Mittwoch, 31. Oktober 2018

Horrorctober 2018: Die Stunde, wenn Dracula kommt (12/13)

Der Herbst legt seinen Schleier auf die Welt und vertreibt den kräftig strahlenden Sommer und das Leben aus den Landen. Der Verfall schleicht sich in die Natur; Sträucher und Bäume verwöhnen das Auge zum letzten Mal mit prächtigem Farbenspiel ihrer Blätter, bevor diese im finalen Zug die Straßen benetzen. Die Kälte kriecht empor und setzt sich in jede kleine Ritze fest, während eisiger Wind durch kahle, knochige Äste pfeift. Bevor der Winter mit seinem eisig festen Griff unsere Umgebung und uns selbst packt, ist der Herbst ein sanfter Übergang in die unnachgiebig harte Zeit der Kälte. Seine Aura der Auflösung und der zarten Melancholie zeigt uns, wie die ersterbende Pflanzenwelt vor ihrem Exodus bis zum nächsten Jahr das in die Stunden und Tage einziehende Grau, die Schwärze wolkenverhangener Tage mit letzten Farbspielen durchbrechen kann. Das Sterben ist ästhetisch bunt.

Diese Jahreszeit mag mit ihren Regenstunden das letzte Aufblühen und Leben unnachgiebig für einige Monate hinfort spülen und lädt in trostlosen, langwierigen Stunden zum grüblerischen Versinken in vergangenen Tagen ein. Die Vergangenheit verweilt präsent in der Gegenwart und gibt Kunde von alten Zeiten mit all' ihrer Dunkelheit und dem Schmerz, die die damaligen Tage regierten und Herrenhäuser wie dem der Vajdas ihre schwärzesten Stunden vermachte, in denen Fürstin Asa und ihr Geliebter Javutich, in den Dracula persönlich gefahren sein soll, von einem hohen Gericht der Hexerei schuldig gesprochen und hingerichtet wurden. Durch ein Unwetter blieben deren Leichname der reinigenden Kraft des Feuers verwehrt und Jahrhunderte später machen die Ärzte Thomas Kruvajan und Andre Gorobec auf ihrer Reise zu einem Kongress Rast in einem Wirtshaus, nahe der letzten Ruhestätte Asas und ihres Geliebten gelegen.

In Augenschein wurde diese von Reisenden genommen, als sie durch einen Radsprung ihrer Kutsche im finsteren Wald mit seinen fremden und eigenartigen Geräuschen unfreiwillig Rast machen mussten. Dort machen die Kollegen Bekanntschaft mit Katia Vajda, Tochter des derzeitigen Fürsten Vajda und Asa wie aus dem Gesicht geschnitten. Durch einen Kampf mit einer wild gewordenen Fledermaus in der Krypta der Vajdas bricht Dr. Kruvajan das mahnend über dem Sarg Asas platzierte Kreuz, kratzt sich an einer Dorne ihrer abgenommenen Totenmaske, worauf sein Blutstropfen Asa den Weg aus der Dunkelheit zurück ins (untote) Leben ebnet. Zusammen mit dem von ihr zurückgerufenen Javutich versucht sie, Herr über die verbliebene Verwandtschaft zu werden um wieder erstarkt vom Blut ihrer Opfer unter den Lebenden zu weilen.

Lose auf Motiven von Nikolai Gogols Erzählung "Der Vij" basierend, schenkte uns Mario Bava 1960 mit seinem Filmdebüt eine Sternstunde des Gothic Horrors, der drei Jahre zuvor mit Frankensteins Fluch sowie zwei Jahre davor mit Dracula in England durch Adaptionen dieser Schauerliteraturklassiker durch die Hammer Studios eine Renaissance sowie einen Boom erlebte. Im Gegensatz zur Nahe an der schweren Atmosphäre der Gruselromane liegenden Filme der britischen Studios, mit ihrem etwas nüchtern und aufgeräumten Stil, deren Geschichten fest in der Hand männlicher Figuren standen, ist Bavas Die Stunde, wenn Dracula kommt eine düstere Geschichte, die den Charakter einer urwüchsigen Volkserzählung mit dem unheilschwangeren Ton von Poe-Erzählungen wie "Der Untergang des Hauses Usher" vermengt. Die schwer im Bann der eigenen Vergangenheit liegende Familie der Vajda, auf dem Scheiterhaufen von Asa verflucht, ergibt sich in gewisser dunkler Vorahnung beinahe erwartungsfroh und lethargisch dem bevorstehenden Grauen.

Der ursprüngliche, wahre Fluch des alten Adelsgeschlechts  findet sich in Gestalt der vom geraden Weg abtrünnigen Asa, die aus dem Totenreich die Rückkehr in die Welt der Lebenden vorbereitet. Ihre Auferstehung bereitet die schicksalsschweren Tage der übrig gebliebenen Verwandtschaft, in die die beiden durchreisenden Ärzte mit hinein gezogen werden. Dem bösen Bann Asas erliegt der ältere, Dr. Kruvajan, dem Bann der unschuldigen Katia erliegt der junge Dr. Gorobec. Als wollten die Autoren mit ihrer Geschichte zum Ausdruck bringen, dass dem weiblichen Geschlecht ein Zauber inne wohnt, der dem stärkeren Geschlecht, hier in Gestalt gestandener wie rational denkend erscheinender Akademiker, schaden kann. Dem Gegenüber zeigt der Film gleichzeitig eine weibliche Antagonistin, dargestellt von durch ihre Rolle als Asa zur Genre-Ikone aufsteigenden Barbara Steel, deren fahles, langes Gesicht mit den darin befindlichen großen, vor Traurigkeit (Katia) oder nach Zerstörung gierenden (Asa) glänzenden Augen wie für die Rolle gemacht ist.

Diese ist unmissverständlich Chef im Ring. Das männliche Geschlecht spielt die zweite Geige und selbst der vom starken als Dämon betitelten Dracula besessene Jaruvich steht eindeutig im Bann der Hexe und ist eine Spielfigur in ihrem teuflischen Plan. Der Frau wird durch diese Darstellung eine gewisse Stärke eingeräumt, auch wenn in späteren Minuten dies in einigen Szenen mit negativer Wirkung auf den Mann assoziiert wird. Wie im britischen Gothic Horror-Film ist die unterschwellige Sexualität wie im Vampirmythos und -film präsent. Asa bzw. Katia verzaubern und locken durch ihre jeweilige Ausstrahlung. In jenen Szenen deutet Bava unter anderem sehnsüchtige Berührungen von Katias tiefen Dekolleté durch Gorobec ein; gleichzeitig geschieht dies in einem Moment, in den Katia ungeschützt dem Doktor durch ihre Ohnmacht ausgeliefert ist. Asa selbst, die man häufig als im Hintergrund agierende, passive Kraft wahrnimmt, pulsiert nahezu vor sexueller Aufladung. Ihr einladender wie begehrender Blick lenkt die willenslosen Herren der Schöpfung in ihre Arme, um den erlösenden Kuss als Zeichen sexueller Aktivität zu erhalten.

Mehr treibt es Bava in der Szene auf die Spitze, als Asa Katias Blut in sich aufnimmt und in Gegenschnitten die lüstern erscheinende Asa der leidenden, jungfräulichen Katia im vergeblichen Kampf gegen ihre bösartige Verwandte stellt. Der vordergründige Akt der Kraftbeschaffung für die Hexe durch ihre Verwandte erscheint in dieser Szene gleichzeitig als verzerrt dargestellter, sexueller Akt. Asa kann man hier als Sukkubus interpretieren, dem Geschöpf, mit dem Gogols Protagonist in der literarischen Vorlage zuerst Bekanntschaft macht. Die Stunde, wenn Dracula kommt entspinnt damit ein interessantes Wechselspiel, ohne sich eindeutig auf die Seite eines Geschlechts zu schlagen. Mehr zelebriert Bava die von Poe vertraute Stimmung und Schönheit des Verfalls. Der von ihm gleichzeitig fotografierte Film platzt an wunderschönen Einzelbildern aus allen Nähten. Der Italiener macht aus seinem Film die bewegte Illustration eines imaginären oder Film gewordenen Schauerromans.

Selbst knapp 60 Jahre nach seiner Entstehung schafft der Film es, mit diesen Bildern eine dichte und schauerlich schöne Atmosphäre zu schaffen. Düstere Schwarz-Weiß-Poesie zwischen schwülstig-wuchtigem Gothic Horror, Anleihen beim deutschen expressionistischen Film der 20er Jahre und Zitate der Universal-Horrorklassiker der 30er Jahre ordnen sich der eleganten und geschmackssicheren Handschrift des italienischen Regisseurs und Kameramanns unter und können auch heute davon ablenken, dass der Geschichte kurz vor Schluss die Puste ausgeht. Die Anstrengungen Asas und ihrer Handlanger, sich des Lebens und der verbliebenen Blutsverwandtschaft zu bemächtigen ergehen sich in wiederholenden Abläufen, bevor der Film ins hastig herbeigeführte Finale mündet. An diesem verschleppten Erzähltempo kranken leider auch einige Werke aus dem Hause Hammer; diese wie auch Bavas Werk können das Manko mit ihrer starken visuellen wie atmosphärischen Kraft ausbügeln. Selbst die für diese Zeit äußerst zeigefreudigen Effekte besitzen noch eine kleine, bemerkenswerte Wirkung in diesem herrlich düsteren Horrormärchen das über alle Jahrzehnte hinweg nichts von seiner dunklen Schönheit verloren hat, in der man sich wie in den stillen Momenten des Herbst zwischen Melancholie, Moder und vergehender Schönheit verliert.
Share:

Dienstag, 30. Oktober 2018

Horrorctober 2018: Dead Pit (11/13)

Bevor Brett Leonard mit Filmen wie der verkorksten Stephen King-Verfilmung Der Rasenmähermann oder dem durchaus interessanten Virtuosity als B-Fachmann für virtuelle Genre-Filmwelten aufstieg, schickte er mit seinem Debüt Dead Pit krude Grüße aus der Totengrube. Die 350.000-Dollar-Produktion puzzelt die verschiedensten Einflüsse zu einem Low Budget-Horrorfilm zusammen, dessen erste Hälfte hinkend über den Bildschirm flimmert. Leonard ruht sich selbstgefällig auf dem Szenario seiner Geschichte aus, die ohne nennens- oder erahnenswerten Plan vor sich hin vegetiert wie die Figuren des Films. Diese sind in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht, in der - so lehrt uns das Intro - der durch unmenschliche Experimente an den Patienten auffallende Dr. Colin Ramzi vom Anstaltsleiter Dr. Swan im Streit umgebracht und in einem finsteren Kellergewölbe eingemauert wird.

Zwanzig Jahre später wird die sich nicht an ihre Vergangenheit erinnern könnende Jane Doe in diese Anstalt eingeliefert, nachdem sie orientierungslos durch die Straßen irrte. Kurz nach ihrer Ankunft rumpelt es durch ein Erdbeben mächtig im Karton, welches das Kellergewölbe samt Dr. Ramzi freisetzt, welcher danach nur von Jane wahrgenommen wird, wie er böse dreinblickend und posierend auf dem Gelände der Psychiatrie rumsteht. Jane, die mit ihren Visionen vom Personal alleingelassen wird, freundet sich mit dem wegen diversen eigenmächtigen und nicht authorisierten, spontanen Sprengaktionen einsitzenden Christian an, der ihr allmählich glaubt, nachdem eine Schwester und ein Patient auf mysteriöse Weise verschwinden.

Bis Dead Pit an dem Punkt angelangt ist, dass die Luzie abgeht und Schwung ins Geschehen gebracht wird, vergeht manche zähe Minute. Leonard vertraut blindlings seinem Psychiatriesetting und der erzwungenen Stimmung aus ständiger Bedrohung und Janes wandeln am Rande des Abgrundes namens Wahnsinn. In stimmigen Kameraeinstellungen, die einige nette Einfälle präsentiert, wird das Gebäude mit seinen Gängen als bedrohlicher Hort der Angst dargestellt, in dem das Grauen allgegenwärtig ist. Sie schenken Dead Pit eine alptraumhafte Grundatmosphäre, in der Leonard mit allgemein gängigen Horrorschemata eine gruselige Stimmung aufbauen möchte. Dazu schenkt er auch den namenlosen Insassen mit ihren Psychosen und Ticks viel Zeit; befremdlich wird es leider nicht. Die an das Setting von Hellbound: Hellraiser II erinnernde Chose wird krampfhaft in die Länge gezogen. Die im Vorbild herrschende Atmosphäre erreicht man mit dem gebotenen Mummenschanz leider nicht.

Richtig interessant wird es erst, wenn Leonard all seine Einflüsse gebündelt von der Leine lässt. Da wird Dead Pit zu einem wilden wie kruden Destillat aus Mad Scientist-, Zombie-, Psychothriller-, Slasher- wie Gothic Horror-Fragmenten. Der Untotenanteil überwiegt und bringt gleichzeitig einfach getrickste, aber ziemlich blutige Splatterszenen mit sich, von denen das einsame Highlight eine Akupunktur am offenen Gehirn darstellt. Die Zügellosigkeit steht dem Film, Leonard entdeckt sie nur zu spät für sich. Man fühlt sich an einen ernsthafteren Re-Animator minus dessen gnadenlosen Tempo aus der Low Low-Budget-Ecke erinnert. Leider kann Dead Pit selbst hier nicht auf sattsam bekannte Standards verzichten. Zumal er mit wenig Finesse den Zuschauer sehr schnell darauf kommen lässt, um wen es sich bei Jane Doe handelt. Das man mehr weiß als die Figur selbst, tut der Dramatik des Films nicht gut, entpuppt sich als schlechte Wahl der Autoren (Leonard selbst und die Produzentin Gimel Everett) und gegen Ende hangelt man sich von einer guten Einzelszene zur anderen, die Dead Pit zu einem Videothekenkind der ausgehenden 80er machen, den man im guten Durchschnitt einordnen kann. Neben dem menschlichen Schmodder fließt leider das Herzblut ebenfalls sehr spät erkennbar durch den Film, der an Leonards übermütigen Vertrauen auf seine Fähigkeiten, eine stimmige Atmosphäre erzeugen zu können, krankt.

Share:

Samstag, 27. Oktober 2018

Horrorctober 2018: The Descent 2 (10/13)

Der Fluch der Fortsetzung treibt uns dazu, Werke anzuschauen, die man hinterher als verschwendete Lebenszeit bezeichnet. Aus kommerzieller und wirtschaftlicher Sicht ist die Entscheidung der Studios, einem Erfolg, mit dem man vielleicht nicht mal gerechnet hat, einen zweiten Film folgen zu lassen, verständlich. Lässt ein Sequel die Leute, welche das erste Werk begeistert aufgenommen haben, ebenfalls ins Kino gehen, wie einfach Neugierige die, solche soll es ja auch geben, erst hinterher den Ursprungsfilm anschauen. The Descent wurde zu seiner Entstehung im Fandom wie im Mainstream gut aufgenommen, zu meinem ersten Highlight des diesjährigen Horrorctobers und wenn schon der erste Teil es auf die Liste geschafft hat, bot dies die Gelegenheit, die Fortsetzung von Neil Marshalls Film nachzuholen.

Mit wenig Erwartungen, die bei Sequels zu Überraschungshits meiner Meinung nach ohnehin nie zu hoch sein sollten, machte ich mich an die bisher einzige Regiearbeit von Jon Harris heran. Vier Jahre gingen bis zur Fortsetzung ins Land, die an die Ereignisse des ersten Teils anschließt. Sarah hat es als vermeintlich einzige Überlebende der Gruppe von Freundinnen und Extremsportlerinnen aus dem höllischen Höhlenlabyrinth heraus geschafft. Die auf der Suche nach den mittlerweile als vermisst gemeldeten Frauen befindliche Polizei versucht Licht ins Dunkel zu bringen und hofft auf die Hilfe der noch neben sich stehenden, traumatisierten Sarah. Nach der Analyse von Proben die man vom blutverschmierten Oberteil der Überlebenden nahm und diese mit den bekannten Blutgruppen der Vermissten übereinstimmten, gerät sie in den Verdacht, etwas mit dem Verschwinden der Frauen zu tun zu haben. Unter der Leitung des knurrigen Sheriffs Vaines, begibt man sich zusammen mit drei Höhlenkletterspezialisten und auch Sarah erneut in die todbringenden Höhlen und wird damit für die kannibalischen Bewohner der unterirdischen Gewölbe zu einem willkommenen Schmaus.

Weniger willkommen ist die Art und Weise, wie The Descent 2 nun versucht, in die Fußstapfen des Vorbilds zu treten. Die Erkundung der Höhle entpuppt sich als weit weniger spannend, ständig versucht man sich an einzelnen Szenen des Erstlings zu orientieren, diese zu variieren oder die Eigenständigkeit mit Szenerien aus dem Volkshochschulkurs über Horrordrehbuchschreiben für Anfänger zu festigen. In einigen Momenten eifert man visuell krampfig dem Stil von The Descent nach; das Spiel mit farblicher Gestaltung und Ausleuchtung bleibt blass. Im übrigen Teil des Films beschränkt man sich dadurch, mit dem limitierten Radius der Helmlampen der Truppe und der Dunkelheit eine eigene Atmosphäre zu schaffen. Weder dies noch die Erzeugung von Spannung funktioniert. Das Drehbuch ruht sich auf Variationen von Schlüsselszenen von Teil Eins aus und so findet man auch in Teil Zwei einen einstürzenden Durchgang oder Kämpfe mit den monströsen Höhlenbewohnern in morastig-schlammigen Gruben.

Geradezu lächerlich entpuppt sich dazu der Versuch, den Ekelfaktor hochzutreiben. Wie im Porno schwappen und spritzen Körperflüssigkeiten in Regelmäßigkeit ausgiebig lange in die Gesichter der Protagonisten, die noch flacher als die leider eindimensional gezeichneten Figuren des ersten Teils sind. Man interessiert sich nicht die Bohne für eine persönliche Note dieser, lässt sie austauschbar und offensichtlich nur als Material für die fahlen Untergrundkannibalen existieren. Das führt dazu, dass sich hier wie in anderen Subgenres wie dem Slasher nervige Charaktere wie der völlig unlustige und notgeile Greg auftauchen. Der unausweichliche Konflikt innerhalb der Gruppe lässt diese versprengen, damit auch die recht dünne und wie die Figuren des Films im Dunkeln langsam vor sich hin stolpernde Story gestreckt wird. Der Name bleibt Programm; was im ersten Teil ein atemberaubend spannender Abstieg in die erdliche Hölle wurde, ist im Sequel ein Abstieg des Niveaus.

Es bleiben zwei recht nette Ideen und Szenen übrig, die kurzzeitig nett anzusehen sind: die Überwindung eines Abgrunds in dem man sich mit Hilfe einer an der Decke hängenden Leiche einer der vermissten Frauen über diesen hinweg schwingt (natürlich wieder mit ordentlich Schmodder im Gesicht) und die Rettungsmaßnahme vor herannahenden Crawlern und einer damit verbundenen groben Handamputation. Der Rest des Films ist ein belangloser Versuch, mit den gleichen Mitteln und weniger Können auf dem kommerziell erfolgreichen The Descent mitzuschwimmen. Man will mehr bieten und kredenzt dem Zuschauer einen mies inszenierten, von Spannung und Logik befreiten Horrorfilm, dass sogar für mich letzteres, bei dem ich nicht so streng wie andere mit den Filmen ins Gericht geht, ein einziges Ärgernis darstellt. Bestes Beispiel ist die verschüttete und festgeklemmte Cath, die keinen Ausweg und Lösung ihres Problems findet, bis sie plötzlich bei herannahenden Crawlern einen übergroßen Geistesblitz hat. The Descent ist für meinen Horrorctober 2018, obwohl ich noch einige Filme vor mir habe, das uneinholbare Lowlight und überhaupt einziger Quatsch mit schwappender Kunstblutsauce. Was bin ich froh, dass der weniger wie gewünscht überraschende Twist am Ende nicht noch einen dritten Teil beschert hat.
Share:

Horrorctober 2018: Die Mächte des Wahnsinns (9/13)

Als großer Alter des Horrorfilms bescherte John Carpenter dem Fanvolk über die Jahrzehnte mit Filmen wie dem jüngst mit einem x-ten Neueintrag für das tote Franchise versehenen Halloween, The Fog - Nebel des Grauens oder Sie leben!, welche heute - gemessen an den Beispielen - einen Klassiker- oder Kultstatut inne haben. Wie andere Altmeister rennt der Regisseur seinem erarbeiteten Ruf und Status seit längerer Zeit hinterher; zuletzt fabrizierte er vor acht Jahren den recht beliebigen und schnell wieder vergessenen Mini-Grusler The Ward. Die sattsam bekannten Großtaten, allesamt natürlich relevant für den Horrorctober wollte ich für dieses Jahr außen vor lassen. Lieber setzte ich mit Die Mächte des Wahnsinns den wahrlich letzten relevanten und leider von vielen übersehenen Film auf meine Liste. Gehörte dieser zu den (vielen) Werken, die ich aus der Erinnerung heraus als richtig gut befand, doch bis auf wenige kurze Szenen kaum noch in meinem Gedächtnis hafteten.

Die erneute Sichtung nach vielen Jahren zeigte mir einen metareferenziellen Film über das Schreiben bzw. das Schaffen von fiktiven Werken und wie sich ihre Schöpfer in diesen selbst verlieren können. Godlike errichten sie mit ihren Worten neue Welten, aufgebaut auf der uns bekannten Realität und erspinnen Kraft ihrer Gedanken für diese eigene Regeln. Fantasie wandelt sich zur Phantastik, wenn die Irrealität in den vertrauten Weltenlauf Einzug hält. Einzelne Erzählungen können zu einem Fragment eines großen Ganzen, eines Universums werden, das zum Kind des Autoren wird. Die bedingungslose Liebe zum geistigen Kinde und die stete Reise in den selbst erschaffenen Kosmos könnten, so in der mitschwingenden Theorie des Films, die Fiktion zur Realität und andersrum werden lassen. Der Übergang ist fließend und mit zunehmender Zeit nicht mehr unterscheidbar. Die Besessenheit des Künstlers vom eigenen Werk, wohlgemerkt in der Horrorvariante.

Auf der anderen Seite ist Die Mächte des Wahnsinns nicht einfach Huldigung, kurze Ehrehrbietung sondern eine große, lange Verbeugung vor dem literarischen Schöpfer des modernen Horrors und des Meisters der Weird Fiction H. P. Lovecraft. Sehen einige im verschwundenen Horrorautoren Sutter Cane, auf dessen Suche sich der Versicherungsagent John Trent macht, um ihn zusammen mit dessen Lektorin Linda Styles für den Verlag des Autoren zu suchen, da dieser wie seine tausenden Fans auf das Manuskript zum immer wieder verschobenen, neuen Werk wartet, eine Anspielung auf Carpenters engen Freund Stephen King (an einer Stelle im Film wird Cane sogar besser als King beschrieben), interpretiere ich Cane mehr als diabolisch-mysteriöse Variante des verschrobenen Schreibers. Einzig das real existierende Hobb's End, eigentlich nur eine von Cane erdachte Ortschaft wie es bei Lovecraft Arkham oder Castle Rock bei King sind, könnte man als Anspielung auf beide Autoren sehen. Erleben der rationelle Trent und Styles bereits auf der zuerst für sie ohne festes Ziel begonnenen Reise seltsame Dinge, lösen sich Zeit und weltliche Logik wenn sie Hobb's End erreichen, vollkommen auf.

Hier erhebt sich der Film zu einer filmisch nahe an das Werk Lovecrafts herankommenden Mixtur aus schleimigen, unförmigen und mit vielen Tentakeln bewehrten Monster, deren praktische Effekte mittlerweile wie das Gesamtwerk sichtbar ein Kind der 90er sind und einem am Rande des Wahnsinns und gesichtlosen Schreckens wandelnden Werk der rationellen Ohnmacht. Bilder die anscheinend zu Leben erwecken, Zeitschleifen die zu alptraumhaften Wiederholungen für die Protagonisten werden und die erschreckende Erkenntnis, dass Sutter Cane den Kontakt zu außerweltlichen Wesen, älter als die Zeit selbst und auf unbeschreibliche Art grauenvoll anzublicken hält, die ihm die Worte zu seinem neuesten Werk in den Geiste flüstern. Zu Gesicht bekommt man diese nie und wenn Carpenter auf den Spuren Lovecrafts wandelt und die für viele seiner Geschichten eigene Stimmung eines unvorstellbaren, stets präsenten Schreckens, über den man besser nie ein Wort verliert, sollte man dafür überhaupt adäquate Worte zur Beschreibung dieses im Kopfe finden, ist Die Mächte des Wahnsinns am stärksten.

Das ließ mich überlegen, was ich nun genau am Film so stark finde. Die beschriebene Stimmung des Films, die manch hübsch atmosphärische, mit Traumlogik behaftete Szene heraufbeschwört? Oder doch die ständige Präsenz Lovecrafts im Werk, was mir als Fan nicht nur ein Lächeln bescherte. In Hobb's End steigen Trent und Styles in Pickman's Hotel ab, eine klare Anspielung an die Geschichte "Pickmans Modell", die Titel der bisher erschienenen Bücher Canes ähneln den Namen der Erzählungen des Amerikaners und wenn Passagen aus diesen zitiert werden, hört man an die Handlung des Films angepasste Zeilen aus Lovecraft-Geschichten. Die außerweltlichen Geschöpfe mit denen Cane in Verbindung steht, sind eine klare Anspielung auf Cthulhu, Nyarlarthotep und die restlichen großen Alten des Cthulhu-Mythos. Anhänger des Autoren kommen auf ihre Kosten, was Die Mächte des Wahnsinns geschickt vom Umstand ablenken lässt, dass der Aufbau der Handlung zu den simpleren Vertretern des Genres gehört und Carpenter sich zu Beginn dazu hinreißen lässt, plumpe Methoden zur Schreckensverbreitung zu nutzen.

Seine ganze grauenvolle Schönheit entfaltet Die Mächte des Wahnsinns im Spiel mit der metareferenziellen Thematik, die gegen Ende die Frage was nun Realität und was Fiktion ist, auf die Spitze treibt. Der präsente Wahnsinn übernimmt das Drehbuch, bringt einerseits die als lange Rückblende erzählte Geschichte zum Ausgangspunkt des Films, die damit an Erzählstrukturen des Film Noir und seinen Hardboiled Detective-Stories erinnert. Was dann passiert ist ein dezent einsetzender Mindfuck am Ende des Films der den Metabezug einerseits erstmal zu übertreiben scheint, andererseits das bisher gesehene in Frage stellt, ob der großartig von Sam Neill dargestellte John Trent einfach nur dem Wahnsinn verfallen ist, die Fiktion sich nur in seinem Kopf abgespielt hat, er eine Wand der Erzählung von Drehbuchautor Michael De Luca durchbrochen hat oder wie bei Lovecraft das namenlose Grauen ihn in die totale geistige Instabilität getrieben hat. Die Leichtigkeit von Carpenters Regie und sein Gefühl für den Lovecraft-Vibe machen aus einem herkömmlichen Horrorfilm ein letztes, starkes Werk des Altmeisters und dazu die wohl beste Lovecraft-Verfilmung, die keine ist.
Share:

Freitag, 26. Oktober 2018

Horrorctober 2018: Dark Night Of The Scarecrow (8/13)

Amerika in den frühen 80ern. In der Provinz gibt es noch fest in Stein und soziales Leben gemeiselte Rollen(bilder). Schwarz-Weiß-Denken ohne differenzierte Graustufen, die im Kosmos von Dark Night Of The Scarecrow für deren Figuren Neuland darstellen. Als in der kleinen Ortschaft die Kunde umgeht, dass die kleine Marylee gestorben sei, ist die Sache für den Postbeamten Otis Hazelrigg sofort klar: der geistig behinderte Bubba, ein erwachsener Mann auf dem Stand eines kleinen Jungen, mit dem Marylee häufig ihre Zeit verbrachte, muss sich an dem Mädchen vergangen und sie anschließend getötet haben. Hazelrigg trommelt einige Männer zusammen um Bubba endlich die gerechte Strafe zuzuführen. Der Lynchmob findet nach Abweisung von dessen Mutter Mrs. Ritter den als Vogelscheuche getarnten Bubba auf einem einsamen Feld. Die Männer erschießen den ängstlichen und - wie sie durch einen Funkspruch erfahren - unschuldigen Sündenbock, der sich in seiner vom eigenen Blut getränkten, durchlöcherten Verkleidung als Held entpuppt.

Er rettete die von einem Hund angefallene Marylee und wurde im in seinem Entstehungsland als Kultfilm verehrten Werk zu einer frühen Art John Coffey ohne übernatürliche Fähigkeiten. Mysteriöse Begebenheiten treten langsam nach dem Prozess und Freispruch von Hazelrigg und seinen Komplizen aus für den Richter Mangel an richtigen Beweisen auf, als diese von einem scheinbar unsichtbaren Rächer nach und nach aus dem Leben gestoßen werden. Dark Night Of The Scarecrow spielt indessen mit der Paranoia der Charaktere und der Frage, ob diese, geplagt vom schlechten Gewissen sich Dinge nur einbilden, jemand menschliches mit Motiv wie Bubbas Mutter oder der Staatsanwalt, der von der Schuld der Männer weiß, sie aus der Reserve locken will oder wirklich eine übernatürliche Kraft am Wirken ist. Leider entlarvt sich der Film in diesen Szenen sehr schnell selbst.

Der TV-Film bemüht sich redlich, darin eine gruselige Stimmung zu erzeugen, bleibt allerdings immer auf einem recht familienfreundlichen Niveau, ohne übergroßen Schrecken zu verbreiten. Dazu kommt, dass einige Einfälle dort Foreshadowing auf die Schlusspointe betreiben und manch clevere Idee sich selbst auf die Füße tritt und häufiger in großes Straucheln kommt. Der Zuschauer soll dann mehr als die Bösewichte erfahren, was die Gruselszenen wie Seifenblasen zum Platzen bringt. Schon lange vor dem Ende kann man dieses dadurch erahnen. Punkten kann der Film einerseits mit seinem Cast, wie Dr. Giggles Larry Drake als Bubba und allen voran Charles Durning als hassenswerter Postbote, der in bester Trump-Manier seine Gefolgschaft um sich schart und mit Bubba als Andersartigem diesen als Manifestation des Bösen und Wurzel allen Dorfübels ansieht. Wie uns der Film mit dezent aufblitzenden Anspielungen, die zur Spekulation einladen, zeigt, auch ein Ablenkungsmanöver von ihm selbst zu sein scheint. Durning zuzusehen, wie er vom selbstsicheren Obermufti zum verängstigten, seine Maske ablegende Schlechtmensch wird, ist eine wahre Freude.

Das ist auch die dichte Kleinstadtatmosphäre, die ein Gefühl von den frühen und guten Stephen King-Verfilmungen aufkommen lässt. Das ländliche und zeitlose Setting ist etwas, mit dem Regisseur Frank De Felitta besser als mit den Spannungsmomenten des Buchs umgehen kann. Die Geschichte ist nicht unbedingt in der damaligen Gegenwart verwurzelt und könnte auch in vergangenen Jahrzehnten wie den 50ern oder 60ern spielen. De Felitta, den man auch als Autor der Buchvorlagen für die Filme Audrey Rose und dem vor kurzem hier besprochenen Entity kennen könnte, hat ein gutes Händchen für das Grundsetting, was negativ betrachtet in seinem TV-Serien-Feeling der frühen 80er den Horroranteil des Films gänzlich verschluckt. Den Anspruch auf Kult hat der grundsolide umgesetzte Film wohl nur bei den Menschen, die ihn damals in jungen Jahren zuerst im Fernsehen erleben durften. Als sachte vor sich hin mäandernden Dorfthriller mit starken Darstellern macht der im deutschen Raum auch als Die Rache des Gelynchten bekannten Film seine Sache besser denn als Horrorfilm. Da bekommt man mittlerweile leider etwas unter einer spürbar dickeren Staubschicht befindliche Standardkost kredenzt. Wenigstens zeigt De Felitta, dass er dennoch besser Regie kann als sein (bekannterer) Kollege Stephen King.
Share:

Mittwoch, 24. Oktober 2018

Komm mit ins Kino! Hellraiser und The Endless im Double Feature


Eine Premiere im Blog und gleichzeitig eine kleine Herzensangelegenheit ist dieser Veranstaltungstipp für alle, die genug von deutschen Halloween-Parties sind, die ja ohnehin nie so cool wie die amerikanischen Vorbilder sind. Wer sich lieber fhilmisch das Gruseln lehren will und das auch liebend gerne vor der Kiloleinwand, der darf (oder soll) gerne weiterlesen.

Unter dem Banner Strange Cinema lädt das Union-Studio für Filmkunst in meiner Heimatstadt Kaiserslautern zu einem ziemlich schicken Double Feature: Clive Barkers 1987 enstandener Hellraiser, einer meiner liebsten Horrorfilme überhaupt und meiner Meinung nach einer der besten seines Genres macht den Anfang, gefolgt vom hoch gelobten The Endless, von Justin Benson und Aaron Moorhead, u. a. auch für Spring verantwortlich, inszeniert.

Wer jetzt schon den Sack zu machen möchte, kann sich Karten im VVK für 8€ sichern, an der Abendkasse löhnt man 10€. Davor und dazwischen wird mit zu Halloween passenden Kurzfilmen das Programm komplettiert und auch für das leibliche Wohl wird gesorgt sein. Vielleicht erreiche ich hiermit nicht nur Leser, die zufällig aus dem Raum Westpfalz, Saarland, Rhein-Neckar-Kreis etc. stammen sondern sogar von ein bisschen weiter weg. Das Union-Kino galt in den 70ern lange Zeit als "Schmuddelkino", da dort solche Filme liefen, die heute in der Nischenfilmszene ein Zuhause fanden und blickt insgesamt auf eine mittlerweile mehr als 100-jährige Geschichte zurück, was es mit zu einem der ältesten Kinos des Landes macht. Das gemütliche Kino ist dabei nicht nur für eine Reise zu Strange Cinema wert.

Vielleicht sieht man sich im Kino!

Strange Cinema @ Facebook
Share:

Horrorctober 2018: Baskin (7/13)

Türkische Provinznächte sind lang. Erst fangen sie ganz langsam an, aber dann entwickeln sie sich in den Fingern von Nachwuchsregisseur Can Evrenol zu einem absurd blutigen Trip in die Hölle. Fünf Polizisten schickt er in seinem Langfilmdebüt auf einen nächtlichen Einsatz in einem nahegelegenen Dorf und zerstört die Hoffnung seiner Figuren, dass sie sich wie wohl aberdutzende Nächte zuvor das Hormongehänge schaukeln können. Unterhaltungen darüber und über sexuelle Abenteuer der Kollegen muss man als Zuschauer zuvor über sich ergehen lassen, bevor eine Bitte um Verstärkung das nächtliche Abenteuer einleitet. Selbst die Fahrt zum Einsatzort wird zur Geduldsprobe. Evrenols Charaktere sind gebündelte Negativitäten, eine eingeschworene Gruppe sexistischer Alphamännchen, die wenn nicht auf den nächsten Porno gerne auf ihren Status als Gesetzeshüter zu onanieren scheinen.

Nur der junge, zurückhaltende  und als einziger vernünftig erscheinende Arda fällt aus der Reihe; ein anderer Kollege bleibt den markigen Männersprüchen wegen akutem Unwohlsein fern. Wir Zuschauer lernen dafür, dass die Platzhirsche der Gruppe durchweg unsympathisch sind, Arda bleibt bei aller wohl gemeinter Differenzierung zum Rest seiner Kollegen etwas schwach. Am Einsatzort angekommen, erscheint dieser verlassen. Ein einsamer Polizeiwagen begrüßt sie stumm mit die Dunkelheit erhellendem Blaulicht, ansonsten regiert stumme Einsamkeit am Ankunftsort. Das Quintett begibt sich auf die Suche nach den Kollegen in einem Nahe gelegenen Gebäude und macht dort die Bekanntschaft mit Baba, dem Führer eines bizarren Kultes und dessen Anhängern. Zusammenfassend könnte man die folgenden Minuten Turkish Hellraiser betiteln, ohne Baskin damit in die Richtung äußerst billiger Rip Offs aus dem Bosporusland á la Turkish Exorcist oder Turkish Star Wars drängen zu wollen.

Sichtlich beeinflusst ist Evrenol von Clive Barkers Horrorgroßtat in seinen finalen Szenen sehr wohl. Anders als Hellraiser selbst ist Baskin weniger fetischiert und geordnet in seinem infernalen Trip, den Evrenol auf die Leinwand bannt. Der Regisseur und seine Co-Autoren zelebrieren düstere wie gleichzeitig schmutzige Höllenbilder voller Symbolik, bei der man leider erkennt, dass die Schreiberlinge diese ohne tieferen Sinn versehen. Vage erkennt man religiöse Anspielungen, die während der ganz speziellen Messe um den Kult Babas zwischen die Bilder geschmissen werden. Vielleicht ist man als westlicher Zuschauer auch weniger mit türkischer Folklore etc. vertraut, um die wahren Absichten der Macher zu verstehen. Eventuell ist die kryptische Bildsprache, die bizarre Note die der Film dadurch enthält, ein Zugeständnis an die Verhältnisse zwischen Medien und Zensur im Herkunftsland um damit die Botschaft zwischen den blutigen Zeilen geschickt zu tarnen.

Gut tut das dem Gesamteindruck Baskins nicht. Der pendelt ziellos zwischen höllischem Gorespektakel mit gelungener Atmosphäre und modernem Horror, leicht inspiriert vom asiatischen Langhaargeister-Trend weit vergangener Jahre. In kleineren Momenten macht Baskin sogar einen Ausflug in die Retro-Schiene, wenn seine stilisierte Ästhetik die neonverhangenen 80er Jahre und deren sphärischen Synthieflächen in der Bildgestaltung wie im Soundtrack zitiert. Zugegeben bleibt alles hübsch und interessant, nur wartet man selbst mit Ende des Abspanns auf das Auftauchen des tieferen Sinns. Als surrealer Horrortrip ist Baskin durchaus sehenswert, im Endeffekt stehen die Unentschlossenheit des Films und seine wenig sympathischen Figuren diesem für einen besseren Eindruck im Wege. Man könnte sich vorstellen, dass dies Evrenols Absicht war und er diese Charaktere stellvertretend für eine alte, überholte Gesellschaft fest in der Hand des männlichen Geschlechts sowie für eine willkürlich regelnde Staatsgewalt steht, die sich fest im Sattel wähnt, ihre widerlichen sexistischen und machismoverhafteten Gedanken freien Lauf lässt und für ihren Lebenswandel von Baba in Verkörperung der drei Gewalten verurteilt werden. Leider schafft er es nicht, diese Vermutung zu untermauern. Manche Derbheit im Finale erscheint im fahlen Licht des unbedingten Willens, schockieren zu wollen. Zurück bleibt ein ordentliches Debüt mit viel Luft nach oben, bei dem einiges an Potenzial wie die Polizisten im Film mit ihrem Einsatzbus gegen den nächsten Baum donnert.

Share:

Donnerstag, 18. Oktober 2018

Horrorctober 2018: Suspiria (6/13)

Es war einmal ein junges Mädchen, fast schon eine junge Frau, die sich von New York aus auf den weiten Weg über den großen Teich nach Deutschland aufmachte. Dort war die renommierte Schule der einst weltbekannten Tänzerin Elena Marcos ihr Ziel, um die Künste des Tanzes zu studieren und selbst einmal eine berühmte Tänzerin zu werden. In der fest von Sturm und Regen im Griff gehaltenen Nacht ihrer Ankunft trifft die Reisende, Suzie Bannion ihr Name, auf eine Schülerin die durchgeschüttelt von Angst und Panik aus der Schule stürzt, für das junge Mädchen unzusammenhängende Worte in das dunkle Gebäude hinein schreit, bevor sie durch die Regenwände hindurch in den nahe gelegenen, finsteren Wald rennt. Das ängstliche Mädchen wird von ihren Beinen zu einer Freundin getragen, in deren Wohnung sie unter mysteriösen Umständen zu Tode kommt. Die Hüter des Gesetzes ermitteln im ungewöhnlichen Todesfall, während Suzie im strengen Umgang der Lehrerinnen während einer Tanzstunde einen Schwächeanfall erleidet und von ihren Mitschülerinnen fast ferngehalten wird. Dem Mädchen und einer schnell gefundenen Freundin fallen ungewöhnliche Dinge in der Schule auf, über deren Leiterin Elena Marcos seltsame Geschichten erzählt werden.

Es war einmal ein italienischer Regisseur, Dario Argento genannt, der dem Giallo der 70er mit seinem Debüt Das Geheimnis der Schwarzen Handschuhe sein Gesicht gab. Er schuf nicht einen, nicht zwei, sondern drei an der Zahl: die Tier-Trilogie. Nicht zusammenhängende Filme, alle dem psychologisierten Pulp-Thriller Italiens verschrieben, zusammengehalten durch die im Titel vorkommenden Tiere (beim Debüt allerdings nur im Original und englischen Titel). Den Filmemacher zog es weiter zum Fernsehen, zu einer Kriegskomödie mit Italiens bekanntem Bespaßer Adriano Celentano bevor er den Proto-Giallo Profondo Rosso schuf. Der Höhe- und Endpunkt des Genres. Formvollendung auf der Leinwand. Danach packte Argento den Schrecken an und schuf den Auftakt einer weiteren Trilogie. Erzählungen dreier Mütter der dunklen Seite der Welt. Mater Lachrymarum, Mater Tenebrarum und Mater Suspiriorum. Tränen, Dunkelheit und Seufzer. Mother of Tears, Inferno und Suspiria. Unterschiedlicher könnten sie qualitativ nicht sein; musste die Vollendung der Trilogie über Jahrzehnte auf sich warten lassen und endete in einem traurigen Abschluss, begann Argentos Ausflug in die Welt der Ängste und der Hexen mit einem atmosphärischen Opus.

Es war einmal ein Horrorfilm, der wie zuvor und danach entstandene Werke Argentos nicht verhehlen kann, dass der italienische Kult-Filmemacher Probleme hat, Geschichten mit durchgehend gestärktem Erzählbogen zu schildern. Nirgends ist es so egaler wie bei Suspiria. Und: am Anfang war Hitchcock. Selbst Argentos erster Ausflug in das Horrorgenre birgt dessen klassisches Motiv der gestörten Wahrnehmung, des vergessenen Schlüssels zur Auflösung in seinem Kern was Argento immer wieder in seinen Gialli aufgriff. Suzie kann durch den laut peitschenden Regen die Worte der ängstlich flüchtenden Schülerin bei ihrer Ankunft nicht richtig verstehen, deren Zusammenhang nicht in Verbindung mit den Geheimnissen der Schule bringen. Suspiria besitzt damit ein klassisches Grundmotiv des Giallo; klassische Ermittlungsarbeit der ebenfalls vollkommen unbehelligt in seltsame Vorgänge hineingezogene Protagonistin kann man deren Ergründen der Geheimnisse um die Schule und deren Besitzerin Elena Marcos nicht nennen. Wie das Kind zur Jungfrau kommt, ergründet Suzie die Wahrheit. Beiläufig, in kurzen lichten Momenten während ihres delirierenden Zustands nach ihrem Zusammenbruch lichten sich die Schleier im doppelten Sinne.

Je länger ihr Aufenthalt in der Akademie andauert, desto mehr brechen geläufige Narrationsregeln auf. Suspiria entpuppt sich als unheimliches Erwachsenenmärchen mit Alptraumlogik und die Tanzschule wird zu einer ganz eigenen Welt, losgelöst vom Rest unserer bekannten Realität. Sinnbildlich betritt Suzie diese schon als sie den Flughafen nach ihrer Ankunft in Deutschland verlässt, was Argento beiläufig mit Gegenschnitten auf die Öffnungsmechanik in Nahaufnahme, deren Geräusche man deutlich auf der Tonspur vernehmen kann, darstellt. Suzie gleitet, begleitet vom Beginn des markanten Themes der Experimental-Prog-Rock-Band Goblin, durch den Regen und wird mit einer simplen, markant ausgeleuchteten Taxifahrt in das Herz dieser anderen Welt transportiert. Bevölkert ist sie abermals von obskur anmutenden Nebenfiguren, denen Argento eine Aura des unheimlichen schenkt. Hinzu kommen von Neid und Selbstsucht durchfahrene Mitschüler und Alida Valli als gestrenge Lehrerin, Argentos Version von Fräulein Rottenmeier. Inmitten dieser Ansammlung unmenschlich handelnder Menschimitationen ist das verlorene, verschreckte Mädchen Suzie. Mit den Schritten aus dem Flughafen sprang sie Alice gleich in ein Loch zu dieser anderen Welt in der alte, böse Mächte schlummern.

Daraus schafft Argento mit übersteuerten, nahezu pervertiert bavaesken Farbspielereien und einem allpräsenten Score einen Rausch filmgewordener Nachtmahre. Der Italiener machte nie einen Hehl daraus, dass er mit seinen Filmen stets gewisse Eigentherapie betrieb und darin seine Alpträume verarbeitete. Man darf dem Unterbewusstsein des Mannes dankbar sein, dass er zu solch einem Film fähig war. Suspiria vermochte formell bereits in seiner Entstehungszeit mit seinem Verständnis von Horror keine Neuerungen in das Genre zu bringen. Er öffnete es aber vielleicht für Filme, die von ihrer Stimmung getragen werden. Weniger Film, mehr Trip spricht Suspiria das Innerste an und schenkt stilisierte Bilder des unterbewussten Schreckens der sich selten zu wortwörtlich blutig roten Schocker- oder Todesszenen wandelt. Mit letzteren sucht Argento in deren Inszenierung nochmals die Nähe zum Giallo, um mit den stilisierten Ableben der Figuren und dem Aufblitzen scharfer Rasiermesserklingen die bösen Mächte in der Gegenwart zu verwurzeln. Manchmal stört das den traumartigen Sog der episodisch ausfasernden Geschichte, die mich persönlich auch bei dieser Sichtung wieder von Beginn an packte. Ist man einmal im eigenartigen Rausch dieser gefangen, gleitet man zusammen mit Suzie herzlich gerne durch die Gänge der Tanzschule deren Herz uns im Finale mit MC Escher-artigen Wandgemälden, bombastischem Getöse und entfesselten Farben nochmals all ihre traumhafte Schönheit des Seltsamen zeigt.
Share:

Dienstag, 16. Oktober 2018

Horrorctober 2018: The Descent (5/13)

Horrorctober-Film No. 5 und Man vs Nature die Zweite. Das Opus Magnum Neil Marshalls, nach seinem netten Einstand Dog Soldiers und vor dem zu gut gemeinten Doomsday sowie weit vor seinem Abstieg in den Abgrund des TV-Serien-Regisseur-Daseins (im Premium-Segment mit Folgen für u. a. Hannibal oder Game of Thrones) entstanden. Anders als der zuvor im heimischen Lichtspielhaus goutierte Preservation zelebriert der Brite mehr die direkte Konfrontation des kleinen irdischen Lichts, genannt Mensch, mit der übermächtigen Natur. Über weite Strecken ist The Descent mehr ein klassischer Survival-Thriller, in dem Marshall das Machtverhältnis zwischen dem Menschen und dem Planeten, auf dem dieser so viele Jahre verweilt, in beeindruckenden Einstellungen versinnbildlicht. Gegenübergestellt wird eine Gruppe von Frauen, Freundinnen, die Monate nach dem tragischen Unfalltod der Tochter und des Manns von Sarah zusammenkommen um sich ihrem gemeinsamen Hobby zu widmen: dem Überwinden von Naturgewalten.

Wildwasserrafting, Klettern oder Höhlen erforschen: die Freundinnen verbindet diese Liebe, sich in extreme Situationen zu bringen und die Natur dabei zu bewältigen, zu bezwingen. Nichts deutet darauf hin, dass die von Organisatorin Juno ausgesuchte Höhle eine besondere Extreme für die Frauen wird. Es beginnt nach dem Abstieg mit dem Einsturz eines schmalen Tunnels. Bei Sarah bricht das vom Unfall verursachte Trauma langsam wieder auf, Junos eigenmächtige und gegenüber dem Rest der Gruppe verheimlichte Änderung über die ausgesuchte Tour und ein schwerer Unfall mit Knochenbruch steht ihnen zusätzlich im Weg, aus der Höhle hinaus zu finden. Es scheint, als würde dieses Mal Mutter Erde die Herausforderung gewinnen und das der Feind das dünne Nervenkostüm der Gruppenmitglieder sowie das unterirdische, enge Labyrinth aus Gestein und Wasser ist. Dies wird zu einem Abstieg in die Hölle, angedeutet durch einen schönen wie extremen Weitwinkel-Shot, in dem die sich in den Eingang der Höhle abseilenden Abenteurerinnen schrecklich klein und unwichtig erscheinen.

Verschluckt vom Erdendunkel schürt Marshall die Beklemmung simpel wie effektiv mit Lichtspielereien. Die Schwärze ist allgegenwärtig. Sie verschluckt die Protagonisten wie den Zuschauer, der mit diesen zusammen seine Augen durch die dunklen Schleier der Höhle presst. Aus diesem Schwarz blitzen kleine Flecken Licht auf, die uns die Freundinnen beim Erforschen der Höhle zeigen. Das Wechselspiel zwischen bildschirmfüllenden und mit Licht und Dunkelheit spielenden Szenen, perfekt ausgeleuchtet, smart geschnitten, lässt die Atmosphäre förmlich spürbar werden. Die in dunklem Orange und blutigem Rot gehaltenen Bilder lassen im Stil The Descent zur unterirdischen, argentoesken Bilderflut werden. Aus der finsteren Schwärze und dem Höllenrot entsteigt überraschend, ohne das der Zuschauer groß darauf vorbereitet wird, das namenlose Grauen. Der Tiefe perfekt angepasste, animalische Humanoide, welche die Jagd auf das Frischfleisch eröffnen und für die Frauen aus der Höhle eine Todesfalle werden lassen. Dem klaustrophobischen Kannibalenterror entspinnt das Drehbuch ungeheuer intensive Szenen. Nur die im hohen Tempo aufflackernde Hektik bremst die Intensität des Filmes im zweiten Akt des öfteren aus.

Zeit bleibt dennoch kaum, die kleinen Schwächen von The Descent näher zu betrachten. Die weiblichen Figuren sind wie ihre männlichen Epigonen bis auf Hauptfigur Sarah leider eindimensional und einige Nebencharaktere spürbar nur als Futter für die tödlichen Höhlenbewohner existent. Marshalls Idee, mal nicht wie sonst üblich halbwegs gestandene Mannsbilder in den sicheren Tod zu schicken sondern Frauen auszuwählen, bleibt eine tolle, selbst heute noch frische Entscheidung. So steigen seine Figuren, Sarah voran, hinab in ihre eigenen Abgründe, die sie dem Genre geschuldet zu typisierten Charaktere entwickeln lässt, welche auch in männlicher Form im Horror seit Jahrzehnten existieren. Ihr Leidensweg scheint ebenfalls vertraut; Marshall setzt die Versatzstücke clever zusammen und entfacht einen mitreißenden Sog an Spannung und Gewalt. Das nackte Überleben von Sarah und ihren Gefährtinnen kulminiert in explosive Szenen. Terrormovie goes Underground. The Descent packt uns daneben in seiner geschickten Inszenierung bei unseren eigenen Urängsten: Enge,die Dunkelheit, das vermeintlich darin lauernde, namenlose Böse. Marshall kitzelt es aus dem Unterbewusstsein an die Oberfläche und lässt seine Figuren wie den Zuschauer spüren, dass etwas unbekannt schreckliches dort unten lauert.

Kenner Lovecrafts dürften frohlocken. Die in seinen Geschichten heraufbeschworene Stimmung der ständigen Bedrohung wird vom britischen Regisseur geschickt in die Handlung eingewoben und die Kreaturen erinnern in ihrem Aussehen an die Monster in der 1923 entstandenen, schon häufiger verfilmten Kurzgeschichte "Die lauernde Furcht" (Original: The Lurking Fear). Der Brite geht es weniger abstrakt als Lovecraft an und lässt die direkte, rohe Gewalt sprechen. Obwohl The Descent ein Rewatch ist, auf den ich schon länger Lust hatte und die Gelegenheit packte, ihn für den Horrorctober anzugehen und meinen Hang zur Prokrastination damit zu bekämpfen, vergaß ich über die Jahre, wie gut The Descent eigentlich ist. Es schien diesmal so, als habe er sich mit all seiner Größe komplett vor mir entfaltet und bescherte mir das erste große Highlight in der diesjährigen Aktion. Selten schaffte es ein Film hinterher gängige Genremuster mit so viel Können in ein so intensives Erlebnis zu verwandeln.
Share:

Montag, 15. Oktober 2018

Horrorctober 2018: Preservation (4/15)

Man vs Nature die Erste in meinem diesjährigen Horrorctober mit der Erkenntnis: man muss nicht gleich ins ferne All, damit keine Menschenseele schmerzerfüllte Schreie hören kann. Ein Campingtrip genügt. In Preservation fahren das Ehepaar Wit und Mike Neary als Vertreter des modernen, urban geprägten Menschen mit Mikes Bruder Sean, ein pragmatischer und bodenständiger Kerl, einer der Marke bei dem man am liebsten alle vier Buchstaben des Wortes Kerl groß schreiben möchte, in die Wildnis hinaus um einige erholsame Tage zu verbringen. Es wird ein unfreiwilliger Abenteuertrip, eine Jagd, bei der die drei zu den Objekten unbekannter werden, welche sie gnadenlos durch ein stillgelegtes Naturschutzreservat jagen. Die Schmerzensschreie, welche die Urlauber während ihres Martyriums den stummen Bäumen entgegenschleudern, werden nur von ihren maskierten Peinigern wahrgenommen. Andere Menschen sucht man in dieser verlassenen, weit abgelegenen Umgebung vergebens.

Ebenfalls gesucht wird die Innovation, welche Autor und Regisseur Christopher Denham außen vor ließ. Preservation ist ein geradliniger Backwood-Terrorfilm, der keinen Preis für die frischesten Ideen gewinnen könnte. Es wird auf die bewährte Formel des Subgenres gebaut, die Abläufe der Geschichte erscheinen bekannt und vertraut. Kaum im Wald angekommen und aus dem Wagen gestiegen, legt der Film eine falsche Fährte, die man leicht erschnuppern kann. Aus dem emotionalen Gestrüpp der Protagonisten wuchern dezent Konflikte, bis man nach der ersten Nacht von Zelt und Besitz beraubt in der Wildnis erwacht, mit einem schwarzen Kreuz auf der Stirn. I choose you schreit es den noch ahnungslosen Figuren entgegen, bevor die namen- und gesichtslosen Unbekannten auftauchen und zur Tat schreiten. Hinter grimmig dreinblickenden Masken und in großen Jacken, Panzern und Polsterungen gepackt und versteckt, scheint dem Trio die gewalttätige Seite der heimischen Urbanität in die fast unberührte Natur gefolgt zu sein.

Die Modern Rednecks beginnen ihr Spiel und Preservation nimmt an Fahrt auf. Auf der Erstschlag folgt der Gegenschlag, die städtischen Eindringlinge können erstaunlich gut mithalten und ziehen, so will es das Gesetz des Genres, doch den Kürzeren. An diesen Entscheidungen im Drehbuch kann man sich stören, wenn der Erfahrene des urbanen Dreiers schnell seinen Odem aushaucht und die Figur, die am wenigsten Ahnung vom Überleben in der Wildnis hat, in Windeseile alle Survivalregeln des Backwood-Thrillers/-Horrors befolgt. Unglaubwürdige Genresyntax, lax von Regisseur Denham zu Papier gebracht, trifft auf geschmackvollen Stil. Aufgeräumt und hell, kalt und gleichzeitig in warme Farben getaucht ist Preservation einer der wenigen digital gedrehten Filme, an dessen Stil ich mich nicht störe sondern zugebe, dass es ihm gut steht. Hinzu gesellt sich ein akustisch-elektronischer Soundtrack, dessen vage an Country erinnernden Melodiebögen sich ins Ohr schmeicheln.

Bei fehlenden Innovationen, dem hübschen Look und einem Erzähltempo, welches zu erahnenden Momenten einen kurzweiligen Charakter schenkt, ist Preservation kein großes Feuerwerk, der aber in seinen positiven Szenen mich durchaus überrascht hat. Wenn Christopher Denham die Masken seiner Antagonisten fallen lässt, beschert er die größte Überraschung. Es mag übertrieben sein, wirkt im Nachgang kurze Sekunden später schlüssig. Das entlockte mir ein ungläubiges Lachen, eben wegen diesen beiden gegensätzlichen Extremen. Ich fühlte mich dezent an Eden Lake erinnert, ohne dass Preservation sich zu stark an diesem bedient. Würde Christopher Denham in seiner Geschichte die Hüllen bzw. Masken eher fallen lassen, wäre der Film einiger Stärken beraubt worden. Auf der anderen Seite wäre er ein etwas anderer, mehr eigenständiger Film geworden, als er letzten Endes ist. Für gewisse Kurzweil sorgt der Film bei allen bekannten Elementen allemal. Wo manches Mal das Timing nicht richtig sitzt, hat man bei der Auflösung fast alles richtig gemacht und die unglaubwürdigen Stellen werden einfach unter den Mantel des Schweigens gepackt. Es kann ja nicht alles gleich Deliverance sein.
Share:

Samstag, 13. Oktober 2018

Horrorctober 2018: All The Boys Love Mandy Lane (3/13)

Party, saufen, exzessiv bis zum nächsten Morgengrauen feiern, kiffen, ficken. Wir sind jung. Wir sind schön. Wir sind oberflächlich. Wir sind alles, nur nicht die Freunde, für die wir uns halten. Das dünne Band der Gemeinschaft zerbricht, sobald der kleinste Konflikt am Horizont erscheint. Das angeknackste innere Gefüge zerbricht letztendlich durch gewaltsames Eingreifen von außen. Schuld daran ist die personifizierte Unschuld, eine unnahbare Göttin der Jugendlichkeit: Mandy Lane. Das Mädchen, dass eben alle Boys - separated from all the real men - anzieht wie Licht die Motten. Bunte Sträuße geballter Hormone, konzentriertes Testosteron werden der jungen Frau reihenweise geschenkt. Bildlich wirft man sich für sie in den Staub, tatsächlich wirft man sich für sie vom Dach. Der Sprung von dort oben endet für den Gastgeber der Party tödlich. Angetrieben wurde der alkoholisierte Jugendliche von Mandys bestem Freund, dem augenscheinlichen Wächter derer Unschuld.

Sechs Monate später folgt nun das ausgelassene präsentieren eigener Egomanien auf einem opulent wirkenden Landsitz. Keine Spur von Mandys Freund, der wie ein Luchs auf das Mädchen aufzupassen schien. Ist die unnahbar wirkende junge Frau das Opfer vieler nach ihr gierenden Jungwölfe, die gierig ihre Zähne in ihr nacktes Fleisch rammen wollen oder ist Mandy vielleicht sogar ein Wolf im Schafspelz, der die Jungs im ihren finalen Stunden zu dummen Welpen degradiert? Ein Szenario, 2006 in die Kinos gebracht, welches vor 12 Jahren so frisch war wie 1981 abgelaufene Konservenkost. All The Boys Love Mandy Lane. All The Fanboys Heart Overhyped Mandy. Sind wir mal ehrlich: es ist erstaunlich, wie dieser in der ersten Hälfte einfallslose Slasher von seinem Publikum beklatscht wurde. Es war kein großer, eher ein kleiner, vielleicht sogar eher ein Geheimtipp, aber: häufig wurde die Mär vom in weißer Unschuld gekleideten Rotkäppchen, gejagt von notgeilen Nachwuchsalphamännchen, als frisches Blut für das dahinsiechende Slashergenre angepriesen.

Bis der Film seine Qualitäten ausspielen kann, quält man sich nahezu durch lauen Teeniequatsch, mit dem in den Jahren zuvor - seit dem Erfolg von Screamviele andere Slasher mit jugendlichen Charakteren bereits wenig Interesse hervorlocken konnten. Es wird gestritten, es wird gebuhlt, es wird gebaggert, dicke Eier schwellen vor Wut über die Abweisung der angebeteten Göttin weiter an während die weiblichen Figuren sich im Bitch-Fight üben. Erste unliebsame Kandidaten und Figuren beißen irgendwann ins Gras. Ein Unbekannter hat sich selbst zur Party eingeladen um die Gäste vorzeitig von dieser und aus deren Leben zu geleiten. Realismus trifft auf die oberflächliche Welt dieser nervigen Rich Kids und fordert gnadenlosen Blutzoll. Dazwischen werden die schönen Menschen im hippen Indiestyle, untermalt mit locker durch das Ohr blubbernden Soundtrack, darunter eine äußerst gefällige Covernummer von Americas "Sister Golden Hair", dargestellt.

Glücklicherweise präsentiert das Drehbuch schnell die Identität des Mörders, der nicht ein weiterer, maskierter Scharfrichter im Auftrag konservativer Moralvorstellungen, sondern ein gebrochener Mensch ist. All The Boys Love Mandy Lane wird zum leichten Outsider-Drama, lässt durch seine verkommenen und unsympathischen Hauptfiguren eher mit dem Täter mitfühlen und zwischen all' den hübschen Bildern und der wütenden Stimmung blitzen erste Anzeichen auf, welche später zum finalen Twist ausholen. Mandys Unnahrbar- und Makellosigkeit bekommt feine Risse, die im Finale zum Abgrund werden. Dieser Final Girl Blueprint entpuppt sich hinter der schönen Fassade als blondes Gift. Vadim wusste schon: Und ewig lockt das Weib. Die verlockende Weiblichkeit wird in All The Boys Love Mandy Lane zur sinnbildlich dämonischen Bedrohung für die Stärken des männlichen Geschlechts. Der Film spielt mit den im Slasher vorgegebenen Rollenbildern, hat einen sehenswerten fancy Look und katapultiert sich mit vorgegaukelter Cleverness auf eine wackelige Meta-Ebene für das Horrorsubgenre. Der Twist, von einem Freund als nicht zu erwartend beschrieben, lässt sich tatsächlich dank der hintergründigen Hinweise zwischen den Zeilen erahnen, schenkt dem ganzen Film dafür ein markanteres Profil als die beinahe missratene, gesichtslose erste Hälfte. Die Idee von All The Boys Love Mandy Lane ist gut gemeint, aber mäßig umgesetzt. Man ruht sich auf dem Twist aus und lässt vorher schnöden Durchschnitt hemmungslos regieren. Im Endeffekt ist das viel zu wenig für einen richtigen (kleinen) Indieknaller, durch zugegeben durchaus hübsch, aber bei weitem nicht so clever ist, wie er sein möchte.
Share:

Freitag, 5. Oktober 2018

Horrorctober 2018: The Heretics (2/13)

Die zweite Runde des 2018'er Horrorctobers beschert mir mit The Heretics einen Film, der irgendwann mit jeder fortschreitenden Minute sein durchaus vorhandenes Potenzial verschenkt. Interessant ist hierbei, dass die Qualitätskurve nicht rapide abstürzt, sondern wie auf einer kurvigen Bergstraße ins Schlingern gerät, sich auf der Strecke halten kann, aber immer gefährlich nahe am Abgrund entlang verläuft. Regisseur Chad Archibald verliert im weiteren Verlauf die Kontrolle; The Heretics rauscht frontal über die Strecke und selbst wenn die Mängel von einem Totalschaden entfernt sind, ist das Endergebnis ernüchternd mäßig. Sein Beginn verspricht solide Okkulthorror-Kost und nimmt sich angenehm Zeit um seine Figuren einzuführen. Im Zentrum der Geschichte steht Gloria, welche vor Jahren von einer Gruppe Satanisten entführt wurde. Nach einem blutigen Ritual, welches in Massensuizid endete, entkam die junge Frau und leidet seitdem an Alpträumen.

Diese werden wieder real, als sie nach einem Besuch bei ihrer Freundin Joan, welche sie bei ihren regelmäßig stattfindenden Therapiegruppensitzungen kennenlernte, erneut entführt wird. Gloria gelingt es, ihrem Kidnapper ihr entwendendes Handy zu entreißen und einen panischen Hilferuf auf den Anrufbeantworter ihrer Mutter zu sprechen. Ihre Freundin Joan organisiert in halb hysterischem Zustand auf eigene Faust einen Suchtrupp, während Gloria von ihrem Entführer in einer kleinen Berghütte festgehalten wird. Dort offenbart sich dieser ihr als Überlebender des damaligen Massakers und das er sie vor den Brüdern und Schwestern des Kults schützen will, da durch das Ritual ein Dämon in sie gefahren sei. Das entpuppt sich über erste Strecken mehr als Thriller, denn als Horror, der in kleinen Dosen in die Story integriert wird. The Heretics spielt dabei mit der Wahrnehmung seiner Figuren und des Zuschauers, lässt den besagten Dämonen bedrohlich im Dunkel der Hütte für wenige Sekunden auftauchen und genau so schnell wieder verschwinden.

Leider geht der Film den weniger subtilen Weg und konzentriert sich nicht auf die aufkommende Frage, ob es sich dabei um kollektive Wahnvorstellungen von Gloria und ihrem Entführer sind. Um den nach Effekten gierenden, einfachen Genrefan zu befriedigen, entschließt man sich, Gloria nach und nach äußerlich torturreich zu etwas dämonischen transformieren zu lassen. Dieser an Bodyhorror heranreichende Schritt kulminiert in einigen ekligen Effektszenen, raubt der Geschichte aber gleichzeitig die gering vorhandene Doppelbödigkeit. Der Subplot um die immer stärker emotional entgleisende Joan, die durch die Entführung ihrer Freundin den Verstand zu verlieren scheint, wird erst durch den späteren Twist mit der Hauptstory verbunden und fühlt sich vorher als seltsamer Fremdkörper im Storygefüge an. Ist die Katze einmal aus dem Sack, wird The Heretics aller aufkommenden Stärken nahezu beraubt. Es bleibt ein Horrorthriller, der mit geringer Spannung, dafür straightem Weg Richtung Finale einen maximal okayen Gesamteindruck hinterlässt.

Den Machern des Films scheint das Potenzial der Geschichte, daraus einen subtil arbeitenden, okkult gefärbten Horrorthriller über die wahnhafte Macht des Glaubens entgangen zu sein. Die durchaus dichte und hübsche Atmosphäre, verstärkt durch die ansehnliche Ausleuchtung während der Szenen in der Hütte, wäre ein idealer Nährboden für eine solche Art von Film gewesen. Der eingeschlagene Weg ist durchaus goutierbar, lässt allerdings die vergebenen Chancen der Story nach Ende des Films lange nachhallen. Lieber setzt man noch einen drauf und präsentiert in der letzten Einstellung einen derart dummen Einfall, der zwar nicht alles, aber einiges zuvor aufgebautes, zunichte macht. Auch wenn er vorhersehbar ist, setzt er allem die Krone auf und lässt das aufgebaute Ansehen von The Heretics beim Zuschauer sinken. Eben weil man zuvor behutsam, langsam an die eigene Geschichte herangegangen ist, zwar keine gut gezeichneten, aber bemüht charakterisierten Hauptfiguren präsentiert und Pfade für einen im Subtext mitnichten gut gefüllten, aber leicht cleveren Film geebnet hat. Im Endeffekt hat man als Zuschauer durch weniger gute Entscheidungen der Macher, lieber auf Nummer sicher gehen zu wollen, einen durchschnittlichen Mix aus Okkult- und Bodyhorror.
Share:

Donnerstag, 4. Oktober 2018

Horrorctober 2018: The Barn (1/13)

Wie viele Kellen Retro vertragen wir noch, ehe wir im nostalgisch rückwärts gerichteten Blick aktuelle, zeitgenössische Werke komplett übersehen oder dieser überdrüssig sind? Egal ob neue, im pixeligen 8- oder 16 Bit-Stil gehaltene (Indie-)Games, Bands die sich in verschiedenen Genres deren Wurzeln oder zeitliche Strömungen annehmen oder seit der Netflix-Hitserie Stranger Things die wieder schwer angesagten 80er im Film: selbst ich Retro-Afficionado musste mich ertappen, wie ich beim derzeitig gefühlt x-ten Boom der 80er anfing, leicht angestrengt zu schnaufen. Ich mag Stranger Things u. a. wegen der Detailverliebtheit im Bestreben, die 80er so authentisch wie möglich darzustellen und auch hemmungslos dieses Jahrzehnt und dessen Genrefilme huldigende Meta-Genre-Knaller wie Turbo Kid. Aber irgendwann dürfte man doch übersättigt sein oder ist doch noch etwas Platz im enger werdendencVerdauungsapparat der Freaks? Meinen Einstieg in den diesjährigen Horrorctober könnte man vorschnell als weiteren, beliebigen Beitrag zur Retro- bzw. 80er-Welle abtun.

The Barn fühlt sich dazu verpflichtet, dem Direct-To-Video-Horrorkrempel, den Videothekenlückenfüllern und den größeren und kleineren Perlen aus diesem manchmal unüberschaubar scheinenden Gestrüpp aus dem man häufig einfach mäßige Vertreter des Genres zog, zu huldigen. Justin M. Seaman, Autor, Produzent und Regisseur in Personalunion, scheint sich in seinem Leben viel davon angesehen und diese genaustens studiert zu haben. Die Geschichte seines u. a. via Indiegogo-Kampagne finanzierten Films hat man selbst während der Blütezeit des abgegriffenen Videohorrors schon x-fach gesehen. Nach einem kleinen Intro, das uns wieder einmal lehrt, dass Minderjährige im Horrorfilm grundsätzlich Probleme haben, ihnen auferlegte Regeln zu befolgen, lernen wir die Freunde Josh und Sam kennen, welche 1989 während der Halloween-Zeit mit einem selbst zusammengezimmerten Schauer-Kabinett versuchen, über die Runden zu kommen. Nach Disputen des nahezu von Halloween besessenen Sams mit seinem Vater und der örtlichen Lehrerin, wollen die Kumpels mit Sams heimlichen Schwarm Michelle und einigen weiteren Freunden nochmal richtig die Sau raus lassen und hinterher das Konzert einer angesagten Metal-Band besuchen. Während einer Rast entfachen die Teens in einer schon aus dem Intro bekannten Scheune das Böse in Gestalt dreier fürchterlicher Dämonen.

Den Rest kann man sich denken: die Dämonen - eine Vogelscheuche, eine Art Zombie-Bergarbeiter und ein wandelnder Jack O'Lantern - räumen ordentlich unter den Jugendlichen und im nahegelegenen Ort auf, bevor die beiden Hauptfiguren zum finalen Gegenschlag ausholen und sich einzeln dem bösartigen Trio stellen. Regisseur Seaman verbeugt sich in seinem Herzensprojekt in Dauerschleife vor seinen geliebten 80er-DTV-Hits und versucht so gut wie es die zur Verfügung stehenden Mittel hergaben, seinen Film wirken zu lassen, als würde er aus der persiflierten Zeit stammen. Das Indie-Projekt schlägt sich im Vergleich mit ähnlichen kleineren Produktionen beachtlich. In wenigen Momenten kann das digital nachbearbeitete Bild nicht verbergen, dass es sich um eine neuere Produktion handelt, Seaman und sein Team schaffen es aber, mit ihrem limitierten Budget das selbe "Billigheimer"-Feeling der alten DTV-B-Horrorfilme zu erschaffen und die für das Level des Films höchstmögliche Authentizität zu erschaffen. Die Kleidung der Darsteller fand man z. B. überwiegend in Second Hand-Läden.

Dazu gesellen sich matschige, handgemachte Effekte, die - wie früher und zugegeben auch heute noch - mal mehr, mal weniger gut gelungen sind und The Barn einen netten DIY-Charakter schenken. Sehen lassen können sich neben den Masken der drei dämonischen Fieslinge auch das flott runtergerotzte Masskaer in der Stadthalle. Es ist ein gutes Beispiel, mit welchem Tempo man durch die Story pflügt. Einzig auf der Tonspur passiert zu viel: für die Zeit unverkennbare Synthie-Sounds wechseln sich fast pausenlos mit aus dem Jahrzehnt stammenden oder undergroundigen, sich dem Retrosound verschriebenen Rock- bzw. Metalsongs ab. Ein Overkill auf der Tonspur, der trotz der guten Songauswahl bzw. Kompositionen enervierend gerät. Bei allen positiven Aufzählungen soll nicht verborgen bleiben, dass Seamans Absicht, einen neuen alten 80er-B-Horrorflick zu schaffen, funktioniert, aber die Hommage zuweilen zur Kopierpaste mutiert. Er setzt nicht nur sicher die positiven Dinge der alten DTV-Produktionen um, sondern übernimmt gleichzeitig auch deren negativen Eigenschaften.

The Barn fehlt es an Kontinuität; die ohnehin nicht durch Einfallsreichtum glänzende Story verliert sich in der teils episodischen Narration. Lieber treibt man die eindimensionalen Figuren zur nächsten Konfrontation mit einem der Dämonen als die Geschichte auf langer Sicht für das Finale vorzubereiten. Die Gäule gehen mit Seaman durch, der dann seinen Film eine Stufe höher heben möchte, über die von ihm sicherlich geschätzten, dutzenden Vorbilder. The Barn ist merklich ein mit viel Enthusiasmus und Herzblut umgesetztes Projekt, bei dem der Regisseur einige Male von seiner Euphorie übermannt wird und seiner kleinen Indie-Produktion mehr zutraut, als sie es in Realität zu schaffen vermag. Das macht seine Macher und deren Film letztendlich sehr sympathisch, was mich über seine Schwächen getrost hinwegsehen ließ. Es ist ein kleiner B-Kracher mit viel Charme, der wenn alle Stricke reißen mit den hübsch altmodischen praktischen Effekten überzeugen kann. Zwei alte Bekannte aus der glorreichen Zeit schauen auch noch vorbei: Scream Queen Linnea Quigley gibt die gestrenge Mrs. Barnhart und der Ur-Jason (hiermit meine ich Teil 1) Ari Lehman gibt einen Moderator einer TV-Metal-Show. Das Wiedersehen mit beiden erzeugt wie The Barn selbst ein kleines, freudiges Lächeln. Es tut manchmal verdammt gut, sich eben auch an sowas einfacherem zu erfreuen.
Share:

Dienstag, 2. Oktober 2018

The Man Who Killed Don Quixote

Allgemeiner Kanon zu The Man Who Killed Don Quixote ist, dass die bewegte Entstehungsgeschichte interessanter und die Doku Lost In Mancha über den ersten Versuch Gilliams, den Film zu realisieren besser als der nun fertig gestellte Film ist. Bei einem Besuch einer Spätvorstellungsreihe im Programmkino meiner kleinen Heimatstadt jüngst gesehen, bei der sich meine regelmäßige Begleitung wie die meisten ebenfalls über Gilliams jüngsten Streich aufgeregt hat, fällt mein Urteil milder aus. Es ist bei weitem kein schlechter Film, aber auch nicht der beste des Engländers. Nach den vielen Umbesetzungen u. a. durch die Tode von Jean Rochefort und John Hurt, Finanzierungsschwierigkeiten und Rechtsstreitigkeiten hätten andere Regisseure längst die Flinte ins Korn geworfen. Gilliam hielt an seinem Traum(projekt) fest und entfernt sieht man es dem Film an, dass in ihm viele Liter Herzblut stecken. Solche Träume wabern auch durch die Geschichte, in deren Mittelpunkt der zynische und zu Beginn durchweg unsympathische Ex-Werbefilmer Toby steht.

Dieser arbeitet irgendwo in der spanischen Wüste an der Verfilmung von Miguel de Cervantes bekanntem Roman Don Quijote, den er, so lehren es uns die eingestreuten Rückblenden, zu Filmstudentenzeiten bereits einmal recht frei als Abschlussarbeit verfilmte. Zu jenen Zeiten fand er in einem kleinen Dorf  mit einem einfachen Schuhmacher die ideale Besetzung für den berühmten, gegen Windmühlen kämpfenden Ritter. Beide Drehs - damals wie heute - sind mit Schwierigkeiten verbunden. Verzweifelte Toby damals am hölzernen Spiel und den Verständigungsschwierigkeiten mit den Bewohnern der kleinen Ortschaft, hängt ihm in der Gegenwart einer seiner Geldgeber im Nacken. Mit dessen dauergeilen Gespielin geht er ein Tête-á-Tête ein obwohl er nur auf sie aufpassen soll, wird fast von seinem Boss inflagranti erwischt und kann im rechten Moment Fersengeld geben. Wäre das nicht schon Stress genug, holt ihn seine Vergangenheit ein, als ein fahrender Händler tatsächlich eine Raubkopie seines Abschlussfilms verkauft und er bei einem Ausflug dem kleinen Dorf von früher einen Besuch abstattet. Nicht weit davon trifft er auf den alten Schuhmacher, der sich nun für Don Quixote hält, in Toby seinen Knappen Sancho Panza sieht und diesen in ein immer surrealeres Abenteuer zieht, bei dem auch Toby Schwierigkeiten bekommt, zwischen Traum und Realität zu unterscheiden.

Nachdem es gut mehr als 25 Jahre gebraucht hat, bis Gilliam seinen Traum in die Realität umsetzen konnte, ist The Man Who Killed Don Quixote (auch) ein Film über all' die geplatzten Traumbildnisse und über die großen und kleinen Enttäuschungen, mit denen der Regisseur zu kämpfen hatte. Der Einstieg gestaltet sich schwierig, findet man in der Überzeichnung und bissigen Darstellung des Filmbusiness kaum sympathische Charaktere; Hauptfigur Toby schafft es in Sekundenbruchteilen, das man ihm über weite Strecken des Films ablehnend gegenüber steht. Mehr fragt man sich, was Gilliam denn nun bezweckt. Fast verbittert spittet er mit seiner Darstellung des affigen Businessteils in Richtung Traumfabrik. Der Engländer scheint sich mit diesem Part selbst therapieren, die geschundene Filmemacherseele in Balsam tauchen zu wollen, bis endlich die richtige Geschichte anfängt. Tobys Treffen mit dem verwirrten Schuhmacher fördert das zu Tage, was ich persönlich an Gilliam seit seiner frühen Post-Monty-Python-Tage so liebe. Sein Können für urkomische Situationskomik, gepaart mit surrealen und/oder absurden Momenten leuchtet aus dem Plotgewirr auf und vermag es nicht, dieses zu ordnen. Das Gilliam häufiger nochmal am Script Hand anlegte, spürt man. Kleine Verweise auf aktuelles Weltgeschehen, Anspielungen auf Terrorzellen des IS oder die Erwähnung Trumps vermengen sich mit dem Ansinnen, ganz viel, was man in 25 Jahren in den Kopf bekam, zu retten und in einen Film zu bringen.

The Man Who Killed Don Quixote läuft förmlich über, bietet viel in knapp mehr als zwei Stunden und lässt den Zuschauer leider ratlos zurück. Das langsame Gleiten Tobys in die Wahnvorstellungen des vermeintlichen Don Quixote, das Wiederentdecken seiner menschlichen Seite, die Abrechnung Gilliams mit dem Filmgeschäft, das in seinen Werken wiederkehrende Motiv von mentaler Schwäche, die negative Seite und der Einfluss den Filme auf Menschen ausüben können, politische Anspielungen: der Brite will viel, versucht endlich einen Schlussstrich unter das Thema zu setzen und verliert, stellt man das Budget des fertigen Films den bisherigen Einspielergebnissen gegenüber, nicht nur an den Kinokassen. Am Besten ist The Man Who Killed Don Quixote dann, wenn der Ritter und sein "Knappe" in der Fantasie des alten Manns feststecken und eine "Zeitreise" unternehmen. Hier blüht Gilliam auf, auch wenn er nicht an alte Glanztaten heranreichen kann. Dieses ganze Ding mit dem Mittelalter liegt dem Mann, was man immer mal wieder seit seinem Debüt Jabberwocky feststellen konnte. Es tut einem fast schon leid, dass die restlichen, teils autobiographisch gefärbten Teile der Geschichte dieser nicht gut tun. Eigentlich geben sie Stoff für einen weiteren Film her.

Diesen hat sich der Brite gespart, alles auf eine Karte gesetzt und seinen mutigen, bewundernswerten idealistischen Einsatz verspielt. The Man Who Killed Don Quixote schlingert sich durch die kleinen Schlaufen seiner Storyknoten und bietet einen leidlich goutierbaren Mix aus Drama und Fantasy. Gilliam konnte mal gut seinen absurden-surrealen Witz, seine überbordende visuelle Fantasien gefühlvoll mit gescheiterten Figuren kombinieren. Hier haut er drauf, besinnt sich selten auf diese Feinheiten und das Ende des Films bleibt doppeldeutig wie vieles andere an ihm. Irgendwann scheint das Business einen einfach Wahnsinnig zu machen oder lässt einen in eine (Traum)Blase flüchten, in deren kleinen Welt alles gut und rosig ist. Sorgen muss man sich nicht um den Regisseur machen. Es ist schade, wenn man feststellt, dass sein endlich beendetes Filmprojekt deswegen eine kleine Legende ist, weil es eine weitere Episode über das große Scheitern einer ambitionierten, vielversprechenden Geschichte ist. Es ist nicht alles schlecht an Gilliams Film, aber man hofft, dass er jetzt den Kopf frei hat für zukünftige Projekte. Ein bitterer Nachgeschmack bleibt haften, wenn Toby mit seiner Angebeteten zum Schluss der Sonne entgegen reitet und man spürt, dass der Regisseur vielleicht auch selbst keine Lust mehr hat. Tobys wiederkehrende menschliche Seite bleibt verkrüppelt, kann nicht gegen die regierende Oberflächlichkeit seiner eigenen Welt ankämpfen und sorgt für den emotionalsten Moment des Films, wenn er sinnbildlich die Träume versehentlich dem Tod entgegen wirft. Man hofft, dass dies kein heimlicher Einblick in das innerste Gilliams war und man von ihm in der Zukunft wieder richtig gute und keine halbgaren, vollgestopften und über die Jahre zäh vor sich hin köchelnde Filmeintöpfe serviert bekommt.
Share: