Freitag, 30. Juli 2010

A Serbian Film

 Das Review könnte kleinere Spoiler enthalten!

Auch wenn sich Milos zur Ruhe gesetzt und nun mit Frau und Kind eine kleine, glückliche Familie hat: so richtig kann der ehemalige Pornodarsteller mit seiner Vergangenheit nicht abschließen. Das etwas wehmütige Betrachten der alten Werke in Kombination mit einer ausgiebigen Freundschaft zu einem gewissen Jack Daniels lassen ihn schon lange nicht mehr so frisch aussehen wie zu seinen besten Zeiten. Da trifft es sich gut, als sich bei ihm Laylah, eine ehemalige Filmpartnerin, meldet und ein durchaus attraktives Angebot unterbreitet. Es wäre ein letzter großer Film, eine große Sache, die von dem undurchsichtigen Regisseur Vukmir sehr geheimnisvoll aufgezogen wird. Zwar ist es Milos nicht geheuer, dass er nicht weiß, was überhaupt gedreht wird, dennoch geht er nach Rücksprache mit der Ehegattin auf das lukrative Angebot ein. Doch sein ungutes Gefühl scheint sich zu bewahrheiten: als er beim ersten Drehtag in einem Waisenhaus (!) körperliche Gewalt von Vukmirs Mitarbeitern gegenüber einer Darstellerin betrachtet und auch noch ein sehr junges Mädchen als Zuschauerin in den Dreh miteinbezogen wird, möchte er eigentlich wieder aus der Sache aussteigen. Auch wenn Marko, Milos Bruder der als Polizist arbeitet, nichts außergewöhnliches gegen Vukmir vorzuweisen hat, versucht sich der Darsteller mit allen Mitteln, gegen den immer wahnsinniger erscheinenden Regisseur und dessen Handlanger zu wehren. Doch aus der Spirale aus Irrsinn und Perversion gibt es kein so leichtes entrinnen.

Das wie in den 70ern das Kino bzw. Medium Film mal hier und da einen Skandal heraufbeschwören kann, gehört in der heutigen abgebrühten Zeit zu den eher seltenen Dingen. Im damaligen von Aufbruch beherrschten Jahrzehnt wehte eben auch durch die Filmkunst ein neuer Hauch, der mit dem alten Denken und seinen Werten brach und frischen Wind mit sich brachte. Dabei wirbelte dieser auch gehörig etwas auf, immerhin kann man die 70er als die größte Zeit der Skandalfilme ansehen. Da gab es den Letzten Tango in Paris (1972) von Bernardo Bertolucci, Andrzeij Zulawskis Nachtblende (1975) der Romy Schneider von einer völlig anderen Seite präsentierte, den japanischen Im Reich der Sinne (1976), die italiensichen Werke Das große Fressen (1973) oder auch natürlich der bis heute noch sehr umstrittene Die 120 Tage von Sodom (1975) von Pier Paolo Pasolini. Es gibt so einige Filme, die damals einen Aufschrei bei der Kritik und dem Publikum sorgten, aber auch eben letzteres um so häufiger in die Kinosäle trieb. Selbst eher weniger dem Autorenkino enstammenden Werke wie der heutige Horrorklassiker Der Exorzist (1973) war da für einen Skandal gut. Doch spätestens ab den 90ern und vor allem im jetzigen Jahrzehnt war es immer schwieriger, den Zuschauern und auch der Kritik Stoff für Diskussionen zu bieten. Es gab immer wieder grenzwertige Stoffe wie etwa Baise-Moi (2000), Irreversible (2002) oder Lars von Triers letztem Streich Antichrist (2009). Doch so richtige Skandale wurden fast gar nicht mehr entfacht.

Ausgerechnet aus dem auf der filmischen Landkarte eher noch blass erscheinenden Serbien kommt noch ein Werk in die Welt, über dass sich nun Leute im Internet schon die Finger wund tippen und wenigstens bildlich die Mäuler zerreißen. Ganz simpel lautet der Name des Films A Serbian Film. Unscheinbar im Titel, doch umso gräßlicher im gezeigten. Sehr interessant ist seit dem Einzug des Internets in der Welt des Filmliebhabers dass man so auch über Filme diskutieren kann, die man nicht mal gesehen hat. Es wird in einschlägigen Foren vorverurteilt und gestritten, bis der Arzt bzw. der Moderator kommt und auch mal wegen zu hitziger Wortgefechte die Threads dicht machen muss. Fakt ist, das Srpski film - so der Originaltitel - bisher nicht in den deutschsprachigen Raum verkauft wurde. Grund hierfür sind immens hohe Lizenzkosten sowie auch die durchaus rechtliche Unbequemlichkeit, die der Film so mancher Firma in seiner ungekürzten Fassung bescheren würde. Selbst österreichische Anbieter ungeschnittener Ultramettgutwerke haben bei diesem Film ob seiner Brisanz angeblich dankend abgelehnt. In der Tat ist es auch so, dass selbst für den abgebrühtesten Filmliebhaber dieses Werk eine kleine Prüfung darstellen könnte. Man muss aber hinzurechnen, dass hier gerade auch der Hype durch die vielen Diskussionen im Internet dem Film einen gewissen Ruf beschert hat. So könnte er zum Beispiel nach dem asiatischen Men Behind The Sun (1987) in den guten alten Videozeiten mit Sicherheit für einige Gorehounds der ultimative Test sein, was man an Filmen schon alles aushalten kann. Doch die sind mit Sicherheit schon solch plump-provokativen Sondermüll wie die August Underground-Werke gewöhnt.

Im Gegensatz dazu ist der von Srdjan Spasojevic realisierte Film alles andere als billig umgesetzt. Der Produktionsstandard des Werks ist sehr hoch und gut umgesetzt, so dass sein realistischer, teils sehr düsterer Stil die gezeigten Schockerszenen noch gut unterstreicht. Dabei ist das Wort "Schockerszenen" was A Serbian Film angeht, weitaus untertrieben. Man schafft es hier vielleicht sogar, wirklich die letzten Tabus zu brechen, die man innerhalb einr fiktiven, filmisch erzählten Geschichte, so überhaupt brechen kann. Nach der französischen Splatterdreifaltigkeit Frontier(s) (2007), Inside (2007) und gerade Martyrs (2008) muss man sich in diesem Fall aber auch die Frage stellen, ob Spasojevic einfach nur so "Just For Fun" sondern aus bewußtem Kalkül provozieren möchte oder dies eben seine ganz eigene, äußerst radikale Form von Unterhaltungskino (wobei man sich wirklich fragen muss, inwieweit das ganze noch Unterhaltung ist) in Kombination mit kritischen Elementen ist. Vergleicht man ganz lapidar die drei genannten Werke mit dieser ganz frischen "Skandalnudel", so ist man doch versucht, mit dem doch ebenfalls etwas reißerischen Vergleich anzukommen, dass die trotzdem schon sehr harten französischen Horrorwerke im Vergleich zu A Serbian Film locker als fluffige Nachmittagsunterhaltung für die ganze Familie durchgehen kann. Sie sehen im Gegensatz zu ihm irgendwie echt alt aus, auch wenn er nicht mal den Blutgehalt von Inside erreicht.

Neben den extrem heftigen (selbst dieses Wort scheint hier untertrieben zu sein) Gewalteruptionen ist vor allem eine Trostlosigkeit, die der Film versprüht und die wunderbar in der Figur des Milos eingefangen wird. Seine Vergangenheit verfolgt ihn und so richtig kann er sie auch nicht wirklich ablegen. Selbst wenn er es versucht. Sie ist omnipräsent und gerade mit dem Auftauchen seiner ehemaligen Partnerin Laylah ihn in einen Strudel aus Gewissenbissen stürzt. Der etwas wehmütige Blick auf die Sammlung seiner eigenen Filme auf DVD zeigt davon, dass er trotz neuem und behütetem Leben nicht ganz mit dem alten Sein abgeschlossen hat. Selbst im Ehebett betrachtet er seine Werke und der immer recht präsente Konsum von Whiskey zeigt, dass er damit vor allem bestehende Sorgen so gut es geht ertränken bzw. wegspülen möchte. Es kribbelt ihn, wenn dieses verkommene, unmoralische Mädchen wieder auftaucht und davon erzählt, wie Vukmir ihn so gerne als Darsteller für diese ganz besondere Art von Porno haben möchte. Doch trotz der vielen schäbigen Werke, in denen er zuletzt mitgewirkt hat, ist in Milos auch immer noch genug Moral und Anstand vorhanden, dass er die Visionen seines Regisseurs nicht einfach so teilen kann. Dieser ständig von der Kunst der Pornographie philosophierende Mensch wird übrigens wirklich brillant von Sergej Trifunovic dargestellt. Ihn umhaucht so etwas wie eine ganz besondere, faszinierende Aura, auch wenn man eigentlich in seinem tiefsten Inneren weiß, dass von ihm nichts gutes ausgeht. In den intensivsten Szenen läßt Regisseur Spasojevic Vukmir durch geschickte Kameraeinstellungen schon beinahe diabolisch aussehen. Er erinnert dabei mit seinem glühenden Blick, einem bösartigen Lächeln und gerade auch durch sein Äußeres mit Vollbart, zurückgegeltem Haar und feinem Zwirn so ein klein wenig an De Niros Luis Cyphre in Angel Heart (1987). Mit dem Unterschied, dass es A Serbian Film jegliche übernatürliche bzw. phantastische Note fehlt.

Hier regiert der blanke, schonungslose Realismus. Harte, ungeschönte Bilder treffen den Zuschauer ins Mark und werden von einem industriallastigen, elektronischen Soundtrack untermalt. Diese dadurch entstehende Kälte schafft es aber trotzdem, ein gutes Stück an Atmosphäre zu transportieren. Der Film ist vor allem eines: schonungslos offen. Der Anfang präsentiert eine Szene aus einem der vielen "Wichsvorlagen", in denen Milos agiert hat und auch durch seine Handlung ist Sexualität in all ihren Formen omnipräsent. Man könnte hier nun A Serbian Film als eine unbequeme Melange aus Sex und roher Gewalt abstempeln, einem Streifen, der einfach nur für ein Publikum gemacht wurde, dass auf genau sowas anspringt und dieses abfeiert. Er hinterläßt aber einen gewissen Zwiespalt. Denn wie bei seinem Protagonisten Vukmir so bleiben auch die genauen Absichten von Spasojevic irgendwie im Dunkeln. Man spürt, dass dies irgendwie mehr als nur der neuerliche Versuch eines absoluten, ultimativen Schockers ist. Der Umgang mit Sexualität im Film ist eine rohe, animalische Art die sehr gut aufzeigen kann, wie überreizt der Mensch mit Sex und Co. gerade mit dem Umgang der heutigen Medien damit ist. Als bezeichnend kann man hier eine Szene nennen, die Milos bei Flucht vor den Schergen des Regisseurs in einen kleinen Laden treibt. Durch einen Drogencocktail mitgenommen, taumelt er eher durch den Laden und wenn die Kamera Milos darstellt und der Zuschauer die Umgebung so wie dieser wahrnimmt, gibt es eine schöne Einstellung, die sich immer wieder durch einschlägige Männermagazine windet. Man wird benommen, betäubt und weiß nicht wirklich mehr, wie Sexualität überhaupt mal so richtig funktioniert hat. Die Trennung zwischen Beruf, reinem Trieb und dem Gefühl wird auch sehr stark deutlich, als Milos seiner Frau zeigt, wie er mit seinen damaligen Kolleginnen umgesprungen ist. Die starke Aufeinanderfolge zwischen gewaltsamen Nehmen seiner Ehegattin und dem innigen, zärtlichen Liebesspiel ist eine starke Sequenz. Genauso stark und intensiv wie der Rest des Films.

Allerdings werden da nicht so sehr Grenzen gesprengt, wie im späteren Verlauf. Zwar kratzt A Serbian Film irgendwo auch an der auch nicht mehr so frischen Torture- und Snuff-Thematik, hat allerdings auch noch genügend Eigenständigkeit aufzuweisen. Immer wieder fallen auch die starken Bezüge auf das Enstehungsland auf. So vergleicht gerade Vukmir in seinen wahnhaften Monologen die Siuation zwischen dem heutigen Leben und der Pornographie immer auch mit Serbien. Ist dies also Spasojevics Umgang und Abhandlung der (jüngeren) Geschichte seines Heimatlandes? Ist dies Konstrukt der Familie von Milos sowas wie die Zukunft Serbiens, die im Zusammenhang mit der Geschichte als Aussichtslos gedeutet werden kann? Wenn ja, so zeichnet der Regisseur ein sehr hoffnungsloses Bild. Bis auf Milos' Frau und seinen Sohn Petar sind die Figuren gezeichnet von ihrer Vergangenheit oder ihren Dämonen. Es wird auch (leider) sehr kurz auf eine gewisse Vergangenheit Milos' zu Zeiten des Bürgerkriegs eingegangen, allerdings nicht weiter beleuchtet. Spasojevic kratzt hier und da an der Oberfläche, traut sich allerdings nicht, dies dann zu vertiefen. Unausgegoren möchte man das nennen, immerhin drückt er uns dann in den Gewaltszenen ganz tief mit seinen schmutzigen Fingern in die offene Wunde und schüttet dann hinterher - um die Metapher noch weiter auszureizen - Salz hinein. Der Film ist wirklich unbequem und ganz zart besaiteten ein wirklich sehr flaues Gefühl im Magen bereiten. Wie angesprochen, gibt es hier nicht erwartete Tabubrüche, die bestimmt auch weiterhin zu einigen Kontroversen führen dürfen.

So ist es dann auch, dass das Gesamtwerk nach Genuss dann doch äußerst schwer im Magen liegen bleibt. Man kann ihm aber keine billige Machart vorwerfen. Der Produktionsstandard ist wie erwähnt äußerst hoch, und kann durch eine moderne Montagetechnik und gut eingefangene, sehr dunkle und zuteils äußerst surreal anmutende Bilder bestechen. Auch die mimische Seite ist mehr als nur solide. So ist auch Srdjan Todorovic als Milos mehr als nur überzeugend. In seinen Versuchen, sich wieder an die Geschehnisse rund um den Pornodreh zu erinnern, zeigt er sein Können. Sein sehr abgehalftertes und verzweifeltes Auftreten im Gegensatz zu früheren Tagen - manche Szenen aus seinen Filmen präsentieren ihn als strahlenden und wortwörtlich standhaften "Helden - ist wirklich sehr gut herausgearbeitet. Er präsentiert sich teils wie ohnmächtig und das aufbäumen und wehren gegen Vukmir und Kumpanen sind das Ergebnis der Konzentration seiner letzten Kräfte. Stellt also Milos auch so etwas wie die guten Werte Serbiens dar, auch wenn die Vergangenheit irgendwo "schmutzig" ist und der Antagonist in dieser Geschichte die neuen, bösen Seiten? Doch selbst hier zeigt er keine schöne Zukunft. Fragen kommen auf, bleiben allerdings leider sehr vage und unbeantwortet. Aber dieser Gegensatz zwischen dunklem, hintersinnigem Thriller und ultrabrutalem Schocker ist zu grob, zu groß. Es bleibt einfach ein gewisser Zwiespalt erhalten, der den Film fast ungoutierbar werden läßt. Der Freund grober, filmischer Gewaltphantasien mag in seiner Vorstellung beim Lesen von diversen, ersten Reviews sich freudig die Hände reiben. Dem Cineast dürfte es trotz guter Ansätze doch etwas zu plump und roh erscheinen.

Es ist ein wilder Film, der auf jeden Fall eines ist: unbequem. Aufsehen erregt Spasojevic auf jeden Fall mit seinem Debütwerk. Wenn er auch nur das gewollt hat: Bravissimo, es ist ihm so gut wie schon lange keinem anderen Regisseur gelungen! Er schuf hier ein extremes Werk, der auf dem schmalen Grat zwischen Grenzwertigkeit und hintersinnigem, kritischen Thriller mit extrem viel Potenzial wandert. Eine genaue Bewertung scheint da teilweise gar nicht möglich, so schockierend erscheint er in manchen Szenen die auch hinterher noch etwas nach dem Genuss so eines Werkes mitschwingen. Es ist nicht nur ein weiterer Schocker, doch die letzte Konsequenz, auch außerhalb der brachialen Szenen mit einer genau so schmerzenden Unbequemheit den Zuschauer auch mit kritischen Untertönen zu konfrontieren, scheut man sich leider doch noch etwas. Obwohl A Serbian Film so viel Staub aufwirbelt. Und das auf mehreren Ebenen. Egal ob es nun eine sehr verquerte Aufarbeitung der serbischen Geschichte ist oder die Entfremdung des Menschen was Gewalt und Sexualität angeht aufzeigen will: hier gibt es zu wenig konkret zuzuordnende Szenen. Viel Ansätze, die sich irgendwo im Nichts aus Blut, Gewalt und Schock verlieren. Aber auch so nachhaltig einen gewaltigen Eindruck hinterläßt. So gewaltig, dass man am Ende wirklich eines sagen kann: Der Film ist ein Skandal. Man kann hinterher vor allem so einige Kraftausdrücke in die Richtung des Regisseurs schicken. Vor allem ist er trotz der so abgestumpften Zeitgenossen und Welt - die er so mit all seinen kranken Sequenzen vielleicht auch anprangern möchte - dazu in der Lage, diese mal wieder aufzurütteln.
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Sonntag, 4. Juli 2010

I'll Never Die Alone

Die Freundinnen Carol, Leonor, Yasmine und Moira befinden sich mit dem Auto auf einem Trip zu einem nicht näher genannten Ziel durch das argentinische Hinterland. Die Fahrt verläuft ruhig, bis sie am Wegesrand ein schwer verletztes Mädchen liegen sehen. Noch während man überlegt, wie man nun weiterverfährt fallen Schüsse und in der Ferne bemerkt das Quartett drei Männer, die nicht gerade wohlgesonnen aussehen sowie mit Sicherheit etwas mit dem Schicksal der Verletzten zu tun haben. Man nimmt sich dieser an, schleppt sie zum Auto und flieht vor den Fremden in die nächste Stadt und zum Polizeirevier. Nachdem man dort die üblichen Formalitäten hat über sich ergehen lassen, ist die Weiterreise alles andere als ruhig. Die fremden Männer machen Jagd auf die Frauen, bringen diese in ihre Gewalt und Missbrauchen sie aufs Fürchterlichste. Man gibt sich allerdings all zu selbstsicher. Alsbald folgt bei den misshandelten Freundinnen auf den Schock die pure Wut auf ihre Peiniger und beginnen, sich an diesen zu rächen.

Das Feld des schmierigen B- bzw. Exploitationfilms hat während der Zeit schon einige unbequeme und vor allem kontroverse Strömungen hervorgebracht, die auch heute noch bei Fans des Genrefilms zu angeregten, wenn nicht sogar hitzigen Diskussionen führt. Ganz gleich ob folternde Nazis, Kannibalenhappenings im tiefsten Dschungel oder die ultrabrutalen, asiatischen Sickos: jedes Subgenre hat sowohl Freunde als auch Gegner. Zu den eher kontroversen Subgenres gehört auch das Feld des Rape and Revenge-Films, initiert durch Wes Cravens Last House On The Left (1972) welches vor einiger Zeit sogar mit einem frischen Hollywood-Remake "geehrt" wurde. Durch dessen Erfolg beflügelt, folgten sowohl aus den USA als auch aus dem europäischen Raum einige ähnlich geartete Filme. Diese besitzen ein gleichbleibendes, einfachstes Muster: unschuldige weibliche Wesen gelangen in die Gewalt brutalster Bestien in Männergestalt und werden nachdem sie vergewaltigt, verprügelt oder andersweitig Misshandelt werden zu Racheengeln um sich an den Tätern zu rächen. Sofern sie es denn überleben, im Falle vom angesprochenen Last House On The Left rächen sich die Eltern am Tod ihrer Tochter.

Glanzzeit dieser Strömung waren die 70er und bis in die Anfänge der 80er Jahre wurde immer wieder mal so ein Rape'n'Revenge-Flick unter das geifernde Volk geworfen. Mit dem 1980 entstandenen Muttertag wurde der Höhepunkt erreicht und hinterher wurde es deutlich ruhiger in dem Genre. Doch bis zum heutigen Tag erinnert man sich hier und da immer wieder an solche heftigen Werke wie I Spit On Your Grave (1978) oder dem italienischen Mädchen in den Krallen teuflicher Bestien (1975). Der ziemlich frischste Eintrag dürfte dabei I'll Never Die Alone sein, einem Film mit ziemlichen Exotenstatus, kommt es doch nicht alle Tage vor, dass aus Argentinien eine in der Tradition alter Exploitationklopper stehende Produktion auf den Zuschauer losgelassen wird. Wobei man sich hier weitaus weniger schmuddelig gibt als die großen Vorbilder. Trotz dass es sich hier um eine Independent-Produktion handelt, kann diese überraschend gut mit einer gewissen Eigenständigkeit und sehr sorgfältigen Inszenierung punkten.

Verantwortlich dafür zeigt sich der in Spanien geborene Adrián García Bogliano, der schon seit den ausgehenden 90ern auf den Pfaden des Filmemachens wandelt. Dabei zeigt Bogliano auch bei diesem Film, welch Gespür er doch hat, auch aus eher wenigen Mitteln ein durchaus ansprechendes Werk zu inszenieren. Gerade den für einige Filme weniger dienlichen spröden digitalen Look weiß er wirklich ausgezeichnet für seine Zwecke zu nutzen. I'll Never Die Alone lebt vor allem durch seine helle Farbgebung und einem dadurch blassen Bild, dass trotz wenig aufkommender Atmosphäre alles andere als ein Fehler ist. Hier paßt es wunderbar zur gesamten Art, wie sich der im Original betitelte No Morire Sola präsentiert. Der Film gibt sich so sehr nüchtern, bietet fast schon einen dokumentarischen Stil, der auch durch einige extreme Nahaufnahmen der Kamera untermauert wird. Diese klebt förmlich an den Gesichtern der vier Protagonistinnen. Allerdings darf man hier keinen modernen "Wackelkamera"-Film erwarten. Dafür ist er in seiner Art viel zu ruhig. Auch wenn die Wortwahl für so eine Art von Streifen unpassend erscheint: I'll Never Die Alone bietet eine sehr ruhige, meditative Stimmung.

Sehr unaufgeregt wird die Geschichte voran getrieben und kommt dabei auch recht zügig zur Sache. Schon bald finden die vier Freundinnen das Mädchen und wenn dann die ersten Schüsse fallen, ist man mitten drin im Geschehen. Selbst hier bleibt der Stil sehr ruhig und gelassen. Action ist gegeben, allerdings ohne große Adrenalinschübe. Hier erzeugt Bogliano eine sehr feine Eindringlichkeit. Am intensivsten wird Bogliano, wenn seine vier Heldinnen in die Fänge ihrer Peiniger geraten. Schon durch die minimalistische Inszenierung in Meir Zarchis I Spit On Your Grave wird das Geschehen um den Missbrauch und die Vergewaltigungen zu einem äußerst unangenehmen Ding für den Zuschauer. Auch Bogliano verfolgt diesen Weg. Keine zusätzliche Lichtquelle und kaum Musik werden in diesen Szenen benutzt. Allerdings wird der Ton durch diverse Effekte verzerrt, um einen noch stärkeren Effekt der Gräueltaten zu erzielen. Dadurch, dass auch hier die Kamera auf den Gesichtern der Frauen klebt und man so deren Leid und Verzweiflung sehr deutlich mitverfolgen kann, wird I'll Never Die Alone zu einem alles andere als leicht verdaulichem Werk. Die Gewalt wird schonungslos gezeigt und trotz dass es sich auch hier um einen Exploitationstreifen handelt, kann man eigentlich nicht davon reden, dass diese selbstzweckhaft eingesetzt wird. Es wird nicht immer schonungslos auf das Geschehen draufgehalten. Umstände des wohl eher bescheidenen Budgets. Die Mischung aus Gewaltausbrüchen vor der Kamera und dem einsetzenden Kopfkino funktioniert wirklich gut.

Problem: die Beweggründe der Männer bleiben im Dunkeln. Es gibt keine großen Anhaltspunkte, weswegen sie überhaupt ihre Zeit damit verbringen, wehrlose Frauen zu missbrauchen, zu vergewaltigen und zu töten. Hier bleibt das Buch etwas dünn und versteift sich auf die Schilderung der Wandlung der Opfer zu Tätern und dem Rachethema. So kann man sich durch die doch recht zügige Vorantreibung der Geschichte auch nicht wirklich eine Identifikationsfigur innerhalb des Quartetts ausmachen. Es bleiben Opfer, deren Leid man zwar nicht gänzlich an sich vorüber ziehen lassen kann, dafür hat Bogliano die Szenen des Missbrauchs wirklich intensiv umgesetzt, doch man wird nicht so wirklich gepackt. Dies zeigt sich vor allem daran, wenn die Geschichte umschwenkt und die Täter zu den Opfern werden. Die Rache und die Wut der gequälten Frauen explodiert nicht mit so einer Intensität wie in den alten Vorbildern. Auch wenn man hier äußert unschönes bewundern darf, so bleibt man irritiert unberührt von den Bildern. Trotzdem vermag der Film weiterhin den Zuschauer bei der Stange zu halten. Denn so einen äußerst ruhigen Rachethriller hat man schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Es ist ein stimmiger Film, dem mit dem "Exotenstatus" Argentinien als Herkunftsland einmal ausgeblendet, immer noch genügend Eigenständigkeit und vor allem Können der Macher bleibt. Auch das mimische Verhalten weiß zu überzeugen, gerade bei den Protagonistinnen. Die im Film vorkommenden Männer bleiben - noch mehr als die Frauen - blass und haben keinerlei charakterliche Zeichnung geschenkt bekommen. Sie wirken wie unmenschliche Bestien. I'll Never Die Alone konzentriert sich auf den leichten Thrill, der trotz der gewissen Distanziertheit zum Geschehen doch aufkommen kann. Es scheint aber auch ein Kniff zu sein, um so die Frauen gerade bei ihrer Rachetour als stärker gegenüber den Phallusträgern darzustellen. So benutzen diese auch gerne mal ihre Knarren während des Missbrauchs als verlängertes Geschlechtsorgan. Gewalt scheint hier ausschließlich männlichen Geschlechts zu sein. Emanzipiert gibt man sich verhalten, doch wenn gegen Ende die blanke Wut einer der gequälten Frauen über die Todesangst siegt und sie ihrem Peiniger mit wahnsinnigem Blick Paroli bietet, so ist dies bezeichnend. Man könnte sich fürwahr an der dünnen Story stören, doch ist man dies schon von anderen Rape and Revenge-Werken aus der Vergangenheit gewöhnt. Dafür bietet der Film viele andere Qualitäten. Seine langen Einstellungen, die intensiven Aufnahmen der Gesichter und seine Schonungslosigkeit zeugt von Talent und Gespür. Selbst, wenn der Stoff unverkennbar aus der Exploitationecke kommt. Er mag für den Freund gepflegter Hirn aus-Kost zu langatmig erscheinen. Doch wer sich darauf einläßt, bekommt einen guten Rachethriller dem es an der Distanziertheit zu den Figuren krankt. Wäre der Film etwas mitreißender gestaltet, so wäre der gute Gesamteindruck noch steigerbarer.
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