Samstag, 11. Juli 2020

Skin

Die Wut des rechten Randes auf Flüchtlinge oder Menschen mit Migrationshintergrund, Angst vor dem Verlust der nationalen Identität des Staates und völkisches Denken, von Populisten wie Orban, Trump oder Parteien wie der AfD weit in die Gesellschaft gestreut, verursacht in mir - vom politischen linken Rand, in dem ich mich und meine politische Meinungen verorte, aus beobachtet - selbst eine unbändige Wut auf solche Menschen und ihr Gedankengut. Eigentlich wird diese auch von fiktiven Stoffen entfacht. Umso erstaunter war ich, als Guy Nattivs Skin keine größeren emotionalen Regungen in mir verursachte. Der Film über Bryon Widner, der seine Gesinnung über viele Jahre für alle gut sichtbar durch dutzende von Tattoos auf seiner Haut trug und dessen Weg aus der US-amerikanischen rechtsradikalen Szene schildert, wird ein Opfer seines Anspruchs, diese Zeit seines Lebens vielschichtig zeigen zu wollen. 

Der aus zerrütteten Verhältnissen stammende Amerikaner lebte viele Jahre in verschiedenen Organisationen der White Supremacy-Bewegung. Das jahrelange Mitglied des Vinland Social Club lernt 2005 auf einem "White Power"-Festival seine spätere Frau Julie kennen, die drei Kinder aus einer früheren Beziehung mit in die Partnerschaft bringt. Beide hinterfragen ihre Gesinnung, als Julie von Bryon ein Kind erwartet. Das Paar sagt sich von der Nazi-Zeit los und möchte aussteigen. Die beiden flüchten aus dem US-Bundesstaat Michigan nach Tennessee, doch Widner wird von seiner Vergangenheit eingeholt und von seinen alten Kameraden aufgespürt; hat sich mental jedoch bereits so gefestigt, dass er mit seiner Neonazi-Zeit abschließen möchte. Nach sich endlos lange hinziehenden Vorgesprächen finanziert ihm schließlich eine Bürgerrechtsbewegung die schmerzvolle Entfernung seiner Tattoos und hilft ihm bei der kompletten Lossagung von seinem alten Leben.

Nachdem 2011 die Dokumentation Erasing Hate sich mit Widners Fall befasste und diesen u. a. bei den insgesamt eineinhalb Jahre andauernden Entfernungen seiner Tattoos begleitete, erblickte 2018 mit Skin ein Spielfilm das Licht der Kinowelt, welcher sich mit Widners Weg aus der Nazi-Subkultur der USA beschäftigt. Neben seinem Wirken im Kommunen-artig aufgebauten Vinland Social Club beleuchtet der Film eingehend Widners Begegnung mit seiner späteren Frau und ihre Anfangs schwierige Beziehung. Der seit Jugendjahren von seinen Nazi-Zieheltern auf Hass gedrillte und emotional ausgehöhlte Mann muss sich fühlbar damit zurechtfinden, dass es außerhalb der ultraweißen Blase, in der er sich befindet, eine differenzierte Welt fernab von eindimensionalem Schwarzweiß-Denken gibt. Der Dramatik filmischer Narration geschuldet, ändert Skin einige der oben beschriebenen Details, ohne dabei die Geschichte des Aussteigers zu radikal umzuformen. Mit kühlem Ton wird diese vom israelischen Autor und Regisseur Guy Nattiv erzählt, der seinen Fokus häufiger auf die inneren Mechanismen des Clubs legt und im Kontrast dazu das Erwecken von Bryons warmherziger, menschlicher Seite im Beisammensein mit Julie gegenüber stellt.

Die beeindruckende und starke Performance von Jamie Bell als Widner kommt nicht gegen den entstehenden Eindruck an, dass Nattiv manchmal das Interesse an seiner Hauptfigur verliert. Die Biographie wandelt sich vom Sozial- zum zurückhaltenden Beziehungsdrama und wieder zurück; Bell steht dabei meist mit seiner großartig erzeugten Präsenz sichtbar im Bild und ist trotzdem häufiger nicht das zentrale Element in Nattivs Erzählung. Mehr entwickelt er sich als antreibendes Zahnrad im Gefüge der Geschichte, um diese letztendlich in die vorgesehenen Richtungen zu treiben. Weiter greift Nattivs Distanz zu den beiden Hauptfiguren auf den Zuschauer über; zusammen mit meiner persönlichen politischen Einstellung konnte ich mich nicht auf diese zugegeben schwache emotionale Ebene, die Skin besitzt, begeben. 

Bedauerlich, da der Film in allen Belangen auf einem hohen Niveau agiert und sein Blick auf einen Teil des rechten Rands der US-Gesellschaft durchaus interessant ist. Leider verspielt er mit seinem unterkühlten Ton, dass der Zuschauer Widners Prozess des Ausstiegs mitfühlt und ihm nahe geht. Seine unangenehme Persönlichkeit jener Tage führt dazu, dass man in der fiktiven Aufarbeitung seiner Geschichte auf persönlicher, emotionaler Ebene zu Vorsicht tendiert und man sich ihm nie wirklich nähern will, bis zum Ende in Texttafeln sein Werdegang nach dem erfolgreichen Ausstieg geschildert wird. Richtig Nahe kommt man ihm nur dann, wenn in kurzen Zwischenspielen die schmerzhafte Entfernung mittels Lasertechnik von Widners Tattoos in Großaufnahmen gezeigt wird. Selbst da tut das allerdings wenig weh, was ein Film wie Skin Aufgrund seiner Thematik bis zu einem gewissen Punkt schon tun sollte.
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