Donnerstag, 28. Dezember 2017

Baby Driver

Irgendwie habe ich damals, in der Ankündigungsphase von Baby Driver, verschlafen oder übersehen, dass er von Edgar Wright ist. Ich mag seine Filme Shaun Of The Dead und Scott Pilgrim vs. The World und hätte mir den Film wohl schon viel eher angesehen. Die Trailer sahen in Ordnung aus, weckten allerdings in keinster Weise mein Interesse. Das kam erst durch die vielen positiven Stimmen, die ich dann u. a. auf letterboxd lesen konnte. Sollte das wirklich der Actionfilm 2017 sein? Der Streifen, der in diesem Jahr am coolsten ist? Noch nicht angeschaut, wuchsen in mir Zweifel, ob das wirklich so stimmt. Ob man das bestätigen kann. Geschmäcker sind bekanntlich verschieden und gerade bei letterboxd finde ich es immer wieder erstaunlich, wie Meinungen zu Filmen auseinander gehen können. Dank einer Aktion von Google Play konnte ich mir nun selbst ein Bild vom Film machen und hab ihn mir für gut 1€ Leihgebühr via VOD angesehen.

Ein erster Gedanke zum Film war, dass Edgar Wright nun ebenfalls auf den Retrozug aufspringen möchte. Die im laufenden Bild eingewobenen Credits erinnern an Titel von Filmen aus den 70ern; die Story von Baby Driver orientiert sich an Heist- bzw. Gangsterstreifen des gleichen Jahrzehnts. Hier handelt es sich glücklicherweise nicht um den x-ten Film, der sich ganz trendy als Werk aus einem vergangenen Jahrzehnt ausgibt. Viel mehr webt Wright seinen "vintage stuff" in die narrative und gestalterische Moderne ein. Die damit entstandene Symbiose aus alt und neu ist rein technisch gesehen vollkommen überzeugend. Wright war und ist ein detailverliebter Regisseur, der auch gut und gerne - wie zum Beispiel Quentin Tarantino - in seine Werke (sehr) viele Anspielungen auf von ihm geliebten Stoff einbaut. Bei Baby Driver ist das die Musik, welche über die Laufzeit zu einem ständigen Begleiter wird.

Wie für den Zuschauer, ist sie auch für Baby, den Protagonisten von Wrights Geschichte, dauerhaft präsent. Durch einen Autounfall im Kindesalter leidet er an einem störenden Tinnitus, den er mit der Dauerbeschallung, er hat sogar für die unterschiedlichsten Stimmungen andere iPods in der Schublade, bekämpft. Seinen Lebensunterhalt bestreitet der bei seinem taubstummen Pflegevater Jonathan lebende Jungspund als Fahrer bei äußerst heißen Jobs: er lenkt die Fluchtwägen bei Überfallen, die vom Gangsterboss Doc organisiert werden. Sein letzter Coup bevor er von Doc in die Freiheit entlassen wird (mit den Aufträgen zahlt Baby Schulden bei diesem ab), ist mit Komplikationen verbunden. Zum einen ist da der von Doc angeheuerte, unberechenbare Bats, der sich als tickende Zeitbombe entpuppt und die hübsche Debra, die Baby in einem Diner kennenlernt. Alleine wegen dieser sehnt sich Baby nach der baldigen Freiheit, doch durch seine Prinzipien und den durchgedrehten Bats rückt diese während den Vorbereitungen zum nächsten (letzten) Auftrag und bei diesem selbst in weite ferne.

So state of the art Wrights Baby Driver auch ist, spürt man seinem Film an, dass dieser zu einem gewissen Teil eine Huldigung der 70er Jahre ist. Ist dies auf der Tonspur ein interessanter Wechsel zwischen modernen Songs und Soul- und R'n'B-Klassikern Motowns, so ist es in der Geschichte selbst die Zeichnung seiner Figuren. Es sind zeitlose Stereotypen, die über die Jahrzehnte hinweg immer wieder in großen wie kleinen Produktionen auftauchten. Mit Baby selbst haben wir einen Heroen, der in sich gekehrt ist, in der ersten Hälfte beinahe nur One-Liner raushaut, mit einer Sonnenbrille seine Coolness unterstreicht und im optischen Auftreten an jugendliche Querschläger aus Klassikern vergangener Jahrzehnte erinnert. Leider ist Ansel Elgort ein Milchgesicht; ein hübsches, der die weiblichen Zuschauer sicher zum Schwärmen bringt und bei diesem mit seinem Gebahren einschlagen kann. Leider ist er eben kein zweiter Steve McQueen. Elgort steht auch für das größte Problem des Films: das, was wir da sehen ist hübsch anzuschauen, es ist auch richtig cool, aber nicht komplett greifbar. Wrights neuester Film bleibt distanziert und unnahbar.

Der Funke mag zu keiner Zeit richtig überspringen. Wrights spürbare Leidenschaft und Hingabe erstreckt sich in kleine, tolle Details, der Soundtrack macht Laune und schon lange ging dieser mit den gezeigten Bildern keine so tolle Symbiose wie hier ein. Da schießen Waffen im Takt des gespielten Musikstücks, eine Verfolgungsjagd ist im Rhythmus des untermalenden Songs geschnitten: das ist großartig und wird mit Respekt und Anerkennung zur Kenntnis genommen. Wieso das Herzblut, welches der Regisseur merklich in seinen Stoff gesteckt hat, nicht bis zum Zuschauer ankommt, ist schwer zu beantworten. Die Detailversessenheit Wrights könnte man mit dem gleichen Problem vieler Tarantino-Produktionen gleichsetzen: beide Macher finden das selbst alle unglaublich gut, feiern sich selbst dafür und werden von einigen Fans deswegen gefeiert, aber es fehlt eine letzte Leichtigkeit und Unbeschwertheit, die den Stoff mit seinen vielen Referenzen lebendig machen. Oft stellen die Kriminellen im Film die Frage, ob Baby Driver zurückgeblieben ist, weil er so stumm, in sich gekehrt und zurückhaltend ist.

Der coole Fahrer offenbart sich dem Zuschauer erst nach und nach, wenn mit Debra die Liebe in sein Herz einzieht. Der Junge, so lernen wir, kann ja doch lächeln und Gefühlsregungen zeigen. Diese Gefühle gehen im chic der Inszenierung und dem gewollten Stilwillen zwischen überkonzentrierter Coolness und Hommage leider unter. Baby Driver ist nicht wirklich schlecht. Technisch ist das sehr hohes Niveau, die vielen Einfälle locken mehr als einmal ein Schmunzeln oder wenigstens anerkennendes Nicken hervor. Seinem Hype wird der Film nicht gerecht. Was nützt all' diese Brillanz in Technik und Stil, wenn dafür zu wenig Gefühl im Spiel ist? Das Wright das anders kann, zeigt sein Scott Pilgrim. Baby Driver selbst ist leider einfach nur eine zugegeben rasante Actionstory, die mit ihrem halben Blick zurück um den Verve alter Zeiten in die gegenwärtige Filmsprache zu zwängen, emotional an die Wand fährt. Bedauerlich, da Wrights Film viel an Potenzial mitbringt, wirklich ein instant classic des modernen Actionfilms zu werden. Leider wird er so nur einer unter vielen, mit einem dafür sehr coolen Soundtrack. Das ist insgesamt gesehen zu wenig für einen komplett überzeugenden Film.
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The Horror of Christmas - Meine filmischen Weihnachtstage 2017


Wenn man nicht in den letzten Tagen, Wochen oder Monaten richtig ausspannen bzw. ausschalten konnte, so laden Heiligabend und die zwei Weihnachtstage dazu ein, einen oder mehrere Gänge zurück zu schalten. Gilt Weihnachten doch als Fest der Besinnlichkeit, das zum Innehalten einlädt und den Blick auf das Wesentliche damit zurechtrücken sollte. Die Familie kommt zusammen, man kümmert sich (endlich?) wieder einmal um seine Lieben und lässt die Unannehmlichkeiten des Alltags der restlichen Tage vor der Tür. So ist jedenfalls die Vorstellung eines perfekten Weihnachtsfestes, welches die damit verbundenen Stressfaktoren vor und während der Feiertage schön außen vor lässt. Konsum und damit verbundener Stress? Sich den Kopf zermartern, was man selbst um sieben Ecken mit einem verwandten Menschen schenkt, die man nur einmal im Jahr sieht? Essensverschwendung und entgegen des christlichen Gedankens des Festes sich einer der sieben Todsünden, der Völlerei, hingeben? Wo kommen wir denn da hin! Weihnachten ist das Fest der Liebe, wie uns die Werbe- und Filmbranche suggerieren wollen.

Kaum verwunderlich, dass der Horrorfilm seit vielen Jahrzehnten das Fest der Feste für sich entdeckt hat. Genüsslich und mehr oder weniger gekonnt, versuchen Filmemacher mit ihren in der besinnlichen Zeit spielenden Schockern, dem Fest der Liebe seinen Glanz zu nehmen. Über die Jahre wurde mir Weihnachten immer gleichgültiger. Es mag damit zusammenhängen, dass mit dem Tod meines Vaters die familiären Traditionen zu dieser Zeit zum Erliegen kamen. Es waren irgendwann einfach Feier- und freie Tage, mehr nicht. Mittlerweile hat sich mein früher noch jährlich wachsender Groll gegen Weihnachten reduziert. In diesem Jahr kam tatsächlich eine kleine Freude auf die Zeit in mir auf, was sicherlich auch durch ganz andere Lebensumstände als damals zustande kommt. (Neue) Traditionen hielten Einzug. Eine davon ist es, dass ich es mir freudig daheim vor dem Fernseher gemütlich mache um, ab Heiligabend, Horrorfilme mit Weihnachtsbezug zu schauen. In diesem Jahr schaffte ich es auf insgesamt fünf Filme, die aus den besinnlichen Tagen eine Zeit des Terrors und Horrors machten.

Den Anfang machte am 24. Dezember, von der Familie zurückgekehrt, Krampus, welchen ich bei seinem Release schon im Kino sah. Meine Erinnerung machte aus ihm einen besseren Film, als er eigentlich ist. Man sollte dies allerdings nicht falsch verstehen. Der von Michael Dougherty geschaffene Film, der sich dem u. a. aus dem Ostalpenraum stammenden Begleiter des Nikolaus widmet, ist durchaus sehenswert. Leider kann er sich nicht entscheiden, was er sein möchte. Für eine reine Komödie wird sein Grundton zu düster, als reiner Horrorfilm ist er trotzdem nicht ernst genug. Am Besten funktioniert Krampus in seinen ersten zwanzig Minuten. Dort konzentriert man sich darauf, den ganzen Weihnachtsätz schön beißend durch den Kakao zu ziehen. Begonnen mit einer wunderbaren Titelsequenz, die den ganzen weihnachtlichen Konsumterror in einem Supermarkt in Zeitlupe, untermalt von Bing Crosby, hübsch überspitzt darstellt. Auch das Eintreffen des scheinbar leicht zurückgebliebenen, einfachen Familienteils zeigt schön den Nachteil der Weihnacht, dass man sich plötzlich auch mit unliebsamen Teilen der Familie herumschlagen muss. Als dann durch einen zerrissenen (weil entdeckten und am Esstisch hämisch laut vorgelesenen) Wunschzettel der Glauben an die wahren Werte der Weihnacht fallen gelassen wird und der Krampus erscheint, beginnen die Probleme. Während sich die Protagonisten mit der titelgebenden Kreatur und ihren Helfern herumschlägt, wird der Film selbst zu einem Wechselbad der Gefühle.

Einige Ideen sind richtig witzig, kreativ und herrlich umgesetzt; die düstere Atmosphäre ist dicht und ansprechend und dazu bietet Krampus eine der schönsten umgesetzten Rückblenden ever. Leider ist der Film in letzter Konsequenz weder Fisch noch Fleisch. Der Horroranteil wird durch die komödiantischen Einsprengsel stark verwässert, wobei diese wiederum nicht stark genug ausgearbeitet sind, um dieses Manko auszubügeln. Dazu kommt, dass sich Krampus im weiteren Verlauf furchtbar vollgestopft anfühlt. Immer passiert etwas und eine neue Idee wird präsentiert, als mussten alle unbedingt in den Film untergebracht werden. Weder der Zuschauer noch die Protagonisten kommen zur Ruhe. Hier wird eher unabsichtlich ein weiterer Kritikpunkt am Fest aufgenommen. Letztendlich wird Krampus dadurch einer dieser Filme, bei denen man nach dem Urteil, dass er recht gut ist, unweigerlich ein großes "aber" setzten muss. Ohne wenn und aber kann ich dafür dem zweiten Film, A Christmas Horror Story, konstatieren, dass er ein Totalausfall ist.

Der Episodenfilm macht leider den Fehler, dass er seine Geschichten nicht hintereinander, sondern parallel erzählt und immer zwischen seinen Erzählungen hin und her springt. Was passiert ist, dass die Episoden merklich künstlich aufgebläht wirken um sie lang genug zu halten. Damit verbundene Clifhanger, bevor zur nächsten Story gesprungen wird, sind furchtbar konstruiert und alles andere als spannend. Das lässt jegliches, wenn auch nur geringes, Potenzial des Films und seiner einzelnen Erzählungen, erlöschen. Am deutlichsten wird dies bei der ersten Episode um drei Schüler, die für ein Projekt eine Dokumentation über einen vor einem Jahr an ihrer Schule stattgefundenen Doppelmord drehen. Zu keinster Weise schafft es das Drehbuch, die ausgelutschte Geistergeschichte interessant zu halten. Am besten funktionieren noch die Geschichten über einen ausgebrannten Familienvater, der mit seinen Lieben eine Tante besucht um sie anzupumpen um dann in den nächsten Stunden vom Krampus heimgesucht zu werden und die über Santa Claus höchstpersönlich, der von seinen zombiefizierten Elfen verfolgt wird. Diese hat auch die beste und eine schön überraschende Auflösung. Dazwischen schlagen sich Eltern mit ihrem wesensveränderten Sohn rum, nachdem dieser beim heimlichen Schlagen des Weihnachtsbaums auf einem Privatgrundstück kurz verloren ging. Ich mag Episodenfilme sehr, die Idee der Macher, die Geschichten gleichzeitig wie mehrere Storylines eines Films mit durchgängiger Geschichte oder einer Serie zu erzählen, mag theoretisch toll sein. Praktisch ist dies mangels Talent und zündenden Ideen des Buchs eine einzige Qual.

Nach kurzer Pause mit einem thematisch nicht an Weihnachten spielenden Films widmete ich mich am Abend des ersten Feiertags wieder der Tradition und schloss eine Lücke. Der allerorts als Klassiker deklarierte Black Christmas ließ mich zuerst ratlos zurück. Der 1974 entstandene Proto-Slasher erwischte mich auf dem falschen Fuß. Der erste Eindruck, dass es sich hier um einen leidlich spannenden und spät in die Gänge kommender Mischmasch aus Horror und Thriller handelt, konnte auch einen Tag später nicht komplett getilgt werden. Was Regisseur Clark hier gut zehn Jahre vor der beginnenden Slasher-Welle zeigt, ist natürlich beeindruckend. Die POV-Shots aus Sicht des Killers, z. B. die wirklich tolle Anfangsszene wenn in das Studentinnenheim unbemerkt eingedrungen wird, sind klasse umgesetzt. Seine leichte Nähe zum Giallo, am besten in der berühmt gewordenen Mordszene mit dem Glaseinhorn (die nebenbei gesagt wunderschön gefilmt ist) zu sehen, mag auch toll sein. Die kleinen Ausreißer in Richtung (College-)Klamotte zu Beginn und zwischendurch (der tumbe Cop in der Wache z. B.), die zähe Einführung der Protagonisten und ihrer persönlichen Probleme bremsen Black Christmas leider stark aus. Besinnt sich Clark auf das, was sein Film eigentlich sein sollte, funktioniert das sogar ziemlich gut.

Komplett wollte dieser Klassiker aber nicht bei mir ankommen. Mittlerweile festigte sich in mir der Gedanke, dass es sich für mich persönlich um einen Grower handeln könnte: ein Film, der mit jeder weiteren Sichtung wächst und begeistern kann. Da freue ich mich auf eine zweite Sichtung. Ob ich mir das am zweiten Weihnachtstag spontan eingeschobene Remake von Black Christmas nochmal anschauen werde, weiß ich nicht. Das Original schaffte es, mich neugierig werden zu lassen, wie die Neuverfilmung ausgefallen ist. Es ist eigentlich ein ordentlicher Slasher, typisch für seine Entstehungszeit, geworden. Die hier nun präsenten Studentinnen, die im Heim ihrer Verbindung von einem Eindringling dezimiert werden, sind noch mehr ein bloßes Abziehbild irgendwelcher Klischees um junge Studentinnen und besitzen weniger Charakter als eine Nebenfigur im Original. Man könnte sich dazu noch streiten, dass der im ersten Film gänzlich unsichtbare Killer, über den man als Zuschauer auch nie einen Hintergrund oder einen Grund für seine Morde erfährt, hier so stark in den Fokus gestellt wird. Die Vergangenheit des hier durch das Haus schlitzende Billy wird ausführlich beleuchtet. Im Kontext des Remakes funktioniert es und bietet interessante und atmosphärische Szenen in einem insgesamt konventionellen Slasher, der sich nicht um Logik oder eine ausgeklügelte Handlung kümmert. Wenigstens stimmt das Tempo: Black Christmas hat ein gutes Tempo drauf und bietet dazu einige nette Gore-Effekte.

Tempo würde auch dem letzten Film meiner Horror-Weihnacht 2017 gut tun. Ist Don't Open Till Christmas, im deutschen Raum auch als Fröhliche Weihnacht bekannt, von diesem fast ganz befreit. In seinem Entstehungsjahr 1984 war der Slasher recht erfolgreich im Kino und den Videotheken unterwegs und der im gleichen Jahr entstandene Silent Night, Deadly Night präsentierte dem Publikum einen mordenden, wahnsinnigen Killer im Nikolauskostüm. Der vom Hauptdarsteller Edmund Purdom auch inszenierte Don't Open Till Christmas dreht das ganze um: hier werden Weihnachtsmänner gnadenlos niedergemetzelt, dazwischen versuchen Scotland Yard und Kate, die Tochter eines der Opfer, den Täter zu finden. Mehr Story bedarf es nicht. Purdoms einzige Regiearbeit ist ein stumpfer Slasher, der es versäumt, die dünne Geschichte zwischen den Mordszenen einigermaßen interessant zu halten. Der Film versprüht hier den spröden Charme eines britischen TV-Krimis der 80er Jahre, nur eine Nuance schmieriger; weitaus weniger spannend und die Logik wurde - das zeigt auch die Auflösung - gleich zu Beginn der Dreharbeiten wieder nach Hause geschickt.

Für einen Slasher, der zwar hin und wieder nette Effektszenen, aber ansonsten vom Rest zu wenig bietet, ist das ein sicheres Todesurteil. Bei all' der Schlechtigkeit, kann dieser rundum billige Schmierer mit einigen interessanten Details punkten. Einerseits zeigt er seinen Handlungsort London als düsteres, verkommenes Drecksloch, weitab von den typischen Touristen-Foto-Motiven spielend und präsentiert rundum verkorkste Weihnachtsmänner. Die armen Gestalten, die den Löffel abgeben müssen, sind entweder stockbesoffen, Besucher einer Peepshow oder hatten laut Polizeiakte auch mit Drogenverkauf zu tun. Von allen Weihnachtshorrorfilmen, die an den drei Tagen sah, ist Don't Open Till Christmas der unglamouröseste Film. Wie so viele Filme, die in dieser Zeit spielen, müssen auch sie zuerst das gängige Klischee der Zeit mit all den bunten Lichtern, der heimeligen Atmosphäre und der überall spürbaren Nächstenliebe aufbauen damit es mit dem aufkommenden Horror niedergerissen werden kann. Fröhliche Weihnacht schert sich einen Dreck darum. Der in Deutschland beschlagnahmte Streifen ist von Beginn an dreckig, niederschlagend in seiner tristen Machart und weit weg vom gängigen Bild, welches wir von Weihnachten haben. Das muss man auch erstmal hinbekommen.

Im Endeffekt war das filmische Weihnachten recht durchwachsen, waren doch auch die sehenswerteren Filme nicht als komplett gut zu werten. Trotz der harten Worte gehört neben Krampus auch das Original von Black Christmas dazu, der es vielleicht auch wieder 2018 in den Schacht des Blu Ray-Players schaffen könnte. Erstmal freue ich mich auf die anstehende Veröffentlichung in Deutschland auf Blu Ray vom schon angesprochenen Silent Night, Deadly Night. Gehört er doch mit zu meinen liebsten Weihnachtshorrorfilmen, dessen Plakatmotiv ich mir zur unterstützenden Illustrierung dieses Postings kurzerhand ausgeliehen habe. Man darf sich auf eine Fortführung der Tradition im nächsten Jahr freuen. Immerhin kann sich dann auch noch der kleine, verbliebene Weihnachtsmuffel in mir mit dieser abreagieren.
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Samstag, 23. Dezember 2017

Crimson Peak

Seien wir ehrlich: manchmal sind Trailer kleine Arschlöcher. Anders kann man das gar nicht ausdrücken. Je nachdem, wie geschickt die Vorschauen montiert sind, schüren sie Erwartungen, die vom fertigen Film nicht gehalten werden (können). Hauptsache er lockt genügend Menschen ins Kino. Immerhin ist der Trailer auch eine Anpreisung und nichts anderes als schnöde Werbung für ein Produkt. Wie in anderen Bereichen, möchten auch die Studios und Verleiher, dass sich genügend Leute in die Vorstellungen verirren. Bei manchen Trailern kann man nach dem Genuss des kompletten Films den Kopf schütteln. Weil er eben die Erwartungen so hochsteckte, dass das Endprodukt, manchmal auch leider, nur verlieren kann. Oder weil er suggeriert, dass das betreffende Werk etwas ist, was überhaupt nicht oder nur bedingt zutrifft. Die Trailer zu Guillermo del Toros Crimson Peak gehören zur letzten Kategorie.

Die darin noch omnipräsenten Geister sind in der Geschichte des Mexikaners lediglich nur Beiwerk. Die Enttäuschung der normalen Kinogänger, die durch den Trailer ein weiteres Jumpscare- und Gruselfeuerwerk, wie es im Horroreinheitsbrei der letzten Jahre zu hauf auftauchte, erwarteten, ist fast verständlich. Passiert hier für ein desensibilisiertes Publikum, welches sich den Kopf in Schockern mit Eventcharakter von krassen Sound- und Bildeffekten wegblasen möchte, herzlich wenig. Del Toro wandelt weniger auf den Pfaden eines Conjuring, der trotz aller schön ausgearbeiteten Szenen gegen Ende in seinem eigenen Schockspektakel ertrinkt. Er beruft sich mit seinem Film auf die Schauerliteratur vergangener Tage, als Autoren wie Mary Shelley oder Edgar Allan Poe noch lebten und schenkt ihm eine herrlich opulente Optik, die an die großen Gothic Horror-Filme der Hammer Studios erinnert.

Crimson Peak kann man auch mehr als Hommage, del Toros persönliche Verbeugung vor diesen Dingen verstehen. Das stimmt einen als Zuschauer, der einerseits die altmodische, konservativ erzählte Geschichte stimmig, andererseits diese schnell durchschaubar findet, milde. Neue Impulse schenkt der Mexikaner dem Genre nicht. Seine Erzählung um die junge Edith Cushing, eine ambitionierte Autorin aus reichem Hause, die den abgebrannten Adeligen Thomas Sharpe heiratet und mit ihm nach der Hochzeit in sein halb verfallenes Haus Allerdale Hall zieht, welches er gemeinsam mit seiner Schwester Lucille bewohnt, gewinnt keinen Preis für Originalität. Das dunkle Geheimnis, dass auf dem Geschwisterpaar und ihrem Familiensitz lastet, ist leicht durchschaubar. Vielleicht wusste das del Toro auch. Seine Einstellung seinem Stoff gegenüber bleibt respektvoll, seine Liebe zum Detail lenkt von der narrativen Schlichtheit ab.

Die Schönheit seiner Bilder lässt selbst verzeihen, dass Crimson Peak manchmal wie eine Hochglanzversion alter Gothic-Klassiker wirkt. Die technische Umsetzung besitzt ein hohes Niveau und wenn Edith mit Thomas nach Allerdale Hall mit seinem riesigen Loch im Dach, durch das Laub und später Schnee in die Eingangshalle fällt und den langen, unheimlichen Gängen zieht, ist es bei Liebhabern solcher Filme vollends um einen geschehen. Irgendwann stört man sich auch nicht mehr daran, dass der hier versprochene Horror einem Mystery-Drama untergeordnet ist. Lieber ergötzt man sich an seiner angenehmen altmodischen Erzählung, den vielen eingewobenen Referenzen (z. B. der farblich bavaeske Beginn mit leichtem Nosferatu-Zitat, einem am Anfang gialloesk aufgebauten Mord, die immer wieder an Daphe du Mauriers "Rebecca" erinnernde Story an sich usw.) und den gut aufgelegen Darstellern. Seine knapp zwei Stunden Laufzeit bemerkt man nicht; del Toros spürbare Liebe zum Stoff lässt den Film eine hübsche Sogwirkung geben, der man sich gerne hingibt. Wenige Tage nach der Sichtung huschte mir hin und wieder ein positiv gestimmtes, leichtes Lächeln über die Lippen, wenn ich mich nochmal an Crimson Peak erinnerte. Liebhaber von Gothic Horror-Filmen aus den glorreichen Tagen von Hammer und Co. kommen voll auf ihre Kosten. Das gemeine Publikum sah dies leider anders: Crimson Peak war an den Kinokassen leider ein Flop. Es ist schade, zeigt der Film, wie viele andere aus dem Oeuvre des Mexikaners, welch wunderschöne, fantastische Welten del Toro in seinen Filmen schaffen kann. Ein mutiges Studio sollte ihm endlich all das Geld geben, welches er für seine seit langer Zeit geplante Verfilmung von H. P. Lovecrafts "At The Mountains Of Madness" benötigt. Er wäre der richtige Mann, um den kaum greifbaren Wahnsinn im Unterton seiner Geschichten adäquat auf die Leinwand zu bringen. Bis dahin (wenn überhaupt) muss man sich am fantastischen Pans Labyrinth oder dem sehr charmanten Crimson Peak erfreuen.
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Sonntag, 10. Dezember 2017

Die Zärtlichkeit der Wölfe

Ulli Lommel ist nicht mehr. Am 2. Dezember starb der deutsche Regisseur, Produzent, Autor und Schauspieler an einem Herzinfarkt. Einen Namen machte er sich als Darsteller im Ensemble von Rainer Werner Fassbinder, mit dem er zwischen 1969 und 1977 21 Filme drehen sollte. Zuvor sah man den Schauspieler u. a. 1964 in der Russ Meyer-Verfilmung von Fanny Hill, bevor er drei Jahre später nach München übersiedelte, an der Kleinen Komödie Theater spielte und in Berührung mit dem Neuen Deutschen Film kam. Als Lommel Ende der 70er in die USA übersiedelte, inszenierte er mit Blank Generation und Cocaine Cowboys zwei Filme aus Andy Warhols Factory, in denen der Künstler auch selbst mitwirkte. Ruhm erlangte er durch den B-Horrorfilm The Boogey Man, der insgesamt drei Fortsetzungen nach sich zog. Mit dem erfolgreichen Schocker, der heute noch auf dem deutschen Nischenmarkt in schöner Regelmäßigkeit neu aufgelegt wird, blieb Lommel in der B-Film-Welt stecken. Er drehte in den 80ern u. a. den atmosphärisch recht guten The Devonsville Terror oder Olivia - Im Blutrausch des Wahnsinns. Er blieb den kleinen Filmproduktionen alle folgenden Jahren und Jahrzehnten treu und erlangte neuerlich Aufmerksamkeit, als er 2004 mit dem Casting-Show-Teilnehmer Daniel Küblböck Daniel, der Zauberer drehte, schrieb und auch eine Rolle darin übernahm.

Der während seiner Fassbinder-Jahre entstandene Die Zärtlichkeit der Wölfe greift zum ersten Mal ein Thema auf, welches in Lommels Arbeiten als Regisseur immer wieder auftauchen sollte. Ab Mitte der 2000er schuf er viele kleine B-Schocker zwischen No- und Low Budget, welche sich mit Serienmördern auseinandersetzen. Seine zweite Regiearbeit befasst sich mit dem im Hannover der 20er Jahre wütenden Fritz Haarmann. Aus produktionstechnischen Gründen verlegte man die Handlung des Films in das Ruhrgebiet des Nachkriegsdeutschland der 40er Jahre. Die am Film beteiligte Truppe von Fassbinder war zu dieser Zeit dort ansässig und verwendete für die Drehs Locations in Bochum, wo man am dortigen Theater engagiert war und Gelsenkirchen. Die restlichen Fakten blieben unangetastet und so widmet sich Lommel dem homosexuellen Serienmörder, welcher junge Knaben und Männer, meistens Ausreißer die er am Bahnhof aufsammelt, in seiner Dachwohnung verführt, umbringt und zerstückelt. Das Fleisch verspeist er selbst oder verhökert es an eine nahe gelegene Wirtschaft. Haarmann profitiert dabei von einem Spitzeljob für die Polizei und gibt sich sogar öfter als Polizeikommissar aus, wenn er nicht gerade mit seinem Handlanger Hans Diebstähle oder Hehlereien abwickelt. Für Fritz ist Hans nicht nur ein Komplize, sondern auch seine große Liebe, die unerwidert bleibt und in weitere Ferne rückt, als Hans irgendwann nur noch mit dem schmierigen Zuhälter Wittowski zusammenarbeitet.

Diese Liebe und unerfüllte Sehnsucht, die aus Haarmanns Gesicht leicht aufblitzen, wenn er mit Hans alleine ist, sind auch verstecktes Thema von Buchautor und Hauptdarsteller Kurt Raab. Fassbinder lag schon länger das von seinem Ausstatter und Darsteller geschriebene Buch vor, als er Lommel und diesen Anfang der 70er darauf ansprach und das Projekt gerne verwirklichen wollte, weil er noch Gelder der Filmförderung übrig hatte. Lommel ist zwar als Regisseur genannt, Die Zärtlichkeit der Wölfe ist merklich ein Film des 1988 verstorbenen Schauspielers. Raab und Lommel schwebte etwas leichtes vor, ein unterhaltsamer Film; ein Kriminalstück im Stile der Noir-Filme, das im Endeffekt zwischen Genre und Arthouse pendelt. Es mag damit zusammenhängen, dass Raab sich für die Dialoge der leicht gestelzten, theatralischen Sprache der Fassbinder-Werke bediente, dass sich der Film dezent entrückt anfühlt. Lommel und viel mehr noch Raab gestalten einen kleinen Kosmos, eine Welt die sich von der restlichen Gesellschaft der Nachkriegszeit abhebt. Raabs Taten, die fast episodisch in stoischer Ruhe erzählt werden und das interagieren mit seiner Umwelt, zeigt Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg von "ganz unten". Die einfachen Leute, die den Film bevölkern halten bis zu einem Punkt zusammen, auch wenn persönliche Differenzen durchblitzen. Man sitzt im gleichen Boot, teilt das selbe Schicksal und eine Hand wäscht die andere.

Manchmal rückt damit die dunkle Seite Haarmanns aus dem Fokus der Erzählung, bis er plötzlich regelrecht getriggert wird. Dann erblickt er einen hübschen Jungen, der von seinem Blick eingefangen wird und vom Rest seiner Mitmenschen fast unbemerkt, nur von der Kamera und dem Zuschauer als stummen Beobachter eingefangen, laufen Bilder von Mord, Lust und Blut im Kopf Haarmanns ab. Raabs Spiel ist dezent, er trägt mit seinen Emotionen nicht dick auf und schafft es, dass man mit dem Serienmörder trotz seiner grausamen Taten mitfühlt. Sein Fritz Haarmann ist gefangen in seiner Selbst, eine Geisel seiner Triebe und dem Unvermögen, diese zu kompensieren. Der unscheinbare Mensch kann nur durch grobe Gewalt, die bis auf zwei explizitere Szenen komplett im Off stattfinden, diese lauernden Gelüste ausleben. So mag die Dachwohnung in ihrer Erscheinung, die dreckig und immer dunkel erscheint, ein optisches Abbild des inneren Zustands Haarmanns sein. Helle, Hoffnung schenkende Flecken blitzen selten bis gar nicht auf. Er ist dieser Dunkelheit ergeben und schreitet am Ende des Films, nachdem er auf frischer Tat ertappt wurde, in die Dunkelheit hinein als hätte er einen inneren Kampf mit dem Rest Menschlichkeit, gegen seine Dämonen, verloren.

Nicht nur durch sein Drehbuch, seiner Hauptrolle und seiner Ausstattung ist Die Zärtlichkeit der Wölfe mehr ein Film von Kurt Raab, als ein Film von Ulli Lommel. Es ist ein sehr persönliches Werk des Multifunktionalisten, der hiermit auch einen inneren Kampf mit sich selbst von der Seele schreiben und verarbeiten möchte. Raab selbst gab einmal an, dass er an Gott glaube und genoss eine strenge katholische Erziehung und war homosexuell. Der Schauspieler mag hier nicht nur von Haarmanns Gräueltaten erzählen, sondern auch von einem währenden, inneren Konflikt. Die Fleischeslust, das damals in sexueller Hinsicht gesetzlich verbotene, die in ihm wohnt, ihn wachhält und gleichzeitig die religiöse Seite, die dagegen ankämpft. Das in Haarmanns Wohnung hängende Kruzifix thront still und mahnend im Vordergrund, nimmt viel Raum des Bildes ein, wenn Szenen in der Wohnung spielen. Raab habe seiner Aussage nach exzessiv gelebt und dieses Leben auch genossen; wie lange brauchte er aber, um dies ohne einen Anflug von Zweifel zu sagen? Die Zärtlichkeit der Wölfe könnte ein filmischer Weg zur Erlangung der Sühne sein, ein zu sich selbst finden, um innere Konflikte zu bewältigen und abzuschütteln. Sicher legte der Mime nicht die ganze eigene Persönlichkeit in die Hauptfigur, eben auch durch ihre nicht alleinige fiktive sondern auch reellen Existenz als wahrhaftiger Mörder.

Vielleicht erscheint uns Raab in seiner Rolle so eindringlich und einnehmend. Den inneren Kampf verarbeitend, mag auch bis zu einem gewissen Punkt Verständnis für das Innenleben Haarmanns den Schauspieler dazu führen, eine sehr gute Performance hinzulegen. Das lenkt von wenigen spröden Momenten der Handlung ab, die durch ihre springende Erzählweise manchmal den roten Faden verliert. Lommel lässt sich da fast von seinem Hauptdarsteller mitreißen und mitziehen, wird vom Spiel eingelullt wie die Opfer von Haarmann, führt dann letztendlich seinen Film mit leichter Hand zum Ausgangspunkt zurück. Die Zärtlichkeit der Wölfe ist weniger der Unterhaltungsfilm geworden, den man beabsichtigte zu drehen. Er ist sozialkritisch und zeigt, dass das Wirtschaftswunder nicht jeden erreichte, dass es schon damals eine zweite Welt, eine andere Gesellschaft gab. Es ist ein persönlich gefärbter Film, ein True Crime-Drama bevor der Begriff True Crime geboren war und einen Hype um die Faszination von Serienmörder auslöste. Manchmal mag er zu nüchtern sein um im nächsten Augenblick dieses imaginäre Tor zum Seelenleben des Protagonisten und zu einem Teil zum Hauptdarsteller aufzustoßen. Es ist auch eine kleine Hommage an das deutsche Kino der 20er und 30er, zitiert eine Szene direkt Fritz Langs großartigen M - Eine Stadt sucht einen Mörder und auch der Beginn, wenn Haarmanns Schatten beim Gang durch eine schwach beleuchtete Straße entlangschreitet, erinnert etwas an das Meisterwerk.

Es ist Schade, dass Lommel, der mit seinem Werdegang vom Autorenfilm zum Underground über B-Horror und Low-Budget ein eigenwilliger Filmemacher wurde, der eine ganz eigene Welt zu bewohnen schien, nicht mehr ist. Da schließt sich der Kreis, wenn man auf Die Zärtlichkeit der Wölfe zurückkommt. Der angesprochene, ganz eigene Kosmos ist etwas, dass man auch bei einigen Fassbinder-Werken findet. Wie ein Teil einer gängigen Realität, einer Gegenwart, sich los löst und zu einer eigenen Welt wird. Schade, dass Lommel und Raab nicht mehr sind. Mir kam manchmal Heinz Strunks Buch Der goldene Handschuh über den Hamburger Serienmörder Fritz Honka in den Sinn und wie gut es gewesen wäre, wenn die beiden, wenn nicht Raabs AIDS-Erkrankung und sein Tod daran und Lommels Abtreten wäre, das Buch verfilmt hätten. Es wäre vielleicht ebenfalls so ein eindringlicher, leicht eigenartiger und vollkommen faszinierender Film wie Die Zärtlichkeit der Wölfe geworden. Fatih Akin kann ich mir noch schwer als Regisseur einer angedachten Verfilmung von Strunks Roman vorstellen. Das ist aber ein anderes Thema.
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Donnerstag, 7. Dezember 2017

The Wild Binge: The Punisher


The Wild Binge ist eine neue, unregelmäßige Rubrik bei Allesglotzer. Wie es der Name vermuten lässt, werden in dieser Serien beleuchtet und in kurzen oder längeren Texten besprochen.

Es ist das Jahr 1974 als ein dunkelhaariger, komplett schwarz gekleideter und schwer bewaffneter Herr in der Comicwelt auftauchte. Sein Markenzeichen: ein groß auf seiner Brust prangender Totenschädel. Sein Name: Frank Castle, genannt The Punisher. Die ursprünglich als Bösewicht konzipierte Figur erfreute sich nach einem ersten und später wiederkehrenden, aber unregelmäßigen Auftritten in den Spiderman-Comicheften großer Beliebtheit. 1986 bekam er seine erste, eigene (Mini-)Serie von Marvel geschenkt, welche rasend schnell ausverkauft war. Der Punisher ging komplett in Serie bis er 1995 wegen schlechter Verkaufszahlen eingestellt wurde. Im Jahre 2001 verschaffte Garth Ennis dem einzelgängerischen Vigilanten wieder Aufwind. Unter dem Label der Marvel Knights entstand zuerst eine weitere Mini-Serie, bis The Punisher wieder regelmäßig als eigenständige Heftreihe erschien.

Bis zur heutigen Zeit schaffte es Frank Castle insgesamt auch drei Mal auf die große Leinwand. Die Filme könnten unterschiedlicher nicht sein: den Anfang machte Mark Goldblatt 1989, der den zum Actionhelden avancierten Dolph Lundgren gegen die Yakuza antreten und Frank Castles erstes Film-Abenteuer zu einem leicht trashigen, aber doch ordentlichen B-Action-Film werden ließ. Schade für die Fans der Vorlage ist hier sicherlich, dass man sich sehr frei am Comic orientierte und Lundgren nicht mal das typische Outfit trägt. Einzig ein Wurfmesser trägt einen Totenkopf. Dazu bedient man sich der allerersten Hintergrund-Story, in der Castle ein ehemaliger Polizist ist, der nach der Ermordung seiner Familie in den Untergrund flüchtet und von dort aus Rache übt. Über die Jahre setzte sich eine alternative Geschichte durch, in der Castle ein verdienter US-Marine ist, dessen Kinder bei einem Picknick im Park einen Mafia-Mord beobachten und deswegen Franks gesamte Familie von den Mafiosi ausgelöscht wird.

Mit den Comics verglichen hinterlässt der erste Punisher einen säuerlichen Beigeschmack und für penible Leser der Vorlage artet der ganze Film in großen Bullshit aus. Erfolgreich war er trotzdem, auch wenn er durch die finanziellen Probleme der Produktionsfirma leider keinen Kinostart in den USA bekam. 2004 war es Zeit für den zweiten Streich. In der Hauptrolle sehen wir diesmal Thomas Jane als Frank Castle, der diesmal zu einem verdeckten FBI-Ermittler wird, bei dessen letzten Einsatz etwas schief geht und der Sohn eines mächtigen Untergrundbosses ermordert wird. Aus Rache lässt dieser Franks Familie töten und es entbrennt ein gnadenloser Kampf zwischen dem Gangsterboss und dem FBI-Agenten, der Unterschlupf in einem heruntergekommenen Mietshaus sucht und seine dortige Wohnung zum Hauptquartier seiner Operationen umfunktioniert. Die Orientierung am Comic erscheint noch gröber, auch wenn hier versucht wird, Frank Castle mehr Tiefe zu verleihen und ihn als durch die Ereignisse traumatisierten und zerrissenen Charakter darzustellen. Leider bleibt hier Thomas Jane, wenn auch sichtlich bemüht, blass in seiner Darstellung und wird von Partner John Travolta als Gangsterobermufti Howard Saint klar an die Wand gespielt. Man kann die Bemühungen der Macher, den Protagonisten nicht zur bloßen, zynischen Exekutive wie man Lundgren im ersten Film sehen kann, zu machen. Leider ist die 2004er-Version gesamt ein sehr mäßiger Actionfilm, der selbst in den Actionszenen sehr uninspiriert wirkt.

Das es noch schlimmer gehen kann, zeigt die Fortsetzung von 2008. Weil ihnen das Script zu schlecht war, sprangen Thomas Jane und Regisseur Jonathan Hensleigh ab. Frank Castle wird von Ray Stevenson gemimt, der es wie der von ihm dargestellte Punisher durch seine Rolle des Volstagg in der Thor-Reihe mittlerweile ebenfalls ins Marvel Cinematic Universe schaffte. Die Regie übernahm die Mannheimerin Lexi Alexander. in Punisher: War Zone ist Castle schon seit sechs Jahren als in ganz New York berühmt-berüchtigter Bestrafer unterwegs. Als er feststellt, dass er bei einem Schußwechsel mit den Mafiaschergen um Billy Russoti einen Undercover-FBI-Agenten erschossen hat, will er seinen Kampf gegen das Verbrechen einstellen. Die Rechnung hat er dabei nicht mit dem nach seinem Kampf mit Castle furchtbar enstellten Russoti gemacht, der sich mittlerweile Jigsaw nennt, seinen Bruder aus einer psychiatrischen Klinik befreit und Jagd auf den Punisher macht. Was in War Zone abgebrannt wird, spottet jeder Beschreibung. Selbst seine durchaus ansehnliche, teils geradezu hübsche Optik kann nicht davon ablenken, dass das hier entfachte Gewaltfeuerwerk eine selbstzweckhafte und fürchterlich comichaft inszenierte Show schrecklichster Film-Oberflächlichkeit ist. Zur Krönung wird der titelgebende Protagonist zur Nebenfigur degradiert: Jigsaw und sein Bruder Loony Bin Jim beanspruchen den größten Teil der Handlung, Ray Stevenson zieht ein angestrengt wütendes und trauriges Gesicht; irgendwann fragt man sich, ob es wegen seiner Rolle oder des gesamten Films ist. Das einzige Talent, was Regisseurin Lexi Alexander offenbart, ist es, eine Comic-Verfilmung zu übertrieben und comichaft darzustellen (!), was eine verkrampfte Coolness-Attitüde zur Folge hat.

Mittlerweile gibt es seit einigen Jahren das Marvel Cinematic Universe, welches sich derzeit in seiner dritten Phase befindet. Seit 2013 erweiterte man es mit Agents of S.H.I.E.L.D. und Agent Carter das MCU und brachte es mit diesen beiden Serien ins Fernsehen. Man kann vom MCU halten was man will und die Superhelden-Filme als große, bonbonfarbene und laute Blockbuster-Unterhaltung abstempeln, die auf ein Publikum zwischen 08/15-Kinogänger, Jugendliche und Comicnerds zugeschnitten sind. Ich bezeichne aus meinen nerdigen Interessen heraus Superhelden-Verfilmungen als Guilty Pleasure und fühle mich durch die meisten im MCU angesiedelten Filme recht gut unterhalten. Sicher sind diese Werke äußerst bunt und die Origin-Stories, welche die Wandlung eines mit übernatürlichen Kräften gesegneten Menschen zum uns bekannten Helden zeigen, nach einem gleichen Muster aufgebaut. Trotzdem bieten diese Art von Film nicht einfach nur die filmische Version bunter Comicbilder sondern eine urbane Fantasy, die in einer für viele nachvollziehbare bzw. greifbare Gegenwartswelt angesiedelt ist. Mit den vier Netflix-Serien Daredevil, Jessica Jones, Luke Cage und Iron Fist, welche in die Miniserie The Defenders münden, zeigt sich das MCU von einer anderen Seite. Die hier dargebotenen Geschichten sind düsterer, richten sich an ein erwachsenes Publikum, bieten graphischere Gewalt und verleiht seinen Figuren mehr Persönlichkeit. Die Ereignisse der Kinofilme werden nur angedeutet und beinahe erscheinen uns die Serien wie ein eigener kleiner Kosmos innerhalb des Universums. In der zweiten Staffel von Daredevil wurde der Punisher eingeführt, diesmal vom aus The Walking Dead bekannten Jon Bernthal dargestellt.

Man kann Frank Castles Auftritt in der Serie um den blinden Daredevil als Origin verstehen, sieht man nicht nur den Kampf Castles als dauerwütenden Einzelgänger gegen die verschiedenen Mafiagruppen im Stadtteil Hell's Kitchen, dessen Weg sich ständig mit Matthew Murdock kreuzt, sondern auch wie dieser verbitterte, von seiner Wut schier aufgefressen scheinende Mensch zum bekanten Vigilanten wird. In einer der stärksten Szene der Staffel, wenn Castle und Murdock sich auf einem Dach bekriegen und die Pros und Contras über das Ermorden von Verbrechern diskutieren, zitiert die Szene direkt aus Garth Ennis Punisher-Serie von 2001. Der für den Punisher typische Totenkopf wird als übergroße Projektion eines Röntgenbild von Castles Kopf in einem Gerichtssaal eingeführt. Diese Beiläufigkeit, wie hier das bekannte "Markenlogo" des Charakters gezeigt wird und wie drohend dieser Schädel über die sich im Saal befindlichen Menschen thront, ist eine vor unterschwelliger Kraft strotzende Szene. Durch den großen Zuspruch der Fans beschloss man spontan, auch dem Punisher eine eigene Serie zu widmen. Dies war nicht nur aus kommerzieller Sicht eine gute Entscheidung. Ist Lundgren zwar eine Action-Ikone der 80er, aber weitaus nicht so markant wie Kollegen aus seiner Zeit, somit austauschbar und Jane und Stevenson bemüht aber niemals überzeugend, so ist Jon Bernthal - das zeigte sich schon in Daredevil - die perfekte Wahl um diesen Charakter darzustellen.

Sein Frank Castle ist nicht nur ein von Hass und Wut zerfressener Racheengel mit scharfer und mannigfaltiger Bewaffnung. Bernthals markantes Gesicht, das dem Punisher filmisch endlich ein Profil verleiht, ist auf den ersten Blick ein Buch mit sieben Siegeln, welches wie der Protagonist beabsichtigt, nicht weit nach innen schauen lassen möchte. Im Verlauf der Geschichte lernen wir Frank als in tiefer Trauer liegenden Menschen kennen, zerstört vom großen Verlust und dem daraus resultierenden Trauma. Seine einzige Möglichkeit, dieses zu bewältigen und die ihn überrollenden Gefühle in den Griff zu bekommen, ist die mitschwingende Wut gegen den Abschaum der Welt zu richten. Hier wird der Marine von seiner Vergangenheit und seiner damaligen Stationierung in Afghanistan eingeholt. Ein Video zeigt einige maskierte Soldaten, wie sie einen afghanischen Polizisten, der als angeblicher Terrorist entpuppt wurde, foltern und töten. Die Aufnahmen bringen einiges an Brisanz und politischem Zündstoff mit sich und lässt mit seinem Auftauchen eine riesige Lawine los. Dinah Madani, die Partnerin des getötenen Polizistin und Agent bei Homeland Security, kehrt in die USA zurück um die Drahtzieher des Mords an ihrem Partner ausfindig zu machen. Hinter der Veröffentlichung des Videos steckt der ehemalige NSA-Analyst David "Micro" Lieberman, der versucht, Frank auf seine Seite zu ziehen und zu überzeugen, dass sie für die gleiche Sache kämpfen. Castle zeigt erst kein Interesse. Nachdem ihm Lieberman zeigte, dass das Video aus Afghanistan im Zusammenhang mit dem Tod seiner Familie steht und dies keineswegs nur ein zufälliges Unglück war, schlägt sich der Punisher - weiterhin leicht widerwillig - auf die Seite Micros.

Letztendlich raufen sich die beiden unterschiedlichen Männer zusammen und decken einen riesigen Skandal auf, der bis in die Führungsebene von Homeland Security und der CIA reicht. Leider stellt Frank auch fest, dass man niemals ganz seinen Freunden trauen sollte. Showrunner Steve Lightfoot, ehemals Drehbuch-Autor der Serie Hannibal, schuf mit seinem Team eine fesselnde Serie, die man innerhalb des MCUs nicht erwartet hätte. War dank der Präsenz von Frank Castle auch die zweite Daredevil-Staffel gewalttechnisch nicht von schlechten Eltern, ist The Punisher in dieser Beziehung selbst für nicht gerade zartbesaitete Gemüter manchmal durch ihre rohe und kompromisslose Darstellung starker Tobak. Bis man zu diesem Level gelangt, dauert es. Den Vorwurf, dass viele Netflix-Serien geschwätzig, dabei ziemlich nichtssagend und langsam sind, versteht man als Fan des Streamingdienstes spätestens bei The Punisher. Der Einstieg gestaltet sich manchmal etwas zäh und das vorsichtige Voranbringen der Story scheint darauf abzuzielen, eine eigentlich geradlinig erzählte Geschichte mittels des Schlagens einiger Haken auszudehnen. Glücklicherweise kann der sehr gut ausgewählte Cast, neben Bernthal machen auch Ebon Moss-Bachrach als Lieberman, Amber Rose Revah als Dinah Madani oder Ben Barnes als Billy Russo eine mehr als gute Figur. Durch ihre Leistungen verzeiht man die Längen der ersten drei Episoden. Die Autoren der Serie nehmen sich fast schon zu viel Zeit, dem Zuschauer ihre Figuren vorzustellen.

Spätestens mit Episode Vier mausert sich The Punisher zu einer Serie, die gekonnt zwischen Action, Suspense und Drama schwankt . Mehr noch entwickelt sich ausgerechnet eine Verfilmung eines Marvel-Comics zu einem auf den zweiten Blick zurückhaltenden, aber einen klaren Standpunkt vertretenden Politikum. Die Hauptlinien der Geschichte, Frank und Micros Kampf gegen die Schuldigen ihrer jetzigen Situation, Madanis Jagd auf die eben diese und auch auf Castle selbst, die zuerst undurchsichtige Rolle von Franks altem Freund und Inhaber der Sicherheitsfirma Anvil Billy Russo und dem jungen Kriegsveteranen Lewis Walcott geben zwischen den Zeilen das Ansinnen der Macher Preis, The Punisher nicht zu einer zu einfach gestrickten Action-Szene zu machen. Klare Aussage: es herrscht Krieg. Auf den Straßen New Yorks wie in den Protagonisten selbst. Frank kämpft mit seinen Dämonen, diesem übergroßen Trauma, Micro mit seinem Schicksal, welches ihn von seiner geliebten Familie, die er durch die in deren Haus versteckten Kameras immer im Blick, aber nicht bei sich hat. Der Krieg ist im Verborgenen im faulen System der staatlichen Sicherheitsbehörden, die von Korruption gebeutelt sind. Der Krieg ist auch in den Seelen derer, die aus eben diesem kommen und nun nichts mit sich anfangen und in der normalen Welt sich schwer zurecht finden können. Stellvertretend ist hier Lewis, dessen Ver- und Rückfall trotz der dezenten Verwendung von Klischees und dem nicht immer funktionierenden Versuch, ihn zu einem modernen Travis Bickle zu machen, einen Eindruck hinterlässt.

Beinahe könnte man The Punisher als filmische Version Marvels von Oliver Stones Geboren am 4. Juli bezeichnen, die Serie erreicht aber niemals dessen Klasse. Die Autoren versuchen inmitten der gewalt(tät)igen Epik dem Drama um den heimgekehrten Veteranen genügend Raum zu geben. In den Flashbacks des Protagonisten selbst, welche gleichzeitig als Rückblenden das Schicksal von Franks Familie erklären, wird Franks zweiter Krieg anschaulich gezeigt. Vom Einsatz in Afghanistan zurück, kämpft er gegen den Alltag, gegen das nutzlos sein und sich so fühlen. Krieg und Armee lassen einen ausgebrannt zurück, für eine normale Welt ohne ständige Feuergefechte und Bombardements fast dysfunktional. Durch eine Schießerei zweier verfeindeter Gangs, zwischen die seine Familie geriet und ausgelöscht wurde, wird Frank der letzte Halt, fast der letzte Kontakt zur restlichen Welt genommen. Wie schwer es ihm fällt, mit anderen Menschen zu interagieren, nachdem er komplett von seiner Trauer und dem Hass eingenommen wurde, merkt man an seinen anfänglichen Problemen, wenn er mit Micro gemeinsame Sache macht. Es deutet sich von Folge zu Folge mehr eine leichte Freundschaft zwischen den beiden an, ohne dass die Serie in Plattitüden von Buddy-Movies verfällt. Man könnte das Duo auch die kleinste (und sturste) Trauer-Selbsthilfegruppe der Welt nennen.

Für den Grundton der Serie ebenfalls angenehm ist, dass Frank Castle kein Love Interest geschenkt bekommt. Irgendwas ist da wohl in seinem Herzen, was er für Karen Page, die ehemalige Sekretärin in der Kanzlei Nelson und Murdock, welche als Reporterin beim New York Bulletin zu arbeiten begann, empfindet. Es ist spürbar, diesen Faden lassen die Autoren aber liegen. Auch die Avancen, die ihm Davids Frau macht, prallen ab, was hier an Castles Anstand liegt. Dinah Madani beginnt hingegen, eine sehr innige Beziehung zu Billy Russo zu pflegen. Eine weitere Liebesgeschichte wäre auch zu viel gewesen und hätte dem Fluss der Story nicht gut getan. Immerhin gilt es, die einzelnen Fäden zusammenlaufen zu lassen. Die gemächliche Gangart der Erzählung wäre damit wohl stark ins Stocken geraten. Bemüht sie sich doch, neben dem eigens gewählten, damit gewollten Anspruch eben eine Serie im Marvel-Universum zu sein, die mit ihrer Figur des Punishers eine Erwartungshaltung der Fans bezüglich der Action zu befriedigen hat. Eine ausgeglichene Erzählstruktur gelingt ihr nicht immer. Nach einem zähen Einstieg müht sich The Punisher in der Mitte der ersten Staffel, den Anspruch und die Action unter einen Hut zu bekommen. Das führt dazu, dass selbst eigenwillige Sequenzen wie die Jagd einer Söldnergruppe durch den Wald, teils im POV der Helmkameras der Söldner gefilmt, in ihrer ganzen Qualität erst spät glänzen kann. Wie die Soldaten selbst wird die Serie fast von der Last des Kriegs und den hiermit verbundenen Qualen erdrückt.

Die Betonung liegt auf fast, schafft es The Punisher in einem für Comic-Verfilmungen zuerst ungewöhnlich wirkenden Schwermut, die Zuschauer zwischen all den Kämpfen der existierenden Parteien zum Nachdenken anzuregen. Mehrmals ist man sogar geneigt, die reaktionären Meinungen einiger Figuren, die größtenteils von Staatsbediensteten kommen, als Seitenhieb auf die aktuelle politische Lage in den USA seit Beginn der Präsidentschaft vom millionenschweren Populisten Donald Trump, zu sehen. Es ist ein falscher Weg, Gewalt mit Gegengewalt blind zu bekämpfen und Vergeltung zu erlangen. Die Serie sensibilisiert für das Thema der mit sich alleine gelassenen Veteranen, egal in welchem Krieg sie an der Front standen, die sich meist nur durch selbst organisierte Hilfegruppen unterstützen. Der ruhige Soundtrack, der vom Titel-Theme an sich am Blues orientiert, verstärkt die von grimmiger Trauer getragene Atmosphäre. Der gewollte politische Ton und die damit aufgegriffenen Themen lenken zudem geschickt davon ab, dass die Geschichte von The Punisher äußerst klassisch ist: ein einzelner bzw. wenige stellen sich gegen den übermächtigen, korrupten Apparat des Staates und kämpfen mit allen Mitteln gegen dessen gefühlte Übermacht an. Was Steve Lightfoot und Co. haben daraus eine äußerst gute Serie geschaffen, die den düsteren Ton und dessen erwachsene, weil äußerst explizite Gangart der Vorlage punktgenau treffen.

Man versucht auch nicht auf Teufel komm raus, einer der Serien der Comics nachzueifern, wie es War Zone versucht. Am ehesten kann man die Netflix-Version des Punishers mit den Comics, die unter dem Marvel MAX-Label erscheinen, vergleichen. Die seit 2001 unter diesem Label erscheinenden Reihen richten sich an ein erwachsenes Publikum und sind in der Darstellung von Gewalt expliziter und weitaus düsterer als die gewöhnlichen Comics aus dem Hause. Ab dem Jahr 2004 erschienen auch Punisher-Serien unter der Marke MAX und eine weitere Serienheldin von Netflix ist hier zu finden: Privatdetektivin und ehemalige Superheldin Jessica Jones ist Protagonistin der allerersten Marvel MAX-Serie Alias. Ein weiterer Punkt bestärkt den Vergleich: wie in den MAX-Comics des Punishers ist die Serie eine Welt ohne Superhelden. Übernatürliche, kostümierte Verbrechensbekämpfer sucht man hier vergebens und auch die Ereignisse der Kinofilme werden komplett ausgeblendet. Einzige Verknüpfungen mit den anderen Serien ist neben Karen Page, die man aus Daredevil kennt, der Kleinkriminelle Turk Barrett. Dieser ist ebenfalls in Daredevil, wie auch in Luke Cage und The Defenders zu sehen. Ebenfalls schön zu sehen ist, dass zwei weitere bekannte Figuren der Comics ins MCU geholt worden sind. Zum einen Micro, der in den Comics als Sidekick des Punishers fungiert und hier zum heimlichen Liebling avanciert und Billy Russo, der in den Comics zu Jigsaw wird. Die Hintergrundgeschichte wurde für die Serie zwar auch umgeschrieben und angepasst, ist im Kosmos der Serie vollkommen schlüssig.

The Punisher hat wie ihre Titelfigur Ecken und Kanten und ist keine weich gezeichnete Einheits-Comic-Verfilmung die mit abgedrehten Fantastereien um die Ecke kommt. Erinnerten die anderen Netflix-Verfilmungen in ihrem Grundton an die realistisch geprägte Batman-Trilogie von Christopher Nolan, in denen in einer (be)greifbaren Umgebung die Figuren der Comics dieser angepasst wurden und die phantastischen Elemente dezenter eingesetzt sind ohne den Stoff zu einem weiteren abgehobenen Blockbuster zu machen, geht The Punisher noch einen Schritt weiter. Die Serie ist befreit vom überirdischen der restlichen Marvel-Serien und Filme. Frank Castles Welt ist jeder Zeit greif- und fühlbar, einfach echt, obwohl die Fiktion des Stoffes auf klassischen Thrillermotiven ruht. Man gibt seinem Charakter Zeit und Raum, was man als Fan der Figur dankend annimmt. Niemals war Frank Castle so vielschichtig wie hier. Somit kommen wir zurück zu einer bereits getroffenen Aussage: sicher kann man nicht viel von Marvel- (oder auch DC-)Verfilmungen halten, sie wegen ihrer Oberflächlichkeit und dem manchmal bemühten abwenden davon, ohne es komplett zu schaffen, nicht mögen. Man darf natürlich Superhelden generell nicht mögen, weil es einfach nicht dem persönlichen Geschmack entspricht. Wer auf eine interessante Mischung zwischen knallharter Action, die trotz ihrem brisanten Thema Selbstjustiz niemals in selbstzweckhafte Plattitüden abdriftet, und Drama mag, sollte The Punisher anschauen. Meiner persönlichen Meinung nach ist die Serie zusammen mit Daredevil das Beste, was das Marvel Cinematic Universe (gerade wenn man nach erwachsener Unterhaltung sucht) zu bieten hat.
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Mittwoch, 6. Dezember 2017

Southbound - Highway To Hell

Da geht was in den USA. Sicher: dort ging immer etwas, aber was einige Teile der dortigen Indie-Szene an Horrorfilmen dreht, kann sich sehen lassen. Mit einem unbändigen Willen und Mut zum Experiment schaffen sie Filme, die nicht immer perfekt sind, dafür aber mutig. Eine Eigenschaft, die dem Genre mehr und mehr abhanden kommt. Im Bereich des No- bzw. Low Budget-Films gehören solche unerschrockenen Filmemacher weiterhin zu einer seltenen Spezies, wird der unabhängige, semi- bis non-professionelle Horrorfilm beispielsweise weiterhin von uninspirierten Slashern oder Zombiefilmen bevölkert, welche nach weitläufig bekannten Mustern ablaufen, gleich ganz hip mit ironischer Brechung Klassiker zitierfreudig zusammenwirft oder einfach einen kruden Effekt nach dem anderen abspult. Ausgerechnet die Spielart des Episodenfilms bescherte mir in den letzten Jahren einige weitgehend positive Überraschungen. Zu nennen seien hier die V/H/S-Reihe, Holidays (vor kurzem im Rahmen des Horrorctobers gesehen und besprochen), ABCs Of Death oder 5 Senses of Fear.

Southbound hat mit den genannten Filmen eines gemein: es ist nicht alles perfekt (doch welcher Film schafft das schon?), nicht alles wirklich rund; diese Unzulänglichkeiten, solche Ecken und Kanten, verschaffen ihm erst seine ganz eigene Ausstrahlung. Anders als in vielen Episodenfilmen üblich, werden die Geschichten nicht einfach hintereinander bzw. aneinander geklatscht erzählt und auch nicht zwischen eine Rahmenhandlung platziert. Southbound ist ein filmischer Kreislauf: seine eliptische Erzählweise lässt seine Geschichten ineinander übergehen. Handlungen der vorangegangen Story führen zur nächsten. Zuerst folgen wir den Freunden Jack und Mitch, die auf der Flucht vor geheimnisvollen Kreaturen wortwörtlich nicht vom Fleck weg kommen. Dort treffen wir auch auf eine dreiköpfige Band, deren weiblichen Mitglieder mit ihrem VW-Bus mitten in der Wüste liegen bleiben und von einer seltsamen Familie aufgelesen werden. Das Abendessen in deren Haus wird zu einer bizarren Angelegenheit, von dem Bandmitglied Sadie versucht zu fliehen. Dabei hat sie einen Unfall mit Lucas, an dem es in der besten Geschichten daran liegt, ihr Leben zu retten, bevor man sich Danny widmet, der auf der Suche nach seiner Schwester ist. Diese findet er, doch die Dame ist wenig begeistert davon. Zuletzt machen drei maskierte Männer Jagd auf einen Familienvater und machen Bekanntschaft mit den Kreaturen vom Beginn, womit sich der Kreis schließt.

Der gewählte Erzählstil mag den Machern und einem selbst zuerst sehr fancy vorkommen, er offenbart schnell das größte Problem des Films. Southbound gibt sich gezwungen anders, will sich bewusst - was zuerst einmal löblich ist - vom Gros der anderen Indie-Horrorfilme abheben. Es funktioniert bedingt; erzählerisch bleiben einige Geschichten leider auf der Strecke. Das Drehbuch hält sich nicht groß mit Erklärungen auf; wie die einzelnen Protagonisten wird man ohne Vorwarnung in die Erzählung hineingeworfen. Das ist schnell als gewollter Stil entlarvt, die vage im Raum schwebende Aufforderung, den Sinn, den Hintergrund und die Beweggründe des Grauens zu interpretieren, ist eine stille, strenge Aufforderung. Mehr noch: ein fast lästiges Muss. Raum dafür bietet der Film mit seinen Geschichten nicht, sind diese doch grob umschriebene Erzählungen, die sich verschiedenen Spielarten des Genres bedienen. Fasziniert die konsequent schnell herbeigeführte Situation der ersten Story mit ihren bizarren Kreaturen und ihrer interessanten Idee, so wirkt die darauf folgende Episode um das weibliche Musiker-Trio leicht unausgegoren. Sie reißt ihre Ideen an, manches wirkt somit an Southbound wie ein verfilmtes Filmemacher-Meeting bzw. Brainstorming. Am stärksten ist die Situation um einen Autofahrer, der versucht sein angefahrenes Opfer in einer menschenleeren Stadt und einem ebenso leeren Hospital mittels Hilfe am Telefon medizinisch zu retten.

Die minimalistische Handlung bedarf keiner großen, weiteren Erklärung, die Ausgangssituation führt zu einem hübsch getimten, spannenden Stück welches den Protagonisten wie den Zuschauer zu einer durchaus aufwühlenden Achterbahnfahrt mitnimmt. Die überspitzte Notfallsituation wird ins äußerste getrieben um mit einer zwar vorhersehbaren, aber trotzdem fiesen Pointe zu punkten. Der narrative Minimalismus funktioniert hier durch die schlichte Story, die weder gekünstelt noch bruchstückhaft wirkt. Southbound fehlt es an einer gewissen Erdung, festem Grund um sein durchaus interessantes Ideenchaos zu ordnen. In diesem geht die vierte Story um Danny und seine Schwester unter, die bis auf einige deftige Gore-Effekte ein bloßes Nichts von aneinander gereihten Einfällen ist. Zum Abschluss begibt man sich auf die Pfade des Home Invasion-Thrillers und scheitert abermals an der fehlenden Grundierung, die mit ihren bloßen Andeutungen es nicht schafft, genügend Spannung aufzubauen. Die vier Regisseure konzentrieren sich zu stark darauf, Southbound zu einem unwirklich wirkenden Geflecht vieler Versatzstücke zu machen. Das Konzept, dass er haben soll, bleibt eine leere Hülle. Leider bleiben manche Ideen auf der Strecke, der Gesamteindruck lässt nicht verleugnen, dass die Macher einen unbändigen Willen haben, dem Genre und insbesondere dem Anthologienfilm neue Facetten schenken zu wollen. Es ist eine nicht komplett funktionierende Sammlung von Kurzgeschichten bzw. -Filmen mit Ecken und Kanten. Eine Eigenschaft, die auch die oben angesprochenen V/H/S (die hier mitwirkenden David Bruckner und Radio Silence waren auch daran beteiligt) oder 5 Senses of Fear ausmachen. Es ist moderner Horror, der die eng gezogenen Konventionsketten mit groben Mitteln sprengen möchte. Die ruppige Gangart mag nicht gänzlich funktionieren oder elegant sein, bietet aber genug Charme und interessante Elemente, dass Southbound einen Blick wert ist.

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