichtert auf, diesen ärgerlichen Pfad des Copy & Paste-Kinos überhaupt beschritten zu haben. Kult ist das nur für Leute, die sich von dieser Film gewordenen Kopienoverkill ohne Gegenwehr überwältigen lassen und auf lauten Krawall ohne Sinn stehen. Sinnlos, cool und gut gibt's auch für mich - Der blutige Pfad Gottes gehört nicht dazu.
Nach Tarantinos Erfolg kamen sie alle und machten Natural Born Killers, True Romance (wobei Tarantino bei beiden das Drehbuch verfasste...), U Turn, Thursday, Love and a .45 (eigentlich ein kleiner Geheimtipp) und wie sie alle heißen. Irgendwann tauchte dann der Kanadier Troy Duffy auf und präsentierte seine zwei heiligen Mörderbrüder, die als Vigilanten durch Boston stapfen und der Reihe nach Mafiagangster umnieten. Eigentlich war es ja nur ein Versehen, dass Connor und Murphy MacManus als rächendes Brüderpaar unterwegs ist und nach ihrem ersten Mord von FBI-Agent Paul Smecker verfolgt werden. In der Lieblingsbar aufgetauchte Mitglieder der russischen Mafia erhalten eine ordentliche Tracht Prügel, möchten sich am Tag darauf an den Brüdern rächen und beißen dann zufällig bei der Auseinandersetzung ins Gras. Da die Brüder scheinbar ohnehin wenig zu tun haben, finden sie urplötzlich eine neue Berufung, bekommen mit dem Mafialaufburschen Rocco noch einen dritten Mitstreiter und mischen die örtliche Unterwelt auf, indem sie einen Gangster nach dem anderen kalt machen.
Das Drehbuch verfasste Autor und Regisseur Duffy während seiner Tätigkeit als Türsteher in einer Bar. Ich persönlich nehme an, dass das Buch wegen großen Arbeitsaufkommen nebenher auf einen dünnen Block gekritzelt wurde. Der blutige Pfad Gottes bietet wenig Story, leider auch wenig Eigenständigkeit und wirklich hängenbleibende Szenen, um überhaupt punkten zu können. Der Kanadier orientiert sich merklich an seinen großen Vorbildern und ist bemüht, ein cooles Ding nach dem anderen zu präsentieren. Das geht leider äußerst selten auf. Duffys verkrampfte Regie hetzt gestresst von einer Szene zur anderen um in diesen die seine heilige Dreifaltigkeit Coolness, Gewalt und schrägen Humor voll aufzudrehen. Die Multiplikatoren erreichen dabei niemals das gewollt hohe Ergebnis. Die Coolness ist spürbar aufgesetzt, die damit verbundene Gewalt lässt kalt, da Duffys Buch es versäumt, seine Figuren wenigstens im Ansatz etwas feiner zu zeichnen und der Film von Anfang bis Ende unangenehm oberflächlich, weil äußerst flach, bleibt. Über den Humor will man gar nicht reden. Duffy klebt viele Klischees zusammen, lässt krawalligen Witz regieren der die weitere Laufzeit über anstrengend wird, aber in keinster Weise lustig ist. Gut zu bemerken am Nebencharakter Rocco, der einem in seiner hyperaktiven Darstellung schnell auf den Zeiger geht.
Das, was Duffy mit Der blutige Pfad Gottes versucht, kann Tarantino besser. Wenn man sich schlechte Kopien, ein faules und unmotiviertes Plagiat dessen Werke, was Duffys Film im Endeffekt ist, anschaut, wird einem dies erst wieder richtig bewusst. Die wenigen positiven Dinge können den Film kaum retten. Duffys sprunghafter Erzählstil, der in den Zeiten vorspringt um zuerst ausgesparte Stränge der Handlung als Rückblende nachzuerzählen, erweist sich überraschend nicht als fahrig oder angestrengt bemüht künstlerisch. Einer der wenigen Moves des Regisseurs, der wirklich cool ist. Zweiter großer Pluspunkt ist auf darstellerischer Seite Willem Dafoe, der den schrägen wie getriebenen FBI-Mann großartig overacted und immer einen Grinser auf seiner Seite hat, sobald er im Bild ist. Helfen tut dies dem Film wenig. Schnell verabschiedet man sich innerlich von diesem krachigen Gemälde des stilisierten Stumpfsinns, der sich nicht nur allein bei Tarantino, sondern (wie dieser selbst) an Gangsterfilmen der letzten Jahrzehnte oder Ansatzweise der Ästhetik der Heroic Bloodshed-Werken des Hong Kong-Kinos orientiert. Wenn alles zu Ende ist, atmet man erleichtert auf, diesen ärgerlichen Pfad des Copy & Paste-Kinos überhaupt beschritten zu haben. Kult ist das nur für Leute, die sich von dieser Film gewordenen Kopienoverkill ohne Gegenwehr überwältigen lassen und auf lauten Krawall ohne Sinn stehen. Sinnlos, cool und gut gibt's auch für mich - Der blutige Pfad Gottes gehört nicht dazu.
Sonntag, 6. Mai 2018
Die Fliege (1986)
Innerhalb der Filmwelt gibt es drei Regisseure mit dem Vornamen David, die es mir wirklich angetan haben. Zum einen wäre da Herr Fincher, den ich mit seinen neueren Werken leider etwas aus den Augen verloren habe. Danach kommt David Lynch, bei dem ich zwar leider auch noch nicht die ganze Filmographie durch habe, dessen verquerte, surreal angehauchten Meisterwerke aber schon früh in meiner filmischen Sozialisation mein Herz trafen. Noch tiefer trafen mich die Filme von "meinem" David Cronenberg; leider teilt er sich derzeit das Schicksal mit David Fincher: Cronenbergs neuere Filme wollen alle erst noch entdeckt werden. Begonnen hat die Liebe zu seinen Filmen, von denen mein liebster (bisher) immer noch Videodrome ist, gleich mit dem ersten, den ich vom Kanadier sah: seinem Remake vom 50er-Science-Fiction-Horrorfilm Die Fliege, welchen ich damals einige Zeit zuvor auch schon sah.
Was hat mich die Geschichte um den Wissenschaftler Seth Brundle, dem es gelungen ist, Maschinen zur funktionierenden Teleportation zu fertigen, damals weggeblasen. Grund dafür waren die heute noch vorzüglich funktionierenden Effekte, die dokumentieren, wie sich Brundle nach einem Eigenversuch nach und nach zu etwas schrecklichem verwandelt. Gelang ihm zuvor immer nur die Teleportation lebloser Dinge, bringt er seine Forschungen so weit, dass er nach einem unschönen Versuch an einem Pavian endlich auch fleischliches mit seiner Apparatur transportieren kann. Dokumentiert wird dies von der energischen Journalistin Veronica, die für ein Wissenschaftsmagazin eine Story über den menschenscheuen Brundle und seine Arbeit schreiben soll. Der davon nicht begeisterte Forscher überredet Veronica, dass sie Exklusivrechte an einem Buch über seine Arbeit bekommt und seine Fortschritte dokumentiert und auf Video festhält, wenn sie noch nichts über seine Entdeckung schreibt. Sie kommen sich näher und eine kleine Krise führt dazu, dass der aufgewühlte Brundle bei seinem Selbstversuch nicht aufpasst: eine Fliege verirrt sich in seine Teleportationskabine, was dazu führt das der Computer seine und die Gene des Insekts zu einem wieder zusammensetzt. Infolgedessen verwandelt sich Brundle, der seine Wesensveränderung zuerst auf eine reinigende Kraft des Prozesses schiebt, in ein Wesen aus Mensch und Fliege.
Was Cronenberg aus der charmanten, aber leicht naiven Vorlage macht, ist kein typischer Horrorfilm, kein zu erwartendes Creature Feature mit gehöriger Monster Mayhem sondern eine für den Regisseur charakteristisch kühle Studie eines isolierten und entfremdeten Menschen. Das ist Brundle zu Beginn, in den Cronenberg die Zuschauer, ohne die Story vorher großartig aufzubauen, hinein wirft und mit den Eigenheiten seiner Protagonisten konfrontiert. Jeff Goldblum, der hier wirklich sehr gut spielt, ist ein Wissenschaftler, der ganz für seine Arbeit lebt, keinen Kontakt zu Menschen pflegt und seine komplette Energie seiner Arbeit widmet. Er ist schrullig; kein ganzer Mann, aber ein ganzer Nerd, in dessen menschlicher Hülle ein sozialer Außerirdischer steckt. Erst die Liaison mit Veronica vollführt eine Wandlung hin zum normalen Menschen. Seth wirkt lockerer, weniger steif, sein Kleidungsstil nähert sich dem damaligen Zeitgeist an, Veronica führt ihn im Kosmos des Films in die Allgemeinheit an. Cronenberg lässt seinen Hauptcharakter nur kurz dort verweilen und drängt in sein Metier, den Body Horror. Brundles schleichende, körperliche Veränderung ist 2018 noch so beeindruckend wie eklig zugleich. Bei der allerersten Sichtung bescherte mir die grandiose Effektarbeit tatsächlich ein flaues Gefühl im Magen, obwohl ich ansonsten nicht sehr zimperlich bin.
Cronenbergs Die Fliege ist ein interpretationsreicher, intelligenter Horrorfilm. Einerseits kann man ihn als pervertiertes Beziehungsdrama sehen, die die Wandlung des schüchternen, sympathischen Mannes in ein (wortwörtliches, körperlich manifestiertes) Ekel zeigt und die Rolle des Ex-Freundes von Veronica, der dritten näher beleuchteten Figur, einnimmt. Brundles Probleme und Konfrontation mit zwischenmenschlichen Beziehungen lassen ihn (und noch einmal: wortwörtlich) zum Tier werden; die durch die Verschmelzung mit der Fliege erlangten Fähigkeiten werden zum eigenen Vorteil (aus)genutzt. Weiters kann man die Transformation Jeff Goldblums auch als Metapher auf Krankheiten sehen. Durch seine Entstehungszeit kommt einem natürlich sofort die damalige Angst vor dem aufkommenden AIDS-Virus in den Sinn. Letztendlich entdeckt man in Die Fliege auch Bezüge auf die sich damals auf ihrem Höhepunkt befindliche New Age-Bewegung, wenn der am Anfang seiner körperlichen Verwandlung stehende Wissenschaftler sich durch die Teleportation gereinigt, mit neuer Energie und Kraft ausgestattet, fühlt. Seine Überredungsversuche, dass auch Veronica diesen Schritt gehen soll, scheitern.
Neben Seths körperlicher Veränderung ist auch sein Wesen betroffen. Die eintreffende Erleuchtung, dass Teleportation den Menschen uns sein Dasein auf eine neue Stufe bringt, erweist sich als Trugschluss. Die gefühlte Neugeburt des eigenen Seins - hier beachte man die auffällige Ei-Form der Teleporter-Kabinen - ist mehr der Übergang in eine neue körperliche Form. Cronenberg lässt den menschlichen Körper wieder leiden, erschafft ihn neu, kehrt inneres nach außen und lässt Mensch, Tier und sogar Maschine miteinander verschmelzen. Letzteres könnte sogar ein Kommentar auf die Gefahren der neuen Technik sein, auf die sich der Mensch immer weiter verlässt. Ein Motiv, dass sich in vielen Werken des Kanadiers wiederfindet und sie im Gros der üblichen Horrorfilme der damaligen Zeit herausstechen lässt. Einzig das Ende biedert mit diesen an, wenn Cronenberg deren Formeln heranzieht um dem Publikum neben all den Schocks und Ekelbildern einen für dieses bekannten Weg beschreitet, um die Eindrücke goutierbarer erscheinen zu lassen. Cronenberg gelingt das Kunststück, einer Mainstream-Produktion seine ganz eigene Handschrift aufzudrücken und aus Die Fliege neben Hellraiser zu einem der besten Horrorfilme der 80er zu machen. Erscheinen die Filme eigentlich so unterschiedlich, sind sie im Grunde genommen explizite Beziehungsdramen die den menschlichen Körper und dessen Leidens- und Deformationsfähigkeiten gleichzeitig meisterlich verstörend und faszinierend darstellen.
Was hat mich die Geschichte um den Wissenschaftler Seth Brundle, dem es gelungen ist, Maschinen zur funktionierenden Teleportation zu fertigen, damals weggeblasen. Grund dafür waren die heute noch vorzüglich funktionierenden Effekte, die dokumentieren, wie sich Brundle nach einem Eigenversuch nach und nach zu etwas schrecklichem verwandelt. Gelang ihm zuvor immer nur die Teleportation lebloser Dinge, bringt er seine Forschungen so weit, dass er nach einem unschönen Versuch an einem Pavian endlich auch fleischliches mit seiner Apparatur transportieren kann. Dokumentiert wird dies von der energischen Journalistin Veronica, die für ein Wissenschaftsmagazin eine Story über den menschenscheuen Brundle und seine Arbeit schreiben soll. Der davon nicht begeisterte Forscher überredet Veronica, dass sie Exklusivrechte an einem Buch über seine Arbeit bekommt und seine Fortschritte dokumentiert und auf Video festhält, wenn sie noch nichts über seine Entdeckung schreibt. Sie kommen sich näher und eine kleine Krise führt dazu, dass der aufgewühlte Brundle bei seinem Selbstversuch nicht aufpasst: eine Fliege verirrt sich in seine Teleportationskabine, was dazu führt das der Computer seine und die Gene des Insekts zu einem wieder zusammensetzt. Infolgedessen verwandelt sich Brundle, der seine Wesensveränderung zuerst auf eine reinigende Kraft des Prozesses schiebt, in ein Wesen aus Mensch und Fliege.
Was Cronenberg aus der charmanten, aber leicht naiven Vorlage macht, ist kein typischer Horrorfilm, kein zu erwartendes Creature Feature mit gehöriger Monster Mayhem sondern eine für den Regisseur charakteristisch kühle Studie eines isolierten und entfremdeten Menschen. Das ist Brundle zu Beginn, in den Cronenberg die Zuschauer, ohne die Story vorher großartig aufzubauen, hinein wirft und mit den Eigenheiten seiner Protagonisten konfrontiert. Jeff Goldblum, der hier wirklich sehr gut spielt, ist ein Wissenschaftler, der ganz für seine Arbeit lebt, keinen Kontakt zu Menschen pflegt und seine komplette Energie seiner Arbeit widmet. Er ist schrullig; kein ganzer Mann, aber ein ganzer Nerd, in dessen menschlicher Hülle ein sozialer Außerirdischer steckt. Erst die Liaison mit Veronica vollführt eine Wandlung hin zum normalen Menschen. Seth wirkt lockerer, weniger steif, sein Kleidungsstil nähert sich dem damaligen Zeitgeist an, Veronica führt ihn im Kosmos des Films in die Allgemeinheit an. Cronenberg lässt seinen Hauptcharakter nur kurz dort verweilen und drängt in sein Metier, den Body Horror. Brundles schleichende, körperliche Veränderung ist 2018 noch so beeindruckend wie eklig zugleich. Bei der allerersten Sichtung bescherte mir die grandiose Effektarbeit tatsächlich ein flaues Gefühl im Magen, obwohl ich ansonsten nicht sehr zimperlich bin.
Cronenbergs Die Fliege ist ein interpretationsreicher, intelligenter Horrorfilm. Einerseits kann man ihn als pervertiertes Beziehungsdrama sehen, die die Wandlung des schüchternen, sympathischen Mannes in ein (wortwörtliches, körperlich manifestiertes) Ekel zeigt und die Rolle des Ex-Freundes von Veronica, der dritten näher beleuchteten Figur, einnimmt. Brundles Probleme und Konfrontation mit zwischenmenschlichen Beziehungen lassen ihn (und noch einmal: wortwörtlich) zum Tier werden; die durch die Verschmelzung mit der Fliege erlangten Fähigkeiten werden zum eigenen Vorteil (aus)genutzt. Weiters kann man die Transformation Jeff Goldblums auch als Metapher auf Krankheiten sehen. Durch seine Entstehungszeit kommt einem natürlich sofort die damalige Angst vor dem aufkommenden AIDS-Virus in den Sinn. Letztendlich entdeckt man in Die Fliege auch Bezüge auf die sich damals auf ihrem Höhepunkt befindliche New Age-Bewegung, wenn der am Anfang seiner körperlichen Verwandlung stehende Wissenschaftler sich durch die Teleportation gereinigt, mit neuer Energie und Kraft ausgestattet, fühlt. Seine Überredungsversuche, dass auch Veronica diesen Schritt gehen soll, scheitern.
Neben Seths körperlicher Veränderung ist auch sein Wesen betroffen. Die eintreffende Erleuchtung, dass Teleportation den Menschen uns sein Dasein auf eine neue Stufe bringt, erweist sich als Trugschluss. Die gefühlte Neugeburt des eigenen Seins - hier beachte man die auffällige Ei-Form der Teleporter-Kabinen - ist mehr der Übergang in eine neue körperliche Form. Cronenberg lässt den menschlichen Körper wieder leiden, erschafft ihn neu, kehrt inneres nach außen und lässt Mensch, Tier und sogar Maschine miteinander verschmelzen. Letzteres könnte sogar ein Kommentar auf die Gefahren der neuen Technik sein, auf die sich der Mensch immer weiter verlässt. Ein Motiv, dass sich in vielen Werken des Kanadiers wiederfindet und sie im Gros der üblichen Horrorfilme der damaligen Zeit herausstechen lässt. Einzig das Ende biedert mit diesen an, wenn Cronenberg deren Formeln heranzieht um dem Publikum neben all den Schocks und Ekelbildern einen für dieses bekannten Weg beschreitet, um die Eindrücke goutierbarer erscheinen zu lassen. Cronenberg gelingt das Kunststück, einer Mainstream-Produktion seine ganz eigene Handschrift aufzudrücken und aus Die Fliege neben Hellraiser zu einem der besten Horrorfilme der 80er zu machen. Erscheinen die Filme eigentlich so unterschiedlich, sind sie im Grunde genommen explizite Beziehungsdramen die den menschlichen Körper und dessen Leidens- und Deformationsfähigkeiten gleichzeitig meisterlich verstörend und faszinierend darstellen.