Georges Franju, obwohl zur Zeit der Nouvelle Vague aktiv immer etwas von dieser ausgeschlossen, da er mehr als Auftragsarbeiter und Vertreter des alten französischen Kinos galt, schuf mit Augen ohne Gesicht, dessen deutscher Kinotitel Das Schreckenshaus des Dr. Rasanoff schrecklich unpassend und reißerisch ist, ein atmosphärisch klinisch wie distanziertes und gleichzeitig poetisches Horrordrama. Vordergründig mag der Schrecken im eiskalten Vorgehen von Génessier und Louise liegen, die uns in der heutigen Zeit wie zwei Serienmörder unter vielen anmuten, wenn sie unfreiwilligen Spenderinnen für Christianes neues Gesicht in ihren Wohnsitz locken und - noch erschreckender - hinterher wie nicht mehr brauchbares Material entsorgen. Nur Louise scheint noch einige wenige Skrupel zu besitzen, wie es der Film zu Beginn und in weiteren Szenen schildert. Der Doktor selbst ist längst Gefangener seiner eigenen Handlungen und nicht mehr Herr über sich selbst. Seine in der Öffentlichkeit nach außen strahlende Überheblichkeit ist Ergebnis des sich in ihm manifestierten Gottkomplexes, in den ihn seine Schuldgefühle gegenüber seiner Tochter und seine Bemühungen um Wiedergutmachung, mit denen er sich über alle ethischen Werte und die Gesetzgebung hinwegsetzt, trieben.
Über die Jahrzehnte mag Augen ohne Gesicht einiges an Schockwirkung verloren haben; dass die Taten des mörderischen Duos weiterhin eine emotionale Wirkung besitzen liegt an Franjus dokumentarisch anmutende Art der Umsetzung der aus der Feder des Duos Pierre Boileau und Thomas Narcejac (deren Romane u. a. die Vorlagen für Clouzots Die Teuflischen oder Hitchcocks Vertigo waren) stammenden Geschichte. Seine Art der Narration klammert jegliche moralische Wertung der Handlungen seiner Figuren aus; Franju nimmt die Perspektive eines Beobachters ein und lässt somit auch sein Publikum zum stillen Teilhaber werden. Eine effektive inszenatorische Entscheidung, welche den poetischen Aspekt des Films als Kontrast zur kühlen Distanziertheit zum gesamten Plot etabliert. Mit ihrem langen Gewand und der konturlosen und bleichen Gesichtsmaske gleicht Christiane beispielsweise einem Gespenst, das ruhelos und von körperlichen und mehr noch seelischen Schmerzen geplagt durch sein unfreiwilliges Gefängnis wandelt. Ihre Darstellerin Edith Scob legt hierbei beeindruckendes darstellerischen Können zur Schau, wenn sie den Emotionen ihres Charakters allein durch ihre Körpersprache Ausdruck verleiht.
Die berühmte Gesichtsoperation, eindeutig Klimax des Films, leitet die abschließende Tragödie seiner weiblichen Hauptfigur ein. Der dokumentarische Stil stärkt heutzutage noch die Wirkung der zugegeben einfach getricksten, aber effektiv ausgestalteten OP-Szene. Die Auswirkungen dieser neuerlichen Transplantation vergrößern Christianes Leid, welches die tot geglaubte Frau eine Affekthandlung begehen lässt, die die Aufmerksamkeit der Polizei - bezüglich der Mordserie um die gesichtslosen Frauenleichen weitgehend im Dunkeln tappend - auch nochmal auf ihren vermeintlichen Todesfall lenkt. Sowohl die Verflechtung von Horror und Drama im Plot von Augen ohne Gesicht als auch die visuelle Ausgestaltung und Details wie der abgelegene Wohnsitz der Génessiers oder der Umstand, dass die im Keller in Käfigen gehaltenen Hunde des Doktors fast ohne Unterlass bellen, sind der schwarzen Romantik entlehnte Motive, welche in den Händen Franjus gekonnt in den vorherrschenden, um Realismus bemühten Stil eingeflochten wurden.
Die ersonnenen und mit dieser Stilistik kombinierten, traumwandlerischen Bilder erscheinen wie aus einem Guss. Franju kreiert eine Cold Gothic, die auf den Zuschauer eine verführerische Faszination ausübt und - im Vergleich zu späteren Vertreter eines (europäischen) Gothic Horrors der Moderne - weniger mit oberflächlich leerer Symbolik daherkommt. Ohne genau Stellung zu einem Thema zu beziehen, ist Augen ohne Gesicht ein interpretationsreicher Film, der beispielsweise Gedankenspiele um Grenzen und Ehtik in der Medizin, diesbezüglich sogar auf die in der NS-Zeit durchgeführten unmenschlichen medizinischen Experimente ausgeweitet, zulässt oder sich als Beobachtung bezüglich der Ambivalenzen in menschlichen Beziehungen lesen lassen kann. Gleichzeitig kann man den Film als einer der Übergänge vom klassischen zum modernen Horrorfilm ansehen, der außerdem für letzteren ein durchaus großer Einfluss war. Weit weg vom nachfolgenden, enthemmteren Exploitationfilm bereitet er für diesen mit seinem Stil dessen um Authentizität bemühte Gestaltungsweise vor und präsentiert keine außerweltlichen, sondern menschliche, greifbare Monstren als Schreckensbringer die mehr als 60 Jahre nach ihrem ersten Auftritt auf der Leinwand nichts von ihrer Wirkung verloren haben. Der Film verwehrt sich gegen die vielen Schubladen in die man ihn stecken könnte, ist vieles zu gleicher Zeit und, vor allem, ein heute noch rundum gelungenes Genre-Masterpiece.
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