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Dienstag, 25. August 2020

The Nightingale

Während uns Jennifer Kent in Der Babadook mit weitgehend subtilem Horror das Fürchten lehrte, verzichtet die Australierin in ihrem neuesten Werk auf leise Töne. In The Nightingale trägt sie ihre Geschichte so rau vor, wie gleichzeitig ihr Heimatland und deren ersten Bewohner darin dargestellt werden. Das Drama um zwei Außenseiter, Clare, Strafgefangene und Leibeigene des unberechenbaren Armeeoffiziers Hawkins und Billy, ein Aborigene, dem gewaltvoll die westliche Kultur eingetrichtert werden soll und hin und sich wieder für die Armee als Führer durch den tasmanischen Dschungel verdingt, nutzt unverholen beim Schildern ihres gemeinsamen Wegs durch den dicht bewachsenen Busch Elemente des Exploitation-Kinos um das grausame Schicksal auch visuell durchgängige Härte zu verleihen. Der ständige Missbrauch Hawkins an Clare kulminiert im nächtlichen Besuch des Offiziers und seiner Gefolgschaft in der Hütte von Clares kleiner Familie. Dem voraus ging ein Besuch ihres Ehemanns Aidan bei Hawkins, der diesen wegen dessen ständiger Übergriffe auf seine Frau zur Rede stellen wollte und die Situation in Handgreiflichkeiten eskalierte.

Die Eskalation in der Hütte erreicht in ihrer Unannehmlichkeit fast das Level der quälend langen Vergewaltigungs-Szene in Meir Zarchis I Spit On Your Grave. Nicht der körperliche, aber der emotionale Schmerz, den Clare hier erfährt, fährt auch dem Zuschauer in die Glieder und ließ den hier erzeugten Schrecken für mich zu einer der unerquicklichsten Film-Erfahrungen der letzten Zeit werden. Nachdem Kents Protagonisten das für diese schlimmstmögliche widerfährt, setzt der Film zu einem quälenden Gang zur Katharsis über, in dem er Clare und Billy aufeinandertreffen lässt. Der Ureinwohner ist für die von Rache getriebene Frau zunächst Mittel zum Zweck. Er soll sie durch den unwirtlichen Busch Tasmaniens und auf die Spur ihres Peinigers führen, welcher mit ihm unterstellten Offizieren auf dem Weg in die nächstgrößere Stadt ist, um dort einen neuen Posten anzutreten. Ungeschönt blickt Kent auf das in den 1820ern vorherrschende Gedankengut und lässt aus dem Opfer Clare offen Vorurteile und rassistischen Dünkel treten. Der Film macht es einem schwer, weiterhin Mitleid mit der jungen Frau zu empfinden, wenn sie, obwohl sie wie ihr Führer ebenfalls in der damaligen Gesellschaft ein Außenseiter ist, offen ihren Rassismus zur Schau stellt. Der Aborigine ist für sie sehr viel weniger Wert als ihr geliebtes Pferd, das sie mit sich führt.

Kilometer um Kilometer nähert sich das zeitgleich gleiche und wiederum ungleiche Paar langsam an und erfährt vom Schicksal des jeweils anderen. Hätte man in der ehemaligen Traumfabrik die Gelegenheit ergriffen und noch eine dezente Love-Story in den Plot geklimpert, verzichtet Kent in ihrer Geschichte auf allzu große Sentimentalitäten. Billy und Clare lernen einander zu verstehen und sich schätzen und manche Blicke, die man sich gegenseitig im schützenden Dunkel einer zweckmäßigen Unterkunft zuwirft, könnten als langsam erwachende, tiefere Zuneigung verstanden werden. In der Zeit, in der The Nightingale spielt, ist für sowas kein Platz. Mehr ist der Film ein Fenster, das seine Regisseurin geöffnet hat und uns zeigt, dass die darin geschilderten Themen bedauernswerter Weise zeitlos sind. Inmitten der verregneten, schmutzigen und verwilderten Umgebung des für paradiesische Postkarten-Motive prädestinierten Tasmaniens kämpfen die beiden Misfits Clare und Billy für ein kleines bisschen Gerechtigkeit und ihren inneren Seelenfrieden. 

Die sich in beiden Protagonisten aufstauende Wut über ihr Schicksal, das einige Parallelen aufweist, ist Motivation für deren weitere Handlungen und roter Faden in Kents Rache-Mär. Anlass dafür bieten Hawkins und seine Untergebenen auf ihrer Reise über das australische Eiland zu Genüge. Manipulation, Misshandlung, Ausbeutung: Kent breitet den Schrecken der Kolonialisierung durch weiße Männer weit vor dem Zuschauer aus, in dem zwei unterschiedliche und doch gleiche Menschen von einem kleinen Stück Freiheit träumen. Eingeengt im Klassendenken der damaligen Gesellschaft manifestiert sich dies im zunächst ungewöhnlich erscheinenden Bildformat von 1,37:1. Das vermeintlich weite Land des fünften Kontinents verkommt dadurch zur beengenden Hölle, welche mit ihren Schrecken die Hauptfiguren des Films aneinanderschweißt. The Nightingale verkommt hierbei nie zum bloßen Historien-Rape and Revenge-Film, der nicht als bloße Verfilmung einer Hass-Schrift über die Schreckensherrschaft der Gründungsväter einer gemessen an den Abstammungen eigentlich bunten und vielfältigen Nation ist. Mehr ist der Film ein aufwühlendes und mitreißendes Kammerspiel inmitten einer beengten Welt, die in ihrem einfachen Schwarz-Weiß-Denken keine Abstufungen und Offenheit zuließ. Intensiv gespielt und umgesetzt ist Kents Film ein in seiner Tonalität grobes Drama, das mit einem Fuß im Genre-Kino für Standfestigkeit sorgt und für mich ein erstes größeres Ausrufezeichen des Filmjahrs ist.

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