Freitag, 23. September 2022

Der Dämon und die Jungfrau

In der heutigen Zeit mögen sexuelle Obsessionen mit einer sadomasochistischen Note als Thema für einen Film weitgehend normal erscheinen. Für das Jahr 1963 war dies anrüchig und durchaus heikel; ganz gleich, dass dies in ein schauerromatisches Gruselstück implementiert wurde. Aus diesen Gründen hatte Mario Bavas Der Dämon und die Jungfrau zur Zeit seiner Entstehung stark mit der Zensur zu kämpfen. In den britischen Kinos fehlten rund 15 Minuten; bei seinem deutschen Kinoeinsatz mussten gut zehn Minuten weichen. Leider verfälschte dies einen wichtigen Aspekt in der Beziehung zwischen den Figuren Nevenka und Kurt. Beide führt das Schicksal unausweichlich wieder zusammen, nachdem die von der betörenden Daliah Lavi dargestellte junge Frau Christian, Sohn des gebrechlichen Grafen Vladimir Menliff, ehelicht. Kurt, Bruder von Christian und schwarzes Schaf der alteingesessenen Aristokraten-Familie, kehrt nach Jahren des Exils auf das Schloss der Familie zurück, um dem frisch getrauten Ehepaar zur Hochzeit zu gratulieren.

Wohlgesonnen ist Kurt niemand. Vor seinem Abgang soll dieser Tanya, Tochter der Bediensteten Giorgia, verführt und in den Tod getrieben haben. Seine Familie fürchtet unterdessen, dass der narzisstisch und sadistisch veranlagte Kurt auf das Ableben des kranken Vaters zu lauern scheint und danach den Familienbesitz für sich zu beanspruchen. Zu guter Letzt wäre Nevenkas wechselhaftes Verhältnis zu Kurt, mit dem sie ein Verältnis hatte und zu diesem eine Art Hassliebe pflegt. Eigentümlich bleibt beider Zusammentreffen am Strand: zuerst lässt sich die frischgebackene Ehegattin von ihrer Ex-Affäre auspeitschen, bevor sie in seinen Armen dahinschmilzt. Out on the wily, windy moors / We'd roll and fall in green. Am gleichen Abend fällt Kurt einem Mord zum Opfer, aus dem sich zuerst ein klassisch aufgebautes Kriminalstück entspinnt, dass sich im Laufe des Films zu einem gothischen Schauerstück entwickelt, in dessen famos durchkomponierten Bildern man am liebsten versinken möchte.

Was Bava zusammen mit seinem Kameramann Ubaldo Terzano auf der optischen Ebene erschafft, sind prächtig ausgeleuchtete, durchstilisierte schwarzromantische Kunstwerke. Passende Schauplätze für eine im Inneren verfallende Familie, die in ihrem abgeschieden gelegenen Schloss langsam verrottet. Mit Kurts Rückkehr und den daraus folgenden Ereignissen wird der Niedergang beschleunigt. Christopher Lee verkörpert den herrischen Aristokraten mit kühler Zurückhaltung, in dem Gewalt, Missgunst und Sadismus deutlich brodeln. Vor und nach seinem Tod, wenn er als Geistererscheinung Nevenka heimsucht und an den Rande des Wahnsinns bringt, entlädt sich dieses Trio in von sadomasochistischem Eros durchzogenen Szenerien. Im Umgang mit Familienmitgliedern wandelt Lee als Kurt auf dem schmalen Grat zwischen letzter Selbstbeherrschung und plötzlichem Brutalitätsausbruch, was ihn als einen Heathcliff 2.0 erscheinen lässt. Tatsächlich lässt sich der Aufbau der Geschichte bis zu einem gewissen Grad mit Emilie Brontës einzigem Roman "Wuthering Heights" (dt. Titel "Sturmhöhe") vergleichen.

Die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Ellen Moers ordnete das Buch der sogenannten Female Gothic zu, in der die Autorinnen die Ängste und Sorgen von Frauen im 18. bzw. 19. Jahrhundert in von der Schauerliteraturjener Tage geprägten Motive verpackten. Bavas Film fehlt dafür der weibliche Blick auf seine Protagonistin, gleicht dies jedoch mit atmosphärisch dichtem Grusel alter Schule aus, der sich zu einem schwelgerischen Horrordrama mausert, dem man zumindest eine gewisse Nähe zur Gothic Literatur konstatieren kann. Drehbuchautor Ernesto Gastaldi und seine Co-Autoren Ugo Guerra und Luciano Martino nutzen aus dieser offenkundig bekannte Motive und schaffen daraus eine zugegeben heutzutage nicht mehr sonderlich markerschütternde, aber immer noch sehr gut unterhaltende und geerdete Geschichte, die dabei nie in Trivialität verfällt. Der Plot mag (trotz seiner behäbig ausfallenden Narration) aufgeräumt und in der Regie sehr zielgerichtet umgesetzt sein; Der Dämon und die Jungfrau bietet bei seiner detailverliebten Umsetzung und den "hitzigen" Untertönen vieles zu entdecken, was man als Zuschauer unter der Führung von Mario Bava sehr gerne in Angriff nimmt um in dieser filmischen Horrorschönheit klassischer Prägung zu versinken. 
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Sonntag, 4. September 2022

The Sadness

Mit den ersten Trailern ließ The Sadness bereits daran zweifeln, dass er es bei den deutschen Jugendschutz-Organen leicht haben werde. Schnell eilte dem Film der Ruf voraus, dass es sich um den härtesten Zombiefilm aller Zeiten und einen Tabubrecher handeln würde. Die FSK ließ seinen deutschen Verleih Capelight Pictures sicher manch trauriges Liedchen anstimmen. Mehrmals verweigerte sie dem Film in seiner ungeschnittenen Form die Freigabe für einen Kinostart, bis nach einer weiteren Revision Seitens seines Anbieters doch noch die rote "Ab 18"-Plakette vergeben wurde. Gleiches Schicksal beim Heimkino-Bereich, für den strengere Kriterien gelten: eine weitere Ablehnung der Freiwilligen Selbstkontrolle sorgte für den letztlichen Gang zu Juristenkommission, um den Film auf Blu Ray auswerten zu können. Immense Zeit- und Geldverschwendung auf der einen, gleichzeitig gutes Marketing auf der anderen Seite. Neben den nach deftigen Kunstblut-Eskapaden geifernden Gore-Bauern lockt das auch im Jahr 2022 noch genügend Neugierige an, die mitreden oder sich einfach ein eigenes Bild machen wollen.

Gleichzeitig ist der in Taiwan entstandene Film eines der wenigen aktuellen Werke, das Bezug auf die gegenwärtige Pandemie nimmt. Der Umgang mit dem darin grassierenden Alvin-Virus erinnert sehr an reelle Diskurse um COVID-19. Wissenschaftler warnen, dass er zu einer ernst zu nehmenden Gefahr für die Gesellschaft werden kann und niemanden scheint es zu interessieren. Für den Nachbarn von Protagonistin Kat ist dieses nichts weiter als eine leichte Erkältung, eine von der Regierung aufgebauschte Sache und reine Panikmache. Kat und ihr Freund Jim, deren Beziehung aktuell an wenig gemeinsamer Zeit krankt, verabschieden sich an einem sonnigen Morgen nach kurzem Small Talk von diesem und brausen auf dem Motorroller des jungen Mannes zur U-Bahn, von wo aus Kat ihren Arbeitsweg antritt. Kurz darauf bricht die Apokalypse los. Einmal infiziert, werden die Träger des Virus zu enthemmten, sadistischen Wutbürgern und stürzen mit ihren gewaltsamen Entgleisungen die Stadt ins Chaos. In diesem versuchen Jim und Kat zu überleben und für eine gemeinsame Flucht wieder zusammenzufinden. 

The Sadness packt gleich mehrere gegenwärtige Themen an. Die Entmenschlichung der Gesellschaft, deren Spaltung im Bezug auf das beherrschende Thema der Pandemie und (nicht nur) innerhalb dieser die Radikalisierung der Menschen. Der Film könnte ein zugegeben plump provokativer, aber cleverer Kommentar zur vorherrschenden Lage sein. Potenzial ist vorhanden und der Aufbau, welcher den Zuschauer in trügerische Ruhe vor dem Sturm hüllt, ist zugegeben mehr als ordentlich umgesetzt. Warme Farben beherrschen das Bild, bevor sie einer vorrangig kalten Farbpalette weichen, über die regelmäßig ein vor Kunstblut triefender Schleier gezogen wird. Regisseur Rob Jabbaz, ein in Taiwan ansässiger Kanadier, wiegt den Zuschauer und seine beiden Figuren in Sicherheit, bevor das Virus die bestehende Ordnung binnen Minuten zum Stürzen bringt. Einsamer Höhepunkt ist die erst sehr unangenehme, später mächtig überzogene Szene in der U-Bahn. Die dortigen Gewalteruptionen schießen in immer höhere Sphären, aus denen ein heftiger Absturz folgt.

Die anschließend recht übersichtliche Handlung taumelt mit ihren beiden Helden von einem Setpiece zum anderen und will sich in den dargestellten Gewalttätigkeiten immer weiter übertreffen. In einer in einem Krankenhaus, in das sich Kat und eine weitere Überlebende des Massakers in der Bahn flüchten, spielenden Szene scheint er sogar den zu seiner Zeit ebenfalls kontrovers aufgenommenen A Serbian Film (hier besprochen) zu zitieren. Spätestens ab dort ist es mit der gesellschaftskritischen Komponente dahin. Die triebgesteuerten, aber noch alle ihre Sinne beisammen habenden Infizierten, die weniger an Zombies sondern mehr an Aggressoren wie man sie aus The Crazies oder Die Tollwütigen kennt erinnern, sind da längst keine verzerrte Darstellung realer Unruhestifter mehr. Sie sind ein Werkzeug in den Händen durchaus fähiger Frauen und Männer hinter den Kulissen, um den Durst des Publikums nach Gewaltspektakel, als das er sich entpuppt, zu stillen. Dem Gewand als blutiger Kommentar zur sich durch die Pandemie gewandelten Welt entledigt er sich schnell und wer weiß, ob das The Sadness komplett sein möchte. In einem Interview gab Jabbaz zu, auch sehr von der umstrittenen Comic-Serie "Crossed" von Garth Ennis (u. a. "Preacher" und "The Punisher") beeinflusst worden zu sein, die in ihrer Gewaltdarstellung noch kompromissloser als der Film zu Gange geht.

Mit diesem verhält es sich so, dass er sein Publikum mit seinem Grad an Gewalt schnell aussteigen lässt. Er überfüttert es nahezu, bis es bar jeder Emotion die Ideen seiner Macher über sich ergehen lässt. Drowned in blood. Wäre The Sadness zwei oder drei Jahrzehnte früher entstanden, hätte man mit ihm den perfekten neuen Schulhoffilm, die neue Mutprobe, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Ist er zu hart, bist zu zart. In der heutigen Zeit fällt es mir schwer, dass sich der Film einen festen Platz im Gedächtnis von (Genre-)Filminteressierten sichern kann. Mehr ist er ein Produkt seiner Zeit, eine übertriebene Bestandsaufnahme, die wenig aus oder mit den Ängsten jener rationellen, vernünftigen Schar von Menschen macht, die Anhand ihrer Darstellung der Infizierten die Frage aufkommen lässt, ob nun nur das (Corona-)Virus oder querdenkende Hirnamputierte und die ganze restliche Leugnerschar gefährlicher ist. Wenn sich der Staub noch mehr gelegt hat und man noch etwas distanzierter mit dem Film auseinandersetzen kann, dürfte der Blick darauf nochmal anders ausfallen. Bis dahin bleibt es ein überzogen blutiges Werk, bar jeder Subtilität, dass wenigstens den Gore-Bauern vollends zufrieden stellen kann, weil's so geil rotzt. Zu wenig, um vollends zu überzeugen.
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