Donnerstag, 13. Februar 2020

Die Nacht der blutigen Wölfe

Eigentlich kann man trefflich darüber diskutieren, inwieweit Paul Naschy innerhalb seiner cineastischen Sagen über seine tragische Figur Waldemar Daninsky eine eigene Linie gefunden hat. Merklich spürt man in seinen Filmen beispielsweise die Einflüsse der englischen Hammer Studios mit ihrem schweren, erhabenen Gothic Horror-Filmen. Wie schon in meiner Besprechung zum kürzlich gesehenen Nacht der Vampire geschrieben, ist das Einbetten solcher Elemente in die zeitgenössische Gegenwart der 60er und 70er Jahre eine dem geringen Budget verschuldete Entscheidung. Es schenkt Naschys Filmen dieser Zeit maximales Pulp-Flair, das mich im Falle von Nacht der Vampire durch die hölzern vorgetragene Liebesgeschichte rettete. Bierernst vorgetragene Geschichten mit einem naiven Charme können mich mit ihrem einfach getricksten Kirmes-Horror leider allzu schnell um den Finger wickeln. Die eben genutzte Umschreibung ist nicht mal negativ gemeint; was ich an Naschys Output an Daninsky-Filmen kenne, kommt einer filmischen, leicht chaotischen Geisterbahn gleich, die beileibe nicht erschreckt, aber durch ihre naiv vorgetragene Story gut unterhalten kann.

Die Nacht der blutigen Wölfe, sechster Eintrag in Naschys Daninsky-Chroniken, wird verglichen mit dem gemächlichen Ritt durch Nacht der Vampire zur wilden Maus. Die kurz gehaltene Exposition des Films führt uns zuerst nach Rumänien, als der normalerweise in London ansässige Geschäftsmann Imre Kostaz in sein dort gelegenes Heimatdorf  zurückkehrt. Beim Besuch der Gräber seiner Eltern werden er und seine hübsche Frau Justine Opfer eines Überfalls, bei dem Imre ums Leben kommt. Justine wird vom von den Dorfbewohnern als Monster umschriebenen Herren des nahe gelegenen schwarzen Schlosses gerettet, bei dem es sich natürlich um Waldemar Daninsky handelt, welcher mit den Räubern kurzen Prozess macht. Einer des verbrecherischen Trios kann entkommen, hetzt die Dorfbewohner gegen Daninsky auf, schafft es dessen als Hexe verleumdete Haushälterin zu köpfen und mit geschickter Polemik einen Lynchmob Richtung Daninskys Behausung anzuführen. Dieser kann sich mit Justine nach London retten und wird von dieser in die Klinik des mit ihrem verblichenen Gatten befreundet gewesenen Henry Jekyll komplimentiert.

Nutzte man die Szenerie in Rumänien trefflich dafür, den iberischen Schmalspur-Gothic in herrlich abgeranzter Kulisse zu kredenzen, wandelt sich der Film in Swingin' London zu früher, bunt gemischter Europloitation. In Jekylls Klinik analysiert dieser den auf Waldemar lastenden Fluch, den Justine in Rumänien beobachten konnte, ausführlich. Er kommt zum Schluss, dass man sein trauriges Werwolf-Dasein, seine nach außen gekehrte, animalische Boshaftigkeit, mit etwas viel bösartigerem bekämpfen müsste und injiziert ihm ein Serum, das aus den damaligen Experimenten seines Vaters stammt. Seiner Auffassung nach kommt es bei Waldemars Verwandlung in Mr. Hyde zu einem Kampf dieser beiden boshaften Auswüchse der dunklen Seite seines Menschseins und würde zuerst den Werwolf verbannen um dann mit einem zweiten Serum Hyde verschwinden zu lassen. Leider wird das theoretisch einfach klingende Unterfangen sabotiert und lässt Daninsky als schmierig-lüsternen und gewalttätigen Mr. Hyde durch London morden.

Der gotische Grusel macht Platz für dezent blutig ausgeführte Metzeleien, Folter und Sadismus. Auch Molina und sein Regisseur Leon Klimovsky ordnen sich den Veränderungen in der Gesellschaft und im phantastischen Kino der damaligen Jahre unter. Blutige, verunstaltete Leiber gehen eine Melange ein mit in die Kamera gehaltenen Nuditäten; zumindest, wenn man die internationale Version des Films schaut. Wegen des damals in Spanien amtierenden Franco-Regimes wurde einerseits eine Version für den spanischen Markt und die strenge Zensur des Landes gedreht, bei dem in den Angriffen von Daninsky bzw. später Hyde die weiblichen Opfer züchtig und angezogen bleiben. In der internationalen Version reißen beide klassischen Horror-Gestalten den Opfern die Kleidung nahezu so geschickt vom Leib, dass alle im Eva-Kostüm ihren Odem im Film aushauchen. Die Nacht der blutigen Wölfe hantiert selbstzweckhafter mit diesen Dingen und drängt die hier existente zarte Bande zwischen Daninsky und Justine fast an den Rand.

Eher dient die emotionale Annäherung zwischen beiden und eine dazu kommende verschmähte Liebe als dünner, roter Faden durch das temporeich vorgetragenen Monster-Mashup und seine kontinuierlich eingesetzten Schauwerte. Die Nacht der blutigen Wölfe ist verglichen mit Nacht der Vampire bei gleichermaßen simpler Ausarbeitung und Gestaltung seiner Story präziser beim Herausarbeiten seiner Money Shots; beseelt vom Geiste der swingenden 60s besitzt der Film einen strammeren Rhythmus und streift die Schwerfälligkeit beim Versuch, dem Grusel eine dramatische Komponente hinzuzufügen, gekonnt ab. Das manche Szene einen durchaus (manchmal unfreiwilligen) amüsanten Unterton besitzt, darf man hierbei nicht ignorieren. Beinahe bedauert man, dass der offensichtlichere und simplere Film keinen größeren Fokus auf die dramatische Seite seiner Geschichte legt. In dessen allgemeinen Irrsinn hätte man daraus eine durchaus interessante Zugabe zu dessen Mischung aus naivem Grusel und pulpiger Exploitation erspinnen können. Unter dem Strich bleibt eine kurzweilige, über die Jahre etwas angestaubte, aber nicht minder amüsante wie grundsympathische Fahrt durch das Monsterpanoptikum des umtriebigen Spaniers Jacinto Molina, der laut einigen Quellen weltweit der einzige Darsteller war, der alle klassischen Filmmonster verkörperte. Jene sympathische Ausstrahlung, der man auch ein Stückweit die Begeisterung Naschys für den klassischen Horror erster glorreicher Jahre anmerkt, trug in mir den Entschluss, noch tiefer in die Welt von Señor Hombre Lobo einzutauchen.
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Dienstag, 11. Februar 2020

Parasite

Anfang 2019 war es Jordan Peele, der mit seinem Horrorfilm Wir (hier besprochen) in einem Genrewerk über den tief klaffenden Graben zwischen arm und reich referierte und den Aufstand aus dem Untergrund mit den Formeln des postmodernen Invasions- und Terrorkinos schilderte. Ende 2019 schickte der Südkoreaner Bong Joon-ho dann den frisch gebackenen Oscar-Gewinner Parasite in die Kinos dieser Welt, um - auch nicht weit von genre-narrativen Elementen entfernt - ebenfalls die tief schürfenden Unterschiede einer Zweiklassengesellschaft zum Thema zu machen. Die Invasion der armen Leute gestaltet der Südkoreaner weniger krachig wie Peele; Bong Joon-ho lässt die vierköpfige Familie der Kims die reichen Parks gewitzt infiltrieren. Es beginnt damit, dass Sohn Ki-woon die Chance erhält, Englisch-Nachhilfelehrer von deren Tochter zu werden. Die dafür erforderliche Identifikation als Student, der er nicht ist - zusammen mit dem Rest seiner Familie hält er sich mit schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs über Wasser - bastelt ihm seine Schwester Ki-jung via Bildbearbeitungssoftware zusammen.

Bei den ersten Nachhilfestunden in der imposanten Villa der Parks entgeht Ki-woon nicht, dass Yeon-kyo Park, die Mutter seiner Schülerin, leicht beeinflussbar ist. Mit perfiden und wahnwitzigen Aktionen verschafft sich dadurch der Rest seiner Familie als frisch eingestelltes Personal Zugang zu deren Heim und erschleicht sich das Vertrauen der reichen Familie, die abgelenkt durch ihre eigenen Probleme aus ihrer neureichen Welt, nicht bemerkt, welches Spiel die Kims mit ihnen spielen. Geblendet von der imposanten Kulisse ihrer Wirkungsstätte und dem verlockenden, im Vergleich zum eigenen anscheinend sorgenfreien Leben treiben es die Kims immer weiter und erliegen nahezu den Verlockungen des Luxus. Der Plan und dessen Verlauf erscheinen nahezu perfekt, bis die zuvor rausgeekelte ehemalige Haushälterin der Parks eines Nachts auftaucht, in welcher die Kims die Villa der zu einem Camping-Ausflug ausgeflogenen Familie für ein ausgelassenes Gelage nutzt.

Der Verlauf dieser Nacht bringt tiefgreifende Veränderungen im Leben der beiden porträtierten Familien und in der Stimmung des Films mit sich. Ist Parasite bis dahin eine gallige Sozialsatire, die leicht überspitzt die wortwörtlich ganz unten, in einer verfallenen Kellerwohnung hausenden Kims in das Leben der privilegierten Kims crashen lässt, switcht das Drehbuch die Story in einen clever konstruierten Thriller um, der durch den manipulativen Erzählstil der ersten Hälfte den Zuschauer längst auf seiner emotionalen Seite hat. Das schwere Leben der sozial benachteiligten Menschen und rational betrachtet abwegige Wendungen erscheinen hierdurch schlüssig; Bong Joon-ho drückt seinen Finger tief in eine unbemerkt geöffnete Wunde und lässt diese durch den Verlauf seiner Geschichte schmerzlich brennen. Vordergründig lässt er mit Blick auf die südkoreanische Gesellschaft kein gutes Haar an dieser und stellt die darin besser gestellten als vordergründig harmlose Menschen dar, die in ihrer Blase existierend, mit ganz eigenen Problemen kämpfend, vor sich hin vegetieren. Entfremdung in der eigenen Familie, Traumata, Neurosen: First World Business Sickness, von der die Kims parasitär ihren sich erhöhenden Lebensstandarf füttern.

Bong Joon-ho vermeidet es, in seinem Film zugunsten der Kims einseitig auf die Geschichte zu blicken. Zugegen haben sie durch die unsentimentale Darstellung ihres Alltags und den gewieften, bitterbösen Plan die Sympathie des Zuschauers auf ihrer Seite; unsympathisch sind ihre reichen Epigone keineswegs. Die harmlosen Parks erscheinen freundlich, gleichzeitig nahezu unbemerkt gleichgültig gegenüber ihren Untergebenen, von denen sie sich gleichermaßen parasitär ernähren: ohne ihre Vereinnahmung der Kims, wäre beinahe gar kein geregeltes Leben für die Familie möglich. Der Hund frisst den eigenen Schwanz. Parasite strickt daraus ein erschütterndes Thrillerdrama, in dem feine Risse in der heiteren Fassade entstehen. Verborgen brodelnde Missgunst, Hass gegenüber den Privilegierten, nebenbei geäußerte Aussagen über den Muff der Kellerleute die wie Gleichgültigkeit und Arroganz gegenüber den sozial schwächeren klingt, obwohl es vielleicht gar nicht so böse gemeint ist, kochen hoch und kulminiert in einem hochdramatischen Massaker bei der aufgestaute Wut und Emotionen ungefiltert in Leiber gestoßen und geschlagen wird.

Nach Snowpiercer und Okja, in denen der Südkoreaner ebenfalls Klassenkampf und Kapitalismuskritik einbaute und daraus eine düstere Gesellschaftsdystopie bzw. eine überzogene, bunte gemischte Kritiktüte zeichnete, schaltet er in Parasite einen Gang zurück, scheint seinen Stil gefunden zu haben und ist dann am besten, wenn er gleichzeitig leichtfüßig und messerscharf beide sozialen Schichten beobachtet und mit schwarzem Humor angereichert der Gesellschaft damit den Spiegel vorhält. Fast bedauerlich, wenn er in der zweiten Hälfte wieder lauter wird, als hätte ihn die in den Kims und anderen benachteiligten, traurigen Figuren seiner Geschichte schlummernde Wut übermannt. Das lässt die Tonalität des Films sachte beben und schafft darin Unebenheiten, über die er stolpert. Richtig ins Straucheln gerät er deswegen nicht. Elegant hält er sich auf den Beinen; spätestens wenn ein sintflutartiger Regen die Existenz von Ki-woons Familie fast gänzlich hinfort spült und die Ausweglosigkeit gepaart mit steigernder, gespürter Ungerechtigkeit in Gewalt gewandelt wird, kriecht Bong Joon-ho mit seiner Geschichte zurück ins emotionale Bewusstsein seiner Zuschauer. Parasite ist hierbei angenehm zurückhaltend im Versuch, diesen mit einer Moral zu indoktrinieren bzw. zu beeinflussen.

Lieber beobachtet Bong Joon-ho bis zum Schluss und lässt uns mit den aus den Verstrickungen der Geschichte entstandenen Konsequenzen allein zurück. Das mag nicht jedem gefallen und scheint für manche im Gefälle beider Filmteile weiterhin zu grob. Im dargestellten System, in dem wir alle leben, gibt es nur eben kein Zuckerschlecken. Der viel zitierte Ponyhof existiert weder in Castrop-Rauxel, München, Palermo oder irgendwo in Südkorea. Der Kapitalismus frisst kontinuierlich weiter die sozial Schwachen auf und lässt Menschen mit gut gepolstertem Konto, sinnbildlich durch den Wohnort der Parks gezeigt, über dem niederen Volk thronen. Scheint der Regisseur in früheren Werken mit Stilistiken, Genres und Formeln der Narration experimentiert zu haben, hat er nun seinen eigenen Weg gefunden und seine Handschrift verfeinert. Parasite ist eine scharfe, ob seiner Laufzeit  von gut zwei Stunden niemals langweilig werdende Beobachtung einer Gesellschaft zweier Klassen, die aufeinander losgelassen, überspitzt ausgedrückt sich gegenseitig niedermetzelt. Die vorherrschende Kontrolle funktioniert noch; Bong Joon-ho gelingt es mit seinem dezent überspannten Bogen dies aufzuzeigen und gleichzeitig eine wunderbar böse, sympathische und bewegende Geschichte zu erzählen.
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Montag, 10. Februar 2020

Der Leuchtturm

Now Fiddler's Green is a place I've heard tell, where the fishermen go when they don't go to hell. In einer Szene spricht Leuchtturmwärter Thomas Wake Fiddler's Green, ein Paradies, die Vorstellung des Lebens nach dem Tod in der maritimen Folklore des 19. Jahrhunderts, gegenüber seinem Gehilfen Ephraim Winslow an, als für beide Männer längst die Hölle losgebrochen ist. Ein Boot brachte die beiden Männer auf die kleine, karge Insel, welche für die nächsten vier Wochen zu deren Lebensort werden soll, um den darauf befindlichen Leuchtturm und die dazu gehörigen, langsam verfallenden Gebäude zu warten und instand zu halten. Arbeit findet sich zuhauf: der ältere Wake übergibt dem frisch angeheuerten Winslow viele der Tätigkeiten, während er einer Motte gleich um das magisch anmutende Licht des Leuchtturms schwirrt und sich ausschließlich um dieses kümmert. Letzterer beruft sich auf die Vorschriften, besteht auf das vorgeschriebene Abwechseln bei der Wache und anderen Beschäftigungen und bricht das Tor zur persönlichen Hölle beider so unterschiedlichen Menschen auf.

Der Wahnsinn ist nur eine schmale Brücke, die unter den Egos der Männer zusammenbricht. Ihre Charaktere prallen aneinander und zerschellen kontinuierlich an den scharfkantigen Felsen ihrer Persönlichkeiten, für die das kleine Eiland sinnbildlich zu stehen scheint. Einsamkeit, Tristesse, das alles durchdringende Dröhnen des Nebelhorns und der Maschinen, billiger Fusel und zwei komplett unterschiedliche Wesen greifen nach den Männern wie unsichtbare Klauen schwarzer Monstren, die in ihrem innersten wohnen. Im Wachzustand ereilen Ephraim Nachtmahre, Einbildung und Realität verschwimmen und die Vergangenheit rollt aus den hintersten Winkeln im Kopf des jungen Mannes zurück in die Gegenwart. Er und Thomas werden zu Duellisten, deren Waffen Worte, hemmungsloser Irrsinn und Destruktion sind. Der Horror in Robert Eggers zweitem Spielfilm Der Leuchtturm ist kein greifbares Abstrakt, dargestellt als Monstrum oder ähnlichem. Mehr ist es blanker Wahnsinn, der von der ersten Minute an eine unheilvolle Stimmung gebiert.

Mit der Essenz Lovecrafts im Geiste kreiert Eggers, der das Script zusammen mit seinem Bruder Max verfasste, einen Film, der schier explodiert und dessen Detonationswellen den Zuschauer mitreißt. In die Tiefe seiner beiden Figuren; Wake, der als alter Seebär die Farce eines Seemanns damaliger Zeit ist, vom Alkohol berauscht viel Seemannsgarn spinnt und seine Machtposition seinem Gehilfen gegenüber lustvoll ausspielt. Wake selbst ist ein anfangs wortkarger Eigenbrötler, distanziert zu seinem Kollegen, der widerwillig dessen Befehlen folge leistet und versucht, mit den offiziellen Vorschriften zu kontern. Das etwas nicht mit ihm stimmen mag, lässt sich schnell erahnen. Bis Eggers Winslow in ein anderes Licht rückt, lässt er seine beiden Schauspieler Willem Dafoe und Robert Pattinson, die beide auf Augenhöhe agieren und großartig ihre jeweiligen Figuren zum Leben erwecken, aufeinanderprallen wie Schiffe an steilen Klippen und Felsen, die ohne Leuchtfeuer eines titelgebenden Leuchtturms auf offener See navigieren müssen. Die Derbheit, mit der das alles geschieht, mag zuerst kurzzeitig irritieren.

Eggers orientierte sich hierbei an den Erzählungen von Herman Melville und Logbüchern echter Leuchtturmwärter; die Subtilität seines Vorgängerfilms The Witch (hier besprochen) sucht man vergeblich. Thematisch sind sich beide Filme nicht unähnlich: Eggers erschafft ein Szenario von Isolation, in dem sich Paranoia auf deren feuchten und ertragreichen Boden einem Schimmelpilz gleich schnell ausbreitet. Die Doppeldeutigkeiten, interpretationsreichen Momente, die man in The Witch findet, lässt Eggers in Der Leuchtturm zugunsten von emotionalen Eskalationen fallen und paart sie mit albtraumhaften Visionen. Der maritime Horror, der sich ebenfalls in Lovecrafts Werk wiederfindet, manifestiert sich in Meerjungfrauen, mit denen ekstatisch körperliche Liebe zelebriert wird oder Tentakeln, bei denen man entfernt an die großen alten Monstrositäten aus dem Cthulhu-Mythos denken könnte. Ohne jemals zu direkten Bezug darauf zu nehmen, tauchen innerhalb der charakterlichen Duelle zwischen den beiden Männern Sequenzen auf, die eine Brücke zu bekannten Symbolen aus dessen Werk schlagen. Mysteriös und alptraumhaft, ohne die beiden Figuren faul in einen fischigen Orkus voller Tentakelmonster zu schicken.

Eggers überlässt es dem Zuschauer und seiner Fantasie, dessen Interpretierung, ob auf der Insel andere, inhumane Mächte wirken oder die karge Beschaffenheit und die beengten Verhältnisse des Aufenthaltsorts die Psyche beider Männer angreift. Inszenierte er The Witch mehr handlungsgetrieben und kontrolliert, filmt sich der Amerikaner in einen Rausch, in den er den Zuschauer mitnimmt. Man könnte Der Leuchtturm mit Leichtigkeit überbordend, überfrachtet nennen; ein interpretationsreicher Film zwischen düsterer Folklore, prometheusscher Sage, psychologisch fein gezeichnetem Horrordrama und Lovecraft'schem Abstieg in stetigem Wahnsinn. Eggers legt in seiner Geschichte Fährten aus, die er den Zuschauer lesen lässt. Das gewählte Bildformat von 1,19:1, das schwarzweiße Bild, die detailversessene Ausstattung des Films lässt ihn wie ein Relikt aus vergangenen Jahrzehnten wirken, in das der Regisseur trostlose Ausweglosigkeit im beengten Handlungsort seiner Erzählung und karge Schönheit - wenn Dafoe und Pattinson in einer Einstellung für einen Moment nebeneinander still stehen wirkt dies wie eine uralte Fotografie aus dem letzten Jahrhundert, dass diese vergangene Zeit mit seiner Stimmung zurückzubringen vermag - mischt.

Als Zuschauer folgt man den beiden Männern in die Umnachtung, schlingert im Wahnwitz der Geschichte und schwankt auf deren lauten wogen. Mag Der Leuchtturm selbst nur ein Sinnbild für die innere Zerrissenheit einer der beiden Figuren stehen, hervorgerufen durch ein dunkles Geheimnis in deren Vergangenheit, so hat Robert Eggers nichts weiter als einen Geniestreich hingelegt. Der dröhnende Klang des Nebelhorns, die lauten Maschinentöne, der disonante Soundtrack; monochrome Bilder, mit Linsen aus den glorreichen Tagen eines Murnaus oder Langs gefilmt, die das Seelenleben der beiden dargestellten Männer nach außen tragen und das wenige Land um den Leuchtturm zu einer maritimen Hölle werden lässt; zwei Herren, die sich gegenseitig alles abverlangen, Machtverhältnisse ausloten, sich anschreien, schlagen, rangeln und um dann - plötzlich - eine ungeahnte Zärtlichkeit für wenige Sekunden zulassen und ihre Hassliebe aufs äußerste treiben. The Lighthouse beeindruckt auf allen Ebenen und hallt im Kopf nach wie das Geschrei der Möwen, die über die felsige Insel kreisen. Am Ende überlässt es Eggers einem, wie man die Geschichte sehen möchte und ob man dabei in das Licht der Erkenntnis blickt und seinen tiefschwarzen Kern wie das eigene Innere ergründet. Bis ich selbst meine eigene Sicht und Interpretation gefestigt habe, bleibt am Ende im sich lichtenden Nebel der Beurteilung ein Wort für den Film zurück: outstanding.
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Donnerstag, 6. Februar 2020

Evil Laugh

Ganz gleich, welches Heimkino-Format man nimmt: der Wust an Veröffentlichungen nahm und nimmt kontinuierlich zu und schleunigst zusammengezimmerte Schnellschüsse, aus einem Trend geboren um ein Stück vom Kuchen abzubekommen, gibt es selbstverständlich schon seit den frühen Tagen des Kinos. Als Filmfreund mit großer Neugier und breit gefächertem Geschmack ist es eine Krux, seine begrenzte Zeit einerseits mit (hoffentlich) qualitativ guten Werken zu verbringen, andererseits könnte selbst das vom ersten Eindruck her überbillige Schmuddelding eine unentdeckte Perle sein. Im abgestandenen Schlick der B- und C-Filme watet man mitunter durch altes, neues, halb vergessenes, um mit verschleiertem Blick in ewig gleiches, abgestandenes Formelwerk zu glotzen. Manchmal wird man schon müde, resigniert, wenn man den nächsten mit gängigen Standards aufgesetzten Film wegschaut und mit verkniffenen Augen feststellt, dass 90 Minuten an Lebenszeit verschwendet wurden.

Dann überkommt einen die Lust, in den Baukasten für Reviews zu greifen wie es der oder die Schöpfer des angeschauten Films gefühlt beim Schreiben des Scripts getan hat. Evil Laugh ist so ein Film, der zuerst vielleicht doch eine kleine, trashige Perle hätte werden können. Hätte, hätte, Fahrradkette: irgendwann resignierte ich gegenüber dem sichtlich kostengünstigen Slasher, der einige blutige und simple Effekte bietet, in Klischees badet und dem Zuschauer versucht weiszumachen, dass das alles Absicht ist, um den parodistischen Part des Films zu betonen. Daraus entsteht im Film die Figur eines Horror-Buffs, nerdig, hasenfüßig und immer zu schlechten Scherzen aufgelegt, von denen einer tatsächlich einen kurzzeitig lustigen Moment kreiert. Jener Horrorfilm-Fan ist mit seinen Freunden für ein Wochenende in einem von ihrem gemeinsamen Kumpel Jeff aufgekauften Haus untergekommen, um dieses zu renovieren. Was keiner der jungen Menschen ahnt: der mit Abwesenheit glänzende Jeff wurde das erste Opfer eines maskierten und damit im doppelten Sinne gesichtslosen weil austauschbaren Schlitzepeters, der unerkannt im Haus umgeht.

Dieses besitzt - selbstverständlich - eine düstere Vergangenheit: zehn Jahre zuvor kamen darin mehrere Kinder auf tragische Weise ums Leben und der Legende nach wurde nie geklärt, ob der dafür verantwortliche Täter in jener Schreckensnacht ebenfalls den Gang über den Jordan angetreten hat. Um die bekannten Standards des Horror- bzw. Slasherfilms und die darin vor sich her dümpelnde Handlung aufzupeppen, reichert Regisseur und Co-Autor Dominick Brascia die laue Soße mit parodistischen Zügen auf. Leider reicht sein Talent nur dazu, dass man als Zuschauer kurzzeitig "Aha, war wohl lustig gemeint!" denkt und weiterhin auf eine wirklich funktionierende Szene wartet. Der Trash-Appeal von Evil Laugh, der in seiner deutschen Fassung durch seine dezent pornoartigen Synchronisation verstärkt wird, verspricht in den ersten Minuten, dass man mit Glück einen unfreiwillig lustigen Vertreter des Subgenres schaut, bevor mit der Tanz-Szene während der Reinigung des Anwesens vermeintlich humoristische Choreographien versuchen, Musikvideos des Jahrzehnts nachzuahmen und eine komplette Tour an Fremdscham heraufbeschwört.

Brascia schien sich nach seiner Darstellung des Joey in Freitag der 13. Teil V - Ein neuer Anfang dazu berufen zu fühlen, das Genre auf die Schippe nehmen zu wollen und scheitert leider damit. Die Erwartungshaltung sinkt minütlich in einem sterilen Werk eines Regisseurs, der die Grundmechanismen des Subgenres grob theoretisch abrufen, nur leider nicht ansprechend genug kombinieren konnte. Der wohl bereits zu seiner Entstehungszeit abgeranzt wirkende Streifen bietet 0,0 % Innovation, dürftige Leistungen vor und hinter der Kamera, eine vorhersehbare Story; wie das Script die gängigen Genreformeln leiert man die zu bemängelnden Eigenschaften des Films herunter. Brascia dümpelte nach Evil Laugh bis zu seinem Tod 2018 leider im Niemandsland umher und versuchte Anfang der 2000er nochmal, nach langer Pause, mit zwei weiteren Filmen in der Industrie Fuß zu fassen. Der Film bleibt damit eine Revue von Dürftigkeiten und eine Fußnote in der Biographie von Hauptdarstellerin Kim McKamy, die Ende der 80er unter dem Pseudonym Ashlyn Gere im Couples Oriented-Segment der US-Pornofilm-Industrie eine steile Karriere hinlegte.
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