Montag, 23. Dezember 2019

Wish Upon

Alle Jahre wieder, mindestens ein- oder mehrmals, schnappt man sich als Filmfreund und/oder -blogger die deutlich abgegriffene Tatsache, dass die Hollywood'sche Traumfabrik diese Bezeichnung schon lange nicht mehr zu recht trägt. Einfallslosigkeit macht sich breit; Cineast, Bingewatcher und Allesglotzer leiern ihre Beschwerde deutlich müde in die Welt hinaus, dass softe oder harte Reboots, Remakes, Prequels, Sequels, der x-te Superhelden-Blockbuster oder was auch immer die eigene filmische Bubble bzw. Wahrnehmung stört, von einem übergroßen Kreativitätsdefizit zeugt. Der Wunsch nach Innovation, egal in welchem Genre, sprießt seit Jahren und ist so unvergänglich wie Unkraut. Über die Jahre, seitdem dieses Blog existiert, dürfte auch meine Wenigkeit so unermüdlich gewesen sein, diesen Meinungskanon herunter zu beten. Und Wish Upon? Das ist beileibe nicht der erhoffte Heilsbringer des Horrorgenres, die schon längst in Gestalt von Regisseuren wie Ari Aster, dem Duo Justin Benson und Aaron Moorhead oder Jordan Peele sich daran machen, den verdorrten Acker des Genres umzupflügen.

Die Tagline des Films mahnt bereits: Be careful what you wish for! Vielschichtige Charaktere, intelligenter, am besten noch mit Meta-Ebene versehener Horror mit wendungsreicher Story, eine visuell ansprechende Präsentation, eine spannende und mitreißende Art der Erzählung: Wish Upon kann kaum etwas davon bieten. Meine für viele Horror-Produktionen jüngeren Datums zum Lieblingswort gewordene Umschreibung generisch - eigentlich auch erster Todesstoß für einen Film - lässt sich passend auf diesen anwenden. Zwischen Mystery-Thriller und seichtem Horror schwankend erzählt man die Geschichte der Schülerin Clare, einer Bilderbuch-Außenseiterin, mitsamt ebenfalls weniger beliebten Freundinnen und einem Highschool-Beau als heimlichen Schwarm. Die armen Verhältnisse, in denen sie heranwächst, sind ihr peinlich und bei jeder sich bietenden Gelegenheit wird sie in der Schule den Grausamkeiten von Schul-Liebling Darcie ausgesetzt. Vom alltäglichen Leid geplagt, spricht sie mit der von ihrer Vater beim Schrott sammeln gefundenen, chinesischenWunschbox im Arm den Wunsch aus, dass Darcie doch am besten verrotten soll.

Einen Tag später wird diese mit einem aus dem Nichts aufgetauchten nekrotischen Befall großer Hautteile ins Krankenhaus eingeliefert. Anfänglich noch als Zufall von Clare abgetan, merkt sie bald, dass die geheimnisvolle Box die Kraft besitzt, ihre Wünsche Realität werden zu lassen. Nach dem plötzlichen Tod ihres Onkels erfüllt sich mittels der Box der Traum vom besseren Leben; sie wird an der Schule beliebt, ihr Schwarm interessiert sich für sie und auch ihr sich als Schrottsammler durchs Leben schlagender Vater wird dank Clares Wünsche mit einem neuen Leben bedacht. Dabei bemerkt das Mädchen zuerst gar nicht, dass die Box für jeden getätigten Wunsch einen hohen Preis fordert. Erst durch ihren Mitschüler Ryan und dessen Cousine Gina, die auf Clares Bitten die altchinesische Schrift auf der Box übersetzt, dämmert ihr langsam, dass in den unscheinbaren Holzkasten eine böse Kraft ruht. Umgesetzt wird dies als durchaus interessante, wie leider auch überraschungsarme Mystery-Story, deren Horror-Ausflüge zu einer Art Final Destination Light werden. Anders als die Filme dieser Reihe werden die dort immer unglaubwürdigeren Zufallsabfolgen, die zum Tod der Figuren führen, glücklicherweise nicht übernommen.

Wish Upon bleibt angenehm auf dem Teppich und schafft es in diesen Szenen durch gutes Timing und dem Spiel mit den Erwartungen der Zuschauer, Spannung aufzubauen. Die Sterbeszenen fallen eine ganze Ecke unspektakulärer als beim mutmaßlichen Vorbild aus. Zum Stil des Films mag das durchaus passen, der Final Impact dieser Sequenzen wird zeitgleich leider auch beschnitten: der erwartete große Knall wird ein leises Puffen. Überraschend gut funktionierte da die offensichtliche Botschaft, die man der jungen Zielgruppe vermitteln will. Die Träume sind Schäume-Message des Scripts winkt merklich ab der zweiten Hälfte wenig galant, aber nicht zu aufdringlich mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl durch die Szenerie. Dank Hauptdarstellerin Joey Kind, die aus Clare eine Figur formt, zu der selbst ältere Semester unter den Zuschauern einen Zugang finden, gelingt es Wish Upon aus einem objektiv betrachtet beliebigen Teenie-Horror-Beitrag einen durchaus sehenswerten Vertreter seiner Zunft zu machen, ungeachtet dessen, dass man vieles, was der Film bietet, als Zuschauer bereits häufig vorgesetzt bekam.

Die in den Medien und sozialen Netzwerken wie z. B. Instagram dauerpräsente Verlockung der schönen, vermeintlich perfekten Welt von Menschen mit makellosem Leben und Aussehen ist eine trügerische Oberflächlichkeit, die selbst mit dem Aufstieg zu diesem Level nicht die dahinter klaffende Leere verbergen kann. Man kann auch mit dem, was einem gegeben wird, zufrieden sein und was gutes daraus machen, gibt Wish Upon seinem (jungen) Publikum mit auf dem Weg und rät diesem mit seiner Moral, den eigenen Blick niemals von diesen Versuchungen blenden zu lassen. Unbedachte ausgesprochene Wünsche bringen wahr geworden lediglich kurzzeitige Erfüllung und irgendwie könnte man das auch als spöttischen Kommentar gegenüber anspruchsvollem Horror-Publikum sehen. Wenn die Phantastik und ihre Möglichkeiten tatsächlich an der Endlichkeit angekommen sind, sollte man sich mit dem, was einem aufgetischt wird, zufrieden geben. Bodenständigkeit ist keine schlechte Eigenschaft, nur ruhen sich Filmkreative leider viel häufiger darauf aus, als ein Wagnis einzugehen. Leider beraubt sich Wish Upon durch sein unglücklich übergroßes Foreshadowing zu Beginn fast jeden Überraschungsmoments. Einzig das fiese Finale kann kurzzeitig schocken, bevor man wieder den Boden der Tatsachen unter den Füßen hat. Diese zeigt, dass bekannte Elemente gekonnt miteinander kombiniert durchaus kurzweilige Unterhaltung bieten kann, Wish Upon aber auch eher im Kurzzeitgedächtnis der Fans haften lässt, weil bei allen positiven Merkmalen die Durchschnittlichkeit vorherrscht. Ich für meinen Teil mochte das und fand vieles sympathisch und nett, wobei leider auch letzteres Adjektiv immer einen kleinen Hauch Negativität mit sich bringt.
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Freitag, 13. Dezember 2019

Magnum 45

Unter der Oberfläche brodelt es. Das Blut kocht und die heißen Wallungen der Erregung fließen durch den voyeuristischen Körper von Paolo Cavaras Magnum 45. Sein Intro gleicht einem flirrenden Traum angespannter Hochstimmung, voll von spekulativen Elementen. Die mit knallbuntem 70s-Bad Taste vollgepackte Wohnstube wird zum Schauplatz von für die damalige Zeit ungeahnten Perversionen, oder dem, was man dafür hielt. Ein mit leicht homosexuellen Zügen gezeichneter Mann öffnet einer groß gewachsenen Dame die Tür und lässt sich, kaum dass sie in sein Wohnreich eingetreten ist, unter wonnevoller Zustimmung von dieser Schläge verpassen, bevor er sich lustvoll in ihren Würgegriff begibt. Das damit gleichzeitig sein letztes Stündlein geschlagen hat, lässt an das Slasher-Kino der 80er erinnern, wenn der anonyme Mörder die Protagonisten für ihr sündhaftes Verhalten abstraft. Mit dem Unterschied, dass dieser meist nicht in die frevelhaften Taten einschreitet und ausschließlich die fiktive Exekutive der konservativen Einstellung der Script-Autoren ist.

Mit dieser Einstellung konterkarieren die Autoren von Magnum 45 den exploitativen Charakter ihrer Geschichte. Die vom Trio Paolo Cavara, Enrico Oldoini und Bernardino Zapponi erschaffene Filmwelt ist durchflutet von Sexualität; deren allgegenwärtige Präsenz übersteigert die mit der 68er-Bewegung und dem Hippietum aufgekommene neue Offenheit der Gesellschaft gegenüber Sex und seine verschiedenen Formen. Mit den Mitteln des Exploitation-Films machen sich die Autoren dieser zu nutzen; das gezeigte wirkt weniger ansprechend erotisch, sondern mehr wie schmuddelig durchzogene Altherren-Fantasien aus den schummrigen Ecken ranziger Sex-Shops. Mit seinem bis auf wenige Ausnahmen vornehmlich tristen und unspektakulären Look entwickelt sich der Film in seiner ersten Hälfte zu einem durchaus schmierigen Erlebnis, ohne jemals solche derben Sphären zu erreichen, wie sie z. B. ein Andrea Bianchi erschaffen hätte.

Gleichzeitig steht dem scharfen Treiben um einen dubiosen Verein Namens Freunde der Natur und einem Mörder, der am Tatort Seiten aus dem Kinderbuch "Der Struwwelpeter" hinterlässt, mit dem in diesem Fall ermittelnden Kommissar Gaspare Lomenzo ein gutbürgerlicher Charakter gegenüber. Er mag (zu Beginn) eine dunkelhäutige Freundin haben, die ihn mit "exotischem" Essen und Liebesspielen verwöhnt und gibt sich anscheinend offen gegenüber dem Anderen, welches immer mehr zur Normalität zu werden scheint; je weiter die Geschichte voranschreitet, erkennt man, dass sich Lomenzo in die vorherrschenden Gepflogenheiten versucht einzuleben, aber eigentlich lieber am gewohnten und bekannten festhält. Und seien es nur seine heißgeliebten Spaghetti. Dies hindert ihn nicht, während der Abwesenheit seiner Freundin mit deren Bekannten Jeanne anzubandeln und eine Liebelei mit ihr zu beginnen. Entpuppt sich das schöne Modell doch gleichzeitig als wichtige Hinweisgeberin für Lomenzos Fall, da sie ihm ausgiebig von den Begebenheiten während eines Treffens der Freude der Natur und dessen Leiter Hoffmann (damit gleichzeitig ein Namensvetter des Buchautors), bei dem sie beiwohnte, berichten kann.

Der damit beginnende Fokus auf die Arbeit Lomenzos lässt Magnum 45 zu einem unausgeglichenen Werk aus Poliziottescho und Giallo werden. Mit dem Augenmerk auf die Ermittlungen wird die Story dröge und die spekulativen Momente weichen einer Krimihandlung, deren umständlicher Aufbau die gewollte Spannung ausbremst. Bei vielen der eingeführten Figuren, z. B. Riccio, der Besitzer einer großen Detektei, bleibt die Bedeutung für die weitere Geschichte bis zum Schluss im Dunkeln. Dem Script wie Cavara fehlt es an Timing und eingestreute Wendungen sollten den Formeln des Giallo folgend für Aha-Effekte sorgen, die durch den umständlichen Aufbau leider ausbleiben. Auch die Auflösung bringt leider nicht die gewünschte Überraschung. Der Wandel vom sleazigen Giallo zum spröden Polizeifilm mag nicht passen und lässt den Film zwischen den Stühlen sitzen. Als reiner Thriller d'Italiano fehlen ihm die erinnerungswürdigen Momente. Die täten ihm auch als Poliziottescho gut, gibt sich der Film leider in der zweiten Hälfte wie ein handzahmer Fernsehkrimi der damaligen Zeit.

Viele Stränge der Geschichte werden schludrig ausgearbeitet oder hingeworfen; die fehlende Logik lässt das Script diffus wirken und der ausgedehnte Weg zur Auflösung raubt Magnum 45 deutlich seine dichte Atmosphäre und narrative Energie. Das sich Cavara und seine Co-Autoren deutlich der Konservativität zuwenden und die gialloesken Elemente dafür opfern, könnte man auch als Kommentar auf die Entwicklung des Genres verstehen. Vielleicht entschied man sich bewusst dafür, den als gegeben hinzunehmenden Regeln der hier geschaffenen Welt eine unspektakuläre Wandlung zu schenken und aus dem schmierigen Anfang auszubrechen. Ob nun Lomenzo der Fremdkörper in der verdorbenen Welt oder diese es im Weltbild des Kommissars ist, lassen die Schöpfer offen. Konkretisiert wird nur, dass der Schmutz allgegenwärtig ist und der ist - das macht Magnum 45 so klar wie viele andere italienische Genrewerke - anziehend, verführerisch und verdammt hübsch. Verborgen im vertrübten Grau seines Ganzen glänzt der Film mit manchmal umwerfend tollen Kamera-Einfällen und Einstellungen. Das macht ihn keineswegs zu einem runden, aber durchaus interessanten Erlebnis, dem ein großes Stück Entschlossenheit im Auftreten gut getan hätte.
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Mittwoch, 4. Dezember 2019

Wir

Jordan Peele ist der neue Mann der Phantastik für brandaktuelle wie unangenehme Themen. Versuchte er sich in seinem Debüt Get Out (hier besprochen) am übergreifenden Rassismus dieser Tage und scheiterte damit - zumindest für mich - kläglich, packt er mit seinem Zweitwerk Wir die soziale Ungerechtigkeit einer Zweiklassengesellschaft an. Das polemisch am Stammtisch und in niederen Gesellschaftsschichten bescholtene Problem zwischen "denen da oben!" und "denen da unten!" greift der Amerikaner wortwörtlich auf und baut seine Erzählung in ihrer Struktur ähnlich seines Debüts auf. Mit ruhigem Ton und hübscher Kamera der Marke Postkartenmotive entführt er den Zuschauer auf die Reise der Familie von Gabe und Adelaide Wilson in ihren Kurzurlaub an der Küste. Der gemeinsam mit Josh und Kitty Tyler, einem befreundeten Pärchen, verbrachte Tag am Strand, findet kurz nach ihrer Ankunft nur unter Protest von Adelaide statt. In ihrer Kindheit hatte sie genau dort eine unheimliche wie traumatische Begegnung.

Bevor Peele diese im Verlauf seiner Geschichte nochmals aufgreift, widmet er sich in seinem Film vordergründig dem Subgenre der Home Invasion. Vom Strand zurückgekehrt, verwandelt sich die sachte einstellende Idylle in blankes Entsetzen. Vier vermeintliche Unbekannte stehen zuerst regungslos in der Einfahrt des Hauses der Wilsons. Als die ungebetenen Besucher anstalten machen, in dieses einzudringen, entpuppen sie sich als Doppelgänger der Familie und eröffnen eine gnadenlose Jagd auf diese. Aus welchem Grund das überhaupt geschieht, lässt das Script zunächst offen. Mehr bedient sich Peele dem für das Subgenre so typische Szenario des plötzlich, ohne große Vorankündigung eintretenden Grauens. Neue Aspekte lässt der Regisseur Autor außen vor und konzentriert sich darauf, den Zuschauer in die Situation seiner Protagonisten zu zerren. Bis auf die Tatsache, dass die vierköpfige Familie in ihr eigenes Antlitz blickt und die Situation hierdurch atmosphärisch an unangenehmer Bizarrheit gewinnt, bedient sich Peele gängiger Formeln.

Durch den rätselhaften Prolog und einem ruhigen Aufbau gelingt es Peele die Stimmung so gut aufzubauen, dass der Spannungsbogen des Films bis zum Anschlag gespannt ist. Seiner Version eines Home Invasion-Films gelingt das, was anderen Werken aus dieser Richtung weniger gelingt. Der Zuschauer wird emotional bestens integriert; die darstellerische Leistung der Mimen - allen voran sei hier die großartige Performance von Lupita Nyong'o zu erwähnen - ist richtig stark, haucht ihren Figuren zusätzlich Leben ein und lässt sie greifbarer werden. Die Mechanismen des Subgenres sind Peele bekannt und mit seinem Gespür für Timing wächst Wir zu einem durchweg spannenden Terrorfilm heran. Dessen formelle Beschränktheit reichert Peele mit einem übernatürlichen Element an und erweitert seine Möglichkeiten, der Handlung eine Ebene verschiedener Deutungsmöglichkeiten zu schenken. Wir ist ein interpretationsreicher Horrorfilm, bei dem es Peele gelingt, alle unangenehmen Klischees, die aus Get Out einen Reinfall machten, zu umgehen.

Der tiefe Graben zwischen arm und reich, die Auflösung des Mittelstands und der Verfall in eine Zweiklassengesellschaft mit der damit verbundenen Ungerechtigkeit in der US-amerikanischen Gesellschaft wird von Peele als Angriff der niederen Volks auf den Rest der Gesellschaft inszeniert. Er tut gut daran, den Killing Spree auszuweiten und sich nicht mit dem dauerhaften Kampf der Wilsons gegen ihre Doppelgänger zu beschränken. Viele Home Invasion-Filme kranken daran, im beschränkten Raum ihrer Handlung sich auch in ihrem Verlauf einzuschränken und repetitiv zu werden. Peele stellt lieber die Frage in den Raum, ob der Mensch nicht nur langsam im vermeintlichen Kampf gegen andere gesellschaftliche Schichten an sich selbst scheitert, sondern auch, ob die Doppelgänger im Film nicht auch ganz simpel die losgelöste, dunkle Seite unserer Selbst ist, gegen die wir anzukämpfen haben, wenn diese aus dem Untergrund der Persönlichkeit hervortritt.

Der Story und Peele nach scheinen wir uns auf dem Weg in eine bessere, tolerante Gesellschaft selbst im Weg zu stehen. Seiner bitteren Ironie nach bedient sich der Mensch weiterhin einer kontraproduktiven Aggressivität. Das verbindet er lose mit der 1986 tatsächlich stattgefundenen Wohltätigkeitsaktion Hands Across America, die das Ziel hatte, eine Menschenkette quer durch die USA zu bilden. Die Symbolik der Menschenkette als Zeichen der Solidarität und Gleichheit gegenüber Gesellschaftsschichten etc. pervertiert Peele durch die Mittel, wie die auftretenden Doppelgänger dies bewerkstelligen. Egal ob sozial Benachteiligte (in den USA) häufig und gerne ausgeblendet werden und sie sich in der Schreckensvision des Regisseurs mit rigorosen Mitteln Gehör verschaffen bzw. sich an der Ignoranz der Gesellschaft rächen: man kann Wir auch so lesen, dass unsere über die Jahrzehnte gewonnene Toleranz, Offenheit und Freundlichkeit einer beispiellosen Aggressivität weicht, wenn ein alter, weißer cis-Mann oder andere unliebsame Gestalten die Bildfläche betreten. Schnell verfällt auch der gutmütigste, ausgeglichenste und offenste Mensch - zumindest in den heutigen sozialen Medien - in eine seiner propagierten Denkweise widersprüchliche Intoleranz und Aggression.

Scheiterte Peele in Get Out noch daran, den hoch angesetzten Anspruch differenziert in einen spannenden Horrorfilm zu packen, so gelingt es ihm in Wir weitgehend das Level der eigenen, hoch angesetzten Messlatte zu halten. Lediglich beim Sprung in eine übernatürliche Richtung tauchen in der Handlung einige Ungereimtheiten auf, die durch einen langen Expositions-Monolog von Adelaides Doppelgängerin noch mehr in den Vordergrund rücken. Das mag einigen sauer aufstoßen. Gesamt betrachtet fühlt sich Wir weitaus runder und gelungener als Peeles Debüt an und kann durch seine Thematik und Peeles Herangehensweise an das Genre des Home Invasion-Films gefallen. Das ist tatsächlich ein starker Horrorfilm ,der gemessen an der nicht immer haltbaren Logik seiner Story, trotzdem ein frühes Highlight für das Genre im Jahr 2019 war.
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Donnerstag, 28. November 2019

Das Gehirn

Seinen Kopf anstrengen, diesen zum Rauchen bringen, Gedanken kreisen lassen; das Gehirn benutzen. Cogito ergo sum. Die kognitiven Fähigkeiten unserer Spezies lassen uns damit selbst an die Spitze der Evolution stellen und obwohl jeder Mensch ab einem gewissen Alter diese Fähigkeit verschieden ausgeprägt nutzt, können Denker, intellektuell als überlegen angesehene Persönlichkeiten mit oder durch ihr Hinterfragen für einige Zeitgenossen als bedrohlich wahrgenommen werden. Macht über den Menschen und dessen Gedanken erlangen, gleich ob beispielsweise in despotisch regierten Staaten oder religiös/spirituell geprägten Sekten, stellt für deren Führer die ultimative Kontrolle über uns dar; Querdenker unerwünscht. Diese aus der grauen, gleichgeschalteten Masse herausstechenden roten Punkte und ihre Nutzung des Gehirns lässt diese zu den angeblichen Frieden bedrohenden Störenfrieden werden. Überspitzt formuliert erscheinen diese und ihr Denkapparat in den Augen dieser blendenden Lenker als monströse Erscheinungen.

Es verwundert nicht, dass im phantastischen Film schon häufiger sich selbstständig machende, eigenständig operierende Hirne als monströse Antagonisten herhalten durften. Im amerikanischen Science-Fiction- und Horror-Kino der 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, das nicht arm an paranoiden Motiven über Ängste vor fremden, invasiven Mächten und deren Versuch, den amerikanischen Traum und die Menschheit zu untergraben und auszuhöhlen ist, führte dies unter anderem zu Werken wie Die Augen des Satans. Die bösen Kommunisten, das Unbekannte was im nach und nach erschlossenen Weltall lauern könnte, Schattenseiten der weiter voranschreitenden Wissenschaft: die Furcht hatte viele Gesichter, was für Schöpfer kostengünstiger B-Streifen ein wunderbarer Nährboden dafür war, um das Kinopublikum mit ihren Visionen zu schocken. Monster, unsichtbare Feinde, Außerirdische und verrückte Wissenschaftler bestimmten den phantastischen Film dieser Tage.

Aus dieser Schnittmenge bedient sich auch Ed Hunts Das Gehirn und fügt dem Ganzen eine nicht gerade subversive Medienkritik über deren Macht, das Denken der Gesellschaft zu manipulieren und den in den 80ern in den USA groß im Kommen befindlichen TV-Gurus hinzu. Mittels seiner Sendung "Independent Thinking" versucht der Wissenschaftler Anthony Blakely mithilfe eines mutierten, extraterrestrischen Gehirns und seiner Fähigkeiten, seinen Zuschauern einer Gehirnwäsche zu unterziehen um somit die Kontrolle über deren Denken zu erlangen. Ihm dazwischen funkt der intelligente wie rüpelhafte Highschool-Chaot Jim Majelewski, dem nach einem weiteren Schulstreich bei dem er erwischt wurde, von seinem Direktor auferlegt wird, sich im Institut des Wissenschaftlers behandeln und läutern zu lassen. Bei Querdenker Jim funktioniert die Hirnwäsche nicht, einzig Halluzinationen machen ihm nach seinem Besuch in Blakelys Psychological Research Institute zu schaffen. Der Wissenschaftler kann den Fehlschlag nicht auf sich sitzen lassen und will Jim zurück in seinem Institut sehen. Seine Freundin Janet und sein bester Kumpel Willie versuchen dem Jungen zur Hilfe zu kommen und stehen ihm auch im zuerst ungleichen Kampf gegen Blakely und sein monströses Hirn zur Seite.

Die durchaus als hanebüchen zu bezeichnende Geschichte des Scripts wird ganz in Tradition der Vorbilder aus den 50ern mit notwendigem Ernst vorgetragen, nicht ohne hier und da eine Prise Humor einzuwerfen. Hauptfigur Jim wird als vager Feris Bueller-Verschnitt gezeichnet und sein Darsteller Tom Bresnahan gelingt es meist, genügend spitzbübischen Charme für seine Rolle abzurufen. Mit seinem Gegenspieler landete man mit David Gale einen kleinen Casting-Coup. Der durch Re-Animator bekannte und durch seine Rolle darin auch für Das Gehirn prädestinierte Mime darf als Dr. Blakely punkten, erreicht hier allerdings nicht die kongeniale Verrücktheit wie in Gordons Lovecraft-Adaption. Gale spielt zurückhaltender; die mit dieser Darstellung vermutlich beabsichtigte aalglatte Ausstrahlung der Figur möchte nicht immer zünden. Zumindest das Tempo stimmt; Ed Hunt pflügt regelrecht durch die Geschichte und kann durch die aufgenommene Geschwindigkeit zumindest halbwegs deren Leerlauf umkurven. Jims Kampf gegen Blakely und das herrlich krude dargestellte Monster-Gehirn, welches irgendwann im Film durch sein Wachstum sogar ein Gesicht erhält, tritt manchmal auf der Stelle.

Zu offensichtlich versucht Das Gehirn seine einzelnen Einfälle mit der Kreuzung durch Kritik an der manipulativen Kraft der Medien aufzupeppen und dem erzählten Schlock etwas mehr Seriosität zu schenken. Selten funktioniert das eindringlich; mehr kippt der Film in die Richtung des satirischen Horrorfilms, was weiter eher in seichten Fun-Splatter mündet. Richtig böse kann man den Schöpfern des Films nicht sein. Das Gehirn mag in einigen Momenten zu generisch erscheinen und sticht auch durch seinen dem geringen Budget geschuldeten, leider recht trist gehaltenen Look nicht weiter hervor wie einige andere damals diese Richtung beschreitenden Werke. Besäße er nicht größtenteils den spitzbübischen Charme seiner Hauptfigur, dem man seine Ausfälle eben so gerne verzeiht wie dieser und zum Schmunzeln einlädt. Da drückt man schon einmal ein Auge zu, wenn die Story auf der Stelle tritt oder das Finale regelrecht schlapp wirkt. Als dem B-Film der 50er nacheiferndes Werk geht Das Gehirn weitgehend in Ordnung.
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Samstag, 9. November 2019

Tanz der Dämonen

Als selbst ernannter Filmkritiker oder sowas, der angeblich kluge Dinge über große und kleine Filme in den Äther hinaus bläst und seine Gedanken dazu mit anderen Menschen teilt, hat man es manchmal schwer, bei manchen Filmen den eigens gesetzten Anspruch an seine Besprechungen einzuhalten. Die Credits rollen noch über den Bildschirm und im Kopf formt sich bereits die Frage, was man nun eigentlich genau über den eben gesehenen Film überhaupt schreiben soll. Einige stellen einen vor die Herausforderung, gefühlt nicht immer das gleiche zu schreiben und dies - hier gelangt man wieder an den eigenen Anspruch - in nicht nur einem oder zwei Sätzen abzuhandeln. Charles Philip Moores Demon Wind gehört wahrlich dazu, wird hier doch schon sein deutscher Titel zu einer überaus generischen Sache. Diesmal sind es keine Teufel sondern dem dünnen Plot des Films folgend Dämonen, die damals sogar im Kino und später in der Videothek ihren Balztanz um die Aufmerksamkeit der Zuschauer vollführten.

Das Plakat teasert mit seinem minimalistischen Motiv an, dass der Schauplatz der Sause hier wie in Sam Raimis Kultklassiker wieder eine Blockhütte ist, an dessen Fenster sich zwei klauenbewehrte Hände unter diesem durchschieben, während eine dämonische Fratze angsteinflößend auf den Betrachter blickt. Die blutroten Lettern des Titels legen sich aufdringlich nieder während die simple Tagline uns in der Hölle willkommen heißt. Weniger durch eine wahrhaft infernalische Sause sondern eher durch sein schleppendes Plotgerüst wähnt man sich einige Minuten nach Filmstart tatsächlich im Höllenfeuer. Tanz der Dämonen schleppt sich wie ein angeschlagener Athlet Meter für Meter auf seiner Plotstrecke dem zu erwartenden Höllenritt entgegen um dann verwirrt im undurchsichtigen Nebel seines Storygewirrs stecken zu bleiben. Mit dem Auftritt der Dämonen wird das Script zu einem lauen Evil Dead-Rip Off mit Zombiefilm-Anleihen und leiert das Einmaleins des Horrors herunter und subtrahiert gleichzeitig wahrscheinlich unnötig empfundene Spannungsbögen.

Es liegt an der seltsamen Stimmung in seiner ersten Hälfte, dass ich letzten Endes beinahe milde Töne für Tanz der Dämonen anstimmen kann. Nicht, dass man in dieser einen tatsächlich bzw. ansatzweise guten Horrorfilm erwarten sollte. In der schleppend verlaufenden Geschichte um Cory, der nach vielen Albträumen zur darin vorkommenden Ruine des alten Farmhauses seiner Großeltern pilgert um herauszufinden, welche dunklen Geheimnisse die Vergangenheit seiner Familie birgt, tauchen einige kleine Einfälle so plötzlich auf wie Corys Freunde auf dessen Weg zum ehemaligen Hof der Familie. Beginnend mit der Rast an einer alten Tankstelle mitsamt Imbiss, die - wie sollte es anders sein - von einem um die dort lauernden Gefahren wissenden älteren Herrn betrieben wird, wabert eine alptraumhafte Atmosphäre durch den Film, in der die wenigen netten Ideen wie Moorlichter aufblitzen um sich langsam im Nebel der Einfaltigkeit aufzulösen. Der beginnende Dämonentanz wird zu einem Ballett der Dämlichkeit, in dem sinnentleerte Dialoge, stark bemühte Mimen und mit Traumlogik versehene Gruselelemente aufeinander treffen.

Aufkeimendes Amüsement über Ideen wie der Verwandlung einer jungen Frau in eine Puppe wird zugunsten einfach getrickster Gore-Eskapaden aufgegeben, die in ihrem mühsamen Aufbau leider mehr dem Ende des Films als dem mit nicht vorhandener Spannung erwarteten Finale entgegenfiebern lässt. Die dunklen Erinnerungen an Tanz der Dämonen, von dem ich nur noch wusste, dass ich ihn vor einigen Jahren beim ersten Sehen sehr dürftig fand, wurden leider doch bestätigt. Wäre der Film einen Mittelweg zwischen Splatter und surrealem Horror gegangen, wäre er ein vielleicht ebenfalls anstrengender, aber leidlich interessanter Film geworden. Lieber verschenkten die Schöpfer das zu Gunsten einer Dauerberieselung mit Bluteffekten, die hinter dem oft angesprochenen Ofen nicht richtig hervorlocken können. So verklärt kann man auf den Film leider nicht blicken wie man möchte, um da die wenigen Dinge, die man doch irgendwie gut findet, als gänzlich positives Gesamtergebnis dastehen zu lassen.
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Samstag, 26. Oktober 2019

Slaughterhouse Rock

Den Grund der Bekanntheit einiger Filme aus dem Horrorgenre kann man grob in drei Kategorien aufgliedern: da wären die großen, selbst außerhalb des Genres angesehenen Klassiker, die sich über die Jahre zu Recht ein Standing im Filmbereich erarbeitet haben und durch ihre Qualitäten ein größeres Publikum überzeugen konnten. Weiter gibt es noch die von mir gern als Skandalnudeln bezeichneten Werke, die häufig durch das Stille-Post-Prinzip gepushten Filme, die durch ihren hohen Grad an auf der Leinwand ausgeübter Gewalt (noch besser, wenn bei irgendeiner Kino-Aufführung Menschen den Saal während des Films verließen oder sogar das Bewusstsein verloren) oder eine besonders beängstigender Stimmung zumeist bei jüngeren Menschen zu modernen Mutproben werden. Was früher die Mund-zu-Mund-Propaganda auf dem Schulhof war, verlagerte sich über die Jahre zu in Superlativen badenden Berichten besonders mutiger Hartheimer in Internet-Foren.

Einige Filme, die man in diese zweite Kategorie einordnen kann, findet durch diesen Umstand auch manchmal in der dritten: den Opfern der Justiz. Die Video Nasties, wie man sie in Großbritannien nannte, üben mit dem von Jugendschützern über sie gefällten Urteil einen Reiz des Verbotenen (nicht nur) auf das junge, nach Blut lechzenden Publikum aus. In der allgemeinen Video-Hysterie der frühen 80er Jahre trug der Rundumschlag der rechtssprechenden, deutschen Film-Inquisition einige zweifelhafte Entscheidungen davon. Während manche heutzutage als Klassiker anerkannte Werke durch einige engagierte Nischenanbieter mittlerweile von ihrem Status als besonders jugendgefährdender Film und aus dem Orkus dubioser, österreichischer Label, die einzig von diesen verbotenen Filmen zu (über)leben scheinen, befreit wurden, dürfen sich eben jene Anbieter darüber freuen, dass manche kleineren Filme, die keinen großen kommerziellen Erfolg versprechen, einzig durch den Status als beschlagnahmter Film über die Jahre im Bewusstsein der Fans überleben konnten.

Würde der auch unter seinem Alternativ-Titel Alcatraz Horror bekannte Slaughterhouse Rock (weswegen auch immer) nicht ebenfalls zu diesen überbösen Verbotsfilmen gehören, würden weitaus weniger Menschen überhaupt Notiz von ihm nehmen. Der End-80er-Horrorfilm müht sich, ganz eigenständig im Bestreben zu agieren, unbemerkt Elemente des Klassikers A Nightmare on Elm Street in seine Story unterzubringen. Die Alpträume, welche seine Hauptfigur Alex ereilen und mit einfach getricksten, hübsch matschigen F/X bestechen, versuchen die Grenze zwischen Traum und filmischer Wirklichkeit zu verwischen. Die grauigen Nachtmahre und Visionen eines dämonischen Folterknechts, der es sich im berühmtesten Knast der Weltgeschichte - Alcatraz - gemütlich gemacht hat, plagen diesen so derart, dass er sich schwer auf das College konzentrieren kann. Bekräftigt von seiner Lehrerin, die sich als Expertin für okkulten Schnickschnack aller Art entpuppt und das geheimnisvolle Traumknäuel so plötzlich wie sie in den Reigen der näher beleuchteten Pappfiguren aufsteigt, entwirren kann sowie seinen Freunden, die dem leidenden Jungen helfen möchten, schippern sie in einer wortwörtlichen Nacht-und-Nebel-Aktion zur Gefängnisinsel auf der das dämonische Böse sowie eine tote Rockband mit unglaublich nerviger Frontfrau auf die Kids und Frau Lehrerin warten.

Besagte Rockröhre, dargestellt von der eher im englischsprachigen Raum bekannten Sängerin Toni Basil, bringt einen für die Stimmung des Film unpassenden Schwenk in Richtung Komödie mit lustig gemeintem Gefuchtel und Sprüchen mit sich, der dem bis dahin durchschnittlich geratenen Horrorfilm mehr schadet als gut tut. Die krampfig-kämpferische Stimmungs-Ansage mit der auf Anschlag gehauenen Nebelmaschine, die dem nächtlichen Setting Atmosphäre verleihen soll, verstummt abrupt, wenn kurz zuvor den filmischen Exitus erreichte Charakter in American Werewolf-Manier als Tote wieder auftauchen und mit humoresken Sprüchen ihr Ableben kommentieren und Alex weiterhin zur Seite stehen wollen. Slaughterhouse Rocks Grundton bleibt die ganze Laufzeit über fahrig; selten kann der Film mit gut gelungenen Momenten überzeugen. Dazu gehört eine technisch gute, aber auch für die Szene belanglose, längere Kamerafahrt in einem Diner. Die einzelnen Bausteine des Scripts wurden mit wenig Gespür, geschweige denn Liebe für das Genre-Handwerk zusammengefügt.

Hat man alles schon gesehen; besser, detaillierter, liebevoller. Sein hierzulande seit 1991 bestehender Verbotsstatus rettet den Film eher noch den bisherigen Anbietern der Uncut-Fassung, dass ständig nachkommende, junge Fans die in die Welt des Verbotenen eintreten, diesen uninspirierten Eintrag in der glücklicherweise langsam geringer werdenden Liste an Filmen weiterhin bzw. überhaupt kaufen. Ohne diesen erlangten Status, der aus heutiger Sicht in keinster Weise überhaupt mehr erklärbar bzw. gerechtfertigt ist, wäre Slaughterhouse Rock längst in Vergessenheit geraten. Das äußerst selten abgerufene Potenzial verwässert zu einem spannungsarmen Film irgendwo zwischen Freddy Krüger-Rip Off, Slasher- und Dämonen-Horror, dessen - auch das muss man mögen - billigen Gore-Effekte fast schon zum eigenen Ärgernis für sich selbst zu den besseren Momenten des Werks gehören, dass ansonsten eine belanglose Fußnote in der großen Welt des Horrors ist.



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Montag, 21. Oktober 2019

Puppet Master - Das tödlichste Reich

Handelt es sich beim neuesten Teil der Puppet Master-Reihe, diesem langlebigen, aus den Full Moon-Studios stammenden Franchise, noch um eine Reboot oder um einen verkappten Fan-Film? Ein Dutzend Filme später wurde der Zähler so ziemlich auf 0 gedreht. Die in ihrer Qualität schwankenden Sequels werden von Drehbuch-Autor S. Craig Zahler zu Gunsten einer neuen Mythologie um den französischen Puppenmacher André Toulon und seine auf übernatürlichem Wege zum Leben erweckten Schöpfungen ignoriert. War Toulon in der Original-Reihe ein Opfer der Nazis, so stellt er sich laut der comicartig inszenierten Vorgeschichte innerhalb des Vorspanns in die Dienste der Nationalsozialisten. Gleich, ob die altbekannten und wenigen neuen Puppen auf der Seite des Guten oder des Bösen wandeln, bleiben sie gegenüber den Mimen aus Fleisch und Blut unübersehbar weiterhin die eigentlichen Stars des Films. Um diese herum wird mit The Littlest Reich (engl. OT) ein gewaltiger Splatter-Trip jenseits des guten Geschmacks gestrickt, der den Anschein erweckt, dass der Script-Autor den Kern der ursprünglichen Reihe nicht verstanden hat oder verstehen möchte.

Puppet Master zeichnet sich durch eine kindliche Naivität in der Ausgestaltung der Geschichte aus, die mehr noch in manchen Sequels zum Tragen kommt, wenn Nazis - once again - in einem US-amerikanischen Genrefilm zum ultimativen Bösen werden, gegen die sich ein von diesen verfolgter Handwerker mit seinem erschaffenen Spielzeug stellt. Die durch ein von Toulon entwickeltes Serum zum Leben erweckten Puppen werden in den Fortsetzungen zu wortwörtlichen Good Guys, wenn sie sich dem Nazi-Pulk kämpferisch entgegenstellen und hiermit kindliche Fantasie während eines Spiels zu Narrative für eine Horrorfilm-Reihe wird, die sich während der verschiedenen Zeitlinien, die sich innerhalb dieser entwickelten, häufiger dem Fantasy-Genre zugewandt hat. Zahlers Neuansatz bricht damit und übernimmt in wenigen Teilen das Grundszenario des ersten Teils, in dem ebenfalls ein Hotel zum Hauptort der Handlung wird. 

In Das tödlichste Reich reisen Comiczeichner Edgar, der seit seiner Scheidung wieder bei seinen Eltern lebt und im Comicladen seines Freundes Markowitz jobbt, mit diesem und seiner neuen Freundin Ashley zu einer Convention, die anlässlich des dreißigsten Jahrestages der sogenannten Toulon-Morde veranstaltet wird. Neben einer Führung durch das Haus, in dem sich die im Prolog geschilderten Vorkommnisse ereigneten, soll dort auch eine Auktion stattfinden, auf der an die 60 von Toulon gefertigte Puppen versteigert werden sollen. In der Nacht vor der Auktion mehren sich die seltsamen Ereignisse, die der Film ausgiebig zur Schau stellt. Die von Toulons lebendig gewordenen Puppen vollübten Morde werden nach der widerwärtigen Ideologie der Herren ihres Schöpfers vollzogen und "lebensunwürdige" Menschen wie Homosexuelle oder Juden dezimiert. Das vom lebendigen Spielzeug vollzogene Massaker ist eine Ansammlung episodischer Mordszenarien, die mit ihrem aggressivem, schwarzen Humor und derben Einfällen fernab jeglicher Political Correctness auffallen.

Das "verweichlichte" Franchise bekommt durch die Feder Zahlers in seinem Reboot einen harten Grundton, der keine positiven Vibes zulässt. Das steht dem Film keineswegs schlecht und gebiert einige krude Szenen, die manchen Gemütern aus verschiedenen Gründen schwer im Magen liegen dürften. Verblüffend blutige Effekte visualisieren Ideen, die in Fun-Splatter-Filmen oder Gore-Eskapaden aus den 90ern und frühen 2000ern ebenfalls gut untergekommen wären. Autor Zahler und sein Regie-Duo Sonny Laguna und Tony Wiklund ignorieren den gegenwärtigen liberal-offenen Ton und orientieren sich an Schwarz-Weiß-Gedankenkonstrukten aus Filmen der 80er. The Littlest Reich ist die Apokalypse in einem kleinen, filmischen Kosmos aus der es kein Entrinnen gibt; die kühle Atmosphäre stärkt die vorherrschende Stimmung der Ausweglosigkeit, bei der kein Licht am Ende des sprichwörtlichen Tunnels, geschweige denn ein Happy End, in Sicht ist. Lagunas und Wiklunds Umsetzung von Zahlers Script ist ein regelrechter Hardgore-Film der sich an kurzlebigeren Genre-Eigenheiten wie Naziploitation orientiert. 

Die Überzeichnung dürfte den Film nicht davor schützen, dass er durch die rigorose Gnadenlosigkeit, mit der die Puppen gegen Gesellschaftsgruppen vorgeht, von einigen scharf angegangen wird. Darf man heute noch fast blauäugig, manche würden ignorant sagen, wie in alten Jahrzehnten Horror inszenieren und die heutige gesellschaftliche Toleranz ignorieren? Der Film eckt gewollt an; seine Provokationen und Geschmacklosigkeiten lassen kurzzeitig den Mund offen stehen und besitzen zeitgleich den Nachgeschmack, dass der (inoffiziell) 13. Film des Franchise diese in die Pubertät bringt und zu gewollt mit Provokationen um sich wirft. Das Script wirkt in seiner episodischen Money Shot-Revue wie ein Fan-Film, der zeigt, was man alles abartiges mit den Toulon-Spielzeugen anstellen könnte. Die neuerliche Dämonifizierung der Puppen macht aus diesen leider ebenso seelenlose Werkzeuge, weit entfernt von ihren Epigonen aus der Hauptreihe, welche bei aller kostengünstigen Trickserei dort weit mehr Persönlichkeit und Eigenleben besitzen als ihre Gleichnisse aus Das tödlichste Reich.

Der leicht bittere Nachgeschmack des Films entsteht weniger durch seine plump-rotzige Sprache und der simplen Ausgestaltung der Story. Irgendwann wünscht man sich nur etwas mehr Background, angefixt von den durch aus guten und für die Reihe Puppet Master frischen Ansätze. Das bleibt aus und Das tödlichste Reich bleibt dieser im Unterton leicht danebene, nicht unsympathische B-Movie der sich von den Vorbildern aus früheren Jahrzehnten nicht groß unterscheidet. Pulpige Schludrigkeit, welche der Geschichte gute Momente raubt und auch den grimmigen Humor teils nicht komplett zünden lässt. Das zunächst unbefriedigende Ende kündigt in großen Lettern eine Fortsetzung an, die dann hoffentlich wirklich mehr davon bietet, was man sich wünscht: das auch mit Das tödlichste Reich eine eventuell weitere, alternative Zeitlinie in der Reihe begonnen wird, die nicht unbedingt so ausarten muss wie diese, aber einige Liter frisches (Kunst-)Blut in die Marke Puppet Master pumpt. Vielleicht sollte S. Craig Zahler nicht nur weiter an der Story schustern sondern diese auch gleich selbst umsetzen. Manchmal fehlt dem Regie-Duo die nötige Kraft, den manchmal undankbar generischen Stoff des Scripts so garstig umzusetzen, wie Zahler diesen wollte.
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Mittwoch, 16. Oktober 2019

[Rotten Potatoes #3] Skin Creepers

Horror zweifacher, gänzlich unterschiedlicher Natur, schlängelt sich durch Skin Creepers und lässt dem "reellen" Grauen lange Raum zum Entfalten. Bevor die übernatürliche Komponente - zuerst mit kurz gehaltenen Rückblenden in die Handlung gebracht - die Überhand gewinnt, werden die beiden Protagonisten Daniel und Ben mit den Schwierigkeiten ihres persönlichen Projekts konfrontiert. It's all about the struggle being an independent filmmaker. Zwei Brüder, ein Traum: eigentlich wollen sie nur ihre Idee, den Traum vom eigenen Film, umsetzen. Ein hochkarätiger Erotikthriller von internationalem Format soll es sein. Doch die Produktion ist mit vielfältigen Problemen vorbelastet. Die ausgesuchte Location ist eine heruntergekommene Fabrikhalle, die einer großen Filmproduktionsgesellschaft gehört, deren schnöseliger Obermufti nicht gewillt ist, diese zur Miete abzugeben. Die Kosten für den Film, von denen mehr als die Hälfte die Gage für die aus den USA eingeflogene Hauptdarstellerin Sasha Blue verschlingt, wachsen immens; in die Presche soll der zwielichtige Zuhälter Lederkalle als zusätzlicher Geldgeber springen.

Der komödiantische Ton von Skin Creepers entpuppt sich als launige Angelegenheit, die zwei sympathischen Figuren mit den Schwierigkeiten einer unabhängigen Filmproduktion konfrontiert. Debütant Ezra Tsegaye erdachte mit seinem Co-Autoren Sebastian Kühne eine erzählerisch nicht immer ausgeglichene Geschichte, die dem Horror zunächst wenig Platz zur Verfügung stellt und lieber mit Andeutungen in kurzen Rückblenden arbeitet. Zunächst ergeht man sich in der stereotypen Darstellung des Loser-Brüderpaars und ihrer dezent übergeschnappten Vision vom nächsten dicken Filmbrocken, der seismische Schwingungen in die Filmwelt bringen soll. Die planlosen Herren, von ihren Darstellern Nicolás Artajo und Nicolas Szent lässig gespielt, entpuppen sich als mit der Situation überforderte, gescheiterte Regisseure. Amateure die Hollywood spielen und mit einem schalen Porno den großen Gewinn einstreichen wollen. Living in oblivion mit dem Traum, aus der unendlichen Dimension des (semiprofessionellen) Hobbyfilmers und dessen Schlund des Vergessens auszubrechen. Gemessen an Auswüchsen des unabhängigen deutschen Horror-Films bildet Skin Creepers eine fragile Meta-Ebene.

Die überzeichnete, zumeist von Klischees beherrschte Story drängt einem förmlich die Interpretationsmöglichkeit auf, dass Tsegaye ironisch persönliche Probleme mit der Realisierung eines Films in die Story einflechtet. Tiefer als mit dem erdachten Handlungsverlauf Situationskomik zu erzeugen, geht Tsegaye leider nicht. Ben und Daniel als Sinnbild gewordener Kommentar auf Amateurfilmer aus der deutschen Genreszene zu sehen, lässt Tsegaye zugunsten des weiter auf lustig getrimmten Horror zerbrechen. In der damit eingeläuteten zweiten Hälfte geht seinem Drehbuch die Puste aus. Das im Hotelzimmer Sasha Blues befindliche Bild mit diabolischer Aura, dessen Bann aus dem Porno-Sternchen wortwörtlich eine dämonische, Allüren auslebende Oberdiva werden lässt, stellt die beiden Nachwuchsregisseure vor weitere Probleme. Sasha beißt am ersten Drehtag einem bei Lederkalle ausgeliehenen Mädchen die halbe Lippe ab, lässt so dem Duo mächtig die Düse gehen und sie versuchen, der Besessenen den Leibhaftigen wieder auszutreiben, als diese erkannt haben, womit sie es zu tun haben. In ihrer Verzweiflung rufen sie sich einen abgehalfterten und sein Geld im Internet Astro TV-like als Lebensberater verdienenden Prediger, der Sasha Blue wieder in Normalzustand versetzen soll.

Während Tsegaye im vom Humor geprägten ersten Teil mit den Mystery-Einschüben einen gewissen, gering gehaltenen Grad an Spannung erzeugen kann, wird dem Horror in der zweiten Hälfte durch langgezogene, geschwätzige Szenen jegliche Kraft genommen. Ausufernde Erklärungen des von Dieter Landuris hübsch schrullig dargestellten Predigers und eine steife Orientierung an Friedkins Klassiker The Exorcist, bei der selbst die Abweichungen und der Versuch, einen eigenen, erklärenden Mythos zu etablieren nicht fruchten, bringen dem Zuschauer mehr Ungeduld als Interesse am weiteren Verlauf des Plots. Die darin schlummernden Ideen müssen in langen Mono- oder Dialogen erzählt werden, was man lieber dargestellt hätte. Im Finale angelangt, gelingt es dem Film kaum, seine dösige Narration mit seichtem Effektgewitter abzuschütteln. Die eingestreuten, saftigen Gore-F/X können sich sehen lassen, bleiben leider eher eine Fußnote der schwächelnden Story. Der einfache Humor, dessen laue Situationskomik durch gut aufgelegte Darsteller aufgewertet wird, ist kaum mehr präsent und Skin Creepers büßt die Chance ein, eine nicht gerade originelle, aber kurzweilig spaßige Horrorkomödie zu sein.

Mit dem gebotenen Production Value seines Films muss sich Tsegaye nicht mal verstecken. Skin Creepers sieht ordentlich aus und ist weit weg vom Schicksal des Films seiner Protagonisten, ein billiges Machwerk zweifelhafter Natur zu sein. Bei den sichtbar einfach getricksten Visual F/X drückt man ein Auge zu und will mehr positives beim Film finden, da man ihm anmerkt, dass seine Macher hundertprozentig hinter ihrem Werk stehen uns so viel Herzblut wie die Protagonisten mitbringen. Leider ist das Verhältnis zwischen funktionierendem Horror- und Komödienpart zu unausgeglichen. Skin Creepers verschenkt viel und bleibt im Niemandsland des Durchschnitts stecken. Bleibt seinem Schöpfer zu wünschen, dass er Aufgrund der besseren ersten Hälfte nicht von findigen Produzenten seichter Komödien für den deutschen Kinomassenmarkt gefunden wird. Man sollte ihn lieber noch mal üben lassen, ein besseres, ausgeglicheneres Verhältnis zwischen kraftvollem Horror und verschmitztem Humor zu finden.
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Dienstag, 1. Oktober 2019

Rambo: Last Blood

Im Jahr 1982 wurde das erste Blut vergossen, als Sylvester Stallone die Filmbühne als vom Vietnamtrauma geplagten Veteranen John Rambo betrat. Über die Jahrzehnte hinweg baute Stallone neben seinem Boxer Rocky Balboa eine zweite, für sein eigenes filmischen Vermächtnis sowie für das Actionkino der 80er Jahre ikonische Figur auf. Als diese ersten Blutstropfen aus dem ständig im Kampfmodus befindlichen, ruhelosen Ex-Soldaten flossen und er im ländlichen Amerika dank eines erzkonservativen Sheriffs erst zum Gejagten und dann zum in die Ecke gedrängten Opfer und Jäger wurde, wurde gleichzeitig das amerikanische Actionkino defloriert. Ist First Blood ein schauspielerisch manchmal bemühtes, deprimiert gehaltenes Vietnam-Drama, dass mehr und mehr zum Action-Thriller wird, wandelte sich die Reihe mit ihren drei Sequels zu Filmen, die in ihrer reaktionären Totalität nur von den ekelhaft vor Konservativität triefenden Cannon-Produktionen mit Chuck Norris übertroffen wurden.

Die Kritik am zweiten Teil bezüglich seiner Haltung gegen über der Vietnamesen, seinem Rassismus: es ist nachvollziehbar. Als reiner Action-Film bumste er mit seinem Breitwand-Feuersturm den Zuschauer in dessen (Kino-)Sessel und das Genre in eine neue Dimension. Selten sah sowas bis dahin und selbst bis heute so gut gefilmt aus wie hier. Nach der vielen Schelte über die erste Fortsetzung, packte Stallone mit dem UdSSR-Einzug in Afghanistan ein (zur Produktionszeit) heißes Eisen an, dass beim Kinostart längst wieder abgekühlt war und schaffte es mit dem philantropischen Ton von Rambo 3 sogar, bei aller Mittelmäßigkeit des Films, dass man diesem in West-Deutschland das Prädikat "besonders wertvoll" verlieh. Lange Zeit durfte die Figur im Ruhestand verweilen, bis Stallone nochmal Blut leckte und dieses im vierten Aufguss, schlicht John Rambo benannt, eimerweise über seine Feinde und das Publikum kübelte. Das vom Action-Altstar gewollte Abbild des realen Kriegsschreckens verquickt dabei Mechanismen des Splatter-Kinos mit Old School-Action.

Elf Jahre gingen ins Land bis nun - laut Titel wohl final - das letzte Blut von John Rambo vergossen wird. Last Blood will wieder einmal die - gemessen an Teil 2 und 4 - gesteckte Messlatte an krachiger Action der guten alten Zeit ein Stück weiter nach oben setzen. Das blutige Superlativ bricht als ausgedehnte Zelebrierung stumpfer Action im Finale für gut zwanzig Minuten über den Zuschauer herein und bietet Explosionen und viele blutig zerfetzte und vom kalten Stahl der von Rambo teils selbst geschmiedeten Messer penetrierte Leiber. Zwischen kaltschnäuziger Gnadenlosigkeit und heißblütiger Körperlichkeit wird ein abschließendes Feuerwerk an Actionszenen abgebrannt, auf das kein weiterer Teil folgen sollte und muss. In den elf Jahren seit Rambos letztem Auftauchen haben sich die Zeiten auf der Leinwand und der Weltkarte verändert. Mittlerweile ist das, was Stallone mit seinem Regisseur Adrian Grünberg bietet, Kino für alte, weiße, heterosexuelle Actionfans. Ein Hauch Trump weht scheinbar in der Geschichte, wenn der nach Rache sinnende, weiters ruhelose Veteran John Rambo mit seinem Pick-Up nach Mexiko brettert, um seine Nichte aus den Fängern von Mädchenhändlern zu befreien.

Beinahe erwartet man, dass Stallone nicht nur Messer und Wumme, sondern auch Backsteine, Kelle und Mörtel einpackt, um noch schnell an der Grenze eigenhändig eine Mauer hochzuziehen. Bis der Film seinen Climax erreicht, versucht man sich krampfig daran, eine Geschichte zu erzählen, die dünn davon handelt, dass Rambo nach all den Jahren weiter geplagt ist vom Trauma, wie viele seiner damaligen Genossen mit den schrecklichen Eindrücken allein gelassen; sich mit den Umständen der gegenwärtigen Zeit arrangierend, schläft er nicht im Haus seiner Ranch im tiefsten Texas, sondern in den von ihm auf dem Gelände eigens gegrabenen Tunneln. Rambo kann sie alle zerficken; nur das traumatische Kriegsschicksal hat diesen gebrochenen Mann schon längst komplett gefickt. Aus dem erkalteten und versteiften Botox heraus blickt Stallone mühsam gebrochen in seine Hände, in die Wüste, in die Kamera. Wenn seine Nichte Gabrielle durch die Hilfe einer Freundin den lange abstinenten Vater ausmacht, ihn zur Rede stellen will, aufsucht und dabei in die Fänge kaltblütiger Zuhälter und Mädchenhändler gerät, was unwiderruflich in einen letzten, finalen Schlag des Schicksals gegen John Rambo mündet, quält der Plot mit Umständlichkeit und aufgesetzten Dialogen.

Das letzte Aufbäumen seiner Figur und von Stallone selbst, der diese im Abspann mit einem Zusammenschnitt von Szenen aus den bisherigen und dem neuesten Werk der Reihe würdigt, ist mühselig und traurig anzuschauen. Der kalte, digitale Look des Films bettet ihn in ein hässliches, trübseliges Kleid, dass so billig wirkt, dass man Angst bekommt, dass aus einer dunklen Ecke im nächtlichen Mexiko ein beleibter Steven Seagal um die Ecke biegt und wie der Confused Travolta dreinschaut, weil er meint, es würde gerade sein eigener, neuester C-Actioner gedreht werden. Last Blood ist in vielen Dingen hässlich: in der Umsetzung seines Plots, der mehr als nur zweckdienlich auf die finale Konfrontation hinarbeitet und nicht einmal Spannung aufkommen lässt; in der Darstellung der rohen Gewalt, die einige herbe Szenen bietet, die mit ebenfalls hässlichen wie manchmal sehr mauen, digitalen F/X hergestellt wurden; und in seiner Zelebrierung der Genre-ikonischen, mittlerweile überholten Figur des John Rambo. Die alten Actionhelden sind tot. Sie haben sich selbst überlebt und sind verblassende Bilder einer alten Zeit.

Stallones Bemühen, gegenwärtige Strömungen mit dem Ton einiger Filme der "guten, alten Zeit" zu vermengen ist gescheitert wie seine Figur, sich in der Post-Vietnam-Welt zurechtzufinden. Sein einsames Zurückbleiben im Schaukelstuhl lässt am Ende auf ein leises Beenden der Reihe vermuten. Wenige Minuten später reitet John auf seinem Pferd den Bergen entgegen und man hofft, dass er dort seinen Frieden findet und nicht mehr vom Berg heruntersteigt. Rassistische Stereotypen, die die Antagonisten so unsympathisch wie nur möglich erscheinen lassen, gute amerikanische Bürger die unter schweren seelischen Lasten für die aufrecht zu erhaltenden Werte ihrer Nation einstehen und ein Rollenbild, bei dem einige Vertreter leichte Verätzungen im Gefühlsleben durch deren toxischen Maskulinität davonzutragen schienen, sind lange nicht mehr zeitgemäß. So ernst, wie Stallone seine dünne Geschichte nimmt, muss jeder Versuch, sowas wie Actionfilme aus den 80ern und frühen 90ern ironisch oder mit neutralem, distanziertem Blick zu schauen, scheitern. Seine Version eines altmodisch gefärbten, in den Strömungen des gegenwärtigen Genres paddelnden Films geht größtenteils baden und lässt einzig mit dem antrocknenden Blut des Zwanzig-Minuten-Geschnetzels verwundert bis halbwegs beeindruckt durch diese knallharte Kompromisslosigkeit zurück. Wollen wir hoffen, dass Last Blood tatsächlich das letzte Auftreten von John Rambo war.

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Sonntag, 29. September 2019

The Possession of Hannah Grace

In drastisch überspitzter und pervertierter Weise erinnern Horrorfilme auch daran, dass jedem Ende ein Anfang innewohnt. Die Präsenz des Todes, der ständige Verfall dem wir Menschen unterliegen: er wird uns in gruseliger und/oder gewaltsamer Szenerie vor Augen geführt. Der für uns unausweichliche Moment wird ein Spiel mit dem Adrenalinspiegel des Zuschauers und erinnert in unserer alltäglichen Verdrängung seine unterschwellige Präsenz in vielen Situationen des Lebens. Der grimme schwarze Schnitter kann jederzeit zuschlagen und mit vielen Gesichtern erscheinen. Unsere verborgenen Hoffnung, ihm so lange wie nur möglich zu entkommen bevor die letzte Stunde schlägt, wird romantisiert, makaber oder plump derb in düstere Kunst verwandelt. Das Spiel mit der Angst, dass Kitzeln menschlicher Urängste wurde im Film über die Jahre zu einem großen Industriezweig, dessen Kommerzialität der Kunstform Film Freiraum für frische Ideen raubt.

Technisch routinierte Ware, die ein Gros des Publikums erreichen kann und künstlerisch anspruchsvoll ist bzw. den Limitationen des Genres neue Ansätze entlocken kann, ist - zumindest im Mainstream - rar geworden in jenen Zeiten. The Possession of Hannah Grace trägt Momente in sich, die die Hoffnung auflodern lassen, dass er so etwas bewerkstelligen könnte. Wieder steuert ein Ende, in diesem Falle das Ableben titelgebender Hannah Grace, gleichzeitig auf einen Anfang zu. Der Exorzismus der von einem mächtigen Dämon besessenen jungen Frau scheitert. Sie stirbt und macht Platz für Protagonistin Megan, deren für sie unrühmliches, eigentlich traumatisch bedingtes Ende bei der Polizei der Beginn ihrer Anstellung in der Gerichtsmedizin eines Krankenhauses ist. Während ihrer Nachtschichten nimmt sie die dortigen Neuzugänge in der Kartei auf und bereitet diese auf die Obduktion vor. In ihrer zweiten Nacht nimmt mit der Einlieferung der übel zugerichteten Leiche einer jungen Frau der Schrecken seinen Lauf. Ein Obdachloser dringt unbemerkt in das Krankenhaus ein, versucht die frisch eingelieferte Leiche zu verbrennen und auch sonst gibt die Tote der jungen Ex-Polizistin einige Rätsel auf.

Ein fremdartig schöner Ausdruck liegt auf dem Gesicht der jungen Toten und ihr offensichtlich gewaltsamer Exitus schenkt ihr eine Aura zwischen erschreckend abstoßend und makaber anziehender Schönheit. In diesen kurzen Augenblicken gibt der Film den Blick auf die zwei Extreme des Todes - seine wie im Gothic Horror romantisierte Schönheit und die gleichzeitig erschreckend direkte Message des unumgänglichen Endes - frei, gebettet in eine eigentlich ansprechend dichte Atmosphäre. Ihr liegt eine Traurigkeit inne; Anspielungen, Rückblicke - sie geben vereinzelte Einblicke in Megans Vorgeschichte, die sie zu dieser Anstellung und diesem kleinen Neuanfang führte. In teils bemühter Subtilität versucht sich The Possession of Hannah Grace als klassisch tragischer Horrorstoff; das Trauma seiner Protagonistin dient dazu, sie mit diesem durch die irrationale Situation, in der sie sich befinden wird, erneut zu konfrontieren. Das sie es bewältigen wird, liegt ebenso auf der Hand wie die Tatsache, dass die Leiche als Hort des Bösen weniger im Reich der Toten verhaftet ist wie zuerst angenommen.

Zu Beginn kreiert das Script ein ansprechendes und Spannung versprechendes Szenario. Megans Persönlichkeit wird einiges an Raum geschenkt, die Nachts so gut wie verlassene Gerichtsmedizin gewinnt als zusätzlich Atmosphäre aufbauendes Setting, in dem man sich selbst nicht gerne befinden möchte. Die anfänglich leise eintretenden Schauereffekte bieten bei weitem nichts neues, beziehen ihre Effektivität aus der abgeschlossenen bzw. beschränkten Räumlichkeit. Das sich aufbauende ungute Gefühl im Wissen um die Hintergrundgeschichte der für Megan unbekannten Toten ist ein erster, kleiner Pluspunkt für den Film, der in seinem weiteren Verlauf einsam allein auf der Pro-Seite des Werks verweilen muss. Allzu hastig schwankt The Possession of Hannah Grace trotz spannender und interessanter Ausgangslage zwischen bemühtem Horror mit dramatischem Unterbau und ärgerlichem Jumpscare-Einerlei, garniert durch eine immer munter werdende Leiche, deren Bewegungsabläufe an die von Kayako, der furchterregenden Geister-Mutter aus dem japanischen Horrorfilm Ju-On: The Grudge, erinnern.

Laut. Übersteuert. Einfallslos. Attribute, die man dem Film leider zugestehen muss. Der Gedanke, was nach einem fehlgeschlagenen Exorzismus passiert und die Gegenüberstellung im Wirken des Todes auf den Zuseher, ist eine interessante Idee, deren Ausarbeitung im Gesamteindruck mangelhaft ist. Das hätte ein Geheimtipp á la The Autopsy of Jane Doe werden können. Zwar macht auch dieser - ebenfalls durch seine zugänglichere, simpler gehaltenen zweiten Hälfte - auch nicht alles richtig, aber überzeugt viel mehr durch seine dichte Atmosphäre und der durchgehenden Spannung in der ersten Hälfte. So wird mehr der Verlauf und die Wandlung des Films mehr zum Drama als seine Geschichte. Das Finale wirkt schludrig, Megans Traumabewältigung wird als nötiges Übel abgefrühstückt, bevor das versöhnliche Ende auf die Credits zusteuert. Schreckenerregend ist am Film letztendlich einzig die Tatsache, wie leichtfertig er seine gute Idee immer weiter zu einer gefühllosen und einfallslosen Horrorposse werden lässt.
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Donnerstag, 19. September 2019

Der goldene Handschuh

Ein kleiner Mann, sichtlich gegerbt vom Leben, steht in der Tür zwischen Wohnstube und kleiner Küche und schimpft über den von seinem Besuch angesprochenen Gestank, den sein kleines Wohnreich durchflutet. Es sind "die scheiß' Griechen unter ihm", welche "von morgens bis abends Lamm und all so'n Zeug" kochen und damit das Haus vollstinken. Das Gezeter wird mit leicht ostdeutschem Dialekt durch die Lippen in den Raum geschleudert; die Szene spielt in den 70ern und irgendwie denkt man sich, dass sich im Vergleich zu heute nicht wirklich was geändert hat. Der Name des schimpfenden Herren ist Fritz Honka, ein dem Anschein nach vom Leben und der Trunksucht mitgenommener, einfacher Mann. Während viele Menschen metaphorisch ihre Leichen im Keller haben, hat Honka diese wortwörtlich hinter seiner Zimmerwand. Gelegenheitsprostituierte, obdachlose Frauen, verlorene Seelen, welche er in seiner Stammkneipe - dem goldenen Handschuh - und ebenso wie er sichtlich vom Leben und dem Alkohol ausgezehrt, werden von ihm in Hoffnung auf Sex und vielleicht auch auf etwas mehr Menschlichkeit in seine Dachstube gelockt und überwältigt von seinem ungestümen Trieb umgebracht.

Die Leichenteile entsorgt er teils in Müllbeuteln, die er in alten Industrieanlagen etc. versteckt oder in einem dürftig vernagelten Loch in seiner Wohnzimmerwand, von wo aus der süßliche Duft des Todes seinen Gestank in Honkas Reich ausbreitet. Er wollte schon immer einen Horrorfilm machen, erklärte Fatih Akin während der Promotion-Phase zu seiner Verfilmung von Heinz Strunks Buch Der goldene Handschuh, beruhend auf dem Leben und den Taten des echten Fritz Honka, dessen mörderisches Treiben erst durch einen Brand in seinem Wohnhaus durch das auffinden von Leichenteilen durch einen Feuerwehrmann entdeckt wurde. Akins Umsetzung erinnert weniger an düstere Serienmörder-Filme wie John McNaughtons Henry oder Finchers Se7en, welche in ihrer Stilistik neben Thriller- oder Drama-Elementen sichtbar eine Brücke zum Horror schlagen. Der goldene Handschuh ist deutscher Autoren-Horror, weit weg von üblichen Formeln des Genres, was dem Film die Unterbringung in die Rotten Potatoes-Rubrik verwehrte.

Strunk nicht unähnlich, blickt Akin in seiner Umsetzung nicht alleine auf das Leben eines Mannes, der durch seine in Heimen verbrachte Kindheit und durch Unfälle, Krankheit und Alkoholsucht ein wenig attraktives Äußeres besaß, welches sein Selbstwertgefühl äußerst niedrig hielt. Der goldene Handschuh streift durch das Kiez-Milieu Hamburgs mit seinen schrulligen, traurigen und gebrochenen Gestalten und schält seinen Protagonisten und seine Stammkneipe als dessen Mittelpunkt heraus. Soldaten-Norbert, Doornkaat-Max, Tampon-Günther, Anus: sie bleiben Kuriosa der Geschichte; im Buch "die Schimmligen" genannt; Hamburger Originale von ganz unten, um anscheinend den nüchternen Blick auf Honkas Treiben aufzulockern. Ein Ankerpunkt für das Publikum, an dem es Rasten kann, bevor der gammelige Gestank, spärlich von Raumduftsprays und einer Armada Wunderbäumchen bekämpft, phantomartig die Nase des Zuschauers wieder kitzelt. Was Heinz Strunk in schockierend quälend langen Szenerien beschreibt, konzentriert Akin in seinem Film zu abstoßenden Momentaufnahmen, die berechnend zwischen Schock und Aussparung pendeln. Wirksam ist beides.

Im Buch klebt man mehr an "Fiete", wie Honka gerufen wurde, ist näher an der Figur dran; Akin bewahrt sich eine Distanz. Starr bleibt die Kamera beispielsweise vor Honkas Schlafzimmertür stehen und gibt vom Treiben des Mannes mit den wehrlosen Frauen so viel Preis, wie es der schmale Durchgang zulässt. Morde geschehen zudem meist im Off und lassen das Kopfkino des Zuschauers den Rest erledigen. Mehr ist Akin bemüht, einen Einblick in das trostlose Leben und das Umfeld des Protagonisten zu geben. Trotz der neuen Arbeit nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit, einem versuchten Entsagen vom Alkohol bleibt unmissverständlich zu sehen, dass Honka mit seinem Milieu verzahnt war. Ein Zwischenfall auf der neuen Arbeit, sein (erneutes) soziales Scheitern treibt ihn zurück in die Arme des Alkohols, der ihm nur für kurze Zeit Wärme schenkt. Der goldene Handschuh ist dabei Sammelpunkt für die Leidgenossen, die zwischen ihren gegenseitigen Derbheiten und dem rauen nordischen Charme wohl auch sowas wie Sympathie für einander empfinden können, wenn sie nicht vom betörend betäubenden Fusel verblendet werden.

Akin arbeitet brav die wichtigsten Punkte der Buchvorlage heraus, schreitet flotten Schrittes zum Finale um bis dorthin in einen spröden Erzählstil zu verfallen, der entfernt an den des neuen deutschen Films oder Kurt Raabs Die Zärtlichkeit der Wölfe (hier besprochen) erinnert. Wenig spannend, weniger schockierend oder gleichzeitig faszinierend wie anekelnd als manche Passagen des Buchs bleibt Der goldene Handschuh eine durchaus interessante Sozialstudie, ein Sozialdrama das leicht genug bleiben möchte, um das deutsche Mainstream-Publikum aus dem Mittelstand und darüber hinaus in ihren kuschelig-weichen Kinosesseln oder auf ihren monströsen Wohnlandschaften zu gruseln. Manchmal verirrt sich Akin in seiner Faszination von dieser Welt von unten und treibt planlos durch die Geschichte. Planlos bleibt man auch beim kleinen Nebenplot um Jungspund Willi und seiner Angebeteten Petra, der diese irgendwann nach einer ersten Solo-Erkundung in die titelgebende Kneipe einlädt.

Sie scheinen nur dafür da zu sein, um zwischen all dem Pöbel und Gesocks normale Menschen in den Plot einzubauen und sind eigentlich Überbleibsel zweier Nebengeschichten des Buchs. Sein gut getroffener Milieu-Ton kann nicht verstecken, dass vieles an Der goldene Handschuh doch oberflächlich bleibt wie um Niveau bemühte Hartz-IV-Dokus auf RTL2 und weniger den gewollten Horror bietet, den sich Akin ausgemalt hat. Faszination übt der Film aus, auch durch seine extreme Detailgenauigkeit in der Darstellung des Kiez-Prekariats und dessen extra für den Film nachgebauten Treffpunkts. Fritz Honka selbst verkommt leider zum next german Boogey Man in einer durchaus bemühten und ebenfalls durchaus sehenswerten Sozial- und Milieustudie, die "ganz unten" angekommen sich wie Kiez-Touristen letztendlich nicht trauen, ganz in diese Welt einzutauchen. Akin ist eben nur mal kurz gucken, während Strunk in seinem Buch das ganze Übel schonungslos offen legt.
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Es: Kapitel 2

Anders als in der Geschichte um das als böser Clown auftretende, personifizierte Böse, mussten Horrorfans keine 27 Jahre warten, bis Pennywise wieder über die Leinwand spukt. Zwei Jahre lagen zwischen dem ersten und zweiten Teil der Neuverfilmung des Erfolgsromans aus der Feder Stephen Kings, in dem der Losers Club, mittlerweile alle im Erwachsenenalter angekommen, nochmal zusammenkommt um sich einem finalen Kampf gegen Pennywise zu stellen. Damals wie heute stellte ich fest - vor Kinobesuch wurde die Erinnerung nochmal aufgefrischt und Teil 1 erneut geschaut - dass Es in den Momenten, in denen dem Zuschauer das Gruseln gelehrt werden soll, weitgehend versagt. Die dunkel vernebelten Erinnerungen an die erste Verfilmung besagten, dass dort die Szenen um den Losers Club im Kindesalter stärker sind als die um das zweite Zusammentreffen als Erwachsene. Durch beides waren die Erwartungen an Es: Kapitel 2 gering angesetzt.

Leider habe ich die Buchvorlage nie gelesen; vielleicht krankt sie an diesem gleichen, qualitativen Gefälle wie die beiden Verfilmungen. Der mittlerweile weit verstreute Losers Club findet sich nach einem Anruf von Mike, der als einziger in der alten Heimatstadt Derry geblieben und nun der örtliche Bibliothekar ist, wieder zusammen und nimmt den Kampf gegen den wieder ans Tageslicht getretene Pennywise erneut auf. Nach dem Mord an einem Homosexuellen und dem erneuten verschwinden von Kindern ist für Mike klar, dass Es - pünktlich nach 27 Jahren - wieder aufgetaucht ist. Mike erinnert seine Freunde während seines Anrufs an den Schwur, den sie als Kinder schlossen, nochmals gegen den furchterregenden Clown zu kämpfen, sollte er nochmal in Erscheinung treten. Die anfängliche Skepsis der einzelnen ist groß; die Erinnerungen an früher scheinen bei allen wie ausradiert zu sein und die adulte Rationalität lässt Mikes Ausführungen erst wie eine schlechte Horrorgeschichte erscheinen, bevor sich Pennywise den alten Freunden zeigt und ihnen klar macht, dass er sie alle am liebsten tot sehen würde.

Inszeniert wird das mit einem aufwändigen Set Piece-Overkill, das von einer spektakulär angelegten Szene zur nächsten stolpert. Repetitive Erzählkreisläufe teilen die Story zwischen Streitereien der alten Freunde um den Sinn von Mikes Aktion, der Konfrontation mit Pennywise und ihren Ängsten und ihrer Flucht davor auf, bevor man wenig variierend wieder mit den verschiedenen Standpunkten der Gruppenmitglieder bezüglich des Sinns des gesamten Treffens an den Ausgangspunkt gelangt. Die Auftritte von Pennywise werden spektakulär mit viel CGI-Einsatz inszeniert; Darsteller Bill Skarsgård wird von diesen digitalen Effektwolken umzingelt, gar aufgesogen und scheint ein Stück weit in seiner Darstellung um diese wissend gegen sie anzuspielen. Technisch ist das durchaus beeindruckend, nur furchterregend ist es leider nicht. Die finale Zuspitzung im Kampf gegen Pennywise ist eher überfrachtet und die epische Laufzeit von gut 245 Minuten bläht den längere Zeit fast ewig gleichen Plotverlauf unnötig auf. Richtig unangenehm wird dies eben im Finale, bei dessen überdrehter Dauerschleife gewollte Anflüge von Dramatik im CGI-Nirvana verschwinden. Der auch im ersten Teil auftauchende Gag mit den drei Türen, unterteilt in gruselig, sehr gruselig und gar nicht gruselig, mit einem ziemlich süßen Welpen, einem vorhersehbaren Verlauf der Szene und deren halbwegs zündender Humor bietet darin einen der wenig richtig gut funktionierenden Momente.

Das, was Stephen King - der auch einen kleinen Cameo-Auftritt hat - eigentlich mit seiner Geschichte bzw. in diesem Teil sagen möchte, bleibt in Es: Kapitel 2 fast komplett außen vor. Wenn der letzte Kampf geschlagen ist, frühstückt der Film dies mit seinem Epilog ab. Nicht gänzlich unkitschig, aber die richtigen Hebel umlegend wird von der Konfrontation mit den eigenen, in einem wohnenden Ängsten erzählt und darüber, dass wahre Freundschaft wie Unkraut unvergänglich ist. Kings Verknüpfung von (Kindheits-)Erinnungen an diesen einen, besonderen Sommer mit  tief sitzenden Traumata und seinem schleichenden Kleinstadt-Horror, der Derry wie das davon laut seinen Erzählungen nicht weit weg liegende, ebenfalls fiktive Castle Rock zu einem Hort des Schreckens wachsen lässt. Ob gut oder schlecht: manche Bilder des Erlebten lassen sich nicht gänzlich aus dem geistigen Fotoalbum im Kopf entfernen. Leider kommt das dort erzählte für das Gesamterlebnis zu spät. Die durchaus gut aufspielenden Darsteller wie McAvoy als Bill im Erwachsenenalter können leider auch nichts gegen die Entscheidung ausrichten, nicht mehr auf ihre Figuren und die subtilen Momente - die leider noch weniger als im ersten Teil sind - einzugehen, sondern Es: Kapitel 2 zu einem überladenen Horror-Epos zu machen.
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Montag, 2. September 2019

Once Upon A Time In... Hollywood

Es geht auf die Zielgeraden. Once Upon A Time In... Hollywood ist der neunte Film von Quentin Tarantino, der sich der eigenen Ankündigung nach darauf beschränken möchte, nur zehn zu drehen um dann mit dem Filme machen aufzuhören. Bei jedem seiner Filme ist man gespannt darauf, was der Autodidakt mit Hang zum B- und Genre-Films dieses Mal an Anspielungen, Verweisen und Zitaten in diese gepackt hat. Mit dieser kontinuerlichen Manie des Maestros ist seine Unberechenbarkeit (fast) kalkulierbar geworden. Beinahe drei Stunden fröhnt Tarantino dabei seinem Publikum zu zeigen, was er neben seiner eigenen Person an Werken aus Film, Fernsehen und Musik so toll findet. Empfand ich seinen letzten Film The Hateful Eight zu ausgedehnt mit bis aufs Maximum ausgereizten Szenen, in denen man fast den vergossenen Samen schmeckte, den Tarantino durch Ego-Onanie auf sich selbst ergoss, ist sein neuestes Werk erstaunlich zurückhaltend im merklichen Feiern des eigenen Geschmacks.

Präsent ist er natürlich; vor allem im vorzüglichen Soundtrack, der viele tolle Tracks aus der Zeit der 60er beinhaltet. In diese entführt Tarantino, blickt mit leichter Melancholie an das tote Hollywood dieser Epoche mit ihren Stars und Sternchen und wird zugleich zum Märchenerzähler. Seine auserkorenen Protagonisten sind der Schauspieler Rick Dalton und dessen Stunt-Double Cliff Booth, welcher anhand einer sehr überschaubaren Auftragslage für ihn und seinen Boss für letzterem mehr zu einem Mädchen für alles geworden ist. Einst war Rick der gefeierte Star der bekannten Western-Serie "Bounty Law", nun hangelt er sich von Pilotfilm zu Pilotfilm, hat manchmal Gast-Auftritte in Fernsehserien und blickt neidisch auf seine neue Nachbarn: den für seinen neuesten Film Rosemary's Baby gefeierten Roman Polanski und seine junge Frau, die Schauspielerin Sharon Tate.

Während Rick mit Rollenangeboten für Italowestern hadert und seinen Frust über seine Lage in Alkohol ertränkt, erzählt Tarantino nebenbei noch von einem jungen Kerl Namens Charles Manson, der kaum zu sehen und trotzdem immer präsent ist. Mit der Kenntnis über die verübten Morde der Mitglieder seiner Family an der damals hochschwangeren Tate und ihren Gästen, baut der Film eine gewisse Spannung auf, wenn sein Regisseur und Autor fast mal wieder den Bogen überspannt. Hin und wieder stellt sich die Frage, wohin dieser nun eigentlich mit seiner Erzählung überhaupt hin will. Die Handlung wird manchmal schlingern gelassen, greift Andeutungen zu Manson auf, stellt sie mit Cliffs Besuch auf der Spahn Ranch, der Unterkunft der Manson Family zum damaligen Zeitpunkt, in den Mittelpunkt um dann wieder den Fokus auf seine beiden Protagonisten zu legen. Rick wird in den langen Episoden über seinen Versuch, einen neuen Serienhit zu landen, stellvertretend für die Altstars von früher und dem traurigen Niedergang ihrer Karrieren in der im Umschwung befindlichen Traumfabrik.

Tarantinos Blick auf diese Zeit ist bittersüß. Jeder Tragik wohnt zugleich eine Komik inne; Rick Dalton ist ein sympathischer Losertyp, dem man einen erneuten Erfolg gönnen würde, der sich und seiner Karriere im Blick auf die eigene, ruhmreichere Vergangenheit im Weg steht. An seiner Seite ist sein mit einer kriminellen Vergangenheit gestrafter Stuntman Cliff Booth, dessen einfaches Gemüt und dauerhafte Coolness entfernt an den (ebenfalls im Film vorkommenden) Steve McQueen erinnert. Die Beziehung der beiden Männer beschränkt sich nicht auf ein reines Arbeitsverhältnis. In ihr schlummert eine aufrichtige Freundschaft, die mal verborgen, mal ersichtlicher beiden Halt schenkt, wenn gleich Rick diesen spürbarer benötigt. Mit diesem blickt auch Tarantino auf eine Zeit zurück, in der zumindest vordergründig noch alles im Lot in Hollywood war. Once Upon A Time In... Hollywood ist seliges Seufzen seines Schöpfers; Erinnerungen an früher und die (erste) Magie der Stoffe, die einen jungen Quentin Tarantino begeistert haben.

Und er feiert vieles. Serien wie Rauchende Colts, The F. B. I. oder Filme wie Rollkommando oder Gesprengte Ketten. Mit Zitaten oder direkten Ansprachen. Imposant und charmant ist dabei Daltons Erinnung an seine Chance, die Hauptrolle im McQueen-Film Gesprengte Ketten zu bekommen. Mittels hübschem Tricksen aus der Technikkiste wurde dieser durch DiCaprio ersetzt, was zu einigem Schmunzeln führt. Und wenn sich Dalton letztendlich doch für einen Europatrip nach Rom und die Rollenangebote von dort entscheidet, macht Tarantino seine Figur zum Hauptdarsteller des von Mario Bava geschaffenen Nebraska Jim (vor Jahren übrigens hier besprochen). Beim ganzen Schwelgen in Erinnerungen an die gute alte Zeit, als das Testosteron die Leinwände flutete, schaut man Tarantino gerne zu. Dem Film wurde im Netz häufiger angelastet, dass er keine Handlung besäße und langweilig ist. Manchmal fragt man sich wirklich, wohin der Amerikaner nun überhaupt mit seiner Geschichte möchte. Ob das einfach nur hartes nostalgieren ist oder er uns auch wirklich etwas zu sagen hat.

Groß unterscheidet sich Once Upon A Time In... Hollywood nicht mal groß von früheren Werken, in denen er ebenfalls ausgiebig die Zitate in seine Scripte goss. Mehr fragt man sich mittlerweile bei mancher Kritik am Film, woher plötzlich diese Handlungsgetriebenheit der Leute führt. Fällt es mittlerweile so schwer, sich einfach auf die Stimmung eines Films einzulassen? Mehr als die Erzählung über einen beinahe gescheiterten Schauspieler des System des Old Hollywood ist dieser Film ein Stimmungsbild, das es nicht immer so genau mit den Fakten nimmt, den Zuschauer aber gekonnt in die Zeit mitnimmt und den darin wehenden Wind of Change spüren lässt. Noch blödsinniger ist eigentlich nur, dass ihn eine kleine Protestwelle empörter Bruce Lee-Fans traf, da deren Held im Film in seiner Darstellung nicht sonderlich gut wegkommt. Drauf geschissen. Es gibt auch für mich - der wegen der kultischen Verehrung des Regisseurs von einigen immer mit gewisser Skepsis an dessen Werke herangeht (kennt man die von ihm ausgiebig zitierten Vorbilder, dann kocht auch Tarantino nur mit Wasser) - wenig zu meckern.

Mehr Unberechenbarkeit wäre für sein wahrscheinlich finales zehntes Werk wünschenswert. Es kristallisiert sich eine Formel heraus, wie er seine Filme aufbaut. Mit der Verbindung zu wirklich geschehenen Ereignissen, ist die abschließende Gewalteruption - ähnlich wie in The Hateful Eight - zu erwarten gewesen. Womit wir wieder bei den Märchen wären. Once Upon A Time In.. Hollywood ist neben dem vielleicht auch mit Wehmut durchzogenen Blick auf die gute, alte Zeit ein What if...-Szenario Tarantinos; ein leichtes Märchen, mit unbestimmten Ausgang und der Hoffnung auf bessere Zeiten für die sympathisch gezeichneten Protagonisten. Gerne wandelt man mit ihnen und dem Geist, der hinter der Geschichte steckt noch einmal durch eine unwiederbringliche Zeit, die mit den vielen Gastauftritten und Anspielungen noch häufiger dazu einlädt, dieses zur Abwechslung mal wieder zufriedenstellende Kapitel in der Filmographie Tarantinos aufzuschlagen.
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Freitag, 30. August 2019

Assassination Nation

Vielleicht mag ich in den Augen der jüngeren Zunft nun ein (mittel-)alter, weißer Mann sein, der bei Assassination Nation und seiner Prämisse "selbstverständlich" abwinkt. Treffen mich die angesprochenen Themen? Versetzen sie mir Stiche in meine Seele und mein ich, dass tief in mir verborgen wehleidig bei dem, was der Film anspricht, aufjault? Fragen, die mich nach dem Genuss von Sam Levinsons Werk beschäftigten. Mehr, als die Themen, welche auf seiner Agenda stehen. Wenn er damit seine Zuschauer auf- und durchschütteln wollte, sie aus ihrem Phlegma gleichgültiger Zurkenntnisnahme reißen wollte, schafft es Assassination Nation nur bedingt. Sein Problem ist, dass er sich auch auditiv und visuell auf die Seite der neuen Generation stellt, dass man schwer an dessen hippen Style vorbei auf die eigentlichen Ziele der Geschichte schauen kann.

Er bildet die Welt der Freundinnen Lily, Sarah, Em und Bex mit technisch beeindruckenden Mitteln als ein von Social Media beeinflussten Kosmos ab, der ins Wanken gerät, als durch Hackerangriffe Chats und Bilder von Bewohnern des kleinen Städtchens Salem geleakt werden. Gleich, ob es die sexuellen Vorlieben des Bürgermeisters oder die intimsten Geheimnisse der Nachbarn sind: sie bringen Chaos in den kleinen Ort und durch widrige Umstände setzt sich der Verdacht bei vielen Bewohnern fest, dass Lily und ihre Freundinnen die Verräterinnen sind. Passend zum Namen der Ortschaft rotten sich die Bewohner zu einer modernen Hexenjagd zusammen und beschließen auf dem Klimax der Geschichte, dass die Mädchen sterben müssen.

Mit der Ankunft von Chaos und Gewalt wandelt sich Assassination Nation vom schwerfälligen Jugenddrama zu einem grimmen Thriller mit leichten Bezügen zum Home Invasion- und Slasher-Film. Ersteres geschuldet durch die wohl beeindruckendste Szene des ganzen Films, wenn in einer großen Plansequenz mit einer einzigen, langen Kamerasequenz das Eindringen des Lynchmobs in das Haus von Lily gezeigt wird. Mehr als einmal fühlt man sich an die The Purge-Reihe erinnert, wenn die Mädchen den Kampf gegen die Bewohner ihres Heimatorts aufnehmen. Bis es dazu kommt, strengt der Film mit seiner Stilistik mehr an, als dass er mit den angesprochenen Themen Mobbing off- wie online, Feminismus, die Angst der angesprochenen alten, weißen Männern davor und seiner Kritik an einer Gesellschaft die in Zeiten von Fake News vorschnell irgendeine Person als schuldig ausmachen und an den (virtuellen) Pranger stellen, aufzurütteln vermag.

Seine spürbare Prämisse perlt an der geschaffenen glatten Oberfläche der Welt seiner Teenie-Protagonisten, welcher er sich als Stil zu eigen macht, ab. Diese Oberflächlichkeit, unter der die Sorgen und Ängste seiner Figuren aufbrechen um im nächsten Moment von einer neuerlichen, coolen Idee überschattet zu werden, ist das große Problem von Assassination Nation. Sam Levinson schafft es, dass man seine Themen und Absicht, anhand der Konzentration der aktuellen amerikanischen Gesellschaft in der Ortschaft Salem, erkennt und gleichzeitig darüber resigniert, dass dies mittlerweile der Lauf der Welt ist. Ein jüngeres Publikum, dessen Sprache er hier sichtbar beherrscht, mag er damit vielleicht besser ansprechen. Komplett erscheint der Film wie eine lange, ausufernde Rede eines Politikers, die wach- und aufrütteln möchte, aber in der viel trotz viel Rederei wenig gesagt wird.
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Sonntag, 25. August 2019

Lords of Chaos

Mit den Bands Motörhead, Grave Digger und Sodom hat alles angefangen. Seitdem befinde ich mich seit gut zwanzig Jahren - trotz Unterbrechungen und damit verbundenen, auf andere Genres bzw. Subkulturen verschobenen Interessen - in den Klauen des Heavy Metal. Im letzten Jahr brachte mich die schwedische Okkult Rock-Band Ghost mit ihrem aktuellen Album zurück zu den musikalischen Wurzeln und während ich zu Beginn meiner "Metaller-Karriere" bei extremeren Spielarten wie Death- oder Black Metal wegen der stumpfer Brutalität der Musik wenig begeistert meist schnell abwinkte, erwachte über die Jahre zumindest für Black Metal leichtes Interesse. Trotz weniger Berührungspunkte mit diesem Subgenre stößt man, wenn man sich intensiver mit Heavy Metal auseinandersetzt, auf einen der größten Skandale, der es über die Szenemauern hinaus schaffte, für großes Medienecho sorgte und Black Metal ins Bewusstsein vieler Menschen setzte:
die durch Brandstiftung entstandenen Kirchenbrände im Norwegen der frühen 90er und den Mord von Kristian "Varg" Vikernes an seinem Bandkollegen Øystein "Euronymus" Aarseth.

Nachdem die musikalisch spannende, chaotische und gewalttätige erste Welle der noch jungen Black Metal-Szene in Skandinavien abebbte, erschien im Jahr 1998 das Sachbuch Lords of Chaos. Die verschiedenen Vorkommnisse der vergangenen Jahre wurden darin aufgearbeitet und ließ die damaligen, mit den im Buch beschriebenen Vorkommnissen verknüpften Szene-Köpfe der damaligen Zeit, darunter auch Vikernes, zu Wort kommen. Das Buch mit den darin abgedruckten, ungefilterten wie unkommentierten Gesprächen wurde in und außerhalb der Szene kontrovers aufgenommen. Die Verstrickungen von Autor Michael Moynihan in die rechtsextreme Szene heizten die Diskussionen um das Werk zusätzlich an. Viele Jahre nach seiner Veröffentlichung nahm sich Jonas Åkerlund dem Buch an und arbeitete als ausführender Produzent, Autor und Regisseur an einer Verfilmung dessen. In Bezugs auf das Thema erweist sich der Schwede, welcher sich als Videoclip-Regisseur für Madonna, Sigur Rós, The Prodigy oder Rammstein einen Namen machte, als gute Wahl. Von 1983 bis 1984 saß er unter dem Pseudonym Vans McBurger hinter dem Schlagzeug der schwedischen Metal-Band Bathory, welche mit ihrem Sound u. a. auch den Black Metal beeinflusste und deren bekanntes Goat-Motiv des Debütalbums häufiger auf den Shirts der Figuren des Films zu sehen ist.

Dieser entpuppt sich als zweischneidige Angelegenheit. Lords of Chaos schildert die Geschichte aus der Sicht von Øystein Aarseth, der als Erzähler fungiert und mit Voice Overs die Geschichte vorantreibt und kommentiert. Euronymus ist der Verbindungspunkt mit dem Zuschauer, der diesen aktiv anspricht, während der Film über weite Strecken die Handlung so nüchtern anpackt, dass eine distanzierte Kühle entsteht. Ansatzweise erinnert man sich in den Schlüsselmomenten rund um Aarseth und den Anfangstagen seiner Band Mayhem sowie dem kriminellen Treibens seines "Inner Circle" nach der Gründung des Plattenladens Helvete in Oslo bei deren Darstellung an die unmenschlich kalte Stimmung einiger Black Metal-Songs erinnert. Als Kenner der Materie besitzen manche Szenen trotz des Wissens, was folgt, eine unangenehme Wirkung. Der Suizid des ersten, schwer depressiven Sängers Per Yngve "Dead" Ohlin und der von Bård "Faust" Eithun begangene Mord an einem Homosexuellen in Lillehammer sind durch Åkerlunds stiller Beobachter-Perspektive schwer im Magen liegende Szenen die nachhallen.

Leider wird diese Sicht auf die vergangenen Zeiten von Momenten durchbrochen, in denen die Geschichte und die darin vorkommenden Menschen für ein hippes, PC-getreues Publikum und deren Sensationslust vorgeführt wird. Metal-Fan als solche und Black Metal-Anhänger insbesondere erscheinen in ihrer Andersartigkeit ein gefundenes Fressen für Szenen, die plump provokativ wirken sollen und damit höchstens in ihrer Blase durch gentrifizierte Trendviertel schwebendes Hipstervolk oder Senioren jenseits der 80 schockieren können. Nicht von ungefähr erinnert das an Reportagen der Vice. Diese hat Lords of Chaos mit ihrer Firma Vice Films mitproduziert und hat den Black Metal schon zu früheren Zeiten für sich entdeckt. True Norwegian Black Metal - ein Begriff der auch im Film selbst häufiger fällt - ist eine von der Vice produzierte Kurz-Dokumentations-Serie über die extreme Spielart des Heavy Metals. Wie das zugrunde liegende, verfilmte Buch wurde diese alles andere als gut aufgenommen und den Machern absichtliche Falschinformation vorgeworfen; Hauptsache die Zielgruppe erhält neues Futter über die "abartigen" Andersartigkeit außerhalb der eigenen Blase.

Nötig hat Lords of Chaos dieses Gehabe eigentlich nicht. Åkerlunds Film schafft die Balance zwischen kühler Studie und True Crime-Drama und ermöglicht dem Zuschauer einen Einblick in die Anfangstage einer Szene und Musikrichtung, bei der ich selbst ständig zwischen Faszination und Abscheu schwanke. Wie das Buch enthalten sich Åkerlund und sein Co-Autor Dennis Magnusson jeglichen Urteils über die Geschehnisse. Sie lassen Euronymus sprechen und zeigen an seiner Person das ganze Paradoxon des Black Metals. In keiner anderen Spielart des Metals ist man um angebliche Authentizität bemüht und schwankt auf dem schmalen Grat zwischen ideologischer Extreme und purem Posertum. Der schwelende Konflikt zwischen Aarseth und Vikernes, begonnen bei Kleinigkeiten wie dem bemängelten Scorpions-Patch an der Jacke Vikernes' beim ersten, kurzen Aufeinandertreffen der beiden entwickelt sich zu einer hochexplosiven Mischung aus auseinander triftenden Ideologien, Eifersucht und der "existenziellen" Frage, was eigentlich true ist. Die Konzentration auf Euronymus lässt diesen zu einer tragischen Figur werden, der den Zwängen der Szene hätte entwachsen können.

Der steifen Sicht des Films auf ihren Protagonisten nach könnte man Åkerlund eine einseitige Konzentration vorwerfen. Vikernes bleibt in seiner Darstellung gefühlt eine Randfigur, obwohl er der zweite Protagonist ist. Im Vergleich mit dem Buch ein sorgsam eingeschlagener Weg und Kontrast. Das der Norweger damals eine eigentlich leicht manipulierbare wie gleichzeitig einnehmende Persönlichkeit war, die sich über die Jahre (bis in die Gegenwart) gefährlich radikalisierte, wird schnell klar. Die im jugendlichen Rebellentum anhaltende Ablehnung gegenüber der Institution Kirche, weil sie den Glauben der norwegischen bzw. skandinavischen Vorfahren vertrieb und die Vermengung mit nationalistischem Denken eskalierte in den auch im Film gezeigten Kirchenbrandstiftungen; eine Konsequenz der ersten, frühen Radikalisierung Vikernes'. Dieses leere Gefäß, welches er in Andeutungen vor dem ersten Treffen mit Aarseth gewesen schien, war gleichzeitig gerne aufnahmebereit für die satanistische, lebensverneinende Welt des Black Metal. Noch heute ist die Szene Tummelplatz vieler zweifelhafter Gestalten und Nährboden für nationalsozialistische Auswüchse.

Die in Lords of Chaos beschriebene Zeit in Norwegen (und den angrenzenden Nachbarländern) quoll über vor hungrigen und jungen Menschen, die mit dieser neuen Extremen in der Subkultur über die nächsten Jahre in der Szene für Aufsehen und Kontroversen sorgen sollten. Gleichzeitig war ihr jugendliches Alter ein offenes Tor für extreme, radikale Gedankengänge. Würde die überwiegende Neutralität des Erzählstils nicht manchmal Platz machen für die sensationshaschende Zurschaustellung einer Subkultur, aus der Åkerlund selbst entstammt, wäre der Film im Gesamtton eine Nuance eindringlicher. Ebenso verzichtet er auf einen zu befürchtenden nostalgisierten Blick in die Vergangenheit. Das wird dem Zuschauer überlassen, der - sofern Fan - beim Anblick von Platten und Postern solcher Bands wie Metal Church, Motörhead oder Mercyful Fate sich ein leichtes Lächeln wegen des gebotenen Anblicks nicht verkneifen kann. Bei mir selbst war die kurz im Bild zu sehende "In The Sign Of Evil"-LP von Sodom - die Gelsenkirchener waren mit ihrem Spiel und dem rumpeligen Sound dieser und nachfolgenden Veröffentlichungen ebenfalls ein großer Einfluss für die frühen Black Metal-Bands - ein kurzer Grund spontanen feierns. Bei aller Kritik an der unterschiedlichen Tonalität kann man auch Lords of Chaos als spannenden und interessanten Blick in eine Subkultur ewiger Extreme ansehen und feiern dessen unaufdringliche Fotografie zeigt, dass in deren Schwärze eine faszinierende Schönheit innewohnt, deren Wirken auf einen selbst gefangen nimmt und begeistern kann.
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