Credits

Sonntag, 29. September 2019

The Possession of Hannah Grace

In drastisch überspitzter und pervertierter Weise erinnern Horrorfilme auch daran, dass jedem Ende ein Anfang innewohnt. Die Präsenz des Todes, der ständige Verfall dem wir Menschen unterliegen: er wird uns in gruseliger und/oder gewaltsamer Szenerie vor Augen geführt. Der für uns unausweichliche Moment wird ein Spiel mit dem Adrenalinspiegel des Zuschauers und erinnert in unserer alltäglichen Verdrängung seine unterschwellige Präsenz in vielen Situationen des Lebens. Der grimme schwarze Schnitter kann jederzeit zuschlagen und mit vielen Gesichtern erscheinen. Unsere verborgenen Hoffnung, ihm so lange wie nur möglich zu entkommen bevor die letzte Stunde schlägt, wird romantisiert, makaber oder plump derb in düstere Kunst verwandelt. Das Spiel mit der Angst, dass Kitzeln menschlicher Urängste wurde im Film über die Jahre zu einem großen Industriezweig, dessen Kommerzialität der Kunstform Film Freiraum für frische Ideen raubt.

Technisch routinierte Ware, die ein Gros des Publikums erreichen kann und künstlerisch anspruchsvoll ist bzw. den Limitationen des Genres neue Ansätze entlocken kann, ist - zumindest im Mainstream - rar geworden in jenen Zeiten. The Possession of Hannah Grace trägt Momente in sich, die die Hoffnung auflodern lassen, dass er so etwas bewerkstelligen könnte. Wieder steuert ein Ende, in diesem Falle das Ableben titelgebender Hannah Grace, gleichzeitig auf einen Anfang zu. Der Exorzismus der von einem mächtigen Dämon besessenen jungen Frau scheitert. Sie stirbt und macht Platz für Protagonistin Megan, deren für sie unrühmliches, eigentlich traumatisch bedingtes Ende bei der Polizei der Beginn ihrer Anstellung in der Gerichtsmedizin eines Krankenhauses ist. Während ihrer Nachtschichten nimmt sie die dortigen Neuzugänge in der Kartei auf und bereitet diese auf die Obduktion vor. In ihrer zweiten Nacht nimmt mit der Einlieferung der übel zugerichteten Leiche einer jungen Frau der Schrecken seinen Lauf. Ein Obdachloser dringt unbemerkt in das Krankenhaus ein, versucht die frisch eingelieferte Leiche zu verbrennen und auch sonst gibt die Tote der jungen Ex-Polizistin einige Rätsel auf.

Ein fremdartig schöner Ausdruck liegt auf dem Gesicht der jungen Toten und ihr offensichtlich gewaltsamer Exitus schenkt ihr eine Aura zwischen erschreckend abstoßend und makaber anziehender Schönheit. In diesen kurzen Augenblicken gibt der Film den Blick auf die zwei Extreme des Todes - seine wie im Gothic Horror romantisierte Schönheit und die gleichzeitig erschreckend direkte Message des unumgänglichen Endes - frei, gebettet in eine eigentlich ansprechend dichte Atmosphäre. Ihr liegt eine Traurigkeit inne; Anspielungen, Rückblicke - sie geben vereinzelte Einblicke in Megans Vorgeschichte, die sie zu dieser Anstellung und diesem kleinen Neuanfang führte. In teils bemühter Subtilität versucht sich The Possession of Hannah Grace als klassisch tragischer Horrorstoff; das Trauma seiner Protagonistin dient dazu, sie mit diesem durch die irrationale Situation, in der sie sich befinden wird, erneut zu konfrontieren. Das sie es bewältigen wird, liegt ebenso auf der Hand wie die Tatsache, dass die Leiche als Hort des Bösen weniger im Reich der Toten verhaftet ist wie zuerst angenommen.

Zu Beginn kreiert das Script ein ansprechendes und Spannung versprechendes Szenario. Megans Persönlichkeit wird einiges an Raum geschenkt, die Nachts so gut wie verlassene Gerichtsmedizin gewinnt als zusätzlich Atmosphäre aufbauendes Setting, in dem man sich selbst nicht gerne befinden möchte. Die anfänglich leise eintretenden Schauereffekte bieten bei weitem nichts neues, beziehen ihre Effektivität aus der abgeschlossenen bzw. beschränkten Räumlichkeit. Das sich aufbauende ungute Gefühl im Wissen um die Hintergrundgeschichte der für Megan unbekannten Toten ist ein erster, kleiner Pluspunkt für den Film, der in seinem weiteren Verlauf einsam allein auf der Pro-Seite des Werks verweilen muss. Allzu hastig schwankt The Possession of Hannah Grace trotz spannender und interessanter Ausgangslage zwischen bemühtem Horror mit dramatischem Unterbau und ärgerlichem Jumpscare-Einerlei, garniert durch eine immer munter werdende Leiche, deren Bewegungsabläufe an die von Kayako, der furchterregenden Geister-Mutter aus dem japanischen Horrorfilm Ju-On: The Grudge, erinnern.

Laut. Übersteuert. Einfallslos. Attribute, die man dem Film leider zugestehen muss. Der Gedanke, was nach einem fehlgeschlagenen Exorzismus passiert und die Gegenüberstellung im Wirken des Todes auf den Zuseher, ist eine interessante Idee, deren Ausarbeitung im Gesamteindruck mangelhaft ist. Das hätte ein Geheimtipp á la The Autopsy of Jane Doe werden können. Zwar macht auch dieser - ebenfalls durch seine zugänglichere, simpler gehaltenen zweiten Hälfte - auch nicht alles richtig, aber überzeugt viel mehr durch seine dichte Atmosphäre und der durchgehenden Spannung in der ersten Hälfte. So wird mehr der Verlauf und die Wandlung des Films mehr zum Drama als seine Geschichte. Das Finale wirkt schludrig, Megans Traumabewältigung wird als nötiges Übel abgefrühstückt, bevor das versöhnliche Ende auf die Credits zusteuert. Schreckenerregend ist am Film letztendlich einzig die Tatsache, wie leichtfertig er seine gute Idee immer weiter zu einer gefühllosen und einfallslosen Horrorposse werden lässt.

Donnerstag, 19. September 2019

Der goldene Handschuh

Ein kleiner Mann, sichtlich gegerbt vom Leben, steht in der Tür zwischen Wohnstube und kleiner Küche und schimpft über den von seinem Besuch angesprochenen Gestank, den sein kleines Wohnreich durchflutet. Es sind "die scheiß' Griechen unter ihm", welche "von morgens bis abends Lamm und all so'n Zeug" kochen und damit das Haus vollstinken. Das Gezeter wird mit leicht ostdeutschem Dialekt durch die Lippen in den Raum geschleudert; die Szene spielt in den 70ern und irgendwie denkt man sich, dass sich im Vergleich zu heute nicht wirklich was geändert hat. Der Name des schimpfenden Herren ist Fritz Honka, ein dem Anschein nach vom Leben und der Trunksucht mitgenommener, einfacher Mann. Während viele Menschen metaphorisch ihre Leichen im Keller haben, hat Honka diese wortwörtlich hinter seiner Zimmerwand. Gelegenheitsprostituierte, obdachlose Frauen, verlorene Seelen, welche er in seiner Stammkneipe - dem goldenen Handschuh - und ebenso wie er sichtlich vom Leben und dem Alkohol ausgezehrt, werden von ihm in Hoffnung auf Sex und vielleicht auch auf etwas mehr Menschlichkeit in seine Dachstube gelockt und überwältigt von seinem ungestümen Trieb umgebracht.

Die Leichenteile entsorgt er teils in Müllbeuteln, die er in alten Industrieanlagen etc. versteckt oder in einem dürftig vernagelten Loch in seiner Wohnzimmerwand, von wo aus der süßliche Duft des Todes seinen Gestank in Honkas Reich ausbreitet. Er wollte schon immer einen Horrorfilm machen, erklärte Fatih Akin während der Promotion-Phase zu seiner Verfilmung von Heinz Strunks Buch Der goldene Handschuh, beruhend auf dem Leben und den Taten des echten Fritz Honka, dessen mörderisches Treiben erst durch einen Brand in seinem Wohnhaus durch das auffinden von Leichenteilen durch einen Feuerwehrmann entdeckt wurde. Akins Umsetzung erinnert weniger an düstere Serienmörder-Filme wie John McNaughtons Henry oder Finchers Se7en, welche in ihrer Stilistik neben Thriller- oder Drama-Elementen sichtbar eine Brücke zum Horror schlagen. Der goldene Handschuh ist deutscher Autoren-Horror, weit weg von üblichen Formeln des Genres, was dem Film die Unterbringung in die Rotten Potatoes-Rubrik verwehrte.

Strunk nicht unähnlich, blickt Akin in seiner Umsetzung nicht alleine auf das Leben eines Mannes, der durch seine in Heimen verbrachte Kindheit und durch Unfälle, Krankheit und Alkoholsucht ein wenig attraktives Äußeres besaß, welches sein Selbstwertgefühl äußerst niedrig hielt. Der goldene Handschuh streift durch das Kiez-Milieu Hamburgs mit seinen schrulligen, traurigen und gebrochenen Gestalten und schält seinen Protagonisten und seine Stammkneipe als dessen Mittelpunkt heraus. Soldaten-Norbert, Doornkaat-Max, Tampon-Günther, Anus: sie bleiben Kuriosa der Geschichte; im Buch "die Schimmligen" genannt; Hamburger Originale von ganz unten, um anscheinend den nüchternen Blick auf Honkas Treiben aufzulockern. Ein Ankerpunkt für das Publikum, an dem es Rasten kann, bevor der gammelige Gestank, spärlich von Raumduftsprays und einer Armada Wunderbäumchen bekämpft, phantomartig die Nase des Zuschauers wieder kitzelt. Was Heinz Strunk in schockierend quälend langen Szenerien beschreibt, konzentriert Akin in seinem Film zu abstoßenden Momentaufnahmen, die berechnend zwischen Schock und Aussparung pendeln. Wirksam ist beides.

Im Buch klebt man mehr an "Fiete", wie Honka gerufen wurde, ist näher an der Figur dran; Akin bewahrt sich eine Distanz. Starr bleibt die Kamera beispielsweise vor Honkas Schlafzimmertür stehen und gibt vom Treiben des Mannes mit den wehrlosen Frauen so viel Preis, wie es der schmale Durchgang zulässt. Morde geschehen zudem meist im Off und lassen das Kopfkino des Zuschauers den Rest erledigen. Mehr ist Akin bemüht, einen Einblick in das trostlose Leben und das Umfeld des Protagonisten zu geben. Trotz der neuen Arbeit nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit, einem versuchten Entsagen vom Alkohol bleibt unmissverständlich zu sehen, dass Honka mit seinem Milieu verzahnt war. Ein Zwischenfall auf der neuen Arbeit, sein (erneutes) soziales Scheitern treibt ihn zurück in die Arme des Alkohols, der ihm nur für kurze Zeit Wärme schenkt. Der goldene Handschuh ist dabei Sammelpunkt für die Leidgenossen, die zwischen ihren gegenseitigen Derbheiten und dem rauen nordischen Charme wohl auch sowas wie Sympathie für einander empfinden können, wenn sie nicht vom betörend betäubenden Fusel verblendet werden.

Akin arbeitet brav die wichtigsten Punkte der Buchvorlage heraus, schreitet flotten Schrittes zum Finale um bis dorthin in einen spröden Erzählstil zu verfallen, der entfernt an den des neuen deutschen Films oder Kurt Raabs Die Zärtlichkeit der Wölfe (hier besprochen) erinnert. Wenig spannend, weniger schockierend oder gleichzeitig faszinierend wie anekelnd als manche Passagen des Buchs bleibt Der goldene Handschuh eine durchaus interessante Sozialstudie, ein Sozialdrama das leicht genug bleiben möchte, um das deutsche Mainstream-Publikum aus dem Mittelstand und darüber hinaus in ihren kuschelig-weichen Kinosesseln oder auf ihren monströsen Wohnlandschaften zu gruseln. Manchmal verirrt sich Akin in seiner Faszination von dieser Welt von unten und treibt planlos durch die Geschichte. Planlos bleibt man auch beim kleinen Nebenplot um Jungspund Willi und seiner Angebeteten Petra, der diese irgendwann nach einer ersten Solo-Erkundung in die titelgebende Kneipe einlädt.

Sie scheinen nur dafür da zu sein, um zwischen all dem Pöbel und Gesocks normale Menschen in den Plot einzubauen und sind eigentlich Überbleibsel zweier Nebengeschichten des Buchs. Sein gut getroffener Milieu-Ton kann nicht verstecken, dass vieles an Der goldene Handschuh doch oberflächlich bleibt wie um Niveau bemühte Hartz-IV-Dokus auf RTL2 und weniger den gewollten Horror bietet, den sich Akin ausgemalt hat. Faszination übt der Film aus, auch durch seine extreme Detailgenauigkeit in der Darstellung des Kiez-Prekariats und dessen extra für den Film nachgebauten Treffpunkts. Fritz Honka selbst verkommt leider zum next german Boogey Man in einer durchaus bemühten und ebenfalls durchaus sehenswerten Sozial- und Milieustudie, die "ganz unten" angekommen sich wie Kiez-Touristen letztendlich nicht trauen, ganz in diese Welt einzutauchen. Akin ist eben nur mal kurz gucken, während Strunk in seinem Buch das ganze Übel schonungslos offen legt.

Es: Kapitel 2

Anders als in der Geschichte um das als böser Clown auftretende, personifizierte Böse, mussten Horrorfans keine 27 Jahre warten, bis Pennywise wieder über die Leinwand spukt. Zwei Jahre lagen zwischen dem ersten und zweiten Teil der Neuverfilmung des Erfolgsromans aus der Feder Stephen Kings, in dem der Losers Club, mittlerweile alle im Erwachsenenalter angekommen, nochmal zusammenkommt um sich einem finalen Kampf gegen Pennywise zu stellen. Damals wie heute stellte ich fest - vor Kinobesuch wurde die Erinnerung nochmal aufgefrischt und Teil 1 erneut geschaut - dass Es in den Momenten, in denen dem Zuschauer das Gruseln gelehrt werden soll, weitgehend versagt. Die dunkel vernebelten Erinnerungen an die erste Verfilmung besagten, dass dort die Szenen um den Losers Club im Kindesalter stärker sind als die um das zweite Zusammentreffen als Erwachsene. Durch beides waren die Erwartungen an Es: Kapitel 2 gering angesetzt.

Leider habe ich die Buchvorlage nie gelesen; vielleicht krankt sie an diesem gleichen, qualitativen Gefälle wie die beiden Verfilmungen. Der mittlerweile weit verstreute Losers Club findet sich nach einem Anruf von Mike, der als einziger in der alten Heimatstadt Derry geblieben und nun der örtliche Bibliothekar ist, wieder zusammen und nimmt den Kampf gegen den wieder ans Tageslicht getretene Pennywise erneut auf. Nach dem Mord an einem Homosexuellen und dem erneuten verschwinden von Kindern ist für Mike klar, dass Es - pünktlich nach 27 Jahren - wieder aufgetaucht ist. Mike erinnert seine Freunde während seines Anrufs an den Schwur, den sie als Kinder schlossen, nochmals gegen den furchterregenden Clown zu kämpfen, sollte er nochmal in Erscheinung treten. Die anfängliche Skepsis der einzelnen ist groß; die Erinnerungen an früher scheinen bei allen wie ausradiert zu sein und die adulte Rationalität lässt Mikes Ausführungen erst wie eine schlechte Horrorgeschichte erscheinen, bevor sich Pennywise den alten Freunden zeigt und ihnen klar macht, dass er sie alle am liebsten tot sehen würde.

Inszeniert wird das mit einem aufwändigen Set Piece-Overkill, das von einer spektakulär angelegten Szene zur nächsten stolpert. Repetitive Erzählkreisläufe teilen die Story zwischen Streitereien der alten Freunde um den Sinn von Mikes Aktion, der Konfrontation mit Pennywise und ihren Ängsten und ihrer Flucht davor auf, bevor man wenig variierend wieder mit den verschiedenen Standpunkten der Gruppenmitglieder bezüglich des Sinns des gesamten Treffens an den Ausgangspunkt gelangt. Die Auftritte von Pennywise werden spektakulär mit viel CGI-Einsatz inszeniert; Darsteller Bill Skarsgård wird von diesen digitalen Effektwolken umzingelt, gar aufgesogen und scheint ein Stück weit in seiner Darstellung um diese wissend gegen sie anzuspielen. Technisch ist das durchaus beeindruckend, nur furchterregend ist es leider nicht. Die finale Zuspitzung im Kampf gegen Pennywise ist eher überfrachtet und die epische Laufzeit von gut 245 Minuten bläht den längere Zeit fast ewig gleichen Plotverlauf unnötig auf. Richtig unangenehm wird dies eben im Finale, bei dessen überdrehter Dauerschleife gewollte Anflüge von Dramatik im CGI-Nirvana verschwinden. Der auch im ersten Teil auftauchende Gag mit den drei Türen, unterteilt in gruselig, sehr gruselig und gar nicht gruselig, mit einem ziemlich süßen Welpen, einem vorhersehbaren Verlauf der Szene und deren halbwegs zündender Humor bietet darin einen der wenig richtig gut funktionierenden Momente.

Das, was Stephen King - der auch einen kleinen Cameo-Auftritt hat - eigentlich mit seiner Geschichte bzw. in diesem Teil sagen möchte, bleibt in Es: Kapitel 2 fast komplett außen vor. Wenn der letzte Kampf geschlagen ist, frühstückt der Film dies mit seinem Epilog ab. Nicht gänzlich unkitschig, aber die richtigen Hebel umlegend wird von der Konfrontation mit den eigenen, in einem wohnenden Ängsten erzählt und darüber, dass wahre Freundschaft wie Unkraut unvergänglich ist. Kings Verknüpfung von (Kindheits-)Erinnungen an diesen einen, besonderen Sommer mit  tief sitzenden Traumata und seinem schleichenden Kleinstadt-Horror, der Derry wie das davon laut seinen Erzählungen nicht weit weg liegende, ebenfalls fiktive Castle Rock zu einem Hort des Schreckens wachsen lässt. Ob gut oder schlecht: manche Bilder des Erlebten lassen sich nicht gänzlich aus dem geistigen Fotoalbum im Kopf entfernen. Leider kommt das dort erzählte für das Gesamterlebnis zu spät. Die durchaus gut aufspielenden Darsteller wie McAvoy als Bill im Erwachsenenalter können leider auch nichts gegen die Entscheidung ausrichten, nicht mehr auf ihre Figuren und die subtilen Momente - die leider noch weniger als im ersten Teil sind - einzugehen, sondern Es: Kapitel 2 zu einem überladenen Horror-Epos zu machen.

Montag, 2. September 2019

Once Upon A Time In... Hollywood

Es geht auf die Zielgeraden. Once Upon A Time In... Hollywood ist der neunte Film von Quentin Tarantino, der sich der eigenen Ankündigung nach darauf beschränken möchte, nur zehn zu drehen um dann mit dem Filme machen aufzuhören. Bei jedem seiner Filme ist man gespannt darauf, was der Autodidakt mit Hang zum B- und Genre-Films dieses Mal an Anspielungen, Verweisen und Zitaten in diese gepackt hat. Mit dieser kontinuerlichen Manie des Maestros ist seine Unberechenbarkeit (fast) kalkulierbar geworden. Beinahe drei Stunden fröhnt Tarantino dabei seinem Publikum zu zeigen, was er neben seiner eigenen Person an Werken aus Film, Fernsehen und Musik so toll findet. Empfand ich seinen letzten Film The Hateful Eight zu ausgedehnt mit bis aufs Maximum ausgereizten Szenen, in denen man fast den vergossenen Samen schmeckte, den Tarantino durch Ego-Onanie auf sich selbst ergoss, ist sein neuestes Werk erstaunlich zurückhaltend im merklichen Feiern des eigenen Geschmacks.

Präsent ist er natürlich; vor allem im vorzüglichen Soundtrack, der viele tolle Tracks aus der Zeit der 60er beinhaltet. In diese entführt Tarantino, blickt mit leichter Melancholie an das tote Hollywood dieser Epoche mit ihren Stars und Sternchen und wird zugleich zum Märchenerzähler. Seine auserkorenen Protagonisten sind der Schauspieler Rick Dalton und dessen Stunt-Double Cliff Booth, welcher anhand einer sehr überschaubaren Auftragslage für ihn und seinen Boss für letzterem mehr zu einem Mädchen für alles geworden ist. Einst war Rick der gefeierte Star der bekannten Western-Serie "Bounty Law", nun hangelt er sich von Pilotfilm zu Pilotfilm, hat manchmal Gast-Auftritte in Fernsehserien und blickt neidisch auf seine neue Nachbarn: den für seinen neuesten Film Rosemary's Baby gefeierten Roman Polanski und seine junge Frau, die Schauspielerin Sharon Tate.

Während Rick mit Rollenangeboten für Italowestern hadert und seinen Frust über seine Lage in Alkohol ertränkt, erzählt Tarantino nebenbei noch von einem jungen Kerl Namens Charles Manson, der kaum zu sehen und trotzdem immer präsent ist. Mit der Kenntnis über die verübten Morde der Mitglieder seiner Family an der damals hochschwangeren Tate und ihren Gästen, baut der Film eine gewisse Spannung auf, wenn sein Regisseur und Autor fast mal wieder den Bogen überspannt. Hin und wieder stellt sich die Frage, wohin dieser nun eigentlich mit seiner Erzählung überhaupt hin will. Die Handlung wird manchmal schlingern gelassen, greift Andeutungen zu Manson auf, stellt sie mit Cliffs Besuch auf der Spahn Ranch, der Unterkunft der Manson Family zum damaligen Zeitpunkt, in den Mittelpunkt um dann wieder den Fokus auf seine beiden Protagonisten zu legen. Rick wird in den langen Episoden über seinen Versuch, einen neuen Serienhit zu landen, stellvertretend für die Altstars von früher und dem traurigen Niedergang ihrer Karrieren in der im Umschwung befindlichen Traumfabrik.

Tarantinos Blick auf diese Zeit ist bittersüß. Jeder Tragik wohnt zugleich eine Komik inne; Rick Dalton ist ein sympathischer Losertyp, dem man einen erneuten Erfolg gönnen würde, der sich und seiner Karriere im Blick auf die eigene, ruhmreichere Vergangenheit im Weg steht. An seiner Seite ist sein mit einer kriminellen Vergangenheit gestrafter Stuntman Cliff Booth, dessen einfaches Gemüt und dauerhafte Coolness entfernt an den (ebenfalls im Film vorkommenden) Steve McQueen erinnert. Die Beziehung der beiden Männer beschränkt sich nicht auf ein reines Arbeitsverhältnis. In ihr schlummert eine aufrichtige Freundschaft, die mal verborgen, mal ersichtlicher beiden Halt schenkt, wenn gleich Rick diesen spürbarer benötigt. Mit diesem blickt auch Tarantino auf eine Zeit zurück, in der zumindest vordergründig noch alles im Lot in Hollywood war. Once Upon A Time In... Hollywood ist seliges Seufzen seines Schöpfers; Erinnerungen an früher und die (erste) Magie der Stoffe, die einen jungen Quentin Tarantino begeistert haben.

Und er feiert vieles. Serien wie Rauchende Colts, The F. B. I. oder Filme wie Rollkommando oder Gesprengte Ketten. Mit Zitaten oder direkten Ansprachen. Imposant und charmant ist dabei Daltons Erinnung an seine Chance, die Hauptrolle im McQueen-Film Gesprengte Ketten zu bekommen. Mittels hübschem Tricksen aus der Technikkiste wurde dieser durch DiCaprio ersetzt, was zu einigem Schmunzeln führt. Und wenn sich Dalton letztendlich doch für einen Europatrip nach Rom und die Rollenangebote von dort entscheidet, macht Tarantino seine Figur zum Hauptdarsteller des von Mario Bava geschaffenen Nebraska Jim (vor Jahren übrigens hier besprochen). Beim ganzen Schwelgen in Erinnerungen an die gute alte Zeit, als das Testosteron die Leinwände flutete, schaut man Tarantino gerne zu. Dem Film wurde im Netz häufiger angelastet, dass er keine Handlung besäße und langweilig ist. Manchmal fragt man sich wirklich, wohin der Amerikaner nun überhaupt mit seiner Geschichte möchte. Ob das einfach nur hartes nostalgieren ist oder er uns auch wirklich etwas zu sagen hat.

Groß unterscheidet sich Once Upon A Time In... Hollywood nicht mal groß von früheren Werken, in denen er ebenfalls ausgiebig die Zitate in seine Scripte goss. Mehr fragt man sich mittlerweile bei mancher Kritik am Film, woher plötzlich diese Handlungsgetriebenheit der Leute führt. Fällt es mittlerweile so schwer, sich einfach auf die Stimmung eines Films einzulassen? Mehr als die Erzählung über einen beinahe gescheiterten Schauspieler des System des Old Hollywood ist dieser Film ein Stimmungsbild, das es nicht immer so genau mit den Fakten nimmt, den Zuschauer aber gekonnt in die Zeit mitnimmt und den darin wehenden Wind of Change spüren lässt. Noch blödsinniger ist eigentlich nur, dass ihn eine kleine Protestwelle empörter Bruce Lee-Fans traf, da deren Held im Film in seiner Darstellung nicht sonderlich gut wegkommt. Drauf geschissen. Es gibt auch für mich - der wegen der kultischen Verehrung des Regisseurs von einigen immer mit gewisser Skepsis an dessen Werke herangeht (kennt man die von ihm ausgiebig zitierten Vorbilder, dann kocht auch Tarantino nur mit Wasser) - wenig zu meckern.

Mehr Unberechenbarkeit wäre für sein wahrscheinlich finales zehntes Werk wünschenswert. Es kristallisiert sich eine Formel heraus, wie er seine Filme aufbaut. Mit der Verbindung zu wirklich geschehenen Ereignissen, ist die abschließende Gewalteruption - ähnlich wie in The Hateful Eight - zu erwarten gewesen. Womit wir wieder bei den Märchen wären. Once Upon A Time In.. Hollywood ist neben dem vielleicht auch mit Wehmut durchzogenen Blick auf die gute, alte Zeit ein What if...-Szenario Tarantinos; ein leichtes Märchen, mit unbestimmten Ausgang und der Hoffnung auf bessere Zeiten für die sympathisch gezeichneten Protagonisten. Gerne wandelt man mit ihnen und dem Geist, der hinter der Geschichte steckt noch einmal durch eine unwiederbringliche Zeit, die mit den vielen Gastauftritten und Anspielungen noch häufiger dazu einlädt, dieses zur Abwechslung mal wieder zufriedenstellende Kapitel in der Filmographie Tarantinos aufzuschlagen.