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Sonntag, 29. April 2018

The Wailing - Die Besessenen

Schon die Bibel lehrte uns, das der Glaube Berge versetzen kann. Innere Überzeugtheit, Konzentration auf bestimmte Dinge: man muss nur daran glauben, um eine zuerst nicht meisterbare Situation zu bewältigen. Schon diese Redensarten beweisen, wie stark unsere geistige Fähigkeiten sein können, um durch reine Kraft der Gedanken sich zu motivieren oder zu kräftigen. Ebenso haben wir die Fähigkeit diese Kraft auszunutzen und zu manipulieren. Na Hong-jins The Wailing zeigt extremere Beispiele dieser Glaubenskraft inmitten seiner fahrigen Mischung aus Drama, Horror und Thriller. Es beginnt alles mit dem grausamen Mord in einem kleinen Dorf an einer Familie, deren Mörder scheinbar den Verstand verloren hat und mit einem unschönen, großflächigen Ausschlag übersät ist. Der im Fall ermittelnde Polizist Jong-Goo glaubt zuerst daran, dass eine Pilzvergiftung schuld an der Wesensveränderung des Täters ist. Alsbald verlieren weitere Bewohner der Ortschaft ihre Beherrschung und fallen durch blutiges Treiben, Raserei und dem gleichen Ausschlag auf ihrem Körper auf.

Jong-Goo kommt zu Gehör, dass in den Wäldern die das Dorf umschließen ein japanischer Einsiedler lebt, dem die gesunden Bewohner bald die Schuld an den Begebenheiten geben. Der einfältige Polizist glaubt diesen Gerüchten und versteift sich bei seinen Ermittlungen auf den Japaner. Dessen Schuld wird von einem von Jong-Goo zu Rate gezogenen Schamanen untermauert, als dessen Tochter im Verhalten die gleichen Anzeichen zeigt wie die zuvor durchgedrehten Bewohner. Jong-Goo macht weiterhin jagt auf den Einsiedler, während der Schamane mit einem aufwändigen Ritual versucht, das Mädchen von ihrer fortschreitenden Besessenheit zu befreien. Bald kommen Zweifel auf, dass der Japaner wirklich der Schuldige an den Vorkommnissen Im Ort ist. Leider verpasst es Na Hong-jin dabei, die gegebenen Möglichkeiten seiner Geschichte klar herauszuarbeiten. The Wailing könnte ein Statement,  eine Studie sein; er verliert sich in sich selbst. Wie sein Protagonist sind der Film und sein Regisseur ziellos, was auch die immense Laufzeit von gut zweieinhalb Stunden erklärt. Na Hong-jin reduziert nicht. Er baut The Wailing episch auf, lässt ihn als Thriller beginnen, der durch seinen Look leicht an Bong Joon Hos Memories of Murder erinnert.

Bei der Einführung seines Protagonisten lässt er sich Zeit; die zugegeben sehr gute Darstellung Do Won-Kwaks des einfachen, etwas furchtsamen und faulen Polizisten erhält in der ersten Hälfte viel Raum. Diese ausführliche Beleuchtung des Charakters lässt ihn als unsympathischen Zeitgenossen erscheinen. Der Eindruck wird verstärkt, als er mit unschönen Mitteln dem Japaner zu Leibe rückt. Leider wenig hilfreich, hier eine Verbindung zwischen Hauptfigur und Zuschauer aufzubauen. Verstärkt aufkommende Mysteryelemente bereiten in der zweiten Hälfte die Wandlung in einen Horrorfilm vor um, nicht untypisch für koreanische Genrefilme, dies mit dramatischen Tönen zu verbinden. Eines der Probleme des Films hierbei ist, dass er sich auch dafür ausufernd Zeit nimmt. The Wailing ist eine gute halbe Stunde zu lang, mag er an einigen Stellen doch schwerlich auf den Punkt kommen. Na Hong-jin schlägt innerhalb seiner Geschichte nicht unbedingt nötige Haken, anstatt sich auf einen bestimmten Aspekt zu konzentrieren. Möglichkeiten hätte er, könnte man seinen Film doch eigentlich wunderbar als Studie über die Stärke(n) des Glaubens lesen. Verwurzelte Vorurteile, dass von Fremden nichts gutes ausgehen kann, somit gut und gerne als eingepflanzt zu bezeichnende Xenophobie, die schwer aus den Köpfen einiger Menschen zu vertreiben ist, zeigt The Wailing zwar im Ansatz, gibt dies mehr oder minder für den übernatürlichen Plot auf.

Jong-Goo ist allein durch seine Zeichnung, die weit entfernt vom typischen Heroenbild ist, ein gutes Beispiel dafür, wie einfach Glauben mittels Gerüchten etc. zu beinflussen ist. Trotz seines Berufs, durch den er eine gesunde Portion Skepsis und eigene Meinungsbildung mitbringen sollte. Auf der anderen Seite spielt The Wailing mit der Frage, inwieweit Aberglaube als kollektives Erlebnis die Wahrnehmung beeinflussen kann. Lange lässt das Drehbuch die Frage im Raum schweben, ob die paranormalen Elemente überhaupt reell oder doch nur reines Konstrukt der menschlichen Wahrnehmung sind. Bevor das näher beleuchtet oder ausgearbeitet werden kann, gibt sich Na Hong-jin der Bequemlichkeit hin und bewegt seine Geschichte in Richtung Phantastik. Die eigentliche Unsitte deutscher Verleiher, gefühlt jedem dritten Film einen Untertitel zu verpassen, passt hier ausnahmsweise und greift eine Thematik von The Wailing auf, die durchaus eine hübsche Doppeldeutigkeit besitzt. Besessenheit ist der Kern der Geschichte, die man durchaus auch darauf münzen kann, dass die bisher verschonte Dorfgemeinschaft von ihrem Aberglauben besessen ist. Dies ist auch Jong-Goo mit seinen Verdächtigungen gegenüber des Japaners. Und auch dieser zuerst so rätselhaft erscheinende Charakter ist dies in seiner Handlung.

Glauben kann in seiner extremsten Form eine Besessenheit sein. The Wailing lässt seine Möglichkeiten links liegen, subversiven Horror zu gestalten und lässt den westlichen Zuschauer manchmal auch recht ratlos zurück, wenn er sich auf traditionelle asiatische Mythen und Rituale konzentriert und diesen viel Raum bietet. Das lässt einen atmosphärisch starken Film zurück, dessen Geschichte mehr Straffheit, mehr Struktur gut getan hätte. Irgendwann findet man sich mit dem eingeschlagenen Weg ab, ohne nicht doch leicht wehmütig den liegengelassenen Möglichkeiten hinterher zu schauen. Dort hat man sich von The Wailing geistig schon längst gelöst und festgestellt, das der Film weit weniger in die Tiefe geht, wie gewünscht oder möglich wäre. Man verliert förmlich den Glauben an das Werk. Trotz seiner zwei bis drei starken Szenen, besitzt The Wailing nicht die Kraft, sich in den Kopf des Zuschauers festzubeißen. Viel zu oft fällt einfach auf, dass die Geschichte aufgebläht ist. Mit mehr Fokus und einem besseren Blick auf die Perspektiven in Richtung Glauben, welche die Story durchaus erlaubt, wäre hier ein durchaus famoser Film entstanden. Im Endeffekt ist The Wailing zwar nicht richtig schlecht, aber leider auch nicht richtig gut.

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