Gänzlich vom Geist eines jüdischen Mädchens erfasst, wird der im Keller des Hauses versteckte Piotr zum Sinnbild dafür, wie ein großer Teil der polnischen Gesellschaft verdrängt, was den dort lebenden Juden im zweiten Weltkrieg widerfahren ist und das auch die Polen diese an die Nazis verrieten oder gar ermordeten, um an deren Besitztümer zu gelangen. So scheint es Wrona ein sehr persönliches Anliegen zu sein, diese von seinen Landsleuten verdrängten, tief verborgenen Erinnerungen wieder hervor zu holen. Die Gäste der Hochzeitsfeier werden zu einem verzerrten, aber augenscheinlich treffend dargestellten Abbild eines Volks, das geübt in Verdrängung und Schönrederei ist. Einige Szenen werden mit einer passenden Prise Humor aufgelockert, die darin wohnende, unangenehme Stimmung damit gleichzeitig aber auch verstärkt. Des Öfteren fühlt man sich bei dieser Atmosphäre an Thomas Vinterbergs Das Fest erinnert. Der Horror selbst beginnt, ähnlich wie in In den Krallen des Hexenjägers, mit dem Fund von Überresten. In Dibbuk ist der Schrecken realer wie man zuerst annehmen mag, gerät aber nie ins Hintertreffen, auch wenn Wrona ihn mehr dafür nutzt, den dramatischen Aspekt seiner Geschichte auszuarbeiten. Was nun mit Hanna, so der Name der im Garten aufgefundenen Toten, einst ein Mitglied der Dorfgemeinschaft, passiert ist, deutet der Film nur an. Ein Ausformulierung wäre allerdings auch zu viel des Guten. Der Film beunruhigt auch deswegen, weil er nur so viel wie Nötig zeigt, erzählt und überlässt den Rest dem Kopf des Zuschauenden. So kann jeder für sich selbst entscheiden, wie viel vom erzählten einen übernatürlichen oder doch ganz reellen Ursprung besitzt. Mit dem naturalistische Look und seiner erdigen Farbgebung ist Dibbuk moderner Folk Horror (der beispielsweise auch in der fantastischen Dokumentation Woodlands Dark And Days Bewitched: A History of Folk Horror erwähnt wird) und ein aufrüttelndes Drama, das durch sehr gute Leistungen vor und hinter der Kamera überzeugen kann.
Credits
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Samstag, 27. Juli 2024
Demon - Dibbuk
Als der in London lebende Piotr in seine Heimat Polen zurückkehrt, um seine Freundin Zaneta zu ehelichen, stößt er einen Tag vor der Hochzeit beim Graben im Garten des Hauses, das die gemeinsame Heimat des jungen Paares werden soll, auf Knochen. Vieles deutet darauf hin, dass diese menschlichen Ursprungs sind. Vielleicht auch aus Überforderung mit dem verstörenden Fund, entschließt sich der sein Brot als Architekt verdienende Bräutigam, das Loch wieder zu schließen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Damit tritt er etwas los, dass seine Hochzeitsfeier in Chaos stürzen, seine Braut bis aufs Mark erschrecken und die Schwiegereltern im höchsten Maße stressen wird. Wie Piotr nach seiner Entdeckung üben sie sich in Ignoranz, Vergessen, Verdrängung. Themen, die Regisseur Marcin Wrona zum zentralen Thema seines Films macht. Der titelgebende Dibbuk ist in der jüdischen Folklore ein meist bösartiger Totengeist, der - so auch hier - in den Körper eines Lebenden eintritt und bei diesem irrationales Verhalten bewirkt. Der polnische Regisseur, der sich einen Tag nach der Welt-Premiere von Dibbuk das Leben nahm, erschuf einen doppelbödigen Horror, dem es weniger um die durch einen Geist hervorgerufene Besessenheit geht. Mehr möchte er mit seinen Werk zeigen, dass der wahre Schrecken in dem liegt, was nicht wahrgenommen, nicht gesehen wird. Und das aus voller Absicht heraus.
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