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Dienstag, 14. Mai 2019

Suspiria (2018)

Viele Frauen kann sie ersetzen, selbst ist sie der in einer schlichten Wandtafel eingravierten Redewendung nach nicht ersetzbar: die Mutter. Diese scheint für Luca Guadagninos Remake des Argento-Kultfilms ein Leitspruch zu sein. Simples Ergebnis: mag sie noch so viele Rolle einnehmen oder ausfüllen; im Kern bleibt sie lebensschenkender Ursprung. Gleich ob wie bei der banalen philosophischen Frage, nun Ei oder Huhn zuerst da waren, Einspruch erhoben wird, dass zuerst ein Samen von Nöten ist, um eine Befruchtung einzuleiten. In ihrem Schoße reift es bis zur Geburt heran. Ihre Fürsorge und Aufopferung steht dem gestrengen Bild des Vaters gegenüber, der selten mit gleicher Wärme ausgestattet ist oder wahrgenommen wird. Ohne (ihre) Weiblichkeit auch kein Leben, keine Schöpfung. Guadagninos Suspiria ist voll damit. Männer spielen eine untergeordnete Rolle und die präsenteste männliche Figur wird von einer weiblichen Darstellerin verkörpert.

Eine reine Huldigung der Frau und des Feminismus ist Suspiria mitnichten. Steht die Mutter hier auch als Schöpferin und Verkörperung des Bösen: Mater Suspiriorum aka Helena Markos, gefeierte Tänzerin, Buchautorin und Direktorin der im geteilten Berlin der 70er Jahre ansässigen Tanz-Akademie. Die dort nach ihrem gut verlaufenen Vortanzen aufgenommene Susie Bannion erfährt langsam das, was die entschwundene Schülerin Patricia aufgedeckt und dem Psychologen Josef Klemperer anvertraut hat. Markos und ihre treu ergebenen Lehrerinnen sind in Wahrheit Hexen. Unter den Fittichen von Madame Blanc, die den Schülerinnen einiges abverlangt und eine komplette Aufopferung für den Tanz fordert, bemerkt Susie zuerst nicht das eigenartige Verhalten ihrer Ausbilderinnen. Erst ihre Begegnung mit Klemperer bringt sie dazu, nach erstem Anzweifeln seiner Aussagen, näher hinzuschauen.

Den Hexenkult um Markos nutzen Guadagnino und sein Drehbuchautor David Kajganich als geschicktes Sinnbild für ihre mannigfaltigen Ideen. Die Tanz-Akademie erscheint im Kontext der Zeit, in welcher die Geschichte angesiedelt ist, als Berlin innerhalb Berlins. Abgeschottet, ein eigener Staat innerhalb eines anderen, dessen System, sein Innerstes, marode und von Spannungen geprägt ist. Der Zirkel ist in zwei Lager um Markos und die zurückhaltendere, progressiver denkende Blanc gespalten und drohte durch die Schnüffeleien Patricias entdeckt zu werden. Der aufmüpfigen Schülerin wird nach ihrem Verschwinden nachgesagt, dass sie ihr erweckendes Rebellentum im Untergrund weiter auslebt. Der deutsche Herbst ist allgegenwärtig; Radio- und Fernsehmeldungen künden fast beiläufig von der Entführung Hanns-Martin Schleyers, der Landshut und anderen Aktionen der RAF. Das Politikum des Zirkels lässt diesen als Abbild des alten, von innen vergifteten Deutschlands nach der noch nicht lange vergangenen Nazizeit erscheinen.

Guadagninos Horror ist ein Horror des Inneren, begründet auf allgegenwärtige Ängsten. Was Patricia widerfährt, scheint Klemperer - einem Juden - und Susie und der Mitschülerin und zur Freundin gewordenen Sara bevorzustehen. Der erlesene Kreis der elitären Hexen beseitigt mit kaltem Kalkül all' jene, von denen eine Gefahr ausgehen könnte. Im Kontrast zu Argentos Vision eines poppigen, schrillen und verzaubernden Horrormärchens schlägt sich diese Angst im Bild des Films nieder. Die Farbgebung ist matt und der Schleier des deutschen Herbstes verschluckt in seinem grauen Schlund jedwede kräftige Farbe. Den einzigen Kontrast stellen die Tanzszenen dar. Guadagnino schenkt ihnen Raum und ergibt sich der bzw. dessen Kunst getreu dem Motto von Madame Blanc. Mit der Unterteilung in sechs Akte und einem Epilog ist Suspiria wie ein Theaterstück aufgebaut und die im Film ausgesprochene Aufforderung seitens der Lehrmeisterinnen, sich mit Haut und Haaren dem Tanz und dessen Kunst zu widmen, lässt vermuten, dass Guadagnino mit seiner Coverversion des Originals diesen ursprünglichen Kunstformen Tribut zollt.

Jene Momente schenken der kühlen Sprache des Films eine angenehme Körperlichkeit. Die Kamera ist dicht an den Performern und Hauptdarstellerin Dakota Johnson dran. Jede eingefangene Körperbewegung, mag sie noch so unscheinbar sein, wird ausgedehnt zelebriert. Es ist die Intimität dieser Szenen, durch die die erste Mordszene nicht nur allein durch ihre Darstellung lange im Gedächtnis bleibt. Gipfeln tut dies in eine faszinierende, grotesk ausufernde Finalszene, deren rauschartige Performance einem wortwörtlichen Blutbad weicht, dass seltsam unpassend im Vergleich zum vorangegangenen, eher ruhigen Horror ist. Häufig macht Suspiria den Eindruck, dass Guadagnino und sein Autor Kajdanich den Film zu einer bedeutungsschwangeren Kunstnummer hochstilisieren und ihre Version gezwungen oppositionär zum Original gestalten. 

Das raubt ihm die Lebendigkeit und lässt ihn wie die bühnenhaften Anfangswerke Fassbinders erscheinen. Vieles sollte da auf einmal in die Geschichte und lässt seine Metaebene bei allen vorhandenen Deutungen beinahe zerbirsten. Sinnbild für die Stimmung Deutschlands in den 70ern und wie allseits präsenter Terror im Alltag den Menschen beeinflusst, eine Studie über die Formen der Macht und ihren Auswirkungen, eine Zelebrierung der Weiblichkeit und des Feminismus und gleichzeitige Überzeichnung seiner Kraft. Die Faszination Suspirias rührt daraus, was Guadagnino und Kajdanich in den Film gesteckt haben und in der Wirkung ihrer Horror-Performance, die mit zweieinhalb Stunden eine epische, aber zu keiner Sekunde langweilige Laufzeit besitzt. Wie großartige Kunstwerke anderer Strömungen lädt Guadagninos Suspiria gerne dazu ein, sich immer wieder durch seine Kapitel zu pflügen und seine Details auseinander zu nehmen.

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