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Samstag, 27. Juli 2024

Demon - Dibbuk

Als der in London lebende Piotr in seine Heimat Polen zurückkehrt, um seine Freundin Zaneta zu ehelichen, stößt er einen Tag vor der Hochzeit beim Graben im Garten des Hauses, das die gemeinsame Heimat des jungen Paares werden soll, auf Knochen. Vieles deutet darauf hin, dass diese menschlichen Ursprungs sind. Vielleicht auch aus Überforderung mit dem verstörenden Fund, entschließt sich der sein Brot als Architekt verdienende Bräutigam, das Loch wieder zu schließen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Damit tritt er etwas los, dass seine Hochzeitsfeier in Chaos stürzen, seine Braut bis aufs Mark erschrecken und die Schwiegereltern im höchsten Maße stressen wird. Wie Piotr nach seiner Entdeckung üben sie sich in Ignoranz, Vergessen, Verdrängung. Themen, die Regisseur Marcin Wrona zum zentralen Thema seines Films macht. Der titelgebende Dibbuk ist in der jüdischen Folklore ein meist bösartiger Totengeist, der - so auch hier - in den Körper eines Lebenden eintritt und bei diesem irrationales Verhalten bewirkt. Der polnische Regisseur, der sich einen Tag nach der Welt-Premiere von Dibbuk das Leben nahm, erschuf einen doppelbödigen Horror, dem es weniger um die durch einen Geist hervorgerufene Besessenheit geht. Mehr möchte er mit seinen Werk zeigen, dass der wahre Schrecken in dem liegt, was nicht wahrgenommen, nicht gesehen wird. Und das aus voller Absicht heraus. 

Gänzlich vom Geist eines jüdischen Mädchens erfasst, wird der im Keller des Hauses versteckte Piotr zum Sinnbild dafür, wie ein großer Teil der polnischen Gesellschaft verdrängt, was den dort lebenden Juden im zweiten Weltkrieg widerfahren ist und das auch die Polen diese an die Nazis verrieten oder gar ermordeten, um an deren Besitztümer zu gelangen. So scheint es Wrona ein sehr persönliches Anliegen zu sein, diese von seinen Landsleuten verdrängten, tief verborgenen Erinnerungen wieder hervor zu holen. Die Gäste der Hochzeitsfeier werden zu einem verzerrten, aber augenscheinlich treffend dargestellten Abbild eines Volks, das geübt in Verdrängung und Schönrederei ist. Einige Szenen werden mit einer passenden Prise Humor aufgelockert, die darin wohnende, unangenehme Stimmung damit gleichzeitig aber auch verstärkt. Des Öfteren fühlt man sich bei dieser Atmosphäre an Thomas Vinterbergs Das Fest erinnert. Der Horror selbst beginnt, ähnlich wie in In den Krallen des Hexenjägers, mit dem Fund von Überresten. In Dibbuk ist der Schrecken realer wie man zuerst annehmen mag, gerät aber nie ins Hintertreffen, auch wenn Wrona ihn mehr dafür nutzt, den dramatischen Aspekt seiner Geschichte auszuarbeiten. Was nun mit Hanna, so der Name der im Garten aufgefundenen Toten, einst ein Mitglied der Dorfgemeinschaft, passiert ist, deutet der Film nur an. Ein Ausformulierung wäre allerdings auch zu viel des Guten. Der Film beunruhigt auch deswegen, weil er nur so viel wie Nötig zeigt, erzählt und überlässt den Rest dem Kopf des Zuschauenden. So kann jeder für sich selbst entscheiden, wie viel vom erzählten einen übernatürlichen oder doch ganz reellen Ursprung besitzt. Mit dem naturalistische Look und seiner erdigen Farbgebung ist Dibbuk moderner Folk Horror (der beispielsweise auch in der fantastischen Dokumentation Woodlands Dark And Days Bewitched: A History of Folk Horror erwähnt wird) und ein aufrüttelndes Drama, das durch sehr gute Leistungen vor und hinter der Kamera überzeugen kann.

Freitag, 26. Juli 2024

The Faculty - Trau keinem Lehrer!

Der Quentin und der Robert. Beide galten zu Anfang ihrer Karrieren als Wunderkinder. Tarantino konnte sich trotz oder wegen seines verschrobenen Film-Nerdism einen Platz in Hollywood sichern, während sein Spezi Rodriguez es etwas schwerer hatte. Potenzial schlummerte sichtbar mannigfach in ihm, doch konnte er dies nie voll abrufen. Woran das liegt, kann man in den von ihm ab den 2000ern inszenierten Filmen gut erkennen. Der Amerikaner mag ein mit Talent gesegneter Theoretiker sein, der über die Zeit seinen Fokus stark auf die technische Seite des Filmens ausrichtete, nur fehlt in der Praxis seinen Werken vor allem das, welches selbst Tarantinos Copy-and-Paste-Mashup-Cinema besitzt: Seele. Technik und Effektkunst erhoben sich zum Leitmotiv von Filmen wie Sin City (hier besprochen), die beeindruckend, aber gleichzeitig auch unterkühlt sind und eine Regie aufzeigt, die weit weg, vom eigenen Werk distanziert, wirkt. The Faculty lässt den Weg, welchen Rodriguez einschlagen sollte, bereits etwas erahnen. Dessen kühle Stimmung passt allerdings treffend zum Plot, der einer Gruppe von Außenseitern folgt, darunter der scheue Casey, welcher an seiner High School eine schreckliche Entdeckung macht. Eine parasitäre, außerirdische Spezies übernimmt nach und nach die Körper von Lehrern wie Schülern, welche sich nach erfolgreicher Übernahme des Körpers - ähnlich wie in Die Dämonischen - seltsam verhalten und seelenlos erscheinen.

Casey und die wenigen Mitschülerinnen und Mitschüler, welche seinen Beobachtungen Glauben schenken, sollen natürlich ebenfalls Wirtskörper für die Aliens werden und so versucht die ungleiche Truppe von Jugendlichen gleichzeitig, diesen nicht zum Opfer zu Fallen und Gegenwehr zu leisten. Bis sie eine Lösung finden, um der extraterrestrischen Bedrohung Herr zu werden, ist es beinahe zu spät. Mit seinem Drehbuch scheint sich Kevin Williamson auf dem Erfolgsrezept des von ihm geschriebenen, zwei Jahre zuvor entstandenen Scream - Schrei!, auszuruhen. Auch The Faculty ist gespickt mit Anspielungen und Referenzen auf Klassiker des Genres - insbesondere dem Paranoia-Film der 50er Jahre - baut aber die Meta-Ebene weniger clever aus. The Faculty ist mehr Hommage, die übertrieben, klischeehaft, campy - und gerade deswegen unterhaltsam - ist. Die von ihm erdachten Figuren und Szenarien sind keine Neuerfindung des Rades, sondern allseits bekannt, aber eine sympathische Zusammensetzung von Versatzstücken. Rodriguez wiederum setzt die von Williamson ersponnenen Ideen mit einer flotten Inszenierung um, welche im Verlauf des Films einen hübschen Rhythmus bekommt. Die Beteiligten vor und hinter der Kamera haben spürbar Freude daran, einmal quer durchs Genre zu pflügen und keine Gefangenen zu machen. Die unterschwellige Gesellschaftskritik mancher Vorbilder aus alten Tagen wird zu Gunsten der jungen Zielgruppe und des Themas gegen ein Plädoyer für Individualismus in Gestalt der High School Misfits eingetauscht. Wobei hier wiederum das, was nach dem Finale geschieht, abstinkt und dieses Plädoyer ad absurdum führt. Das schmälert den Unterhaltungswert des Films kaum und zeigt Rodriguez nochmal mehr an der Basis eines von ihm inszenierten Films, bevor er in kommenden Jahren immer etwas über seinen eigenen Werken stand.

Freitag, 12. Juli 2024

Killing Birds

Wer mir auf diversen sozialen Netzwerken folgt, dem dürfte nicht entgangen sein, dass ich mein Sammlerherz seit längerem an das im US-Bundesstaat Connecticut beheimatete Filmlabel Vinegar Syndrome, welches dort auch eines von insgesamt drei Ladengeschäften und ein beachtliches Filmarchiv betreibt, verloren habe. Mit ihrem Programm, irgendwo zwischen Genre-cineastischen Highlights, kleinen Perlen, Käse - mal schmackhaft, mal stinkend - aus der B-Film-Hölle, Höhepunkten der goldenen Ära des Erwachsenenfilms und jüngst auch Arthouse und Autorenkino triggert man meinen Geschmack meist mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit. Dabei schaffen es auch Filme wieder in die Sammlung, von denen man sich sicher war, dass man sie wegen ihrer mangelnden Qualität nimmermehr im Leben schauen wird. Ein Beispiel hierfür ist Claudio Lattanzis einzige Regiearbeit Killing Birds, der aus einer Zeit stammt, in der das italienische Genrekino damit begann, sich auf seinem Totenbett nieder zu betten. Die letzten Jahre seines langsam verblassenden Sterns gerieten weitgehend so prunklos und karg, wie sich der Film präsentiert. Mit Blick auf die glorreichen Jahre kopierte es sich sowie seine Vorbilder aus den USA bloß noch und ließ jegliche Kreativität zumeist vermissen. Wenngleich das Wiedersehen weniger schlimm wie erwartet ausfiel, muss ich eben dies auch dem von Joe D'Amatos Studio Filmirage produzierten Werk attestieren.

Der mitunter krude und wilde Ideenreichtum glorreicher Tage ist merklich vergangen. Krude ist höchstens noch, wie Lattanzi, der sich auch für das Script verantwortlich zeichnet, Genreversatzstücke kombiniert. Was mit dem Prolog - der Heimkehr eines Kriegsveteranen, der seine Gattin im Bett mit einem anderen erwischt und sein Kampfmesser zur blutigen Bestrafung zückt - einem Slasher gleicht, entwickelt sich mit der eigentlichen Story zu einem übernatürlichen Brimborium, in dem - selbstverständlich - Untote nicht fehlen dürfen. Der Farbgebung des Films ähnlich fahl folgt die Geschichte einer Gruppe von Studenten, die in der Wildnis Louisianas eine seltene Vogelart ausfindig machen wollen. Das einzige, was die Damen und Herren finden, ist ein heruntergekommenes Haus, in dem man sein Lager aufschlägt und nach einigen seltsamen Begebenheiten unliebsame Bekanntschaft mit Zombies macht. In der Art der Darstellung möchte Lattanzi merklich eine Brücke zu den frühen Horrorgroßtaten eines Lucio Fulci schlagen. Von diesem leiht er sich für seinen Film eine alptraumhafte Stimmung, die wie die Narration farblos, trüb ist und doch auf eine ganz eigene Weise zu gefallen weiß. Der durch die Sets wehende Hauch von Fulci ist aber doch mehr ein Miasma. Dieser über Killing Birds wabernde Pesthauch verleiht dem Film eine undefinierbare, eigenartige Schönheit der Verendung, wenn man wohl auch etwas wehmütig dabei zuschaut, wie der Film sich im schnöden Reproduzieren der Eigenheiten des Horrorfilms seines Entstehungslandes ergeht. Während spätere italienische Produktionen noch mehr Zeit verschwendendes Ärgernis waren, so kann man unter der faden Oberfläche eine Bemühung verzeichnen, den Schock vergangener Jahre nochmal aufleben zu lassen. Doch 1987 reichte es bei der Filmirage nur zu einer Großtat, die erstaunlicherweise in jenem Jahr mit Michele Soavis Aquarius - Theater des Todes noch einen der besten italienischen Horrorfilme der späten 80er Jahre veröffentlichten sollten.

Montag, 8. Juli 2024

Die Zeit der Wölfe

Er wird geschätzt, verehrt und gefürchtet. Die Darstellung des Wolfes in den unterschiedlichen, existenten Mythologien ist vielschichtig und mehrdeutig. Nicht allein, aber auch durch die Christianisierung etablierte sich im Kopf der Menschen ein negatives Bild des Tieres, welches dort zu einem natürlichen Feind des Hirten (Gott) und seiner Schafe (die Gläubigen) wurde. Jahrzehnte später, in den 80ern, predigte auch Rock'n'Roll-Heiland Lemmy: "The wolf is here, he's at your side / You better fight him, or it's you that's gonna die". Im Grimm'schen Märchen über Rotkäppchen ist er das Sinnbild für den Fremden, von dem man als junges Mädchen besser Abstand und sich in Acht nimmt, bevor man vom rechten Weg abkommt und schlimmsten Falls seine Keuschheit verliert. Auch die feministische Autorin Angela Carter macht uns in Zeit der Wölfe mit Regisseur und Co-Autor Neil Jordan eigentlich unmissverständlich klar, dass man nicht vom Wege abweichen solle, da der Wolf - hier Sinnbild für Vertreter des männlichen Geschlechts - scharfe Zähne hat und man keinem fremden Manne trauen soll. Trotzdem setzt sich die Erwachsenen-Mär um das sich in eine fantastische Welt träumende Mädchen Rosaleen nicht allein auf diese simple Moral fest. Jordan und Carter formen deren Kurzgeschichten "Der Werwolf" und "Die Gesellschaft der Wölfe", auf denen der Film basiert, zu einem vieldeutigen Werk.

Die Pubertät hat längst von Protagonistin Rosaleen und ihrem Körper Besitz ergriffen. In einem unruhigen Fiebertraum erfährt sie als Red Riding Hood in einer mittelalterlichen Fantasiewelt am eigenen Leib die verführerischen Künste eines Wolfes, der nicht im Schafspelz, dafür in der Haut eines adretten wie attraktiven Jägers daherkommt. Die Warnungen ihrer Großmutter, von dieser in Geschichten gepackt, sind in diesem Moment längst in Vergessenheit geraten. Sie erliegt dem Reiz des verschlagenen Wolfes, scheint an ihn verloren, obwohl davor durch die von Angela Lansbury gemimte Oma Rosaleens in aller Deutlichkeit die moralische Keule geschwungen wird. Dabei entfernt sich Die Zeit der Wölfe an diesem Punkt einzig von einer eindeutigen, unmissverständlichen Schwarz-Weiß-Zeichnung und dem belehrenden Charakter der Volksmärchen. Die Widersprüchlichkeiten des Erwachsenwerdens, Rosaleens Coming of Age, verpackt der Film in eine wunderschön düstere Geschichte, die von kleineren Erzählungen aufgebrochen wird, bevor der rote Faden wieder in die Hand genommen wird. Manchmal lässt dies den erzählerischen Fluss brechen; das großartige Production Design lässt locker darüber hinwegsehen und begeistert mit einer wortwörtlich traumhaften Welt, durch die man gerne wandelt und von seiner proppenvollen Symbolik erschlagen lässt.

Die Zeit der Wölfe bezaubert - wieder wortwörtlich - ebenso durch seine progressive, feministische Haltung. Carter und Jordan nutzen die Symbolik des zu Grunde liegenden Märchens, lassen den Wolf zum Sinnbild für den Mann werden, ohne ihn zur Gänze abzulehnen. Mehr nutzt man die Syntax der Erzählungsform, um die vom männlichen Geschlecht ausgehenden Gefahren darzustellen und schildert in der Geschichte von jenem Erwachsen werden seiner Hauptfigur. Sexuelles erwachen und auch die Loslösung von den Eltern, das stehen auf eigenen Füßen; auch wenn dies ein großer Bruch bedeutet indem man dem inneren Tier den Vortritt lässt. Wenn die Wölfe in ihrer ungezügelten Wildheit in den Wald stürmen, darunter auch die verwandelte Rosaleen, dann ist dieses Ende weit weniger negativ, wie eventuell zuerst empfunden. Es ist mehr eine positive Haltung zu dem, was in einem auch in den Jahren des Heranwachsens schlummert und zu dem man stehen sollte. Das macht den Film zu einem wunderbar vielschichtigen Werk, ein folkloristisches Horror-Märchen, beseelt vom Geist des klassischen und Gothic-Horrorfilms, zu dem man immer wieder gerne zurückkehrt, weil er auch so viel bietet, worüber man sinnieren kann.