Sonntag, 28. April 2013

Mama

Höher, schneller, weiter, grausamer. Eine Devise, passend für den modernen Horrorfilm, der in den letzten Jahren fest verwurzelt in der Realität ist, sich oberflächlich mit Schuld und Sühne beschäftigt und modernen Henkern wie Jigsaw in der Saw-Reihe menschliche Verfehlungen an den makabren Pranger stellen lässt. Diese Figuren kann man als Exekutive, Legislative und Judikative in einem sehen, wie sie ihren Opfern das Gericht machen und sie gleichzeitig verurteilen und dieses mit aller Kaltschnäuzigkeit vollstrecken. Es mag ein Abbild der krisengeschüttelten, trauma-behafteten letzten Jahre mit all ihren Katastrophen sein, welches den Menschen an und für sich kälter gemacht hat. Dem Zynismus wurde damit eine weite Tür geöffnet und auch das Internet mit seinen beinahen schrankenlosen Möglichkeiten, sich in dunklen Ecken grausame "Ekel-Videos" oder auch -Bilder anzuschauen. Die Abstumpfung des Einzelnen durch diesen grenzüberschreitenden Voyeurismus gipfelt im Horrorkino der letzten Jahre an einer Torture Porn-Welle, die glücklicherweise langsam abebbt.

Diesen konservativ anmutenden Worten zum Trotz, kann und darf Film natürlich auch gerne Grenzen überschreiten, provokant wirken. Doch während der letzte Höhepunkt des realistischen Horror-Abbilds - A Serbian Film - wenigstens noch einen intelligenten Unterbau verfügt (siehe das Review hier im Blog), so sucht man sowas in manchen Indie-Werken wie den Filmen eines Fred Vogels leider vergeblich. Man bricht mit den liebgewonnenen Traditionen des Horrorkinos, um die Schock- und Ekelgrenze immer weiter nach oben zu treiben. Da ist das Langfilmdebüt des Argentiniers Andrés Muschietti erfreulich altmodisch ausgefallen. Der Geisterfilm - geprägt durch solche ewigen Meisterwerke wie Bis das Blut gefriert (1963) - scheint dafür ein kleines Comeback zu erleben. Nachdem die wieder erwachten Hammer Studios im letzten Jahr Die Frau in Schwarz ins Rennen warfen, kommt nun mit Mama ein weiterer Traditionsspuk in die Kinos.

Hier geht es um die beiden Mädchen Victoria und Lilly, welche nach fünf Jahren Vermisstenstatus durch einen glücklichen Umstand wieder gefunden werden. Sie wurden von ihrem Vater entführt, welcher aus Verzweiflung nach einem Missglückten Geldgeschäft zwei Partner und die von ihm in Trennung lebende Mutter der beiden Töchter ermordete. Auf seiner Flucht kommt er auf glatter Fahrbahn durch Unachtsamkeit ab und landet mit ihnen in einer verlassen aussehenden Waldhütte. Dem Zuschauer wird allerdings schnell gewahr, dass diese einen unheimlichen Bewohner birgt: einen ruhelosen Geist, der sich um die beiden Kinder kümmert. Nachdem man sie komplett verwildert gefunden hat und wieder an unsere Zivilisation heranführt, möchte sich der Lucas, der Bruder des Vaters der beiden um die Mädchen kümmern. Seine Freundin Annabelle, Mitglied einer Rockband und ohne konventionellen Lebensstil, wird eher unfreiwillig in die Mutterrolle gedrängt.

Victoria und Lilly machen gute Fortschritte in der Behandlung, allerdings geht der behandelnde Psychiater Dr. Dreyfuss davon aus, dass die von den Mädchen immer wieder angesprochene "Mama" eine bei Victoria gebildete, zweite Persönlichkeit ist. Das dies nicht so ist, merken Lucas und Lilly, als sie im Rahmen der Behandlung in ein Haus einziehen um sich um die Mädchen zu kümmern und damit diese weiter untersucht werden können. Denn alsbald kommt es zu merkwürdigen Vorkommnissen und der Erkenntnis, dass "Mama" etwas bzw. jemand ganz anderes ist. Dabei setzt Muschietti darauf, dass er seine Geschichte mit sehr entspanntem und gedrosseltem Tempo erzählt, auch wenn er es schafft, dass Mama bis zum für die Protagonisten beginnenden Grauen gar nicht so lange braucht. Mit kleinen, erzählerischen Stilmitteln schildert er die Hintergründe des titelgebenden Geistes und was mit den Mädchen während der fünf Jahre passierte.

Die verwahrlosten Kinder zu Beginn des Films allein sind schon ein erster Schreck, ihre animalischen Verhaltensmuster unheimlich bedrückend umgesetzt. Umso erstaunlicher wie fix diese sich dann wieder in der Zivilisation zurechtfinden, was schon ein wenig unglaubwürdig erscheint. Allerdings ist dies ja auch ein Horrorfilm und keine modernisierte Verfilmung bzw. Abwandlung der Geschichte des Kaspar Hausers. Man kann sich damit aber schnell und gut abfinden, da Muschietti sehr sicher im Umgang mit dem Stoff ist (immerhin basiert der Film auf einen eigenen Kurzfilm aus dem Jahre 2008) und es sehr schön versteht, langsam den Schrecken in das frische und sehr ungewollte Familienglück zu bringen. Gerade Annabelle ist hier das schwächste Glied - noch schwächer als die Kinder - in der Familie. In einer Szene jubelt sie noch über den negativen Schwangerschaftstest, einige Minuten später sieht sie sich als zweifache Mutter einer Aufgabe gegenüber, auf die sie spürbar keine Lust hat. Gezwungen begrüßt sie die Kinder im neuen Heim, während bei ihrem Freund - immerhin auch der Onkel der Mädchen - schnell väterliche Gefühle entstehen.

Allerdings sind die Kinder immer noch in ihrer eigenen Welt gefangen, trotz aller Resozialisierung. Schnell werden sie auch von ihrer übernatürlichen Ziehmutter im neuen Heim besucht. Wie es sich gehört, huschen Schatten durch die Gänge des Hauses, Licht beginnt zu flackern und Personen tauchen an stellen auf, wo vorher noch nichts war. Stereotypen des Schreckens. Altmodisch. Aber: angenehm. Mama schafft es sogar, dass man selbst bei schnell durchschaubaren oder vorhersehbaren Szenen trotzdem der Schockeffekt seine Wirkung nicht verfehlt und Gänsehaut auftritt. Es macht unheimlich Spaß, sich hier das Fürchten und Gruseln lehren zu lassen, auch wenn man selbst Elemente entdeckt, die es schon seit 30, 40 oder noch mehr Jahren im Genre gibt und die sich auch nicht groß verändert haben. Der trotzdem auftretende Schockmoment, der einen zusammenfahren lässt, auch wenn man ihn erwartete: zuletzt bekamen dies die großen Horrorfilme aus Asien hin. Filme wie Ringu (1998), Inner Senses (2002) oder auch Ju-On (2002).

Diese sind im übrigen auch ein tolles Stichwort, da Mama merklich auch von diesen beeinflusst scheint. Nicht nur, dass der Mutter-Geist ähnlich wie in Ju-On äußerst verzerrt in seiner Darstellung ist und damit noch mehr Gänsehaut heraufbeschwört. Der Film ist unter der Fassade des einfachen Gruselfilms auch mit dramatischen Zügen gezeichnet. Sie kommen erst spät und nicht sofort offensichtlich wie in einigen modernen, asiatischen Horrorklassikern zum Tragen, sind allerdings immer greifbar. Nachvollzieh- und spürbar. Mag sein, dass das Ende beinahe schon in Hollywood-Kitsch-Gewässern treibt, aber man bekommt den Sprung und zeigt eine äußerst anrührende Auflösung der Story. So Happy mag das Ending gar nicht sein, wie es zuerst erscheint. Ohne zuviel verraten zu wollen, musste ja schon ein etwas größeres Opfer gebracht werden, um beide Seiten zufrieden zu stellen. Mama ist ein rastloses Geschöpf. Bedrohlich, furcheinflößend und tragisch zugleich.

Sie ist ein Teil in einem simpel aufgebauten, dennoch ergreifenden Drama, welches sich auch um die Themen Familie und deren heutige Bedeutung und die Entfremdung dreht. Ist dieses Konstrukt wirklich überholt oder ist sie der Hort für die Menschen? Wie weit kann Entwurzelung gehen? Der Kitsch, der in einigen anderen Besprechungen angeführt wurde, hält sich in Grenzen. Die Familie wird am Ende - gerade auch durch die Schlusseinstellung - als schützender Hort für die kleinsten bzw. die Menschen generell dargestellt. Aber bis wir zu dieser kommen, kann der Film durch seinen gesamten Aufbau so sehr überzeugen, dass man den angesprochenen Umstand der Vorhersehbarkeit unter den Tisch fallen lassen kann. Er nimmt einen gefangen, wie die umhergeisternde Mutter die Kinder selbst.

Sicherlich kann er dadurch nicht der übergroße Hit und Horrorfilm der Saison werden. Aber in seinem subtil eleganten Stil, der durch ausgeklügelte Farbgebung und schöne Kameraeinstellungen bestechen kann, macht er wirklich etwas her. Abgerundet wird dies durch eine mehr als solide schauspielerische Leistung, bei dem auch die Kinderdarsteller groß dazu beitragen, dass der Film ein Gewinn ist. Selten war ein Kind, in diesem Fall Isabelle Nélisse als Lilly, immer noch ein wenig furchteinflößend, auch wenn der Zuschauer weiß, dass von diesem gar keine Bedrohung ausgeht. Wie angesprochen, machen auch die anderen Darsteller ihre Sache mehr als gut. Mama ist ein gut pointierter Horrorfilm, der für Freunde von gepflegtem Grusel genau das richtige darstellt. Mit viel Glück, kommt besseres in dieser Saison ohnehin nicht mehr hinterher. Sehr gut gemacht Herr Muschietti!
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Freitag, 26. April 2013

Frischer Ohrenstoff von El Diabolik

Podcasts über Filme gibt es ja so einige, meistens wird in diesen über aktuelle Filme geredet sowie Neuigkeiten aus der Welt der flimmernden Bilder verbreitet. Das ganze kann durchaus schön kurzweilig und unterhaltsam sein. Der britische Podcast von El Diabolik verschreibt sich allerdings der musikalischen Untermalung des Films und spezialisiert sich zu meiner Freude dabei auf Genre-Produktionen wie Eurocult im Allgemeinen oder Exploitation und Trash. Kein Wunder, dass der Name des Podcast komplett "El Diabolik's World of Psychotronic Soundtracks" lautet.

Ganz frisch ist heute die 26. Ausgabe des Podcasts erschienen, welcher von El Diabolik und Lord Thames gehostet wird. Auf die Ohren gibt es unter anderem Stücke aus dem Mario Bava-Giallo 5 bambole per la luna d'agosto, dem Zulawski-Werk Ein Drittel der Nacht und auch Maestro Morricone ist mit Stücken aus dem Film Ein Fressen für die Geier vertreten. Die Folge ist wirklich schön abwechslungsreich ausgefallen, auch die Songs aus dem Cover-Version-Corner (u. a. aus dem Film M.A.S.H.) wissen wirklich zu gefallen.

Runterladen kann man sich den Podcast auf der Seite von El Diabolik oder direkt hier.
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Oblivion

Eine strahlende Zukunft. Eine Redenswendung, die man gerne liebgewonnenen und nahestehenden Menschen bei gewissen Jubiläen wünscht und man gerne auch Menschen verspricht, wenn es derzeit in gewissen Bereichen nicht gerade rosig aussieht. Strahlend und hell erleuchtet soll sie sein. Lichtdurchflutet, frei von jeglichen Sorgen, welche dunkle Wolken aufziehen lassen. Am besten so strahlend hell, dass es über ins weiße geht. Der Farbe der Unschuld. Zukunftsvisionen, entweder pessimitisch oder eben strahlend optimistisch, sind auch ein Hauptthema der Science Fiction. Hier allerdings wird eine Stilisierung auch gerne Gegenteilig eingesetzt. Man erinnert sich nur an die totalitäre Gesellschaft in George Lucas THX 1138 (1970) und die klinisch reinen Bilder des Films, ebenfalls sehr stark hell bzw. weiß gehalten. Strahlend ist die Zukunft hier sicherlich, allerdings nicht für die Protagonisten der Geschichte. Ein stilistisches Paradoxon wenn man mag, dass durch die erzählte Geschichte aufzeigt, dass unter dieser beinahe schon unantastbar rein und jungfräulich scheinenden Oberfläche nicht alles so glänzend schön ist.

Solch ähnliche Kniffe kann man auch in Oblivion feststellen. Der von Tom Cruise gespielte Jack Harper ist ein Techniker auf der nach einem Alienkrieg vollkommen zerstörten Erde. Auch wenn die Menschen diesen Krieg gegen die "Plünderer" genannten Außerirdischen gewonnen haben, haben sie einen hohen Preis dafür zahlen müssen. Nachdem durch die von den Aliens hervorgerufene Zerstörung des Mondes Umweltkatastrophen dazu führten, dass ein großer Teil der Menschheit leider zerstört wurde, schlug man mit Atomwaffen zurück. Die Erde ist durch die große Strahlung unbewohnbar geworden, man siedelte auf den Titan - größter Saturnmond mit erdähnlicher Atmosphäre um - lässt Harper und seine Partnerin Victoria allerdings auf der Erde als "Aufpasser" zurück. Man kümmert sich um riesige Türme, welche für die Überlebenden auf dem Titan die restlichen Ressourcen aus der Erde rettet und aufbereitet. Zudem müssen diese Türme gegen eben angesprochenen, vereinzelt zurückgebliebenen Plünderer verteidigen.

Man steht am Ende seiner Mission, als die Routine von Jack und Victoria durch einen Absturz einer Raumkapsel durchbrochen wird. Bei seinem Kontrollflug entdeckt Jack das diese bemannt ist und rettet Julia. Das prekäre an der Sache ist, dass diese eigentlich unbekannte Frau Jack Nachts in dessen Träumen erscheint. Es scheint, als stammen diese Bilder als auch diese Frau aus seiner Vergangenheit, an die er sich nicht erinnern kann, da seine Erinnerungen zur Sicherheit der Mission gelöscht wurden. Jack - weitaus neugieriger als seine sehr den Vorschriften folgenden Partnerin - möchte natürlich diesem Geheimnis auf den Grund gehen. Bis es zu diesem Punkt kommt, gibt sich Oblivion sehr unaufgeregt und beinahe schon meditativ. Das Script schildert recht detailliert die Routine und das einsame Leben von Victoria und Jack auf der verwüsteten Erde. Man eifert somit einem sehr entschleunigten Erzählfluß nach, den man aus Science Fiction-Klassikern á la 2001: Odyssee im Weltraum (1968) oder Lautlos im Weltraum (1972) vergleichen könnte.

Dabei bietet Joseph Kosinskis Film allerdings doch ein wenig mehr Action wie angesprochene Meisterwerke des Genres. Was die Tiefe angeht - was diese beiden Werke auf jeden Fall mit sich bringen - ist das so eine Sache. Ein Actionspektakel in den Untiefen des Universums ist er mit Sicherheit nicht. Sie spielt eine untergeordnete Rolle, bekommt allerdings auch so viel Platz, um das auf ordentlich Bums wartende Publikum zufrieden zu stellen. Wobei der nach trivialer Unterhaltung trachtende Masse diese sicher immer noch zu wenig ist. Es ist kein martialisches Testosteron-Kino sondern sucht sich seinen Weg in den Zukunftsvisionen, welche die ausgehenden 60er und weitestgehend die 70er mit sich brachten. Dabei versucht man sich gleichzeitig darin, die scheinenden und strahlenden Hochglanzbilder wie man sie aus den 80ern kannte, damit zu kombinieren. Es gelingt bedingt. Wobei man zugeben muss, dass Oblivion eine unheimlich fesselnde Fotographie mit sich bringt.

Die zerstörten Wahrzeichen der USA wie ein im Krater liegendes, zerstörtes Pentagon oder das in einer friedlichen Wiesenlandschaft stehende Washington Monument haben eine gewisse Kraft, gerade in der Kombination mit der gleitenden Kamera, die Jack bei seinem Flug über das ruhige Land zeigt. Kalt, aufgeräumt und mit sehr heller Farbgebung hinterlegt gestalten sich auch die Räumlichkeiten von Victoria und Jack. Es beeindruckt wie friedlich der Planet plötzlich nach diesem Krieg scheint, zeugt dadurch allerdings auch welch bitteres Los dazu führte. Warme Farben sind selten zu sehen, sind allerdings auch sehr stilsicher eingebracht. Ein Sonnenaufgang taucht die Bilder in Orange, eine abendliche Szene ist in Blau und Schwarz gehalten. Beinahe fühlt man sich hier an Gattaca (1997), der ähnlich kühle und imposante Bilder mit unterschiedlicher Farbgestaltung verbindet. An diesen imposanten Bildern scheitert dann aber auch etwas die Geschichte.

Kosinskis Vexierspiel verschiedener, angerissener Kritikpunkte gelingt es nicht, seine Elemente ansprechend zu entwirren und im einzelnen für sich stehen zu lassen. Man zitiert sicher verschiedene Science Fiction-Klassiker und bringt im Verlauf der Story es sogar fertig, Freunde post-apokalyptischer Filme der 80er zu befriedigen. Die Themenvielfalt erstickt den eigentlich sehr intelligent gehaltenen Unterbau der Story, will zu viel auf einmal und kommt leider nicht auf seinem Weg weiter voran, wie man es gerne möchte. Der Umgang des Menschen mit seiner Umwelt, gerade in Kombination mit der immer weiter fortschreitenden Globalisierung un die Auswirkung darauf ist eines, welches angerissen wird. Im Raum sichtlich schwebt, allerdings nicht wirklich greif- und fühlbar wird. Man konzentriert sich - dem Titel ganz gerecht - auf die Suche nach Jacks Erinnerung, seiner Vergangenheit und wie sie mit Julia zusammenhängt.

Die Geschichte gibt sich clever, wirkt allerdings an manchen Stellen leider doch etwas konstruiert und vorhersehbar. Der gewollte Mindfuck des Zuschauers stellt sich nicht so stark heraus, kann seinen gewünschten Überraschungsmoment nicht zur Gänze ausspielen. Es ist schade, dass man dann auf Nummer sicher geht in eben solchen Momenten, vielleicht nicht ganz so stark übertrieben erscheinen mag. Es scheint, als zweifele man an der eigenen Glaubhaftigkeit, dass dieses Konstrukt trotz aller Phantastik besitzt, eventuell auch von der Realität in manchen Bereichen (gewiss nicht allen) eingeholt werden kann. Oblivion spielt bis zu einem gewissen Punkt gut mit diesen "Nichts ist, wie es scheint"-Elementen, vermag es aber leider nicht, stärker in die Tiefe zu gehen. Es ist eine Schwäche, über die man aber hinweg sehen kann.

Auch wenn Tom Cruise sich bei weitem kein Bein ausreißt, seine Figur auch nur beschränkt greifbar ist: selten war er in der letzten Zeit so erträglich wie in diesem Film. Der Versuch, diesem glatten Strahlemann markige Punkte zu verleihen, in dem man ihm Schrammen im Gesicht verpasst, er einen stoppeligen Bart im weiteren Verlauf hat: die Entwicklung des Charakters stagniert im Verlauf der Geschichte. Leider wird es sogar etwas zu kitschig und pathetisch gegen Ende, was Oblivion an und für sich gar nicht nötig hat. Es fehlt an einigen Stellen an Logik und Schlüssigkeit, verschachtelt das Storykonstrukt unnötig obwohl es recht einfach zu durchschauen ist. Die intelligenten Ansätze, die seine Geschichte mit sich bringt, lässt ihn aber wirklich nicht uninteressant erscheinen. Das Nebeneinander der verschiedenen Arten, wie Oblivion bei seinem Publikum ankommen möchte, schafft es nicht, in ein wohliges Ganzes zu kommen.

Kosinski scheint sich durch den Look seines Films, den man ohne jeden Zweifel perfekt nennen kann, selbst zu sehr zu blenden. Man ergötzt sich an seinen Designs, dem zurückhaltenden, wunderbar passenden Soundtrack der französischen Band M83 und den beeindruckenden Landschaften. Schön glatt - ähnlich wie der Gesamteindruck von Oblivion - gibt sich übrigens Andrea Riseborough als Victoria, die eine schöne Performance abliefert. Sie fügt sich nahtlos in dieses wirklich faszinierende Gesamtkonstrukt des Films ein, dem man sofort das "Style over substance"-Siegel verleihen kann, der trotzdem - gerade weil es wohl eine Mainstream-Produktion ist - sich anders als die anderen Science Fiction-Spektakel gibt. Der Blick hinter seine so rein erscheinende Oberfläche, die - soviel lässt sich verraten - eben nicht so sauber ist, geht nur nicht so weit wie in ähnlich gelagerten Filmen. Die Kritik verpufft gerade dann, wenn sie fahrt aufgenommen hat. Was den Blick angeht: er ist kurzsichtig.

Sein Handwerk versteht Kosinski, auch wenn man ihm vorgeworfen hat, dass sein Tron: Legacy ein wenig zu seelenlos sei, bei all der überfrachtend schönen Optik. Hier hat er wahrlich auch dafür gesorgt, dass es dem Film an Unterbau bzw. Seele nicht mangelt. Es muss nur noch etwas spürbarer werden. Bei all der Pracht, die hier immer noch über den aufgreifenden Themen über Schein und Sein, Umweltbewusstsein im Laufe der globalisierten und zusammenwachsenden Menschheit und auch dem Verlust von Identität und seiner eigenen Persönlichkeit steht, bleibt es ein wirklich interessanter Blick auf eine Zukunft, die auch schon andere Science Fiction-Werke schilderten. Aber selten war das wirklich so schick wie hier geschehen. Man sollte ruhig also einen Blick riskieren, aber aufpassen, nicht zu sehr vom Design und seinem strahlend-perfekten Blick geblendet zu werden. Ein Film mit Tom Cruise der sich wirklich wieder lohnt, gab es ja auch nicht wirklich oft in der jüngeren Vergangenheit.


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Dienstag, 2. April 2013

24 Frames Spezial: Die Kollegen zum Tod von Jess Franco

Das hätte sich kein Kritiker vor sagen wir 20 oder sogar 30 Jahren träumen lassen, dass bei der Meldung über Jess Francos Tod einmal eine so große Bestürzung unter den Filmliebhabern umgehen würde. Es hat sich so einiges geändert. Außerdem hat der Mann gut 200 Filme oder eben noch mehr gemacht, was ihm so schnell wohl auch keiner mehr nachmacht. Vor allem: Er hat das Exploitationkino geprägt, mitgestaltet und war schon zu Lebzeiten zu einer Legende aufgestiegen. Deswegen habe ich mich einmal im Netz umgesehen und einige Beiträge zum Tod von Franco zusammengetragen.

Remember it for later
Oliver Nöding über sein Verhältnis zum Regisseur

Filmtagebuch
Auch Thomas Groh hat einen bewegenden und sehr schön analytischen Nachruf verfasst

CiNEZiLLA
Der Blogger bietet die "Confessions of a Francophile" (engl.)

Nerdcore
René Walter macht es kurz und schmerzlos, bietet aber einige sehr schöne Plakate zu Filmen des Regisseurs

I'm in a Jess Franco State of Mind
Robert Monell erinnert sich an seine erste Begegnung mit dem Werk des Spaniers (engl.)

twitchfilm
Auch das große Genreblog erinnert kurz an den Regisseur

Taking IN the Trash
Kurz und schmerzlos, dafür gibt es noch eine Top 10 an Musikstücken aus Franco-Filmen (engl.)

Scum Nation
Ein gebührender Abschied von Nigel Wingrove (engl.)

Christian Keßler
Ein wunderbarer, persönlicher Blick des Filmgelehrten und Buchautors auf die "geträumten Sünden" von Franco bei Facebook

Und selbst Spiegel Online widmet dem Kult-Regisseur eine Fotostrecke


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Der Herr des "Schunds" ist gegangen: Jess Franco ist tot.

Bild: Wikinoticia.com

Jesus Franco Manera. Ein so unscheinbar klingender Name. Dabei hat der Mann in den Augen so einiger Fans großes geleistet. Viel auf jeden Fall. Unter seinem geläufigen Namen Jess Franco hat er geschätzt an die 200 Filme gedreht. Manche Parallel. Seine Darsteller wussten an manchen Drehtagen, laut ihren Erinnerungen, ab und zu nicht, für welchen Film sie denn überhaupt nun vor der Kamera stehen. Gerade wenn er für große Produzenten wie Erwin C. Dietrich oder Harry Allan Towers drehte, konnte es vorkommen, dass er nebenher noch einen Streifen für das Produktionsgeld "für sich" drehte. Er war ein Gewitzter, der von den Kritikern geschmäht wurde.

In den letzten Jahren wurde er allerdings nicht nur von den Eurocult-Fans sondern eben auch von der Kritik wahrgenommen. In seinem Heimatland Spanien schon länger mit einem gewissen Ansehen gesegnet, auch in Frankfreich wurde sein Werk mittlerweile als Filmkunst angesehen. So mancher deutschsprachige Feuilletonist rümpft vielleicht immer noch die Nase, verschanzt sich lieber in seinem Arthouse und sieht bzw. übersieht die Einflüsse, die auch Franco auf einige Genres hatte. Natürlich ist nicht alles Gold was glänzt in einer so großen Filmographie und gerade die letzten Werke von Franco waren ein Versuch, nochmal an die glorreichen Zeiten anzuknüpfen. So richtig funktioniert hat dies leider nicht, doch es dürfte sicher so einige Franco-Fans geben, die selbst diesen Werken noch etwas abgewinnen konnten.

Egal ob Krimi, Thriller, Horror oder vor allem Erotik, wobei er bei letzterem sogar ab und zu Ausflüge in den Pornobereich unternahm: Nichts war vor ihm sicher. So schuf er große und kleine Perlen wie Nachts, wenn Dracula erwacht, Der Teufel kam aus Akasava, Der Hexentöter von Blackmoor oder solche herrlichen psychedelischen Filmtrips wie Necronomicon - Geträumte Sünden, Vampyros Lesbos oder Christina, princesse de l'erotisme. Gerade die surrealen Trips aus den 60ern gehören dabei mit zu seinen Besten. Auch die Werke, die er unter Dietrich schuf (u. a. Jack The Ripper - Der Dirnenmörder von London, Liebesbriefe einer portugiesischen Nonne oder Mädchen im Nachtverkehr) gehören mit zu einer seiner besten Phasen, bevor er dann kleinere Brötchen backte bzw. backen musste aber immer noch mit Herzblut bei der Sache war. Selbst dem Splatterfilm widmete er sich, lieferte sogar zwei Beiträge zur Kannibalenfilmwelle (Mondo Cannibale 3 - Die Blonde Göttin der Kannibalen und Jungfrau unter Kannibalen), machte kurz beim Slasher halt (Die Säge des Todes) oder remakte mit Faceless seinen Lieblingsfilm: Georges Franjus früher Horrorklassiker Augen ohne Gesicht

Er arbeitete mit großen Namen wie Christopher Lee, Helmut Berger, Herbert Lom, Maria Schell, Klaus Kinski, Götz George, Romina Power, Horst Tappert oder Josephine Chaplin. Er war Regisseur, Autor, Cutter, Kameramann, Musiker und stand auch oft selbst vor der Kamera als Mime. Laut Video Watchdog-Gründer Tim Lucas, schied er heute morgen um ca. 11 Uhr von dieser Welt, nach den Folgen eines Schlaganfalls, den er am Mittwoch erlitt. Er wurde 82 Jahre alt und folgt seiner Muse Lina Romay, Hauptdarstellerin vieler seiner Filme ab den 70ern, die vor gut einem Jahr verstarb. Trotz vieler "Schund"- und "Schmuddel"-Werke bleibt sein Werk erhalten und von uns Fans gefeiert. Der kleine Mann war eben doch ein ganz Großer.

Ein klein wenig mehr über seine Karriere wurde schon an dieser Stelle, zu seinem 79. Geburtstag geschrieben.
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