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Samstag, 18. August 2018

Ghostland

Pascal Laugier hat ein Problem. Ob bewusst oder unbewusst, misst man seine neuesten Werke bis zu einem gewissen Punkt immer an seinem Opus Magnus Martyrs. Mit The Tall Man (hier besprochen) schien er bewusst einen anderen Weg einzuschlagen und gab dort leichte Töne von sich. Mit seinem neuesten Film bringt er den Terror zurück in sein Schaffen. In Ghostland konfrontiert der Franzose die alleinerziehende Mutter Pauline und deren Töchter Vera und Beth nach ihrer Ankunft im neuen Heim, dem Haus von Paulines verstorbener Tante, mit den Insassen eines schäbigen Eistrucks. Kaum dort angekommen, leuchten die Scheinwerfer des Trucks fahl und bedrohlich aus der Dunkelheit. Seine Insassen, ein hagerer Transsexueller und sein breitkreuziger, geistig zurückgebliebener Partner, brechen unbemerkt in das alte Haus ein und überwältigen die drei Frauen. Es folgt eine Nacht voller Terror und Folter. Wie von Laugier fast gewohnt, folgt ein harter Schnitt und ein Sprung in eine andere Zeit. Beth, seit ihrem Teenageralter eine glühende Verehrerin von H. P. Lovecraft, hat es von der unsicheren, schüchternen Jugendlichen, die für sich selbst Kurzgeschichten verfasste, zu einer erfolgreichen Horrorromanautorin geschafft.

Zuerst wird Beth von Alpträumen über die damalige Schreckensnacht geplagt, bevor sie ein verstörender Anruf ihrer Schwester Vera erreicht. Die alarmierte junge Frau lässt den Gatten und ihren Sohn zurück und reißt zu ihrer Familie, die immer noch im gleichen Haus lebt. Kaum dort angekommen haben Beth und ihre Mutter große Probleme, die vollkommen traumatisierte Vera, die zurückgezogen im Keller des Hauses lebt, unter Kontrolle zu halten. Ihre Panikattacken werden länger und schlimmer und bald steigt bei Beth der Verdacht, dass etwas aus der damaligen Nacht in irgendeiner Weise wiederkehrt. Schnörkellos, ohne große Umschweife und auf maximale Durchschlagkraft bedacht, baut Laugier Ghostland auf. Zügig führt er seine drei Hauptpersonen ein um genau so schnell die Konfrontation mit den Antagonisten zu erwirken. Nahezu brachial explodiert die über die Protagonisten hereinbrechende Gewalt. Schnelle Schnitte, extreme Nahaufnahmen. Man wird förmlich in diese Horrornacht mit hineingerissen. Die gewollte Wirkung erzielt Laugier so plötzlich, wie das psychopathische Pärchen auftaucht, um dann einfach die Stimmung herumzureißen.

Pascal Laugier hat ein weiteres Problem. Ihm gehen die Ideen aus. Es fehlt dem Franzosen an Inspiration. Der zeitliche Sprung bringt als erstes einen Starken Bruch in der Atmosphäre; als zweites entpuppt sich der Handlungsbogen um die traumatisierte Vera als unentschlossenes Pendeln zwischen verkappten Besessenheitshorror und Psychothriller. Die vom Regisseur ausgelegte Fährte, ob das im Haus erlebte nun Einbildung ist oder nicht, sein hinarbeiten auf die eintretende Wendung und diese selbst ist - nicht nur für geübte Genrefreunde - leider sehr offensichtlich ausgelegt. Es nimmt Ghostland einen Großteil seiner Spannung. Einzig die von Laugier angestimmte Tortour de Force kann das Abgleiten in die Mittelmäßigkeit aufhalten. Nach besagter Wendung macht Laugier das einzig richtige und widmet sich dem Kampf seiner weiblichen Protagonisten gegen ihre Peiniger. Terror kann der Franzose, auch wenn sich dieser in Ghostland abgenutzt anfühlt. Vieles kennt man aus ähnlich gelagerten Home Invasion-Filmen. Es ist routiniert umgesetzt, aber auch altbekannt. Einzig das Tempo des Films und das düstere, dreckige Haus, von oben bis unten mit beängstigend leblosen Puppen vollgestopft, halten bei der Stange. Würde Laugier nicht wie ein wütender Berserker mit tosendem Schritt durch die Geschichte donnern, wäre Ghostland viel enttäuschender.

Langsam aber sicher sollte der Mann sich von seinen bevorzugten Themen lösen. Laugiers Werke sind ein Kino verdrängter Traumata, welches bevölkert ist von Frauenfiguren, die einen gewaltsamen und beschwerlichen Weg auf sich nehmen müssen. Meist erscheinen sie so gebrochen wie die Gesicht auf dem Kinoplakat von Ghostland. Aber alles, was er in seinem eng gesteckten Themengebiet aufgreift, brachte er bereits mit Martyrs auf den Punkt. Ob The Tall Man oder Ghostland: es sind Variationen seiner Grundthematik. Sujet, Erzählweise, Anreicherung mit anderen Stoffen mögen sich ändern, im Kern bleiben die Geschichten des Franzosen gleich. Jetzt gilt es nach diesem Film aufzupassen, sich nicht ständig zu wiederholen und auf diesem Grundrezept auszuruhen, bevor Laugier plötzlich zu einem Künstler wird, der gefühlt seit vielen Jahren das ein und selbe bringt, nur immer etwas anders verpackt. Das er die Formeln des Terrorkinos beherrscht, zeigt er. Ghostland ist für die Figuren des Films selbst wie auch den Zuschauer eine physische Erfahrung. Was er mit fehlenden Variationen und der missglückten Wendung verpasst, schafft er mit einer Geschwindigkeit, die zusammen mit der kompromisslosen Gewalt schier überrollt. Es fehlt nur an neuen Sichtweisen und Perspektiven, um sich aus der Hölle der Wiederholungen raus zu holen.
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Mittwoch, 11. April 2018

The Tall Man

Pascal Laugier brauchte wenige Versuche, um sich in den Herzen hartgesottener Horrorfilmfans zu verankern. Die New Wave of French Horror erhielt durch seinen zweiten Film Martyrs einen ersten Höhepunkt. Es ist auch einer der wenigen Filme, deren Durchschlagkraft dauerhaft wirkt: es mag paradox klingen, dass ich diesen zwar gerne wieder in Sammlung stellen, aber so schnell nicht mehr schauen würde. Aktuell läuft mit Ghostland Laugiers neuester Anschlag auf die Nervenkostüme der Zuschauer in den Kinos. Zwischen diesen beiden Werken schuf Laugier The Tall Man, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob der Druck nach seinem Erfolgsfilm zu groß war oder er aber bewusst nicht noch einen blutigen Schocker machen wollte. Da der Film weitaus leisere Töne von sich gibt, war die Enttäuschung im Lager der nach Blut und Gekröse gierenden Fans groß. The Tall Man ist mehr ein Mysterythriller, der in seinem finalen Akt auch gerne ins dramatische Fach wechselt.

Einer Sache bleibt Laugier treu: in seine Geschichte nicht erwartete Wendungen einzubauen, die - das muss man zugeben - mit der ersten in der besten Tradition Hitchcocks dem Zuschauer vor den Kopf stößt und wirklich überrascht. Er wendet das beim Publikum entstandene Bild über seine Protagonistin Julia um 180 Grad zu einem Zeitpunkt, in dem man in jedem weiteren Moment mehr mit dieser bei ihrer Suche nach ihrem verschwundenen Sohn David mitfiebert. Julias Sprössling ist leider nicht das erste Kind, welches im verarmten und heruntergewirtschafteten Dorf Cold Creek verschwindet. Das durch die Schließung der einst (über)lebenswichtigen Miene stark gebeutelte Örtchen kämpft schwer damit, dass immer wieder in unregelmäßigen Abständen die Töchter und Söhne der am Existenzminimum wandelnden Familien verlorengehen. In Cold Creek geht die Legende um vom "Tall Man", einer schwarz gewandeten Kreatur, welche in den nächtlichen Stunden die Kinder des Dorfs entführt und mit sich nimmt. Julia, Witwe des Dorfarztes und Krankenschwester, macht sich nach Davids Verschwinden entschlossen auf, diesen aus den Fängen des unheimlichen Wesens zu befreien und entdeckt dabei die Wahrheit hinter dem Tall Man.

Ab diesem Zeitpunkt schüttelt Laugier seine Geschichte gründlich durch und setzt deren Grundgerüst anhand dieser Twists immer neu zusammen. Ein Rezept, dass auch bei Martyrs vortrefflich funktionierte. Die zwei größten Wendungen, die nahe beieinander liegen, rütteln nicht nur die Grundkonstellation der Story gründlich durch. Der Regisseur und Autor platzierte sie unglücklich zu einem Zeitpunkt, in der man als Zuschauer mehr und mehr Zugang zur kühlen und in konventionellen Bahnen laufenden Mysterystory bekam. Nach den ersten Sichtungen des titelgebenden Geschöpfs und seinem Lastwagen, werden kleine Erinnerungen an Victor Salvas Jeepers Creepers wach und wecken Erwartungen an die Geschichte, die Laugier bewusst nicht erfüllen möchte. Auch wenn der Franzose mit der ersten Hälfte das Rad nicht neu erfindet, dafür aber die Settings des Orts mit trostlos kühlen Bildern und einem Gespür für Details sehr authentisch erscheinen lässt, findet man - wenn auch mühsam - einen Weg in die Geschichte. Deren um Spannung bemühter Aufbau mit altbekannten Mustern wird von Hauptdarstellerin Jessica Biel aufgewertet, durch deren engagiertes und gutes Spiel die in der Erzählung mangelnden Emotionen beigefügt werden. Die Entscheidung Laugiers in seiner Funktion als Autor, die bisherigen Ereignisse auf den Kopf zu stellen, stoßen nicht nur wie angesprochen vor den Kopf: sie hinterlassen sogar einen säuerlichen Nachgeschmack. Ein gewolltes Anecken, ein Spiel mit Wahrnehmung der Protagonisten und des Zuschauers, das nicht richtig aufgehen mag.

Bald kann man dem franzözischen Filmemacher Faulheit vorwerfen. Halbwegs funktionierende, schockierende Twists lenken The Tall Man weg vom angedeuteten, übernatürlichen Mysteryschocker zu einem Thrillerdrama, das den schemenhaften bösen, schwarzen Mann als einen vom Menschen geschaffenen Schrecken enttarnt. Schon in Martyrs ließ Laugier den übernatürlichen Aspekt fallen um einem realistischeren Unterbau Platz zu machen. Man kann nachvollziehen, dass der Regisseur nicht 1:1 das gleiche, nur mit einigen Änderungen schaffen wollte. Es war mutig, nach einem eben auch bei Splatterfans gefeiertem Film nun den entgegengesetzten Weg zu gehen. Laugier schuf damit seine Form der Provokation, will aber um deren Willen heraus es so einfach wie möglich machen. Dazu kommt eine Auflösung, die mit weiterem Handlungsverlauf ein fragwürdiges Gedankenkonstrukt offen legt, gebettet in einen Thriller mit Sozialdramazügen. Richtig konnte ich mich damit nicht anfreunden; zu verquert erscheint das, wobei Laugier schon interessante Fragen aufwirft. Im Endeffekt kehrt er selbst hier zu Martyrs und den darin aufkommenden Gedanken zurück, wie weit der menschliche Wille des Forschens gehen kann bzw. sollte. In The Tall Man beschäftigt sich Laugier mehr damit, wie weit man als Mensch gehen kann und verloren geglaubte Existenzen mit neuen Chancen im Leben geben kann und dabei auch billigend neu aufkommendes Leid zu schaffen. Das ist durchaus interessant Horror oder Mystery mit sozialethischen Fragen zu kombinieren, kann im gesamten nur bedingt fesseln. Irgendwo wiederholt sich Laugier doch, trotz seines Versuchs, eine neue Geschichte zu erzählen. The Tall Man positioniert sich damit leider im Mittelmaß, lässt seinen Macher dafür weiterhin ebenfalls interessant erscheinen.

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