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Samstag, 18. September 2021

Highway Racer

Maurizio Merli in diesem Film ohne seinen ikonischen Schnauzbart zu sehen ist so ungewöhnlich wie es Highway Racer selbst ist. Stelvio Massi mag das Genre nicht neu erfinden, doch sollte der zum Ende der 70er Jahre entstandene Poliziotto Sprint, so der Originaltitel, eine Auffrischung für das Image seines Hauptdarstellers und den italienischen Actionkrimi darstellen. Richtig frisch ist an Merlis Figur nur die glattrasierte Visage; gleich bleibt, dass er einen aufbrausenden und temperamentvollen Bullen verkörpert, der anders als in den Filmen, die er mit Umberto Lenzi drehte, einen Klumpfuß auf dem Gaspedal seines Polizeiwagens geparkt hat und nicht nach dem Credo "erst schießen, dann fragen" handelt. Als einfacher Polizeibeamter auf den Straßen scheint er mehr dem persönlichen Geschwindigkeitsrausch als bösen Buben hinterherzujagen. 

Zumindest einer ist in Person von Jean-Paul Dossena auch in Highway Racer präsent. Der "Nizzaer" gilt als Teufelskerl hinter dem Lenkrad und nutzt mit seinen Kumpanen dieses Talent, um die Polizei bei ihren Banküberfällen reihenweise mit Tricks und verwegenen Fahrmanövern zu foppen. Auf den Fersen ist ihm Kommissar Tagliaferri, der mit seiner Einheit für Recht und Ordnung auf den Straßen sorgen möchte. Leider schießt ihm der großmäulige und von sich selbst übermäßig überzeugte Marco Palma mit seinen Alleingängen ständig über das Ziel hinaus. Dies zieht einige Konflikte mit sich, die in einer Suspendierung Palmas gipfeln, als der ständig von einem schnelleren Auto träumende Polizist bei einer nicht abgesegneten Verfolgungsjagd einen weiteren Unfall inklusive Todesopfer zu verantworten hat. Ganz ohne Palma scheint es leider nicht zu gehen, da ihn sein Chef für eine verdeckte Ermittlung im direkten Umfeld des Nizzaers zurückholt.

Bereits bei der kanadischen Speed Metal-Band Annihilator wurde "Acceleration, I've gotta gotta go faster / Give me more speed" gesungen und diese Textzeile lässt sich passend auf das Hauptaugenmerk im Script und für Hauptfigur Marco Palma übertragen. Mit böser Zunge ließe sich sagen, dass Highway Racer eine auf gut hundert Minuten langgezogene Verfolgungsjagd mit Unterbrechungen ist. Massi gelingt es Anfangs, vergnügliche Szenen zu kreieren. Im Vergleich zu anderen Werken aus dem Genre streift der Regisseur mit weniger grimmen Zwischentönen durch die italienische Hauptstadt und manche Szenen zwischen Palma und seinem wegen dessen "schnittigen" Fahrstils ständig ängstlichen Partners schenkt dem Film einfachen, aber gut funktionierenden Humor. Highway Racer hätte ein lockerer und wortwörtlich temporeicher Poliziottesci, weit weg von den ständig schalen Brandt-Zoten durchzogenen Toni Maroni-Filmen, werden können.

Die Anbiederung an ein jüngeres Publikum lässt den Biss anderer Polizeifilme vermissen und die Zuwendung zur Beziehung zwischen Palma und seinem Vorgesetzten Tagliaferri bietet wenig Tiefe, als dass diese wirklich förderlich für die Geschichte ist. Stop and go im Plot und der Motor des Highway Racers gerät ins Stottern. Der zur väterlichen Figur wachsende Tagliaferri nimmt den selbstgefälligen Palma unter seine Fittiche um ihn zu dem zu Formen, was er in diesem zu sehen glaubt. Die stereotype Auslegung beider Charaktere bringt dem Film kein Weiterkommen sondern nur Längen. Das alte Film-Ich Merlis wird quasi auf Spur gebracht, gerade gerückt; Tagliaferri ist die moralische Instanz, um der angesprochenen Zielgruppe aufzuzeigen, dass der von Palma beschrittene Weg der falsche ist. Ebenso flott, wie sich Highway Racer im Gesamten präsentieren möchte, wird daraufhin die Story um Palmas Undercover-Einsatz abgefrühstückt.

Der wird aufs Wesentliche begrenzt und die in Erscheinung tretenden Tropes hastig über die Bühne gebracht. Das Erzähltempo wirkt gefühlt verschleppt und leider bleibt der fade Beigeschmack, dass man den restlichen Film bis hin zum Finale halbherzig zu Ende geführt hat. Die sehenswerten Stunts von Remy Julienne, der später u. a. bei sechs James Bond-Produktionen die Stunt-Koordination übernehmen sollte, und die schnittigen Verfolgungsjagden allein ergeben leider keinen vollends überzeugenden Film, außer man ist Freund von PS-geschwängerten Verschrottungs-Epen. Massi begab sich in den 80ern mit Filmen wie Speed Cross - Zwei geben Vollgas oder Der Todesfahrer noch eingehender auf das Terrain des auf rasende, motorisierte Untersätze konzentrierten Actionfilms und Highway Racer kann man als gewissen Anstoß hierzu ansehen. Ob Massi diese runder und griffiger inszeniert hat, entzieht sich meiner Kenntnis; sein erster von insgesamt sechs mit Merli in der Hauptrolle gedrehten Filmen stellt sich leider als mäßig unterhaltsame Standardware heraus.

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Donnerstag, 29. Juli 2021

Der Einzelkämpfer

Untrügbarer Instinkt, geschärfte Sinne, den Kollegen und dem Verbrechen immer mindestens einen oder zwei Schritte voraus: Interpol-Ermittler Ravelli, Hauptfigur von Stelvio Massis zweiter Regiearbeit Der Einzelkämpfer, erweist sich wahrlich als gesetzeshütender Supermann. Das im italienischen Polizeifilm zumeist vorherrschende Rollenbild des mit harter Hand durchgreifenden Polizisten, welcher das Gesetz für seine Belange aus- und überdehnt, wird vom Film mit diesen Superlativen augenscheinlich bedient wie gleichermaßen überspannt. Die Präsenz  und das Charisma von dessen Darsteller Tomas Milian tun dazu ihr übriges, dass zuerst die Annahme besteht, dass der Film sich hierbei in das Gros seiner Mitstreiter einreiht. 

Bei dieser charakterlichen Überpräsenz bricht der Film beim Rollenbild bereits mit Ravellis Auftreten. Das es sich bei ihm um einen stählernen Übercop der Marke Merli & Co. handelt, möchte man dem Herren schwerlich abkaufen. Ein dürrer Typ mit schlabbrigen Klamotten irgendwo zwischen Clochard und Sponti, mit dünner Oberlippenbehaarung, einer Schiebermütze auf dem Kopf und einem in den Mundwinkel geklemmten Zigarettenstummel, auf dem den ganzen Film über herumgekaut wird. Umberto Lenzi und seine Kollegen schufen ein völlig anderes Bild von den Bullen, welche die italienischen Straßen vom Gesindel befreien. Geschickt ist die Einführung des Protagonisten so aufgebaut, dass man diese ersten Minuten eher vermutet, dass es sich bei ihm um einen kleinen oder mittelgroßen Fisch im Gangsterteich handelt. Zumal Ravelli nicht wie seine filmischen Kameraden mit Karacho durch die Stadt wetzt und eine gemäßigte Lautstärke besitzt. Es ist ein in sich gekehrter Mann, dessen Optik nicht von ungefähr an einen vigilanten Charles Bronson erinnert.

Massi und seinem Autorengespann geht es nicht darum, für das sich nach allumfassende Gerechtigkeit sehnende, von hoher Kriminalitätsrate, Terror und Korruption geplagte italienische Publikum der 70er Jahre den nächsten Cleaner auf die Leinwand zu bringen. Was mit einem einfallsreich getarnten Überfall auf einen Geldtransport beginnt, steigert sich zu einer persönlich gefärbten Jagd auf die flüchtigen Täter. Die am Tatort aufgefundenen Patronenhülsen scheinen aus der gleichen Waffe abgefeuert zu sein, welche bei einem Bankraub einige Jahre zuvor in Marseille benutzt wurde und durch die Ravellis Frau den Tod fand. Der Interpol-Beamte nimmt den Fall an sich um den nur als Marsigliese bekannten Kriminellen und seine Komplizen aufzuspüren. Während der stoische Ermittler sich der Bande an die Fersen heftet, entbrennt unter diesen Paranoia und Selbstzerfleischung setzt ein. 
Mit stetem Wechsel zwischen der Gruppe um den Marsigliese und ihrem Verfolger beleuchtet der Film beide Seiten der Geschichte. Zumindest dort gewinnen die Kriminellen die Oberhand: Ravelli verschwindet eine Zeit lang komplett und bleibt nur im Gedächtnis der Gangster anwesend. 

Man könnte dies dem Film als unausgeglichene Narrative auslegen, tut dem stark auf die beiden Kontrahenten Ravelli und Marsigliese konzentrieren Werk damit etwas unrecht. Der Einzelkämpfer ist weit entfernt von den episodischen Action-Eskapaden anderer Poliziotteschi. Ganz geht ihm die Action nicht ab; wenn diese auf der Leinwand erscheint, überzeugt sie durch ihren tollen Schnitt und dem flotten Tempo. Mehr fokussiert Massi das Geschehen in und um Ravelli, welcher gleichzeitig anwesend wie abwesend ist. Schrödingers Cop. Wenn er nicht mitsamt des auf sie angesetzten Polizeiapparats in den Köpfen der Gangster geistert, ist Milians Figur in ihren Szenen immer ein Stück von der Gegenwart entfernt. Die aufblitzenden Rückblenden, die den tragischen Tod seiner Frau zeigen, bilden schwammig das ab, was in ihm vorgeht. In sich wohnend, im Feuer seines Hasses auf die Mörder brodelnd, ist er ein von diesem angetriebener Mensch, der dem einsamen Pistolero im Italo-Western gleichtuend, ein zentrales Motiv in seinem Leben hat und dieses bis zum Ende verfolgt.

Was sein wird, wenn Ravelli seine Katharsis erreicht, lässt Massi offen. Mit dem Ende des Films scheint es so, als seien beider Leben, wenn auch grundunterschiedlich, beendet. Die gnadenlose Jagd, so auch der Alternativ-Titel des Films, ist ein schmucklos gekleideter Poliziottesco, der die Schlechtigkeit seiner dargestellten Welt dem Zuschauer mit großer Wucht um die Ohren schallert. Die Niederträchtigkeit der Bande um den von Gastone Moschin dargestellten Marseiller überstrahlt die eigentlich positiv ausgelegte Figur Ravellis, dessen innere Schwärze und Rachegedanken seinen Motor am Laufen halten. Eitel Sonnenschein und schöne Welt bietet Massis Film nicht. Ohne Schnörkel verkauft er seinem Publikum einen Polizei-Thriller, der ein astreiner Revenge-Movie ist, dessen von Stelvio Cipriani komponierter Score so unaufgeregt wie Milians Figur ist und versucht, dem Gesamtwerk zumindest eine schöne Note hinzuzufügen. Leider schaffte es Stelvio Massi im weiteren Verlauf eher solide wie durchschnittliche Filme abzuliefern, aus deren Masse sein Einzelkämpfer nicht sonderlich strahlend, aber mit grimmen Lodern heraussticht.




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Donnerstag, 15. Juli 2021

A Man Called Magnum

Als sich die 70er Jahre ihrem Ende zuneigten, taten es ihnen im italienischen Kino der Giallo und der Poliziottesco gleich. Wenige Jahre zuvor spülten beide Strömungen noch einige Großtaten größeren und kleineren Kalibers in die Kinos. Doch mit den Jahren bröckelte beim Giallo die hübsche Fassade in großen Stücken ab und durch sichtbar noch geringeres Budget wirkte manch gelber Schlitzerfilm übersichtlicher, dreckiger und trostloser. Beim Poliziottesco wog das ganze durch seine gestalterisch geerdetere Bildsprache nicht so schwer. Richtig sollte sich bis zu Lucio Fulcis Syndikat des Grauens, dessen ultimativem Stoß gegen den offenen Sargdeckel des Genres, nicht mehr tun. Die Luft war ziemlich raus und eher wurden sattsam bekannte Geschichten geringfügig variiert und wiedergekäut. 

Michele Massimo Tarantinis 1977 entstandener A Man Called Magnum reiht sich gut in diese Art spät entstandener Poliziottesci ein. Es stimmt traurig, diesen Satz über den Film zu schreiben, der zu wenig aus seinen Genrevariationen macht und mit jeder weiteren Minute die er verstreicht, beliebiger erscheint. Mit Luc Merenda als  Kommissar Dario Mauri bietet er obendrein einen charismatischen Hauptdarsteller, der zwar mit auf Anschlag gedrehter Maskulinität das verkörpert, was man im Jahrzehnt als cool empfand, aber zeitgleich aalglattes Abziehbild anderer Figuren des Genres bleibt. Als frisch in Neapel angekommener Cop aus Mailand, wird ihm mit dem von Enzo Cannavale dargestellten Nicola Capece das komplette Gegenteil seiner selbst als Partner zur Seite gestellt. 

Der bei beiden hochkochende Konflikt zwischen Norden und Süden Italiens, ein in manchen Werken des Genres wichtiger Punkt der Handlung, wird von Michele Massimo Tarantini lieber dazu genutzt, dass launige Sprüche über die Lippen beider Mimen gehen. So schnell sich hier die Gräben zwischen Norden und Süden auftun, schließen sie sich wieder und A Man Called Magnum wird zum Italian Buddy-Movie, bei dem Mauri und Capece bald eine innige Freundschaft pflegen und dabei versuchen, Drogenboss Domenico Laurenzi dingfest zu machen. Im Versuch, eine ihm entwendete Ladung Rauschgift wieder ausfindig zu machen, bemerkt dieser nicht, dass seine kleine Tochter die Unterredungen mit seinen Handlangern über das Rohr des in ihrem Zimmer befindlichen Heizofens belauscht und der Polizei mit von ihr gemalten Bildern Hinweise schickt.

Ist einmal die Spur Laurenzis aufgenommen, lassen Tarantini und sein Co-Autor Dardano Sacchetti diese Idee ebenso fallen. Lieber ergeben sich die beiden in ihrem Script der Kausalität der genutzten Genre- und Story-Elementen. What you expect is what you get. Das A Man Called Magnum nicht zu aufgewärmter, fader Soße wird, verdankt der Film ironischerweise seinem auf Autorenseite auf Nummer zu sicher gehenden Regisseur. Die aufgezeigten Gegensätze zwischen Mauri und Capece bringen gewissen Spaß; der häufig im Komödienfach arbeitende Tarantini beweist damit sein Händchen für humorige Momente und legt ein hohes Tempo an den Tag, bietet einige nette Verfolgungsjagden und andere Actionsequenzen. A Man Called Magnum legt eine auf den Gesamteindruck positiv auswirkende Kurzweiligkeit an den Tag. Auf der anderen Seite, wenn der Unterhaltungswert des Films abklingt, bleibt die Erkenntnis, dass er ein Film unter vielen bleibt und dieser sich wie seine Schöpfer dem langsamen dahinsiechen seines Genres längst ergeben hat.

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Freitag, 21. Mai 2021

Tödlicher Hass

Das Leben ist ein langer Prozess. Unausweichlich steuert der Mensch Zeit seiner Geburt dem Übergang ins Kosmische entgegen. Die eigene Lebensspanne, die Zeit selbst, ist eine Variable, die mehr oder minder sinnvoll bis zum Ende der eigenen Tage begangen wird. Das Individuum Mensch steuert einer Erfüllung der eigenen Existenz entgegen; gleich ob es sich um den täglichen Broterwerb oder der Freizeit handelt. Die eigene Position mit der Deckung von Grundbedürfnissen festigend, steuert ein nicht geringer Teil der Menschen einem Traum oder festgesteckten Ziel entgegen, um diese zu verbessern. Der Stagnation entgegenwirkend, sind es schon kleine Veränderungen wie zum Beispiel ein Jobwechsel, der den eigenen Lebensstandard aufwertet. Mit diesem Ziel vor Augen eröffnet Tony Arzenta seinem Boss und gleichzeitigem Freund Nick Gusto, dass er seine bisherige Tätigkeit als Auftragsmörder der Mafia zugunsten seiner Frau und des innig geliebten Sohns an den Nagel hängen will. 

Arzenta bekommt von Gusto zu hören, dass der Ausstieg aufgrund seiner umfassenden Kenntnis der Namen und Wirkungsbereiche der Organisations-Oberhäupter nicht leicht bzw. gänzlich unmöglich sein wird. Der Anspruch auf Selbstbestimmung des eigenen Seins erlischt, sobald man sein Leben der Familie verschrieben hat. Tonys Bitte wird bei einem Treffen der Führungsetage der Mafia abgeschmettert und Gusto dazu aufgefordert, die geltenden Regeln einzuhalten und das aufkommende Problem zu beseitigen. Dies verläuft leider anders als geplant, denn die Arzenta geltende Bombe, die man an seinem Auto anbringt, tötet seine Familie vor dessen Augen, weil bei der morgentlichen Fahrt zur Schule der Wagen seiner Frau nicht anspringt und sie auf das Auto ihres Manns ausweicht. Dem letzten Lebensinhalt beraubt, sinnt Tony nach Rache und beginnt eine Jagd auf die Leute, welche für den Tod seiner kleinen Familie verantwortlich sind.

Die innere Leere seiner in den Entstehungsländern titelgebenden Hauptfigur dominiert die Stimmung von Tödlicher Hass bis zu dessen unausweichlichem Ende. Tot ist Arzenta bereits lange vor dem missglückten Anschlag auf sein Leben. Seine Arbeit führt er aus, wie es diese gebietet: eiskalt und präzise. Über die Jahre davon aufgefressen, fast ausgehöhlt, spult er die Aufträge seiner Bosse ohne große Emotionen ab. Alain Delons unterkühltes Spiel, sein starrer Blick auf den von der Explosion zerstörten Wagen, mag zu distanziert vom emotionalen Punkt dieser Szene sein, aber fördert das Dilemma seiner Figur zu Tage: der bisher gewählte Lebensweg hat den Menschen Tony Arzenta verkümmern lassen. Er war schlicht ein Werkzeug, eine Sache, die durch ihr dysfunktionales Verhalten -  dem Begehren und Wunsch nach einem normalen Leben - unbrauchbar wird und beseitigt werden muss. Unser aller Lebensweg wird durch unsere Entscheidungen gelenkt; dass sich Tony in die Arme der Mafia begeben hat, führte ihn auf eine Einbahnstraße, durch die er sich nun mit blankem Hass und Gewalt lenkt.

Was Arzenta wahrscheinlich insgeheim klar ist, trotz der kleinen Aussicht auf ein versöhnliches Ende, wird dem Zuschauer offensichtlicher und mit gleicher kühler Art, wie sich der Mafia-Assassine gebiert, vor Augen geführt. Erwartungsgemäß nimmt die Geschichte kein gutes Ende. Die an deren Schluss installierte Wendung lässt sich leider sehr einfach erahnen, weil angedeutete Vorzeichen mitunter nicht konsequent genug auf eine andere Fährte gelenkt werden. Tödlicher Hass diesbezüglich als zwar gut besetzten, einfach gestrickten Rachethriller abzutun, wäre zu einfach. Er mag manche Stellen besitzen, die durch seine simple Konzeption repetitiv ausfallen; den Mangel an narrativer Finesse gleicht er mit seiner Gesamtwirkung aus. Schmucklos trist eingefangen aber gleichermaßen vorzüglich fotografiert macht Duccio Tessari Tödlicher Hass mittels seiner Regie zu eben jenem langen Prozess, der das Leben nun mal ist. 

Auf knapp zwei Stunden komprimiert wird das Leben einer Figur geschildert, wie man es sich selbst nicht wünscht. Seiner Grundlage beraubt, verdammt zum existieren und funktionieren. Wie in seinen Gialli verzichtet Tessari auf unnötigen Bombast. Seine Regie war meist immer sehr geerdet, auf die Funktionalität des Stoffs im Gesamtwirken fixiert, aber mit gutem Blick für die Stimmungen, die das Script bietet. In der Tradition anderer italienischer bzw. europäischer Gangsterfilme ist sein Blick auf das Wirken von Menschen im Milieu ein düsterer. Weit entfernt von glorifizerenden bzw. romantischen Blickwinkeln im amerikanischen Kino. Mehr ist Tödlicher Hass ein Requiem für einen augenscheinlich noch lebenden, aber innerlich längst gestobenen Menschen, der bis zum Ende seiner Existenz Genugtuung für die ihm zugefügten Leiden haben möchte. Weit über das hinaus gehend, was ausschlaggebend für sein Handeln ist. Tessari lässt den Zuschauer wie seinen Protagonisten langsam leiden in einem Kino bar jeder großer Emotion, aber reich an Atmosphäre. 

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Mittwoch, 14. April 2021

Die wilde Meute

The world is yours. Was sich Toni Montana in Brian de Palmas Scarface auf einer güldenen Statue prangend in sein Büro stellte, scheint dem Kleinkriminellen Pierro, von seinen Kumpanen meist Pete genannt, vor dessem geistigen Auge zu schweben, wenn er in seine Zukunft blickt. Er fühlt sich zu größerem berufen, als nur von den kleinen krummen Dingern zu leben, die er dreht. Hier ein Bruch, dort ein Überfall; es bringt dem jungen Vater nicht viel an Moneten ein. Ein Umstand, den seine Freundin - eine Prostituierte - ihm ständig an den Kopf wirft. Scheren tut ihn dies nicht viel; lieber lebt er weiter ein Leben zwischen lockerer Ziellosigkeit und gewaltsamen Ausbrüchen, die er mit seiner Bande auslebt. Als sein Hehlerboss ihm einen größeren Auftrag zuträgt, tappt er ahnungslos in eine Falle des Kommissaren Cotrone, der schon seit geraumer Zeit den Jungkriminellen auf den Fersen ist. 

Was Pierro und Cotrone vereint, ist ihre gemeinsame Verachtung gegen das bestehende System. Während der Gossenjunge seiner Ansicht nach den Kampf auf den rauen Straßen Roms Tag für Tag aufs neue führt, resigniert Cotrone gegenüber einer Gesetzgebung, die ihn bei der Ausübung seines Berufs einengt und Steine in den Weg legt. Ein aufrichtiger Hüter des Gesetzes, der mit Leidenschaft gegen vorherrschende kleine wie große Ungerechtigkeiten vorgeht, ist der in die Jahre gekommene Kommissar schon lange nicht mehr. Gleichgültig nimmt er in Kauf, dass durch seine Methoden auf Seiten der Kriminellen weitere Tote entstehen könnten. Zynisch kommentiert er dies mit der Betrachtung, dass damit gleich etwas mehr vom Schmutz runter von den Straßen wäre. Pierro und Cotrone eint eine Indolenz, in der sie mit dem Kopf nicht durch eine, sondern gleich mehrere Wände gehen. Schmerzlos betrachten Sie den Niedergang ihrer eigenen Welt ohne ein Interesse, etwas daran ändern zu wollen. 

Was Die wilde Meute vom Poliziottescho der damaligen Zeiten unterscheidet, ist der Versuch, gleichermaßen zwischen sleazigem Krimi und ambitioniertem Sozialdrama zu wandern. Reibungslos gelingt dies dem Drehbuch nicht. Höhepunktlos zeigt es harmlose Szenen, die einerseits untermauern, dass Pierro und Co. nicht komplett der Jugend entwachsen sind, wenn man z. B. unbekümmert Spaß bei einem Nachmittag am Strand hat. Andererseits werden diese von bedrückenden und schonungslosen Momenten konterkariert, wenn Pierros Kumpanei ein Pärchen überfällt, die Frau dabei aus dem Auto zerren und vergewaltigen oder wenn die Gefühlskälte des Bandenführers dafür sorgt, dass sich seine junge Affäre in den Tod stürzt. Leider orientiert sich das Script mehr an genreüblichen Strukturen: das, was der Film erzählt, ist (nicht nur) für Freunde italienischer Gangsterfilme leicht vorauszusehen. Große Überraschungen sollte man vom Film nicht erwarten. 

Bei allen Klischees bzw. narrativen Genre-Mustern, die der Film bedient, überzeugt Marcello Andreis Gespür für die schweren Seiten dieser Geschichte. Er drängt den Zuschauer in die Rolle des stummen Betrachters und lässt wie beide männlichen Hauptfiguren die Emotionalität meist außen vor. Weder für Pierro noch für Cotrone können größere Sympathien aufgebaut werden. Die wilde Meute macht sich deren Gleichgültigkeit zum Instrument; sie definiert die Stimmung des Films Anhand der Handlungen der Protagonisten. Martin Balsams Kommissar mit schwarzem Blick in Richtung Zukunft und Joe Dallesandro der mit seinem makellosen Äußeren zunächst zu glatt als skrupelloser Egomane erscheint. Die Wahl den Amerikaner als Pierro zu besetzen, ist ein weiter Pluspunkt für den Film. In seiner totalen Ichbezogenheit konzentriert, prallt bis zum bitteren Ende alles schlechte, was um ihn herum passiert, an seiner hübschen Oberfläche ab.

Andrei hätte gut getan, diese Stimmung beizubehalten, die den Zuschauer in eine Ohnmacht gegenüber der allerorts zu verzeichnenden Apathie schickt, die später in Wut oder Fassungslosigkeit zu kippen vermag. Ohne seine exploitative Charakteristik wäre Die wilde Meute in gewisser Weise seichter Neorealismus Light geworden. So hat der Film manchmal mit seiner unspektakulären Erzählweise und den Brüchen in seiner Atmosphäre zu kämpfen, was die deutsche Synchronfassung mit ihrer Nähe an Schnodderwerken eines Karlheinz Brunnemann oder Rainer Brandt verstärkt. Genau solche Ungereimtheiten in der Gesamtwirkung sind es, die italienische Genrefilme so interessant wie liebenswert machen. Richtig schlecht oder vergessenswert ist das, was Die wilde Meute bietet keineswegs, sondern ein dezent schwächelnder aber trotzdem guter Poliziotteschi, dem manchmal mehr Ernsthaftigkeit gut getan hätte, da diese ihm wirklich gut zu Gesicht steht. 

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Dienstag, 15. Mai 2018

Auge um Auge

Fernando di Leo weiß oder war sich zumindest sicher: die Kluft zwischen Arm und Reich ist überwindbar. Überbrückbar. Was Erwachsene nicht schaffen, vermögen Kinder mit Leichtigkeit fertig zu bringen: Fabrizio ist der Sohn des verwitweten Motoradschraubers Mario, Antonio ist der Sprössling des schwerreichen Bauunternehmers Filippini. Die Credits von Auge um Auge machen unmöglich geglaubtes möglich: Mario braust mit dem Sohnemann hinter sich auf dem Motorrad zur Schule, Antonio mit der noblen Karosse des Vaters mitsamt Chauffeur. Wenn dieses ungleiche Bild mit Vertretern des Proletariats und reicher Oberschicht entsteht, der Motorradfahrer neben dem teuren Auto an der Ampel steht und diesen krassen Kontrast bilden, lässt der Film diesen in sich zusammenfallen, als sich die beiden Schüler vom Gefährt aus grüßen. Kaum an der Lehranstalt angekommen, vereint in Freundschaft, braust ein Wagen vor, maskierte Menschen springen heraus und versuchen, Antonio zu entführen. Fabrizio versucht mit aller Kraft, seinem Freund zu helfen, die Entführung zu verhindern und muss wegen der geleisteten Gegenwehr am Ende mit in den Wagen.

Daraufhin kredenzt uns di Leo einen manchmal zähen, einfach aufgebauten Entführungskrimi. Das Kidnapping schlägt Wellen, die Zeitungen berichten in Sonderausgaben darüber, die Polizei ist in heller Aufruhr, sucht Antonios Vater bei der Arbeit auf um ihm die fürchterliche Nachricht zu überbringen. Mario erfährt zufällig durch die Zeitungen davon und schlägt sich auf eigene Faust zum Haus des Bauunternehmers vor. Dort findet er einen fast ratlosen Kommissaren, die hysterische Mutter und den eisernen Vater kennen. Letzterer weigert sich, das geforderte Lösegeld zu zahlen, da er es für zu hoch hält. Die Verhandlungen ziehen sich in die Länge, die Kidnapper üben mehr Druck aus und drohen damit, eines der Kinder zu ermorden, wenn Filippini nicht nachgibt. Alles Flehen des finanziell nicht gut gepolsterten Marios hilft nichts, dieser bleibt hart und die Kidnapper erschießen, als sie ihre Drohungen wahr machen, dessen Sohn. Der Mechaniker sieht daraufhin wie einst Charles Bronson rot und startet einen Rachefeldzug. Bis dahin kämpft sich der mit Ungereimtheiten gespickte Plot mühsam in die zweite Hälfte, die Auge um Auge fast zu einem komplett anderen Film macht und durch den Originaltitel, der ins Deutsche übersetzt Die schockierte Stadt: rücksichtslose Jagd auf die Entführer lautet, sehr treffend beschrieben wird.

Wenn Luc Merenda Selbstjustiz als einzige Form seiner persönlichen Genugtuung in Betracht zieht, legt das Buch ein paar Bricketts nach. Das entfachte Feuer in der Story kommt dem Film zu gute. Dem sichtbar geringen Budget zum Trotz mausert sich Auge um Auge zu einem straighten Racheactioner. Im Vergleich zu anderen Filmen aus Italien aus dieser Zeit zwar zahmer (obwohl er sich nicht groß vom Rest unterscheidet), aber mit einigen netten Szenen - darunter eine gut gefilmte Verfolgungsjagd durch eine verwinkelte, kleine Ortschaft - versehen. Merendas Figur kämpft sich durch eine ganze Gangsterorganisation und manchmal fühlt sich die erste Hälfte so an, als wäre sie nur ein zu lang geratener Aufbau dafür gewesen. Richtig zusammenfügen kann di Leo die beiden Hälften leider nicht; der Film zeigt, dass der Italiener besser mit aktionsreichen Stoffen konnte und deren genutzte Dynamik auch gut auf den restlichen Plot übertragen konnte. Bei Auge um Auge fällt es ihm schwer, die zugegeben undankbar zusammenkonstruierte Geschichte voran zu treiben. Das, was di Leo darin zu sagen hat, geht fast sogar unter dabei.

Der Zeit seines Lebens politisch immer links orientierte Regisseur entfacht in dieser ersten Hälfte einen Klassenkampf auf Dialogebene; Proletariat gegen Oberschicht, arm gegen reich. Die Sympathien verteilt di Leo zügig auf den Mechaniker, den einfachen Bürger, der am emotional versteinerten, kühl kalkulierenden Reichen scheitert. Dieser vom in die Jahre gekommenen James Mason dargestellte Bauunternehmer wird schön verabscheuungswürdig gezeichnet. Ein Mensch, der selbst dem eigenen Sohn einen maximalen, nicht überschreitbaren Geldwert zurechnet, kann kaum noch ein Wesen mit menschlichen Zügen sein. Marios Kampf mit Filippi ist hart und der Mechaniker zerschellt an diesem; seine Verzweiflung wächst und explodiert in der Szene, als er den toten Sohn identifizieren muss. Selten erlangt Auge um Auge eine Durchschlagkraft, wie er sie dort besitzt. Die Logiklöcher, der konstruierte Plot, der auf das unvermeidbare für Mario zusteuert, bremsen in ihrem spröden Wesen diese aus. Das von di Leo gewollte Politikum wabert nur leicht erahnbar, im Hintergrund schlummernd, durch den Raum. Entfalten kann es sich kaum. Leider. Besitzt er doch (auch in der deutschen Sprachfassung) einige verbissene und scharfe Dialoge. Mario und Filippini werden, das spürt man als Zuschauer, nie das sein, was ihre Söhne waren: Freunde, bei denen die soziale Herkunft keine Rolle spielt. Das schenkt Auge und Auge eine gewisse Zeitlosigkeit, was den  sonst durchschnittlichen Film, dessen Score übrigens häufiger Motive von di Leos Milano Kaliber 9 aufgreift und damit noch etwas punkten kann, interessant bleiben lässt.
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Mittwoch, 3. Januar 2018

Die Rache des Paten

Bemüht man Google um Informationen über Andrea Bianchi stößt man auf ein Bild des Regisseurs, der darauf ein wenig so aussieht, wie sich seine Filme anfühlen. Auf den ersten Blick bemüht seriös, nach längerem Hinsehen bemerkt man eine latente Schmierigkeit. Schmutz schimmert durch die mühsam aufrecht erhaltene Seriosität. Bianchi wirkt abgekämpft, ausgelaugt und an einem Punkt angelangt, an dem er für Geld (fast) alles machen würde. Der italienische Regisseur gehört nicht gerade zu den Meistern seines Faches und wird sogar in Fankreisen des öfteren Nase rümpfend betrachtet. Seine Filme polarisieren, stehen sie doch für schnell und möglichst billig heruntergekurbeltes Unterhaltungskino, welches sich einen Dreck um künstlerischen Anspruch oder Message kümmert. Das sind 101 Prozent Exploitation und Filme wie der immer wieder an der Pornografie schrammende, dauerberammelte Exorzisten-Rip Off Malabimba oder der schnell auf die damalige Zombiewelle aufzuspringen versuchende Die Rückkehr der Zombies, der noch nie so spaßig inhaltslosen Matschesplatter präsentierte.

Nach vielen Jahren, in denen ich nur eventuell verklärte Liebesbekundungen im Internet las oder von Freunden hörte, war endlich - dank der jüngst erschienenen Blu Ray von filmArt - die Zeit gekommen, eine Lücke zu schließen und Bianchis Die Rache des Paten anzuschauen. Meine Erwartungen waren so gut es durch seinen ihm vorauseilenden Ruf ging, auf ein Minimum zurückgeschraubt. Ich mag seinen Zombiefilm und auch sein sleaziger Giallo Die Nacht der langen Messer bereitet mir viel Freude. Die niedrig gesteckten Erwartungen wurden übertroffen und meine Meinung über das limitierte Talent Bianchis Lügen gestraft. Sein mit schmalem Geldbeutel realisierter Poliziottescho entpuppt sich als sein am sorgfältigsten umgesetzter Film. Der prägnante Score, mit für das Genre ungewohnte Instrumenten wie einer Maultrommel umgesetzt, untermalt zu Beginn eine aus dem Wageninneren heraus gefilmte Autofahrt. Die vorbeirauschenden Landschaften schaffen zusammen mit der Musik eine leichte Atmosphäre, die Bianchi innerhalb weniger Minuten durch einen plötzlichen Unfall der Wageninsassen samt erster Brachialeffekte zunichte macht.

Kurz darauf folgt die erste Geschmacklosigkeit, über die sich auch die örtlichen Mafiachefs des Films echauvieren. Das im Auto befindliche Kind war nicht nur schon längst tot, sondern auch befüllt. Schergen des unverfrorenen Unholds Don Ricuzzo nutzen Kinderleichen, um ihr Heroin durch die Lande zu schmuggeln. Das sowas ehrenloses nicht zum Mafiaehrenkodex passt, stellen die Vertreter verschiedener Mafiaclans schnell fest und entsenden den richtigen Mann, um Don Ricuzzo auszuschalten: Toni Aniante ist ein Italo-Amerikaner, frisch aus den USA zurückgekehrt um im Land des Stiefels aufzuräumen. Aniante stellt schnell klar, dass mit ihm wortwörtlich nicht gut Kirschen essen ist; die von ihm gekaperte Ladung an frischem Obst entlarvt sich geschwind als weitere Drogenschmuggelei. Toni macht zuerst gemeinsame Sache mit Don Turi, um sich dessen Unterstützung im Kampf gegen Ricuzzo zu sichern. Im weiteren Verlauf wechselt Aniante absichtlich oder gezwungenermaßen die Seiten zwischen Turi und Ricuzzo um diese gegeneinander auszuspielen und die Männer des verhassten Mafiabosses auszuschalten.

Sowas könnte zu einem Gangsterfilm unter vielen werden; setzt man die rosarote Fanbrille ab, ist Die Rache des Paten dies auch. Seine Besonderheit besteht darin, wie hübsch Bianchi hier die Geschmacklosigkeiten und unglaublichen Momente verpackt und sich frech bei der Geschichte von Für eine Handvoll Dollar bedient. In Bianchis Schmalspur-Gangster-Epos ist der lachende Dritte, der zwei Clans gegeneinander ausspielt, kein Fremder ohne Namen oder Hintergrundgeschichte. Toni Aniante wird knapp und prägnant vorgestellt, macht wie Clint Eastwood in Leones legendärem Italowestern mit beiden Parteien gemeinsame Sache um dann allen menschlichen Schwächen zum Trotz, die bei jeder näher beleuchteten Figur herausgearbeitet wurde, der vermeintlich guten Seite beizustehen. Diese Entscheidung ist für das manchmal löchrige Drehbuch, dass die Geschichte in grob zusammengehaltenen Episoden erzählt, ein Gewinn. Diese erzählerische Variation mag nicht die raffinierteste sein, lässt Die Rache des Paten im Gesamten eigenständiger und nicht als bloße Kopie eines großen Vorbildes wirken.

Was das Drehbuch und Bianchis schludrige Regie nicht schaffen, macht der Film mit seinen Darstellern, einzelnen Szenen voller entfesselter Hemmungslosigkeit in Gewalt- und Figurendarstellung und seinem Drehort wett. Der in Ligurien gedrehte Film wird im Vergleich mit anderen Poliziotteschi zu einem erfrischenden Kontrast; die Drehorte erinnern manchmal sogar an süditalienische Dörfer. Eine schöne Abwechslung zu den meist in den reichen, dicht bevölkerten Städten des italienischen Nordens spielenden Polizeifilmen. Die ländliche Umgebung wird zum Stellvertreter der verfallenen, staubigen Ansammlungen an Bretterbuden, die im Italowestern eine Stadt zu bilden versuchen. Die Landsitze der beiden Mafiosi sind mit den Ranches der Bandenbosse gleichzusetzen. Was Bianchi ohne mit der Wimper zu zucken an ungeheuerlichen Dingen präsentiert, lässt Die Rache des Paten zum Citizen Kane des italienischen Exploitationkinos mutieren. Gut und Böse werden beinahe aufgelöst, Bianchis Kosmos wird von unmenschlich agierenden Figuren bevölkert, die ihre Menschlichkeit und Empathie am Rande durchblitzen lassen. Die vom Italowestern etablierte Zuwendung zu einem Antihelden wird hier auf die Spitze getrieben.

Toni Aniante, herrlich steinern von Henry Silva gemimt, ist ein nicht zimperlicher Genosse, dessen Werte dem alten System seiner Bosse entspricht, der dieses mit gleicher Gnadenlosigkeit wie seine Gegenspieler verteidigt. Er ist nicht gerade zurückhaltend bei der Verteidigung moralischer Werte innerhalb der Mafia und geht in seiner Entschlossenheit über Leichen. Das Aniante dabei immer wieder mit einem geheimnisvollen Pfeifen angekündigt wird, lange bevor er das Bild betritt, unterstreicht die Nähe des Films zum Italowestern. Diese findet man auch in den hübschen Bildern von Kameramann Carlo Carlini, welche die Bildsprache des Genres aufgreift und diese in ein Buket aus Gewalt und landschaftlicher Schönheit bettet. Nach den überästhetisierten Symbiosen aus Blut, Brutalitäten und Hochglanzbildern des Giallo schafft es (ausgerechnet) Andrea Bianchi, auch das stark sleazige Exploitationkino, den schundigen Orkus des Films, der bisher trist und trostlos von Gewaltspitze zu Gewaltspitze und Sexszene zu Sexszene eilte, einen gewissen Stil zu verleihen. Da wirken Szenen, in denen Henry Silva die hübsche Barbara Bouchet mit einer Gürtelschnalle verprügelt, sie in einer Küche beim Akt brutal in eine von der Decke hängendes, ausgenommenes Schwein hineinvögelt, er längst tote Handlanger von Don Riccuzo nochmal mit einem Bulldozer überrollt oder Don Ricuzzos Liebesspiele mit seiner Prostituiertengattin nicht komplett schäbig und schundig.

Wirken diese Szenen im ersten Moment ob ihres stumpfen Charakters überraschend und überzogen, entfalten sie auf längerer Sicht eine beinahe epische Wirkung. Bianchi und sein Team griffen nach klassischem Stoff, der in ihren Händen zu Schund der schönsten Sorte wird. Der Italiener hätte öfter mit einem Team arbeiten sollen, welches wie hier seine Schwächen in der Erzählung der Geschichte mit ihrem Einsatz an Kamera, Schnitt und Musik kaschieren kann. Mit gut aufgelegten Darstellern gewinnt die manchmal unübersichtlich werdende Geschichte, die eigentlich so einfach aufgebaut ist, durch die Kraft ihrer einzelnen Szenen. Jedes kleinste Detail, wie zum Beispiel die Sturzbäche, die Silva während des Films zu schwitzen scheint, wird zu einem weiteren, feiernswerten Moment. Ich meine Christian Keßler war es, der irgendwann über Bianchi schrieb, dass er ruhig mehr Filme hätte machen können. Dem kann ich nur beipflichten. Nach der Sichtung von Die Rache des Paten hätte ich mir von ihm ruhig auch mehr Poliziotteschi oder ruhig auch einen Italowestern von ihm gewünscht. Es sind Genres, die dem Italiener wohl sehr gelegen hätten. Doch es kam nicht so. Dafür kann man sich mit bestem Gewissen diese kleine Sternstunde des italienischen Exploitationfilms anschauen. Bianchi schuf mit diesem Film nicht nur einen tollen, unglaublichen und vollkommen positiv widerwärtigen Poliziottescho der im Kern ein verkappter Italowestern ist, sondern - das stellt Keßler auch im Booklet des filmArt-Releases fest - auch eine gut 90-minütige Antwort auf die Frage, was das italienische "Schund"- bzw. Genrekino so liebenswert macht.
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Sonntag, 26. März 2017

Die Kröte

Da muss Tomas Milian erst sterben, damit ich mir nach längerer Zeit mal wieder diesen großen Film anschauen muss. Der gebürtige Kubaner erlag Anfang der Woche einem Schlaganfall und wurde 84 Jahre alt. Dieser Text soll weniger ein Nachruf werden, auf den ich verzichtete, zumal Marco von Filmforum Bremen mittlerweile einen geschrieben hat. Die Endlichkeit gehört zum Leben leider dazu, unsere Helden vor und hinter der Kamera werden alle einmal die Augen zum letzten Mal schließen und doch hat mich Milians Tod getroffen. War ich ab Mitte der 90er schon durch die großen Splatter-Klassiker aus Italien dem Genrekino aus dem südeuropäischen Land nicht abgeneigt, so tauchte ich ab meinem persönlichen Wechsel auf das Medium der DVD zu Beginn der 2000er vollends in die verschiedenen Subgenres des italienischen Populärkinos ab. Tomas Milian begleitete mich überall. Sei es in Western wie Ohne Dollar keinen Sarg, Gialli wie Don't Torture A Duckling oder den Poliziotteschi wie Die Banditen von Mailand oder Die Viper: der wandelbare Schauspieler faszinierte mich mit eben dieser Fähigkeit und war mit ein Grund, wieso ich mich immer mehr für das italienische Kino der vergangenen Jahrzehnte immer mehr begeisterte.

In Die Kröte ist er sogar doppelt zu bewundern: einmal als schlappmäuligen Sergio Marazzi, von seinen Monezza genannt und dann als dessen Zwillingsbruder Vincenzo Marazzi, dem "Buckligen von Rom", einem Gangster, der nach 16 Monaten zurück in die Landeshauptstadt kommt um mit seinen alten Kumpanen ein Ding zu drehen. Der geplante Überfall auf den Geldtransporter geht glatt über die Bühne, doch Vincenzos Komplizen spielen ein doppeltes Spiel. Im Trubel und im Schutz des Nebels der eingesetzten Rauchbomben schießen sie auf diesen. Vincenzo wird nicht getroffen, kann sich in die Kanalisation und dann zu seiner Freundin, der Prostituierten Maria, flüchten. Von dort aus rächt er sich mit einem eiskalten Plan an den drei Mittätern, hat allerdings auch die Polizei in Form des Kommissars Sarti auf den Fersen. Anders als der in Lenzis Die Viper und Die Gewalt bin ich omnipräsente Maurizio Merli rückt der von Pino Colizzi dargestellte Polizist in den Hintergrund der Geschichte. Der Charakter ist, anders als die meisten von Merlis Figuren, sehr nüchtern und bedacht. Keine Spur von Hitzköpfigkeit und dem unbändigen Trieb nach Gerechtigkeit, der auch über die gesetzlichen Schranken des Berufs hinausgeht.

Sowieso ist Die Kröte im Vergleich mit anderen Lenzi-Polizeifilmen zurückhaltender und ruhiger. Wirken viele seiner Filme episodisch und wie verschiedene inszenierte Momentaufnahmen, die dem roten Faden der Geschichte bzw. der Hauptstoryline zum Teil nicht einmal dienlich sind, gibt sich La banda del gobbo weitaus aufgeräumter und durchdachter. Selbst die Action rückt in den Hintergrund und macht Platz für einen vordergründig einfach gehaltenen Gangsterfilm, der bei genauerem hinsehen ein triviales, leicht schmieriges aber gut umgesetztes Sozialdrama ist. Die Kröte ist so einfach gehalten, wie die Leute und deren Milieu, das er porträtiert: die armen Leute, die im Abseits der Gesellschaft stehenden, welche durch eben diese sich dazu gezwungen fühlen, ihren Unterhalt mit nicht ganz legalen Mitteln zu bestreiten. Milians Rollen als Monezza und Vincenzo zeigen dabei die krassen Gegensätze innerhalb der Unterschicht. Der proletenhafte Monezza ist wie Eingangs erwähnt ein lauter Charakter, der seinem Unmut ohne große Umschweife Luft verschafft. "Wenn man eines Tages aus Scheiße Gold machen kann, werden wir Armen ohne Arsch geboren!" ist dabei nur einer der vielen Sprüche des vulgären Lockenkopfs. Vincenzo ist dabei - anders als Milians Buckliger in Die Viper - ein bedachter Mensch, loyal gegenüber seiner selbst gewählten Familie, der sich als Opfer der Gesellschaft ansieht, die ihn dazu treibt, dass zu tun, was er eben macht.

Legendär ist hier die Szene in der Nobeldisco, in der Vincenzo eine Hasstirade auf die feine Gesellschaft ablässt, nachdem sie ihm wegen seines leicht unbeholfenen Tanzens auslachen. Seine Konsequenz: während seiner Rede lässt er seine Kumpanen die Besucher des Schuppens ausrauben und flößt ihnen dann Abführmittel ein. Wie sagt sein Bruder zu Beginn so treffend? "Ja wir sind scheiße und werden immer scheiße sein!" Sein Zwilling zeigt den feinen Pinkeln physisch mit ebenjener Aktion physisch, wie es sich anfühlt. Gleichbedeutend mit Monezzas Ausspruch kann man hier Vincenzos Flucht durch die Kanalisation ansehen, die diese durch Schlamm und Dreck waten lässt. Schwer gebeutelt vom sich durch den Matsch kämpfen und der Flucht vor den hinterhältigen Mittätern schafft er es, das Ende des Kanals zu erreichen. Mit seinen Möglichkeiten versucht er, aus seinem einfachen Leben auszubrechen. Der vielleicht auch wegen schlechter Erfahrungen distanziert erscheinende Vincenzo zeigt dabei in kleinen, leisen Momenten seine Emotionalität. Vor allem dann, wenn man vermutet, dass der Vulkan, der da vielleicht in dem Mann brodelt, auszubrechen droht. Hier präsentieren uns Lenzi und Milian, der für die Dialoge der Brüder verantwortlich ist und damit noch eine ganze Kelle mehr Sozialkritik in den Film packt, das Gegenteilige und hiermit auch für das Genre ungewohnt zurückhaltende Momente.

Die Kröte kann man vielleicht in der Tradition von Ferndando di Leos Gangstertrilogie, bestehend aus Milano Kaliber 9, Der Mafiaboss und Der Teufel führt Regie sehen. Wobei selbst die drei genannten Filme mehr Action bieten als Die Kröte, der aus den Poliziotteschi Lenzis mit seiner Andersartigkeit einsam heraus sticht. Nur manchmal bemerkt den gewohnten, lieb gewonnenen ruppigen Stil des Italieners. Wenn Vincenzo zum Beispiel zur Rache an den Komplizen schreitet oder in den hier weniger vertretenen Verfolgungsjagden. Lenzi und Milian schienen hier vielleicht dem Genre, dessen kurzer Hype hier schon am abebben war, überdrüssig zu sein und wollten etwas anderes ausprobieren. Was im Falle von Die Kröte auch gut funktioniert. Die technische Überwindung der doppelten Rolle von Tomas Milian ist meist simpel aber gut umgesetzt, dank des guten Schnitts von Eugenio Alabiso. Hinzu kommt ein sehr guter Score von Franco Micalizzi, der sonst für sehr breite und aufwändige Musikstücke (wie zum Beispiel bei Die Gewalt bin ich) mit viel Groove bekannt ist, die sich stark an den Soundtracks der amerikanischen Polizeifilm-Vorbildern orientieren. Mit dem härteren, gewaltigeren Der Berserker dürfte Die Kröte Lenzis bester Poliziottscho sein, der für dieses Genre ohnehin ein sehr gutes Händchen hatte. Trotz seiner reduzierten Action, bietet der Film ein gut voranschreitendes Erzähltempo und ein Ende, dass weder zu stark sentimental ist noch auf den Spuren Hollywoods wandelt.

Der Ausbruch aus dem Leben, in das man hineingeboren wurde, erscheint schwer und manchmal unmöglich. Gerade dann, wenn man weniger legale Wege beschreitet. Als würde man sich moralisch gerade rücken, bevor das Publikum zuviel Sympathien für die Methoden Vincenzos entwickeln. Schlechten Menschen widerfährt auch schlechtes. Als Höhepunkt stellen Lenzi und Milian ihrem Protagonisten, der immer wieder beißend-ironisch den Aberglauben, dass das Berühren seines Buckels Glück bringt koketiert, anspricht, ihm das abergläubische Symbol des Unglücks entgegen, wenn Vincenzos Fahrt in eine eigentlich frei gewähnte Welt von einer schwarzen Katze gekreuzt wird. Um es mit Monezzas Worten auszudrücken: Scheiße bleibt eben Scheiße. Und Die Kröte ein außergewöhnlicher und sehr guter Polizeifilm, der sich wie Lenzis schmierige und dreckige Version eines Accatones des italienischen Genrefilms anfühlt. Mein Dank gebührt dem Duo Lenzi und Milian, dass sie sich dafür entschieden haben, es eine ganze Ecke ruhiger als in ihren bisherigen Filmen angehen zu lassen und Milian selbst. Nicht nur für seine Performance in diesem, sondern auch in den vielen anderen Werken, die er mit seinem Können bereichert hat.
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Freitag, 1. April 2011

Camorra - Ein Bulle räumt auf

Frisch aus Rom nach Neapel versetzt und kaum dort angekommen, erhält Kommissar Betti auch gleich schon einen ganz besonderen Gruß. Von einem Passanten angerempelt und dann fast von einem zackig dahinbrausenden BMW fast über den Haufen gefahren, empfiehlt ihm ein älterer Herr auf sich aufzupassen. Neapel sei immerhin ein heißes Pflaster. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um einen freundlichen und aufmerksamen Zeitgenossen, sondern um den Boss der Camorra, von allen nur "Generale" genannt. Wie heiß es in Napoli hergeht, merkt Betti schon bald. Ein Kombinat aus Überfällen, Entführung, Schutzgelderpressung und Banküberfällen halten ihn und die Kollegen auf Trab. Der rauhe Bursche hat alle Hände voll zu tun und greift auch auf verdeckte Ermittler zurück, um den den kleinen und größeren Gaunern auf die Schliche zu kommen. In all dem Trubel hat er es auch bald noch mit dem zwielichtigen Capuano zu tun, der den "Generale" übers Ohr gehauen und nun um sein Leben zu fürchten hat. Doch mit seinen strikten und recht unkonventionellen Methoden hat Betti trotz aller Kritik seines Vorgesetzten Erfolg, auch wenn diese mit einigen Mühen verbunden sind.

Sie waren ja wirklich ein besonderes Gemisch, dieser Maurizio Merli und Umberto Lenzi. Unter der Regie von letzterem stand der blonde, leider viel zu früh von uns gegangene Mime mit den eisernen Gesichtszügen insgesamt vier mal vor der Kamera. Camorra - Ein Bulle räumt auf war dabei die erste Zusammenarbeit zwischen Lenzi und Merli. Ein Jahr zuvor gab Merli mit Verdammte, heilige Stadt (1975) seinen Einstand im Poliziotteschi und lieferte gleich einen Blueprint ab, wie in den weiteren Filmen dieser Machart der ermittelnde Kommissar bitteschön mit den Gangstern umzugehen hat. So dürfte es auch kein Zufall sein, dass er wie in seinem Bullenfilmdebüt auch hier den Rollennamen Betti innehat. Im 1976 entstandenen Cop Hunter schlüpfte er zum dritten und letzten Male in diese Rolle bzw. trug wenigstens noch einmal diesen Namen. Aber die Namen der Figuren, die Merli benutzt, sind eigentlich austauschbar. Mit seinen ersten zwei Filmen festigte er wortwörtlich Schlag auf Schlag sein Image als harter, unnachgiebiger Polizist der mit seinen ganz eigenen Methoden Erfolge bei der Verbrechensbekämpfung verbuchen kann.

So darf er auch hier wieder mächtig austeilen und zulangen, dass es eine wahre Pracht ist. Kaum ist das mitreißende und sehr schnell ins Ohr gehende Titelthema von Franco Micalizzi verklungen, macht Merli nicht nur gleich Bekanntschaft mit dem Oberhaupt der neapolitanischen Unterwelt. Ein kleinerer Bewohner eben dieser darf auch gleich mal den Herrn Kommissar kennenlernen. Und das so richtig. Am hellichten Tag will er da ein Auto klauen, hat aber nicht mit dem härtesten Scheitelträger südlich des Brenners gerechnet. Prompt bekommt er ein paar mal die Motorhaube sowie die eisernen Fäuste Bettis zu spüren. Da wird bei der Ankunft auf der Wache auch gleich von seinem Kollegen gewitzelt, dass Betti zu seinem Einstand nicht mit leeren Händen ankommen wollte. Hier macht dann Lenzi auch gleich mal die Verhältnisse klar, welcher Ton in den restlichen Minuten seines Films herrscht. Als der kleine Fisch abgeführt wird, bekommt dieser gleich nochmal an den Kopf geworfen, wie wenig seine Existenz doch überhaupt wert ist.

Man schafft klare Verhältnisse und folgt einem von vielen anderen Produktionen aus dem Genre einem ähnlichen moralischen Kodex. Das Gesetz ist mit normalen Methoden fast nicht in der Lage, dem "Abschaum", der da draußen auf den Straßen fleucht und die normalen, braven Bürger um den Schlaf bringt, beizukommen. Da muss man mit eiserner Hand durchgreifen, halt auch mal etwas ruppiger und direkter sein, ansonsten versteht das Gesindel ja gar nicht, dass mit der Polizei nicht zu spaßen ist. Worte, die das italienische Publikum der damaligen Zeit hören wollte, war man doch auch Aufgrund der in der realen Welt zunehmenden Gewalt und Verbrechensrate unzufrieden mit dem Polizeiapparat. Dabei ist Merli als Kommissar Betti in Camorra noch bei weitem nicht so konservativ eingestellt wie im direkt darauf folgenden Die Viper. Dort betritt man ja wirklich einen ganz schmalen Grat mit moralisch sehr fragwürdigen Einstellungen trotz aller Überzogenheiten, die das Werk zu bieten hat, den Zuschauer zu vergrämen. In letzterem Film gibt sich Merli noch verbissener, geht noch gnadenloser mit dem organisierten Verbrechen ins Gericht und tobt und poltert ohne Unterlass durch den Film. In Camorra trägt er zwar die gleichen Züge, ist allerdings irgendwo noch ein wenig menschlicher gezeichnet bzw. nicht allzu übermäßig von einem unnachgiebigen, ultrakonservativen Moralkodex überzeugt. Auch wenn ihm seine harte Methoden recht geben und so Erfolge verbucht werden können, die Handlung von Camorra läßt den guten Herren auch desöfteren an seiner Arbeit zweifeln.

Diese Arbeit erweist sich, zieht man noch einmal Die Viper heran, auch als einiges schwerer. Betti bezahlt einen hohen Preis, um einige der Banditen dingfest zu machen. Hier wird gezeigt, dass das Verbrechen trotz aller Erfolge der Polizei immer noch die Nase vorn hat. Gut organisiert, bekommen einige Helfer Bettis eine Abreibung, bei der diese letztendlich auf der Strecke bleiben. Wer singt oder falsches Spiel betreibt, bekommt eben eine entsprechende Antwort präsentiert. Aber Betti bekommt sie alle. Rein narrativ benutzt Lenzi hier ein Muster, wie es sein Kollege Marino Girolami schon in Verdammte, heilige Stadt angewandt hat. Auch wenn ein gewisser roter Faden handlungstechnisch durch den Film führt, so werden Nebenhandlungen recht episodenhaft eingeführt, diese mit der Haupthandlung verstrickt oder bleiben eben einfach nur eine Folge aus dem Leben des Kommissars Tanzi, wie er mal wieder den noch so kleinsten Fisch schnappt. Anders als in Merlis Bullenfilmdebüt oder anderen Werken, ist Camorra allerdings bei weitem nicht so ausgewogen aufgebaut. Der Hauptplot um den Generale und seinen Partner bzw. späteren Gegenspieler Capuano wird immer mal wieder kurz angerissen, dann für eine Nebenhandlung fallen gelassen um später dann wieder aufgenommen zu werden.

Auch wenn Lenzi ein äußerst ansprechender Film gelungen ist, so nimmt dieser Umstand dem gesamten Werk doch etwas an Tempo. Zudem könnte man ihn auch als kleine Fingerübung des Herren für Die Viper ansehen. Einiges, was dort wirklich sehr gut umgesetzt wurde, kann man auch schon in Camorra bewundern. Während in ersterem eine wirklich sehr tolle und intensiv umgesetzte Verfolgung über die Dächer der Stadt zu bewundern ist, so ist diese in Camorra zwar auch gut, aber eben nicht so wirklich mitreißend in Szene gesetzt. Langeweile kommt allerdings gewiss nicht auf. Dafür bietet der Flick dann doch noch einige gute Schauwerte und kann sein anfängliches Problem mit der Geschichte in den Griff bekommen. An Spannung mag es hier und da mangeln, einige gute Ideen lassen einen darüber aber hinwegschauen. Hätte man sich nicht so viele Nebenschauplätze bei der Geschichte aufgehalst, wäre die doch ganz ordentliche und durchaus auch deftige Action von noch durchschlagenderem Erfolg. Eines dürfte gewiss sein: dort wo Merli (und Lenzi) zu Gange sind, da ist der Umgangston nicht gerade sehr milde. Polizei als auch die Gangster schenken sich nichts. Gerade die Begegnung eines hochgenommenen Informanten mit einer Bowlingkugel ist dabei äußerst unfein anzuschauen.

Im Vergleich zu anderen Merli/Lenzi-Kollaborationen, den ohnehin etwas aus der Reihe tanzenden Von Corleone nach Brooklyn (1978) mal ausgenommen, ist Camorra aber trotz aller herben Ereignisse irgendwie noch etwas gebremst. Lenzi nimmt den Fuß vom Gas, läßt hier und da in die eher aufgeheizte Stimmung des Films sogar ganz leichte nachdenkliche Momente einfließen. Gerade das Ende sei hier ein weiteres Beispiel, auch wenn an dieser Stelle nicht viel darüber verraten sein soll. Sie stehen dem Film, keine Frage. Wo hat man das schon, dass der werte Herr Merli ganz kurz Zweifel an den eigentlich so durchschlagenden Methoden hat. Damit sei man, laut ihm an einer Stelle des Films, dem Verbrechen so eigentlich nicht beizukommen. Das mag man ihm gar nicht glauben, wenn man sich dann mal seine Aktionen anschaut, um dem Verbrechen einhalt zu gebieten. Es geht eben auch bei Camorra Schlag auf Schlag, die krummen Dinger geben sich die Klinke in die Hand und als bald ist dann auch schon wieder einer der härtesten von Italiens Filmbullen unterwegs.

Der handwerklich ordentlich geratene Film mit einigen schönen Einstellungen, allein schon die Motorradhetzereien durch den Verkehr Neapels sind äußerst packend umgesetzt, läßt durch die starke Präsenz von Herrn Merli sogar den Co-Star des Films, John Saxon, ein klein wenig blass aussehen. Meisterliche Darstellungskunst darf man hier natürlich nicht erwarten. Darauf legt man auch gar keinen Wert. Viele bekannte Gesichter aus anderen Poliziotteschi darf man aber übrigens begrüßen, doch es regiert hier eigentlich nur einer: Commisario Betti! Mit ein klein wenig entschlackter Storyline wäre der Streifen ein ganz großer Wurf. So ist es "nur" ein wirklich (sehr) guter. Es ist dann doch immer wieder eine Freude, dem guten Maurizio bei der Verbrecherhatz zuzuschauen und auch Camorra - Ein Bulle räumt auf ist wieder sehr vergnüglich.


Diesen oder weitere Knaller jetzt auf Filmundo abgreifen.
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Sonntag, 20. Februar 2011

Gewalt über der Stadt

An einer Stelle in Gewalt über der Stadt wird der Schauplatz Turin als (italienische) "Hauptstadt des Verbrechens" bezeichnet und bei dem, was uns Regisseur Carlo Ausino um die Ohren haut, ist dies gar nicht mal so weit hergeholt. Die Ehegattin eines Arztes wird ermordet in einem Park aufgefunden. Nach einiger Zeit wird der Mord an ihr sowie der später an einem jungen Mädchen verübte mit einem Prostitutionsring in Verbindung gebracht, der Frauen mit Drogen gefügig macht, sie mit Männern verkuppelt und diese dann mit eindeutigen Fotos erpresst. An anderer Stelle überfällt eine Bande von Jugendlichen Kinos und Supermärkte. Und dann wären da auch noch ehemalige Handlanger eines französischen Syndikats, die zum Unmut der alteingesessenen Banditen in der Turiner Unterwelt mitmischen wollen. Viel zu tun für die Kommissare Moretti und Danieli, was bei letzterem auch schon mal das Eheleben in eine schwere Krise stürzt. Trotzdem versuchen die beiden Polizisten mit ihren Kollegen Ordnung in ihre Stadt zu tun. Geschieht dies nämlich nicht sofort, so gibt es da immer noch den "Rächer", der die großen und kleinen Ganove, gegen die die Polizei nichts unternommen hat, um die Ecke bringt.

Bei dieser ordentlichen Packung an kriminellen Machenschaften kann man dabei schon mal schnell den Überblick verlieren. Gott sei Dank hat aber niemand geringeres als der Italowestern-erprobte Mime George Hilton angeheuert und sorgt mit seinem Kumpanen Emanuel Cannarsa, dass in Turin nicht alles aus dem Ruder läuft. Die Erfolgsquote des Ermittlerduos ist zwar nicht gerade gering, aber man hat schon so seine Mühe. Damit sind jetzt nicht nur die beiden Cops gemeint. Auch der Zuschauer vor der heimischen Flimmerkiste ist arg gefordert, der Geschichte zu folgen. In seinem dritten von insgesamt gerade mal sechs Filmen schöpft Regisseur Ausino aus dem Vollen und merkt dabei allerdings nicht, dass der prall gefüllte Crime-Mix fast aus allen Nähten platzt. Komplexe Stories können natürlich gerade auch im Kriminalfilm ein schöner Segen sein, wenn einem einmal nicht nach simplen, geradelinigen Haudrauf-Geschichten ist. Doch Ausino, der für das Script sowie auch die Kameraarbeit verantwortlich ist, hat es schlicht und ergreifend zu gut gemeint. Der gute Mann hätte sich auf eine Sache konzentrieren sollen, auch wenn die drei von ihm angerissenen Baustellen erstmal ganz interessant eingeführt werden.

Doch er bleibt nicht strikt bei einer Sache sondern hüpft wild von einer Sache zur nächsten. Ausino schien entweder eine Konzentrationsschwäche gehabt zu haben oder wollte seine Geschichte so komplex wie nur möglich erzählen. Das ist sie auch, allerdings auch recht umständlich erzählt. Der Sprung zwischen die verschiedenen Handlungsstränge kann dabei ganz schön anstrengend werden und so richtig schlüssig erscheinen manche Dinge auch nicht gleich auf den ersten Blick. Figuren werden fröhlich neu eingeführt, deren genauere Rolle wird dann entweder erst viel später oder auch mal gar nicht aufgedeckt. Gut, wenn diese dann für irgendjemand anderen dann nur Kanonenfutter sind, dann wäre es ja gar nicht so schlimm. Nur wieso diese dann eigentlich genau über den Jordan wandern mussten, da ist Ausino dann dem Zuschauer eine Antwort schuldig. Das breit abgedeckte Feld Kleinkriminalität, organisierte Prostitution sowie die Konflikte innerhalb der Turiner Unterwelt werden dann hier und da auch zusammengeführt. Eine nette Idee, so richtig Struktur bringt dies nun auch wieder nicht.

Nicht alle Fragen bleiben offen, doch die späte und wendungsreiche Auflösung dieser hätte auf nicht ganz so kurvigem Weg erfolgen können. Manches hätte man auch etwas straighter angehen können. Allerdings ist Ausinos Ansatz interessant, anders als in vielen weiteren Poliziotteschi hier auch etwas auf das Privatleben eines der Cops einzugehen. Der durch Beruf kommende Konflikt in der Ehe von Ermittler Danieli erscheint im ersten Moment etwas ungewöhnlich, verleiht Gewalt über der Stadt aber auch eine schöne eigene Note. Emanuel Cannarsa ist dabei eine gute Wahl für die Rolle der Figur gewesen, gewinnt diese doch mit seinem etwas verbrauchten Look noch mehr an Glaubwürdigkeit. Der Job überschattet bei Danieli wie auch bei Moretti das Privatleben. Letzteren, die eigentliche Hauptfigur des Films, kommt dabei allerdings recht kurz. An einer Stelle läßt er aber seine Liebschaft für den Job beim Schlendern durch die Stadt für die Arbeit stehen. Ein böser Bursche wurde erkannt und natürlich muss sofort die Verfolgung aufgenommen werden. Da bleibt für sowas "Nebensächliches" wie das andere Geschlecht keine Zeit.

So wie die eiskalt abservierte Dame schaut man dann auch nach dem Genuss von Torino Violenta aus der Wäsche. Etwas irritiert und ahnungslos. Trotz der überfrachtenden Story, die den Film nahezu zu erdrücken scheint, sind einige gute Ansätze vorhanden. Neben den Einsichten in das Eheleben von Kommisar Danieli ist dies auch die vom Film transportierte Stimmung. Unheilvoll ist diese, dunkel gehalten und an einigen Stellen sogar ein wenig melancholisch angehaucht. Haben wir es hier mit Anflügen des Film Noirs zu tun? Nein, so schwarz gibt sich Gewalt über der Stadt nun nicht. Auch wenn George Hilton hier teils gewisse Ähnlichkeit mit den einsamen Helden aus der dunklen Phase Hollywoods hat. Langer Mantel, verbissene Mimik die hinter einer dunklen Sonnenbrille teils versteckt wird. Und wie so viele andere Darsteller auch, wird Hiltons Gesicht von einer prächtigen Rotzbremse geziert. Neben guter Leistung in der Schule scheint es beinahe Pflicht bei der Turiner Polizei zu sein, einen voluminösen Oberlippenbart sein Eigen zu nennen. Er ist ein wortkarger, aber hartnäckiger Polizist. Eine beinahe typische Figur für den italienischen Polizeifilm. Sein Partner scheint etwas milder in den Ansichten zu sein, auch wenn beide auf das Wohl des Turiner Bürgers bedacht sind. Nur wird auch hier in der Figurenzeichnung das Problem von Gewalt über der Stadt klar sichtbar. Wo man es anders nur mit überzogenen, klischeebelandenen - ja fast schon comichaften - Charakteren zu tun hat, hätte man hier Tiefe einbringen können.

Doch Ausino läßt so manches, kurz nachdem er es in die Hand genommen hat, einfach wieder fallen. Manches nimmt er dann wieder auf, anders fällt gänzlich unter den Tisch. Dies läßt so auch niemals wirklich Spannung oder Dynamik aufkommen. Selten hat man so gänzlich unaufregende Verfolgungsjagden wie hier gesehen. Der Fokus ist ohnehin nicht wirklich auf Action Nonstop ausgelegt, doch wenn diese dann aufkommt, ist das ganze sehr bemüht und versprüht keinen Funken Lebendigkeit. Der dunkle Grundton läßt Gewalt über der Stadt an solchen Stellen lethargisch erscheinen und selbst der Score von Stelvio Cipriani, ausgestattet mit schmissigem Titellied, geht wie so vieles einfach etwas unter. Da kann auch das ebenso düstere Ende nicht wirklich versöhnen. Mit wohlwollen kann man das Werk wirklich ganz knapp über dem Durchschnitt ansiedeln, da gerade die Optik bzw. technische Seite wirklich in Ordnung geht und einige kleine, tolle Einstellungen zu bieten hat. Das hilft aber einfach nicht über die Tatsache hinweg, dass Ausino sich in seiner eigenen Geschichte verheddert und das Geschehen fast schon schwerfällig erscheint. Die nichtgenutzten Möglichkeiten, die man hier einfach anders - wie schon beschrieben zu umständlich - anpackt, sind einfach zu viel des Guten. Mit einer entschlackten Story hätte man es hier mit einem tollen Werk zu tun. So bleibt Gewalt über der Stadt eher ein Film, bei dem es Schade drum ist, was man hätte alles aus dem Stoff machen können.
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Freitag, 14. Mai 2010

Die Viper

Die Straßen Roms sind zu gefährlichen Pflastern geworden, in denen selbst solche Polizisten wie Lenny Ferro an ihre Grenzen stoßen. Auch wenn er ein Vollblutbulle ist, der immer zur rechten Zeit am rechten Ort ist um Mord, Raub oder Vergewaltigungen zu vereiteln: die gefaßten Gangster muss er durch Lücken im Gesetz oder ausgefuchsten Anwälten bald schnell wieder laufen lassen. Vollkommen rot sieht er, als er auf den buckligen Moretto trifft. Dieser scheint wie der von Ferro ebenfalls schon lange gejagte Ganove Ferando mehr Dreck am Stecken zu haben, als zuerst ersichtlich ist. Selbst als er wegen seinen überharten Methoden von seinem Vorgesetzten zum Bürodienst verdonnert wird, schafft es Ferro immer wieder, trotzdem auf den Straßen Roms die Ordnung wieder herzustellen. Erst recht, als auch noch seine Liebschaft, die Psychologin Anna, entführt und misshandelt wird um ihm einen Denkzettel zu verpassen. Anstatt eingeschüchtert zu werden, hat Kommissar Ferro dadurch erst so richtig Blut geleckt.

Wenn Maurizio Merli der ermittelnde Oberkommissar in italienischen Polizeistreifen ist, dann haben diese fast alle ein sehr ähnliches Muster. Es zieht sich zwar ein gewisser roter Faden durch den Film, doch dieser wird immer wieder durch episodenhafte Zwischenstücke unterbrochen. Meist geht es hier um die Jagd nach gewissen Paten und Fadenzieher im Hintergrund, die ein größeres Verbrechensimperium aufgebaut haben. Doch werden in anderen Poliziotteschi die Verbrechen der kleinen Fische dabei meist ausgeblendet, bekommen hier auch Handtaschendiebe eine gewisse Aufmerksamkeit geschenkt. Es wird kein Unterschied zwischen "großem" und "kleinem" Delikt gemacht. In der Welt des Maurizio Merli ist jedes Vergehen eine Sünde. Was man im ebenfalls von Umberto Lenzi gedrehten Die Gewalt bin ich (1977) eher andeutet, ist vor allem auch gut in Marino Girolamis Verdammte, heilige Stadt (1976) zu sehen. Auch hier wird die eigentliche Handlung von vielen kleineren Szenerien unterbrochen, die dann durch einige mal mehr, mal weniger gelungene Verstrickungen in die Rahmenhandlung eingeflochten werden. So auch in die Viper, in der wir erstmal Zeuge einer Razzia werden, die ein illegales Spielcasino hochnimmt.

Hier merkt man mal wieder, dass die Charaktere von Merli keine Gefangenen machen. Schon kaum in der Lasterhöhle angekommen, bekommt auch schon der erste finster dreinschauende Ganove einen vor den Latz geknallt. In den Filmen mit dem leider schon mit 49 Jahren verstorbenen Schauspielers trieft dabei das Testosteron fast schon literweise aus dem Bildschirm. Auch in Die Viper wird hier eine harte, von Männern regierte Welt gezeichnet, in denen Frauen nur Beiwerk oder Gebrauchsgegenstände sind. So unterhält Ferro zwar mit der Psychologin Anna, dargestellt von Maria Rosaria Omaggio eine Liebschaft, die aber nicht wirklich romantisch geschildert wird. Eingeführt wird sie, nachdem sie ein Gutachten für zwei jugendliche Diebe - natürlich von Ferro gefaßt - erstellt hat. Wenig später sieht man sie, wie sie sich nach einem Tête a Tête mit dem Polizisten noch im Bett aufhält. Die Beziehung wird angedeutet, aber nicht mit gewisser Tiefe weitergeführt. Umberto Lenzi zeigt mit dem Autoren Dardano Sacchetti allerdings auf, dass es aufgrund unterschiedlicher Auffassungen zwischen dem Herrn und der Dame nicht wirklich rund läuft. Ferro ist ein viel zu verhärteter, engstirniger Mensch, dem Toleranz in diesem Sinne wohl nicht wirklich ein Begriff ist.

Das Italien der 70er Jahre war mit einigen Verbrechen und Gewalttaten gesegnet, so dass in den meisten Poliziotteschi gerade die größten Städte als äußerst unsicherer Ort gezeichnet wurden. So auch Rom in Die Viper. Da kann auch schon mal ein zuest vollkommen hilfsbereiter Motorradfahrer, der einer Frau bei ihrer Autopanne hilft, zu einem geldgierigen und gewalttätigen Verbrecher mutieren. Dabei wird er stellvertretend für alle anderen im Werk auftauchenden böse Buben so skrupellos dargestellt, dass er die Dame, die ihre erbeutete Jacke gerne behalten möchte, auch einfach mal so mit seiner Maschine einige Meter mitschleift. Die Alte braucht sich ja nicht an dem Motorrad festzuhalten, wenn ihr ihr Leben lieb ist. Bezeichnend für den Ablauf der Geschichte taucht hier urplötzlich Kommissar Ferro auf. Als wäre jegliches Verbrechen in den Straßen Roms ein Magnet, von dem er angezogen wird. Betrachtet man sich mal den Namen von Merlis Figur genauer, bringt diese Metapher eine gewisse Ironie mit sich. Immerhin bedeutet sein Nachnamen so viel wie "Eisen". Dabei steht außer Frage, dass der harte Hund Ferro mit dem Abschaum, die Straßen der italienischen Hauptstadt terrorisiert, natürlich spielend fertig wird. Selbst mit einigen Jugendlichen, die ein Liebespärchen überfallen, verprügelt und die Frau vergewaltigt haben, wird er fertig.

Die Schilderungen zeigen, dass die Handlung um den geheimnisvollen Übergangster Fernado, von dem immer mal wieder die Rede ist, eigentlich nur ein Deckmantel ist, um eben solche Szenen mit Genüßlichkeit zelebrieren zu können. Und Lenzi läßt sich hier nicht lumpen. Eben so wenig sein Hauptdarsteller. Kennt man schon einige Filme mit Merli als Polizisten, so weiß man, dass seine Charaktere solche sind, die nicht lange Fackeln und lieber Taten statt Worte sprechen lassen. Merli langt hin. Und dann wächst an dieser Stelle lange kein Gras mehr. Viele kleinere Figuren müssen dabei mehr als nur einmal die Fäuste des Polizisten kennenlernen. Einhalt kann ihm dabei keiner gebieten. Selbst nicht sein eher friedfertiger bzw. vernünftiger Kollege Caputo (Giampiero Albertini) oder sein Chef. Vom verhassten Bürodienst verabschiedet man sich mit einem lockeren Hinweis, dass man mal eben beim Friseur ist. Hier zeigt sich, dass man mit dem sich über jede Vorschrift hinwegsetzenden Ferro ein Sprachrohr für das konservativ gehaltene Publikum wird, welches ählich wie dieser voller Ohnmacht auf einen ziemlich machtlosen Gesetzesapparat blickt. So fabuliert Merli auch des öfteren über die nicht mehr vorhandene Gerechtigkeit und vor allem den so laschen Gesetzen. Er kämpft für eine rigorose Härte im Umgang mit Verbrechern. Da er sie von seinen vorgesetzten nicht bekommt bzw. auf taube Ohren stößt, macht er eben was er will. Mit härtesten Methoden wird gegen die Kriminalität vorgegangen. Hier haben wir wieder das im Poliziotteschi so bekannte (und beliebte) Bild des Ermittlers, dem es egal ist, wie er die Subjekte zur Strecke bringt. Hauptsache, sie werden aus dem Verkehr gezogen. Dabei wird ihnen indirekt auch eine gewisse Menschlichkeit überhaupt abgesprochen.

Bestes Beispiel ist hierfür die Figur des Vincenzo Moretto, einem buckligen Gauner, der eindrucksvoll von Tomas Milian dargestellt wird. Gerade die Einführung der Figur, als Ferro ihn mit seinem Kollegen auf der Arbeit aufsucht, ist wirklich nett in Szene gesetzt. Moretto hat keinen Respekt, ist verschlagen und nur auf sein persönliches Wohl aus. Er wird offen als verkrüppeltes und somit unmenschlich wirkendes Wesen dargestellt, dass auch durch seine vielen Grimassen jeglicher Menschlichkeit beraubt wird. Seit jeher wird Lenzi und dem Film dabei vorgeworfen, dass man faschistisches und auch rassistisches Gedankengut vermittelt. Doch auf Political Correctness hat man im damaligen Filmland Italien, gerade bei solchen Genreproduktionen, auf gut Deutsch ausgedrückt ohnehin geschissen. Man kann einige Haltungen der Figuren innerhalb des Films und deren Fragwürdigkeit ausdiskutieren, sollte dabei allerdings nicht vergessen, dass Die Viper wie auch andere Polizeifilme ein eher hoch exploitatives Werk darstellt, welches gerade mit solchen Unkorrektheiten unterhalten möchte. Lenzi schafft dies wie in seinen anderen Polizeifilmen mit hoher Souveränität. So sind die Charaktere einfach sehr stark überzeichnete Figuren, auch wenn Merlis Ferro anders als die anderen harten Hunde, dier er so dargestellt hat, mit einem Konservatismus um die Ecke kommt, der einen doch schon recht säuerlichen Nachgeschmack hat. Trotzdem spielt der immer als im Talent limitiert bezeichnete Mime hier wie ein Derwisch. Ihm gegenüber kann man dabei nur Milian stellen, vom dem man ob seiner darstellerischen Leistung behaupten kann, dass er noch viel zu wenig Zeit im Film hat. Er geht voll in der Rolle des schmierigen Buckligen auf und überzeugt durch sein knapp am Overacting vorbeischrammenden Spiel.

So kann man über ein gleiches, altbekanntes Muster in der Geschichtsentwicklung bei Die Viper dann auch ruhig hinwegsehen. Man kennt sie aus anderen Merli-Filmen und wenn man damit zurechtkommt, bekommt man einen äußerst rasanten Poliziotteschi zu Gesicht. Meistens erfährt Merli von einem Verbrechen oder stößt immer rein "zufällig" auf eines und ist sofort Herr der Lage. Nach kurzer Jagd bzw. Verfolgung sind die großen und kleinen Ganoven gefaßt und dürfen die beiden Fäuste von Ferro schmecken. Da Kollegen und auch Vorgesetzte nicht begeistert sind, darf er sich auch dementsprechend öfters rechtfertigen und wieder seine harte Meinung über die lasche Gesetzeslage in seinem Heimatland auslassen. Ach ja, vergessen wir nicht die angesprochene Liebschaft. Aber in so einer herben Männerwelt wird sowas nur angekratzt. Ist Merli mit seinem eisernen Scheitel und dem buschigen Schnauzer ohnehin ein Epigone der wahren Männlichkeit. Neben angesprochenem Tomas Milian findet man auch noch den ebenfalls aus diversen Genrestreifen so bekannten Ivan Rassimov in einer kleinen Rolle als Drogenhändler wieder, der seine junge Gespielin gezielt unter Drogen setzt, um mit ihr Spaß zu haben bzw. sie gefügig zu machen. Die Welt des Poliziotteschi ist eine fürwahr düstere und schlechte, die keine großen positiven Ansätze zuläßt. So sind die Verbrechensbekämpfer moderne Heroen und Racheengel, um die nach Gerechtigkeit sinnende Zuschauerschaft zu befriedigen. Es funktioniert im Falle von Die Viper dabei richtig gut, so dass man auch zwei Augen zudrückt, wenn Lenzi eine Verfolgungsjagd aus seinem famosen Der Berserker (1974) recycelt.

Der Film bleibt ein äußerst rasanter Beitrag, der in der Blütezeit der Polizeifilmwelle entstand und gilt zurecht als heutiger Klassiker des Genres. Die Hatz Ferros nach den Gangstern ist gespickt mit einigen tollen Actionszenen und Lenzi schenkt dem Film eine ausgezeichnete Dynamik. Langeweile kommt hier mit Sicherheit nicht auf. Dafür sorgt unter anderem auch der treibende Soundtrack von Franco Micalizzi. Es ist ein weiterer Eintrag im Mikrokosmos der Maurizio Merli-Filme, in denen er umzingelt von nackter Gewalt ist und mit dieser allein fertig werden muss. Einzig und allein sein diesmal irgendwie sehr spießiger Charakter mit den dabei verbundenen Aussagen, vermag das ansonsten so tolle Filmvergnügen ein wenig zu schmälern. Es gibt zwar auch in anderen Filmen aus dieser Strömung ebenfalls nach Gerechtigkeit schreiende Polizisten, die dann ihre Version der Gerechtigkeit durchsetzen, doch hier scheint es Lenzi etwas zu gut mit dem moralinsauren Mordio in Richtung Gesetz gemeint zu haben. Schmälern tut es die unterhaltsame Verbrecherhatz durch die gefährlichen Straßen Roms keineswegs. Dafür spielen unter anderem auch Merli und Milian viel zu groß auf. Hätte gerade letzterer und seine Figur noch etwas mehr Screentime, so hätte man es mit einem wirklich perfektem Duell zwischen skrupellosem Ganoven und überhartem Bullen zu tun. So bleibt wirklich sehr gute Actionunterhaltung der politisch unkorrekten Sorte. Starker Beitrag, Herr Lenzi!
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Sonntag, 14. März 2010

Die Banditen von Mailand

Kommissar Basevi hat alle Hände voll zu tun in den Straßen von Mailand. Egal ob Schutzgelderpresser, Prostitution oder illegale Spielhöllen: die Gangster fallen dem jungen Polizisten reihenweise in die Hände. Etwas mehr zu schaffen macht ihm da schon der brutale Banküberfall einer mit Kalkül vorgehenden Bande von vier Männern, angeführt vom sehr von sich überzeugten Piero Cavallero. In den vergangenen Jahren hat dieser mit seinen Kumpanen schon einige Überfälle auf Banken verübt und hat einen letzten großen Coup geplant. Dieser geht trotz sorgfältiger Vorbereitung etwas schief und auf der Flucht durch ganz Mailand kommen auch einige unschuldige Menschen um bevor der Kommissar mit Hilfe einer aufgebrachten Menschenmenge Bartolini, den Fahrer der Vier, festnehmen kann. Auf der Wache packt dieser aus und schildert Basevi detailliert die Planungen zum Raub während seine Kumpanen, verfolgt von der Polente, versuchen ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Im Jahre 1968 war die Landschaft des italienischen Genrefilms außerhalb des wilden Westens noch recht beschaulich. Der Giallo war zwar schon präsent, doch bis zu seinen stärksten Zeiten dauerte es noch gut zwei Jahre als Dario Argento mit seinem Geheimnis der schwarzen Handschuhe die Welle ins Rolle brachte. An den Poliziotteschi war da noch fast gar nicht zu denken, immerhin hatte dieser seine Hochphase kurz nach dem abbebben der Giallowelle. Auch wenn für dieses Genre ebenfalls Anfang der 70er der Startschuss gegeben wurde. So kann man Die Banditen von Mailand zu einem der ganz frühen Vertreter der Bullen- und Gangsterfilme aus Bella Italia zählen, der gerade in den heutigen Zeiten einen sehr angenehmen, oldschooligen Charme versprüht. Wie die späteren Werke eines Fernando di Leo bietet der im englischen Sprachraum als The Violent Four bekannte Streifen eine gute Mischung aus Milieustudie und geradliniger Krimiunterhaltung, die, anders als bei di Leo, noch gemäßigter zu Werke geht. Auch hier werden zwar schon die garstigen Methoden der Gangster in den Vordergrund gerückt, doch die Brutalität hält im Vergleich mit den großen Werken aus den 70ern sich noch recht in Grenzen.

In Szene gesetzt wurde das ganze Geschehen von Carlo Lizzani. Der 1922 in Rom geborene Lizzani kam nach dem Ende des zweiten Weltkriegs zum Film und machte es sich dort erstmal in der aufkeimenden Bewegung des Neorealismus gemütlich. So arbeitete er an Rossellinis Deutschland im Jahre Null (1948) mit und wurde mit der Mitwirkung am Buch von Bitterer Reis (1950) sogar für den Academy Award nominiert. Desweiteren steuerte er auch noch eine Sequenz zu Liebe in der Stadt (1953) bei und arbeitete hier mit Fellini und Antonioni zusammen. Nach und nach setzte man Lizzani dann auch für trivialere Werke ein, bis er ungefähr ab Mitte der 60er sich ganz der leichten Filmunterhaltung widmete. Startschuß bildete dabei der Thriller Spione unter sich aus dem Jahre 1965. Mit dem ein Jahr später entstandenen Eine Flut von Dollars lieferte er einen von insgesamt zwei Western ab. Der frühere Filmkritiker hüpfte nun also von Genre zu Genre und schaffte es dabei sogar den Schmuddelklassiker Straßenmädchen-Report (1975), von dem sogar eine Hardcorefassung angefertigt wurde, zu drehen. Wie wechselhaft das Werk von Lizzani ist, beweißt unter anderem auch die Tatsache, dass er auch für das Kriegsdrama Mussolini - Die letzten Tage (1974) verantwortlich ist. Weitere bekannte Werke von ihm wären noch der Abenteuerstreifen Verflucht in alle Ewigkeit (1969) mit Terence Hill in der Hauptrolle und der Bud Spencer-Streifen Der Sizilianer (1972).

Bei Die Banditen von Mailand merkt man dabei, wie gut Lizzani die Gratwanderung zwischen anspruchsvollerem und trivialen Kino gelang. So ist der Film zu Anfang ein semidokumentarisches Stück welches Tomas Milian, zur damaligen Zeit noch sichtlich jung und grün hinter den Ohren, als Kommissaren bei seiner Arbeit begleitet. Der meist unsichtbare Reporter beschäftigt sich dabei mit der Frage, woher die aufkommende Brutalität der jüngeren Gangstergeneration kommt. Mit einem Interview eines Ganoven der alten Garde und von Milian geschilderten Fallbeispielen wird gezeigt, dass den jüngeren Kriminellen eine gewisse Moral fehlt, die man damals hatte und so zum Beispiel vor Mord an Unschuldigen zurückschreckte. Lizzani beschäftigt sich hier nicht groß mit dem Vorstellen von gewissen Charakteren sondern wirft uns gleich in das Geschehen. So sind nach dem recht kurzen deutschen Credits die ersten Szenen, wie ein Mob von Menschen einen Gangster dingfest macht. Nach der angesprochenen dokumentarischen Abhandlung der Arbeit von Basevi wechselt man auf eine gewohntere Erzählstruktur. Der Einstieg, wie ein Pulk von Menschen einen Kriminellen stellt, wird wieder aufgenommen. Dieser sitzt nun auf der Polizei und schildert dem Kommissaren sowie dem Zuschauer in einer Rückblende, wie es zu dieser Situation zu Beginn überhaupt kommen konnte. Diese wird also auch nochmal mitten im Film aufgegriffen und erst dann erzählt Lizzani die mittlerweile begonnene Geschichte um eine Bande von Bankräubern zu Ende.

Ein schöner erzählerischer Kniff, der es so schafft, den Zuschauer bei Stange zu halten. Wobei man sich hier nicht über fehlende Spannung beklagen muss. Die Bildung des Teams, Ausarbeitung und Durchführung des Bankraubs ist ohnehin schon ein sehr toller Prozess, den Lizzani sorgfältig ausgearbeitet schildert. Somit rückt die Polizeiarbeit von Milian alias Herrn Basevi in den Hintergrund bzw. wird immer nur sehr kurz angeschnitten. Der später durch seine Rollen in Poliziotteschi wie Der Berserker (1974) oder Die Kröte (1978) viel gerühmte Milian bleibt hier noch recht verhalten. Zwar macht er seine Sache ordentlich, doch großartige mimische Akzente kann er anders als in seinen Rollen in den 70ern noch nicht setzen. Wobei der eigentliche Star von Die Banditen von Mailand auch eher Gian Maria Volonté ist. Sein Piero Cavallero ist ein einnehmender und großartig gemimter Charakter, der sich als vollkommen und perfekt ansieht. Die Überdosis Selbstvertrauen wird dem ganz schön gerissenen und skrupellosen Herrn letztendlich aber auch sein Untergang. Wobei er selbst nach dem Scheitern seines so herrlichen Plans immer noch so schön verblendet ist, dass er sich trotz Niederlage als halber Sieger sieht. Der 1994 leider schon verstorbene Volonté trumpft geradezu auf und überzeugt durch nuancierte Mimik und Spielfreude auf. Er scheint ein gescheiterter Revoluzzer zu sein, wie eine kurze Sequenz andeutet, als sein Waffenhändler anmerkt, dass er aus der Partei geschmissen wurde. Auch in dieser Phase seines Lebens scheint Cavallero zu sehr von seinem einnehmden Ego bestimmt gewesen zu sein.

Neben Volonté wird Die Banditen von Mailand vor allem durch seine Erzählstruktur getragen, die auch inmitten der Handlung von einigen kleinen dokumentarischen Stilelementen durchdrungen wird. Der Reporter vom Anfang fungiert hierbei als erklärender Zusatz, wenn Lizzani urplötzlich zwischen Zeitebenen springt oder kurz vor dem großen Banküberfall dem Zuschauer die späteren, unschuldigen Opfer vorstellt. Hinterher muss man gestehen, geht dem Film etwas die Luft aus. Da gingen Lizzani eventuell die Ideen und die Actionanteile aus. Zwar fliegt hier nicht so dolle die Kuh wie in späteren Poliziotteschi, trotzdem können die Mailänder Banditen auch hier überzeugen. Egal ob Schießereien oder Verfolgungsjagden, auch die Action paßt sich dem gehobenen Niveau des Werks an. Die Kamera hält frontal auf das Geschehen, welches von dynamischen und schnellen Schnittfolgen verstärkt wird. Unterstützt werden diese Szenen vom einem funky Soundtrack aus der Feder von Riz Ortolani, durchtränkt vom damaligen Zeitgeist aber hundertprozentig passend. Dieser schafft es dabei auch die härtesten Szenen des Films mit Stücken zu untermalen, die unheimlich catchy sind. Trotzdem sinkt der Spannungspegel im letzten Viertel rapide und Lizzani kann auch mit dem Ende nur noch schwer versöhnen. Wobei man hier immer noch realistischer und nicht so abgehoben erzählt, wie die Kollegen einige Jahre später.

Daher auch die recht ungeschönten, grobkörnigen und triste Bilder um den Grundton des Films einfach wie möglich zu halten. Hier und da gibt es eine tolle Einstellung oder Montage, doch an und für sich ist Die Banditen von Mailand ein sehr nüchterner Film. Es ist eine Momentaufnahme gescheiterter Figuren, die von einem besseren Leben träumen und dabei mit Piero Cavallero an einen gefährlichen Egomanen gerät, der um sich selbst und sein Ego zu befriedigen, den Weg der Kriminalität beschreitet. Seine Sucht im Mittelpunkt zu stehen, wird gerade durch das Ende nochmal sehr gut dargestellt. Er genießt das Bad in der Menge, ganz egal, welchen Hintergrund dieses überhaupt hat. Der Traum vom Reichtum und Aufmerksamkeit um seine Person ist überhaupt der ganze Antrieb hinter seinen Taten. Er ist rücksichtslos und voller Zynismus, den Lizzani in seinem Film sehr gut transportieren kann. Dieser schuf mit Die Banditen von Mailand eine kleine, frühe Perle des italienischen Polizei- bzw. Gangsterfilms, der mit einem gelungenen Anteil an Spannung und Action aufwarten kann und dabei sogar die Figurenzeichnung nicht außer acht läßt. Sie ist vielleicht nicht so richtig ausgearbeitet wie in anspruchsvolleren Autorenwerken, doch Lizzani kann seinen neorealistischen Hintergrund auch durch die Zeichnung des einfachen Bürgers im Film nicht verleugnen. 

Einzig und allein das etwas sang- und klanglose Ende stellt hier einen kleinen Minuspunkt dar. Ansonst bietet Die Banditen von Mailand eine gute Mischung aus klassischem Kriminalfilm, der schon einige Elemente der späten Poliziotteschi in sich trägt und leichter Gesellschaftsbeobachtung bzw. -kritik. Zusammen mit einem erlesenen Cast, unter dem ein ebenfalls noch recht junger Ray Lovelock sowie die britische Darstellerin Margaret Lee zu finden sind, hat man es hier mit einem erlesenen Gangsterstreifen zu tun, der mehr als nur einen flüchtigen Blick wert ist.
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Donnerstag, 3. Dezember 2009

Das Schlitzohr und der Bulle

Ein harter Fall zwingt den Kommissaren Sarti zu ungewöhnlichen Methoden: um ein entführtes Mädchen mit einer schweren Nierenkrankheit, welches dringlichst ärztliche Behandlung benötigt, aus den Fängen des skrupellosen Brescianelli zu befreien, befreit er den kleinen Ganoven Sergio, der von allen nur Maccaroni genannt wird, kurzerhand aus dem Knast. Anfänglich nicht gerade zur Kooperation bereit, kann ihn Sarti unter anderem mit Waffengewalt zur Mitarbeit bewegen. Als nächster Coup kann der toughe Bulle sogar noch ein Trio von Zugräubern unter Mithilfe von Maccaroni dazu bewegen, ihm zu helfen. Doch die Zeit drängt. Brescianelli und seine Helfer verlangen ein zu hohes Lösegeld, welches die Eltern nicht zahlen können und dem Mädchen geht es immer schlechter. Eigentlich läuft die Zeit gegen Sarti und seine Gaunerbande, doch trotzdem versucht es der verbissene Polizist trotz größerer Probleme mit seinen Vorgesetzten und auch seinen sehr ungewöhnlichen neuen Problemen, Brescianelli auf die Schliche zu kommen.

Wenn eine nicht unumstrittene deutsche Rockband mit dem Titel "Nur die Besten sterben jung" einen gewissen Bekanntheitsgrad errungen hat, so muss man der Gruppe attestieren, dass sie nicht ganz unrecht haben. Das unberechenbare Schicksal riss auch den italienischen Schauspieler Claudio Cassinelli viel zu früh aus dem Leben. Während den Dreharbeiten zum Film Fists of Steel verstarb er im Alter von gerade mal 46 Jahren durch einen Hubschrauber-Absturz. Der in Bologna geborene Darsteller war ein wandelbarer Mensch, der es verstand, seinen unterschiedlichen Figuren Leben einzuhauchen und diese durch sein engagiertes Spiel regelrecht dynamisch auf die Leinwand zu bringen. Mitte der 70er Jahre startete er zum damaligen Run der Poliziotteschis, den Action- und Crime-Filmen aus Italien, richtig durch als er in Dallamanos Der Tod trägt schwarzes Leder zum ersten Mal als Polizist in Erscheinung tritt. Den ruppigen Polizisten sollte er nicht nur einmal spielen. Zwar tauchte er danach erstmal noch als Abraham im sehr feministisch gezeichneten, aber auch extrem brutal gezeichneten Exploitationkracher Flavia - Leidenswege einer Nonne auf. Danach folgten noch so einige Poliziotteschi wie Die letzte Rechnung schreibt der Tod, dem sehr vergnüglichen und mitreißenden Morte sospetta di una minorenne oder eben Das Schlitzohr und der Bulle. Danach folgten noch einige Filme verschiedenster Sparten, darunter einige Arbeiten mit dem Morte sospetta...-Regisseur Sergio Martino wie dessen Kannibalenabenteuer Die weiße Göttin der Kannibalen, dem Krokoschocker Der Fluß der Mörderkrokodile oder auch dem Monsterstreifen Die Insel der neuen Monster.

Cassinelli bereicherte mit seinem Können eigentlich jeden Film in dem er mitspielte und so macht auch in Umberto Lenzis Porträt der kleinen Gauner und Fische in der römischen Unterwelt eine außerordentlich gute Figur. Er ist ein unbequemer Mensch, der, wie er es auch öfters innerhalb der Geschichte erwähnt, deswegen auch schon in die tiefste Provinz versetzt wurde. Aber man kennt es ja in den italienischen Poliziotteschi: für die richtig harten Jobs, braucht man eben Männer mit Profil. Doch auch wenn Cassinelli wirklich riesig einen unerbittlichen Cop mimt, der mit seinen Methoden desöfteren aneckt und sowieso schon fast auf der gleichen Stufe wie die von ihm eigentlich bekämpften Gauner steht, so kommt er nicht so wirklich an seinem Kollegen Tomas Milian vorbei. Der durch diverse Italowestern bekannt gewordene, auf Kuba geborene Darsteller, meistert seine Rolle als "Maccaroni" mit beachtlicher bravour. Hier taucht er auch zum ersten Mal in einem Look auf, den Milian später noch in so einigen Filmen auf dem Leib tragen würde. Mit verwegen großem Afro, fransigem Bart und schlabbrigem Blaumann gibt er den stets etwas asozial daherkommenden Gauner, der trotz seiner ruppigen, direkten Art auch einen gewissen Charme und trotzdem ein gutes Herz besitzt.

Milian und Cassinelli bilden einen schönen Gegensatz, bei dem sie die Grenzen ihrer Rollen immer wieder aufbrechen und auf der gleichen Stufe stehen. Gerade wenn sich Sarti dann mit den Räubern um Calabrese nochmals aus dem Milieu stammende Helfer dazuholt, werden sein Ton und seine Methoden noch um einiges ruppiger als ohnehin schon. Es wird verprügelt, aufgemischt und sogar Waffengewalt angewandt um seinem Ziel näher zu kommen. Doch durch den Charakter des Maccaroni vermischt sich der von Lenzis Poliziotteschi ohnehin schon sehr brutalen Stil urplötzlich eine Art Gewitztheit und Humor in die ansonst sehr ruppige Geschichte. Auch wenn Lenzi das ursprünglich von Dardano Sacchetti geschriebene Drehbuch nach seinem gutdünken umschrieb, da er den zuerst sehr lustigen Stil von Sacchettis ursprünglichem Entwurf nichts anfangen konnte, blieb trotzdem immer noch genug Humor übrig. Gerade diese lockere, flapsige Art von Maccaroni verbunden mit dessen verschiedensten Verkleidungen wie einem Schäfer, Pater oder auch einem Maler erscheint im ersten Moment etwas ungewöhnlich, bringt aber auch gesunde Abwechslung in die Geschichte. Gerade zum Beispiel die Aktion von Maccaron und Sarti, sich als Maler verkleidet in ein Gefängnis einzudringen um Infos über den Aufenthalt von Brescianelli von einem Inhaftierten zu holen, ist wirklich sehr toll umgesetzt und zeigt, wie locker Lenzi von unterhaltsamen zu gewaltsamen Szenen umschalten kann.

Zwar nicht so oft zu erblicken, aber dennoch sehr solide agierend, ist Henry Silva in seiner Rolle als Obermufti und Entführer. Der Mann mit dem teils eisernen Gesichtsausdruck verkörpert einen eiskalt berechnenden Mann, der ohne jegliche Gnade seinen Willen im Entführungsfall durchsetzen will und auch nicht davor zurückschreckt, den angeblichen Bruder Maccaronis als Warnung erschießen zu lassen. Ohne mit der Wimper zu zucken jagt Lenzi den Zuschauer auch durch die Geschichte, die unglaublich straight mit durchgetrenem Gaspedal erzählt wird, um wirklich kaum Zeit zum Verschnaufen bietet. Große Zeitsprünge innerhalb der Handlung und grobe Schnitte erzählen das Geschehen fast schon im Zeitraffer. Trotzdem gelingt es Lenzi allerdings auch, eine gewisse Atmosphäre aufzubauen. Gehetzt mag sie wirken, verfehlt aber nicht ihre Wirkung. Man merkt auch sofort, dass die Geschichte von Das Schlitzohr und der Bulle, also der Entführungsfall, eigentlich nur ein Aufhänger für etwas völlig anderes ist. Die Polizeiarbeit rückt in den Hintergrund, selbst der eigentlich sehr präsente Cassinelli macht hier Platz für die Darsteller-Kollegen, welche die "böse" Gegenseite darstellt. Allen voran wieder die Figur des Maccaroni zeigt, dass hier der Fokus eher auf den kleinen Fischen unter den Gaunern liegt. Sie nehmen einen großen Teil des Films ein und so sind auch die Figuren der Räuber Calabrese, Vallelunga und Mario nicht einfach nur Nebenfiguren. Gerade letzterer sorgt noch für einige Konflikte mit Sarti, die dann doch wieder diese Grenze zwischen Polizist und Kleinkriminellen aufzeigt. Auch wenn sie trotz einiger Gegenwehr trotzdem immer zu Sarti halten und diesem helfen, so zeigt Lenzi aber auch eindeutig immer wieder die Seiten auf, zu denen die einzelnen Personen gehören.

So richtig moralisch wird Lenzi da dann natürlich nicht. Seine hier gezeichnete Welt ist - wie in anderen seiner Werke - eine sehr brutale, in der der Stärkere gewinnt und sich durchsetzt. Dem kurzen Aufzeigen, wohin die Personen im von Sarti gebildeten Team gehören - ob zur "guten" oder zur "schlechten" Seite - stehen einige fast schon zweifelhafte Methoden und Szenen gegenüber. Auch wenn Sarti zur Seite der "Guten" gehört, so nimmt er durch den großen Kontakt mit den Gaunern fast schon deren Züge an. So billigt er auch ohne mit der Wimper zu zucken beim Durchsuchen eines Haus, das sein Begleiter sich mit der Haushälterin "vergnügt". Lenzi verliert es zwar durch die etwas episodenhafte Erzählweise nie wirklich aus den Augen, auch die Geschichte voranzutreiben, doch irgendwie entgleitet im bis zu diesem Zeitpunkt wirklich unterhaltsamen Film dann etwas das Finale. Die finale Konfrontation mit Brescianelli ist im Vergleich mit den Versuchen, ihn aufzufinden, eher etwas zu kurz ausgefallen. Einem so fulminanten bzw. rasanten Aufbau sollte ein epischer Showdown zwischen den beiden Männern Sarti und Brescianelli folgen, doch hier schlagen dann Lenzi und Sacchetti eine andere Richtung ein und lassen das ganze relativ unspektakulär verpuffen. Etwas enttäuschend könnte man das nennen, da so ein Film wie Das Schlitzohr und der Bulle irgendwie sowas krachendes zum Schluß braucht. Wenn Lenzi schon wilde Verfolgungsjagden, einige Schießereien, fast schon alltägliche Gewalt auf den Straßen Roms und ähnliches schildert und es noch mit humorigen Szenen würzz, dann sollte eben auch das Finale nochmal so richtig krachen. Schlecht ist es jetzt nicht ausgefallen, aber irgendwie etwas beiläufig.

Dafür zeigt das Ende aber auch nochmal schön das Verhältnis zwischen Macceroni und Sarti auf. Nach all der gemeinsamen Zeit, in der sie sich beide wohl zusammenreißen mussten, scheint wohl schon sowas wie Freundschaft entstanden zu sein. So könnte Das Schlichtohr und der Bulle fast schon ein sehr früher Vorläufer der Buddy-Movies aus Hollywood sein und nicht von ungefähr war er sogar Vorbild bzw. wenigstens Inspiration für so einen: Walter Hill soll die Idee zu seinem Nur 48 Stunden nach dem Anschauen dieses Werks gekommen sein. Durch diese Elemente ist es auch ein eher ungewöhnlicher Poliziotteschi, der zwar die von Fans gewohnten und geliebten Elemente beinhaltet, aber schon von Anfang an einfach etwas anders ist: beginnt er doch tatsächlich eher wie ein Italowestern mit Bildern von Cowboys, Wüste und Co. Ebenfalls erwähnenswert ist auch der sehr mitreißenden Score von Bruno Canfora, der so manche Szene sehr schön untermalt. So ist ein humoriger, und trotzdem sehr harter - wie von Lenzi gewohnt - Poliziotteschi entstanden, der auf ganzer Linie überzeugen kann und vor allem durch das Duo Milian und Cassinelli auftrumpfen kann.
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