The world is yours. Was sich Toni Montana in Brian de Palmas Scarface auf einer güldenen Statue prangend in sein Büro stellte, scheint dem Kleinkriminellen Pierro, von seinen Kumpanen meist Pete genannt, vor dessem geistigen Auge zu schweben, wenn er in seine Zukunft blickt. Er fühlt sich zu größerem berufen, als nur von den kleinen krummen Dingern zu leben, die er dreht. Hier ein Bruch, dort ein Überfall; es bringt dem jungen Vater nicht viel an Moneten ein. Ein Umstand, den seine Freundin - eine Prostituierte - ihm ständig an den Kopf wirft. Scheren tut ihn dies nicht viel; lieber lebt er weiter ein Leben zwischen lockerer Ziellosigkeit und gewaltsamen Ausbrüchen, die er mit seiner Bande auslebt. Als sein Hehlerboss ihm einen größeren Auftrag zuträgt, tappt er ahnungslos in eine Falle des Kommissaren Cotrone, der schon seit geraumer Zeit den Jungkriminellen auf den Fersen ist.
Was Pierro und Cotrone vereint, ist ihre gemeinsame Verachtung gegen das bestehende System. Während der Gossenjunge seiner Ansicht nach den Kampf auf den rauen Straßen Roms Tag für Tag aufs neue führt, resigniert Cotrone gegenüber einer Gesetzgebung, die ihn bei der Ausübung seines Berufs einengt und Steine in den Weg legt. Ein aufrichtiger Hüter des Gesetzes, der mit Leidenschaft gegen vorherrschende kleine wie große Ungerechtigkeiten vorgeht, ist der in die Jahre gekommene Kommissar schon lange nicht mehr. Gleichgültig nimmt er in Kauf, dass durch seine Methoden auf Seiten der Kriminellen weitere Tote entstehen könnten. Zynisch kommentiert er dies mit der Betrachtung, dass damit gleich etwas mehr vom Schmutz runter von den Straßen wäre. Pierro und Cotrone eint eine Indolenz, in der sie mit dem Kopf nicht durch eine, sondern gleich mehrere Wände gehen. Schmerzlos betrachten Sie den Niedergang ihrer eigenen Welt ohne ein Interesse, etwas daran ändern zu wollen.
Was Die wilde Meute vom Poliziottescho der damaligen Zeiten unterscheidet, ist der Versuch, gleichermaßen zwischen sleazigem Krimi und ambitioniertem Sozialdrama zu wandern. Reibungslos gelingt dies dem Drehbuch nicht. Höhepunktlos zeigt es harmlose Szenen, die einerseits untermauern, dass Pierro und Co. nicht komplett der Jugend entwachsen sind, wenn man z. B. unbekümmert Spaß bei einem Nachmittag am Strand hat. Andererseits werden diese von bedrückenden und schonungslosen Momenten konterkariert, wenn Pierros Kumpanei ein Pärchen überfällt, die Frau dabei aus dem Auto zerren und vergewaltigen oder wenn die Gefühlskälte des Bandenführers dafür sorgt, dass sich seine junge Affäre in den Tod stürzt. Leider orientiert sich das Script mehr an genreüblichen Strukturen: das, was der Film erzählt, ist (nicht nur) für Freunde italienischer Gangsterfilme leicht vorauszusehen. Große Überraschungen sollte man vom Film nicht erwarten.
Bei allen Klischees bzw. narrativen Genre-Mustern, die der Film bedient, überzeugt Marcello Andreis Gespür für die schweren Seiten dieser Geschichte. Er drängt den Zuschauer in die Rolle des stummen Betrachters und lässt wie beide männlichen Hauptfiguren die Emotionalität meist außen vor. Weder für Pierro noch für Cotrone können größere Sympathien aufgebaut werden. Die wilde Meute macht sich deren Gleichgültigkeit zum Instrument; sie definiert die Stimmung des Films Anhand der Handlungen der Protagonisten. Martin Balsams Kommissar mit schwarzem Blick in Richtung Zukunft und Joe Dallesandro der mit seinem makellosen Äußeren zunächst zu glatt als skrupelloser Egomane erscheint. Die Wahl den Amerikaner als Pierro zu besetzen, ist ein weiter Pluspunkt für den Film. In seiner totalen Ichbezogenheit konzentriert, prallt bis zum bitteren Ende alles schlechte, was um ihn herum passiert, an seiner hübschen Oberfläche ab.
Andrei hätte gut getan, diese Stimmung beizubehalten, die den Zuschauer in eine Ohnmacht gegenüber der allerorts zu verzeichnenden Apathie schickt, die später in Wut oder Fassungslosigkeit zu kippen vermag. Ohne seine exploitative Charakteristik wäre Die wilde Meute in gewisser Weise seichter Neorealismus Light geworden. So hat der Film manchmal mit seiner unspektakulären Erzählweise und den Brüchen in seiner Atmosphäre zu kämpfen, was die deutsche Synchronfassung mit ihrer Nähe an Schnodderwerken eines Karlheinz Brunnemann oder Rainer Brandt verstärkt. Genau solche Ungereimtheiten in der Gesamtwirkung sind es, die italienische Genrefilme so interessant wie liebenswert machen. Richtig schlecht oder vergessenswert ist das, was Die wilde Meute bietet keineswegs, sondern ein dezent schwächelnder aber trotzdem guter Poliziotteschi, dem manchmal mehr Ernsthaftigkeit gut getan hätte, da diese ihm wirklich gut zu Gesicht steht.
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