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Sonntag, 25. August 2019

Lords of Chaos

Mit den Bands Motörhead, Grave Digger und Sodom hat alles angefangen. Seitdem befinde ich mich seit gut zwanzig Jahren - trotz Unterbrechungen und damit verbundenen, auf andere Genres bzw. Subkulturen verschobenen Interessen - in den Klauen des Heavy Metal. Im letzten Jahr brachte mich die schwedische Okkult Rock-Band Ghost mit ihrem aktuellen Album zurück zu den musikalischen Wurzeln und während ich zu Beginn meiner "Metaller-Karriere" bei extremeren Spielarten wie Death- oder Black Metal wegen der stumpfer Brutalität der Musik wenig begeistert meist schnell abwinkte, erwachte über die Jahre zumindest für Black Metal leichtes Interesse. Trotz weniger Berührungspunkte mit diesem Subgenre stößt man, wenn man sich intensiver mit Heavy Metal auseinandersetzt, auf einen der größten Skandale, der es über die Szenemauern hinaus schaffte, für großes Medienecho sorgte und Black Metal ins Bewusstsein vieler Menschen setzte:
die durch Brandstiftung entstandenen Kirchenbrände im Norwegen der frühen 90er und den Mord von Kristian "Varg" Vikernes an seinem Bandkollegen Øystein "Euronymus" Aarseth.

Nachdem die musikalisch spannende, chaotische und gewalttätige erste Welle der noch jungen Black Metal-Szene in Skandinavien abebbte, erschien im Jahr 1998 das Sachbuch Lords of Chaos. Die verschiedenen Vorkommnisse der vergangenen Jahre wurden darin aufgearbeitet und ließ die damaligen, mit den im Buch beschriebenen Vorkommnissen verknüpften Szene-Köpfe der damaligen Zeit, darunter auch Vikernes, zu Wort kommen. Das Buch mit den darin abgedruckten, ungefilterten wie unkommentierten Gesprächen wurde in und außerhalb der Szene kontrovers aufgenommen. Die Verstrickungen von Autor Michael Moynihan in die rechtsextreme Szene heizten die Diskussionen um das Werk zusätzlich an. Viele Jahre nach seiner Veröffentlichung nahm sich Jonas Åkerlund dem Buch an und arbeitete als ausführender Produzent, Autor und Regisseur an einer Verfilmung dessen. In Bezugs auf das Thema erweist sich der Schwede, welcher sich als Videoclip-Regisseur für Madonna, Sigur Rós, The Prodigy oder Rammstein einen Namen machte, als gute Wahl. Von 1983 bis 1984 saß er unter dem Pseudonym Vans McBurger hinter dem Schlagzeug der schwedischen Metal-Band Bathory, welche mit ihrem Sound u. a. auch den Black Metal beeinflusste und deren bekanntes Goat-Motiv des Debütalbums häufiger auf den Shirts der Figuren des Films zu sehen ist.

Dieser entpuppt sich als zweischneidige Angelegenheit. Lords of Chaos schildert die Geschichte aus der Sicht von Øystein Aarseth, der als Erzähler fungiert und mit Voice Overs die Geschichte vorantreibt und kommentiert. Euronymus ist der Verbindungspunkt mit dem Zuschauer, der diesen aktiv anspricht, während der Film über weite Strecken die Handlung so nüchtern anpackt, dass eine distanzierte Kühle entsteht. Ansatzweise erinnert man sich in den Schlüsselmomenten rund um Aarseth und den Anfangstagen seiner Band Mayhem sowie dem kriminellen Treibens seines "Inner Circle" nach der Gründung des Plattenladens Helvete in Oslo bei deren Darstellung an die unmenschlich kalte Stimmung einiger Black Metal-Songs erinnert. Als Kenner der Materie besitzen manche Szenen trotz des Wissens, was folgt, eine unangenehme Wirkung. Der Suizid des ersten, schwer depressiven Sängers Per Yngve "Dead" Ohlin und der von Bård "Faust" Eithun begangene Mord an einem Homosexuellen in Lillehammer sind durch Åkerlunds stiller Beobachter-Perspektive schwer im Magen liegende Szenen die nachhallen.

Leider wird diese Sicht auf die vergangenen Zeiten von Momenten durchbrochen, in denen die Geschichte und die darin vorkommenden Menschen für ein hippes, PC-getreues Publikum und deren Sensationslust vorgeführt wird. Metal-Fan als solche und Black Metal-Anhänger insbesondere erscheinen in ihrer Andersartigkeit ein gefundenes Fressen für Szenen, die plump provokativ wirken sollen und damit höchstens in ihrer Blase durch gentrifizierte Trendviertel schwebendes Hipstervolk oder Senioren jenseits der 80 schockieren können. Nicht von ungefähr erinnert das an Reportagen der Vice. Diese hat Lords of Chaos mit ihrer Firma Vice Films mitproduziert und hat den Black Metal schon zu früheren Zeiten für sich entdeckt. True Norwegian Black Metal - ein Begriff der auch im Film selbst häufiger fällt - ist eine von der Vice produzierte Kurz-Dokumentations-Serie über die extreme Spielart des Heavy Metals. Wie das zugrunde liegende, verfilmte Buch wurde diese alles andere als gut aufgenommen und den Machern absichtliche Falschinformation vorgeworfen; Hauptsache die Zielgruppe erhält neues Futter über die "abartigen" Andersartigkeit außerhalb der eigenen Blase.

Nötig hat Lords of Chaos dieses Gehabe eigentlich nicht. Åkerlunds Film schafft die Balance zwischen kühler Studie und True Crime-Drama und ermöglicht dem Zuschauer einen Einblick in die Anfangstage einer Szene und Musikrichtung, bei der ich selbst ständig zwischen Faszination und Abscheu schwanke. Wie das Buch enthalten sich Åkerlund und sein Co-Autor Dennis Magnusson jeglichen Urteils über die Geschehnisse. Sie lassen Euronymus sprechen und zeigen an seiner Person das ganze Paradoxon des Black Metals. In keiner anderen Spielart des Metals ist man um angebliche Authentizität bemüht und schwankt auf dem schmalen Grat zwischen ideologischer Extreme und purem Posertum. Der schwelende Konflikt zwischen Aarseth und Vikernes, begonnen bei Kleinigkeiten wie dem bemängelten Scorpions-Patch an der Jacke Vikernes' beim ersten, kurzen Aufeinandertreffen der beiden entwickelt sich zu einer hochexplosiven Mischung aus auseinander triftenden Ideologien, Eifersucht und der "existenziellen" Frage, was eigentlich true ist. Die Konzentration auf Euronymus lässt diesen zu einer tragischen Figur werden, der den Zwängen der Szene hätte entwachsen können.

Der steifen Sicht des Films auf ihren Protagonisten nach könnte man Åkerlund eine einseitige Konzentration vorwerfen. Vikernes bleibt in seiner Darstellung gefühlt eine Randfigur, obwohl er der zweite Protagonist ist. Im Vergleich mit dem Buch ein sorgsam eingeschlagener Weg und Kontrast. Das der Norweger damals eine eigentlich leicht manipulierbare wie gleichzeitig einnehmende Persönlichkeit war, die sich über die Jahre (bis in die Gegenwart) gefährlich radikalisierte, wird schnell klar. Die im jugendlichen Rebellentum anhaltende Ablehnung gegenüber der Institution Kirche, weil sie den Glauben der norwegischen bzw. skandinavischen Vorfahren vertrieb und die Vermengung mit nationalistischem Denken eskalierte in den auch im Film gezeigten Kirchenbrandstiftungen; eine Konsequenz der ersten, frühen Radikalisierung Vikernes'. Dieses leere Gefäß, welches er in Andeutungen vor dem ersten Treffen mit Aarseth gewesen schien, war gleichzeitig gerne aufnahmebereit für die satanistische, lebensverneinende Welt des Black Metal. Noch heute ist die Szene Tummelplatz vieler zweifelhafter Gestalten und Nährboden für nationalsozialistische Auswüchse.

Die in Lords of Chaos beschriebene Zeit in Norwegen (und den angrenzenden Nachbarländern) quoll über vor hungrigen und jungen Menschen, die mit dieser neuen Extremen in der Subkultur über die nächsten Jahre in der Szene für Aufsehen und Kontroversen sorgen sollten. Gleichzeitig war ihr jugendliches Alter ein offenes Tor für extreme, radikale Gedankengänge. Würde die überwiegende Neutralität des Erzählstils nicht manchmal Platz machen für die sensationshaschende Zurschaustellung einer Subkultur, aus der Åkerlund selbst entstammt, wäre der Film im Gesamtton eine Nuance eindringlicher. Ebenso verzichtet er auf einen zu befürchtenden nostalgisierten Blick in die Vergangenheit. Das wird dem Zuschauer überlassen, der - sofern Fan - beim Anblick von Platten und Postern solcher Bands wie Metal Church, Motörhead oder Mercyful Fate sich ein leichtes Lächeln wegen des gebotenen Anblicks nicht verkneifen kann. Bei mir selbst war die kurz im Bild zu sehende "In The Sign Of Evil"-LP von Sodom - die Gelsenkirchener waren mit ihrem Spiel und dem rumpeligen Sound dieser und nachfolgenden Veröffentlichungen ebenfalls ein großer Einfluss für die frühen Black Metal-Bands - ein kurzer Grund spontanen feierns. Bei aller Kritik an der unterschiedlichen Tonalität kann man auch Lords of Chaos als spannenden und interessanten Blick in eine Subkultur ewiger Extreme ansehen und feiern dessen unaufdringliche Fotografie zeigt, dass in deren Schwärze eine faszinierende Schönheit innewohnt, deren Wirken auf einen selbst gefangen nimmt und begeistern kann.

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