Dienstag, 27. Februar 2018

Der Schrecken vom Amazonas

Dank Guillermo del Toros kürzlich besprochenen The Shape of Water schaffte ich es nach gefühlt zu vielen Jahren, vor ein paar Tagen eine weitere filmische Lücke zu schließen. Alleine schon wegen der Ähnlichkeit des anthropomorphen Meeresbewohner in del Toros Multi-Oscar-Aspirant zum Monster aus Jack Arnolds Klassiker Der Schrecken vom Amazonas packte mich die Neugier auf das Vorbild aus alten Tagen. Die titelgebende Kreatur gilt als letztes klassisches Universalmonster, welches insgesamt dreimal zwischen 1954 und 1956 auf der Leinwand der Lichtspielhäuser auftauchte. Meine größte Befürchtung wenn es um Monster, Andersartigkeit und Filmen die mehr als 60 Jahre auf dem Buckel haben geht, war, dass in Arnolds Werk mehr als nur deutlich irgendwelche rassistische Untertöne auftauchen könnten. Umso überraschter war ich, dass Der Schrecken vom Amazonas trotz seiner irreführender Trailer, die aus dem Film einen für die 50er typischen Monsterbash filmischer Art macht, in seinem Kern die gleiche Botschaft transportiert wie del Toros Film.

Toleranz gegenüber (dem) Fremden und ihrer Heimat schreibt auch Jack Arnolds ebenfalls überraschend nur leicht in die Jahre gekommener Film groß. Ganz klassisch kommt alles ins Rollen, als Professor Maia einen unglaublichen Fund macht. Im tiefsten Amazonasgebiet Brasiliens pflückt er eine gut erhaltene Hand eines bisher unbekannten Wesens aus dem Gestein. Er legt seinen Fund einem nahe gelegenen Labor für Meeresbiologie und seinem ehemaligen Schüler David und dessen Freundin Kay vor. Beflügelt vom Fund, ordnet deren Vorgesetzter Mark Williams an, die Ausgrabungen zu intensivieren. Nach Tagen ohne weitere Entdeckungen kommt David auf die Idee, an einem anderen Ort zu suchen. Immerhin könnte das Gestein über die Jahre weggeschwemmt worden und früher woanders beheimatet sein. Ihr Bootsmann Lucas weist die Forscher auf die nicht weit weg gelegene schwarze Lagune hin, über die Eingeborene berichten, dass dort ein unheimliches Wesen im Wasser lebt. Die zuerst als Ammenmärchen abgetane Geschichte bewahrheitet sich zum Entsetzen der Wissenschaftler, als David und Mark während eines ersten Tauchgangs auf einen fischähnlichen Humanoiden im Gewässer treffen.

Ab diesem Punkt stellt der Film die Frage wer nun das wahre Monster ist. Der vom Fund beflügelte Williams mausert sich zu einem waschechten Ekelpaket, der unter Zuhilfenahme aller zur Verfügung stehender Mittel versucht, die Kreatur zu fangen. Egal ob tot oder lebendig. Die Einwände seiner Kollegen prallen an ihm ab. Williams scheint es nur um die Sensation und den winkenden, wissenschaftlichen Ruhm zu gehen. Dem Monster selbst schenkt man dank der Darstellung des Buchs und der menschlichen Figuren bald sämtliche Sympathien. Verteidigt es immerhin nur seinen Lebensraum, in den gewaltsam eingedrungen wurde. Einzig der Beginn, wenn zwei Helfer Maias in ihrem Zelt während der Abwesenheit des Professors getötet werden, mag zur restlichen Handlung nicht richtig passen. Man könnte dies auch schon als Verteidigung des Lebensraums deuten, allerdings geben sich Maia und sein Team zu Beginn friedlicher als später Williams in seinem Bestreben, das (angebliche) Monstrum zu fangen.

Selbst wenn es dieses auf Kay, der einzigen Frau des Teams, abgesehen hat, schafft es die geradelinige Ausrichtung des Drehbuchs in seinen Untertönen den Fischmensch zum wahren, tragischen Protagonisten zu machen. Man fragt sich unweigerlich, wer diese andere Kreatur war, die einmal existierte, wie der Fund zu Beginn beweist. Eine etwaige Gefährtin des nun einsam umherschwimmenden und wohl nun einzigen Exemplars? Die aus dem Wasser ragende Hand, die schon kurz nach Ankunft der Forscher nach Kay greift, bekommt eine romantische Symbolik und wird von der vordergründig angedeuteten, im Wasser lauernden Gefahr, befreit. Der Höhepunkt ist dabei die Szene, in der Kay eine Runde in der Lagune schwimmt und die Kreatur in einigem Abstand fast als Spiegelbild der Frau fungiert und unter ihr unbemerkt umherschwimmt. Es drückt eine gewisse Sehnsucht des Lebewesens aus, das lange Zeit in den dunklen Höhlen und in Einsamkeit verbringen musste. Die Liebe bleibt unerwidert; die menschliche Seite hat durch das besitzergreifende Jagdwesen nach einer neuen Gefährtin einen weiteren Grund, ihre gewaltsame Konfliktbewältigung zu verteidigen.

Man könnte del Toros The Shape of Water damit fast als Umkehrung dieser in Der Schrecken vom Amazonas vorherrschende Situation der unerwiderten Liebe und Werbung des Monsters ansehen, wenn Sally Hawkins als Elisa das Heft in die Hand nimmt und sich offen dem Wasserbewohner hingibt. Es ist das kurz anhaltende Happy End, auf die das Monstrum in Arnolds Film hofft und diesem verwehrt bleibt. Die Entführung Kays ruft wiederum die Männer auf den Plan, diesmal auch deren Freund David, der wie die Frau selbst moderate Töne im Umgang mit dem Lebewesen anschlug. Doch geht es um das Begehren des eigenen Weibs, schlagen archaische Emotionen Alarm; Waffengewalt wird legimitiert. Bis zum Finale bleibt Arnolds schuppiger Protagonist eine tragische Figur, die leider nur verlieren kann. Der Beigeschmack bleibt selbst dann, wenn David seine Kay wieder in die Arme schließen kann. Das Happy End ist auf den zweiten Blick ein bitteres Ende und zeigt den Menschen als wahren Schrecken und lässt auch die liberal denkenden Figuren in einem anderen Licht erscheinen. Spätestens dann, wenn es um "persönlichen Besitz" bzw. dem aggressiven Werben um den eigenen Partner geht, erliegt selbst David seinen schlechten Seiten.

Der Schrecken vom Amazonas will uns weniger offensichtlich durch eine phantastische Figur Angst einjagen. Unterschwellig erzählt er vom Horror, der von unserer Spezies ausgeht und abgewiesenen, romantischen Gefühlen. Man könnte das Eindringen der Forscher in den Lebensraum des fremden Wesens und dessen Verteidigung vielfach interpretieren: als beginnende Auseinandersetzung mit dem Schutz der Umwelt, in die der Mensch schon in den 50ern aggressiv eingriff; als Metapher auf kriegerisches Treiben von uns Menschen und der Absicht, das Land von Fremden (anderen Nationen) einzunehmen oder als Plädoyer für Toleranz gegenüber Andersartigem, dem nicht sofort mit gewaltsam gegenüber getreten wird, wenn man es zuerst nicht versteht. Diesen Kern greift del Toro auch in The Shape of Water auf, schafft es dort nicht zur Gänze, diese Botschaft eindeutig auf den Punkt zu bringen. Egal für welche Interpretation man sich entscheidet: sie funktioniert wie der Film an und für sich. Die Handlung wird schnell vorangetrieben, einzig die häufigen, auf den damaligen 3D-Effekt, mit der Film im Kino lief, zugeschnittenen Unterwasserszenen rauben dem Schrecken vom Amazonas sein zügiges Erzähltempo. Sie wirken auch heute noch sehr imposant, bremsen die Handlung leider manches Mal aus und wirken, als hätte man sie zum Strecken der Filmlänge benutzt. Sogar das Outfit des Monsters scheint zeitlos zu sein und wirkt keineswegs altbacken oder angestaubt. Eine Zeitlosigkeit, die sich der Film durch seine im Kern einfache wie tolle Botschaft heute noch bewahrt hat. Ein wirklicher Klassiker, dessen einfache Erzählung bei genauerem Blick einen vielschichtigen Unterbau offenbart.
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The Ritual (2017, Netflix)

Es lauert etwas da draußen. Es ist nicht sichtbar, scheint gleichzeitig überall und doch wieder nirgendwo zu sein. Ein schnell verfliegender Schatten, der sich kurz nach seiner Bildung wieder auflöst. Er lauert in den Hinterköpfen weniger Menschen, trachtet nach ihrem liebsten, mit dünnen, langgliedrigen Fingern, die in langen und spitzen Nägeln enden. Geschaffen vom Menschen trachtet es wie Jäger vor dutzenden von Jahrzehnten nach einer angeblich vom Aussterben bedrohten Art. Wenn wir ehrlich sind, ist dieses geschilderte Horrorszenario, in dem Netflix das traditionelle Kino auslöscht, es langsam ausbluten lässt, nur ein Weltuntergangsszenario weniger konservativer Traditionalisten, die der digitalen Entwicklung wenig abgewinnen können. Ausgerechnet Netflix werfen nun mit The Ritual einen Horrorfilm exklusiv in ihr Angebot, welcher bei weitem nicht das Rad neu erfindet, allerdings einem der frischen und (noch) unverbrauchten Gesichter des Indie-Horrors die Chance bzw. eine Plattform für seinen ersten, komplett alleine abgedrehten Langfilm gab.

An dieser Stelle könnte ich meine Worte aus dem Review zu Southbound wiederholen. Es ist einfach fantastisch zu sehen, was in der unabhängigen Horrorfilmszene in den USA passiert. Schön, dass David Bruckner, der neben dem bereits erwähnten Southbound u. a. auch an der Horror-Anthologie V/H/S oder The Signal (2007) beteiligt war, keineswegs krampfhaft (mit einer Ausnahme) versucht, überambitionert Innovationen in das Genre zu bringen oder auf Teufel komm raus gezwungen kreativ zu agieren. Bruckner scheint die Schwächen der unter seiner Beteiligung entstandenen Anthologienfilme erkannt zu haben und konzentriert sich in The Ritual darauf, dem Zuschauer einen traditionellen und doch leicht andersartigen Survial- bzw. Backwood-Horrorfilm zu präsentieren. Vier Freunde befinden sich im Wanderurlaub im winterlichen Schweden, um ihren tragisch bei einem Überfall auf einen Laden ums Leben gekommenen Freund zu ehren. Dieser hatte damals im Pub die Idee zu diesem Ausflug; es scheint, als mache das Quartett nur dem toten Freund zu liebe diesen Trip, der von Beginn an mit viel Beschwerden über das Wetter und den fehlenden Komfort begleitet wird. Es kommt, wie es in solchen Geschichten kommen muss: einer der Freunde verletzt sich am Knie, alle verlieren langsam die Lust an der Wanderung und versuchen mit einer Abkürzung die Basis, den Ausgangsort ihres Trips, zu erreichen.

Der neue, kürzer erscheinende Weg führt die Freunde quer durch den Wald, in dem sie am Abend von einem heftigen Gewitter überrascht werden. Sie retten sich in eine mysteriöse Hütte, in der sie eine seltsame Holzfigur, die an eine heidnische Gestalt erinnert, vorfinden. Am nächsten Morgen wachen die Männer in Angst und Panik versetzt auf, als seien sie von kollektiven Alpträumen und Schlafwandeln geplagt worden. Einen Freund finden sie völlig nackt kniend vor der Holzfigur auf. Nach den unerklärlichen Vorkommnissen brechen innerhalb der Gruppe schwelende Konflikte auf, während eine unerklärliche und scheinbar unsichtbare Kreatur nach dem Leben der Freunde trachtet. Lange Zeit lässt das Drehbuch dabei offen, ob es sich um eine wirklich übernatürliche Entität, es doch "nur wieder" degenerierte Waldschrate oder einfach eine sich gefährlich entwickelnde, kollektive Halluzination ist, die die Bedrohung darstellt. Mit Bruckners unaufgeregter Herangehensweise an den zugegeben wenig innovativ wirkenden Stoff wird The Ritual zu einem Horrorfilm, wie man ihn in der heutigen Zeit leider selten sieht.

Auch wenn die Freunde für das Subgenre eine bekannte Konstellation verschiedener, Konfliktpotenzial mit sich bringender Figuren sind, die wenig Tiefe mit sich bringen, so ist die vor der Kamera abgelieferte Leistung ausreichend, um die sich langsam entwickelnde Story mit genügend Suspense auszustatten. Neben der ungewöhnlichen Verbindung von Traumszenen, die sich mit dem Trauma eines am Tod des gemeinsamen Freundes beteiligten Mannes beschäftigen, gibt es auf weiter Flur keinen einzigen, mittlerweile ziemlich nervenden Jumpscare zu sehen. Bruckner vertraut auf die unwirtlich und gleichzeitig schön wirkende Location, die mit langen Einstellungen ihre Wirkung entfalten darf. Im Wald schaffen es die so eingefangenen Stamm- und Astgewirre, ein undurchsichtiges Geflecht zu schaffen, bei dem man sich als Zuschauer zusammen mit den Protagonisten dabei ertappt, irgendetwas seltsames zwischen den Stämmen und Ästen entdeckt zu haben. Leider vertrauen weder Regisseur noch Drehbuch komplett auf die packende Stimmung zwischen Paranoia und namenlosen, unsichtbaren Schrecken, der durch die Wälder schleicht.

Zum Finale hin verlässt Bruckner der Mut und die Konstanz. Das zuarbeiten auf das titelgebende Ritual ist für die Logiksyntax der Geschichte soweit in Ordnung. Das das Drehbuch wohl als Zugeständnis an die Fans von Creature-Movies sich dafür entschließt, den schemenhaft erscheinenden Unheilsbringer mehr ins Rampenlicht zu rücken, ist ein bekannter narrativer Vorgang für Monsterfilme. Wirklich bedauerlich ist, dass dem Zuschauer über einen Nebencharakter erklärt wird, worum es bei dem Monstrum handelt. Zum Handlungsort passend bedient man sich der nordischen Mythologie, es erscheint interessant, schlüssig und gleichzeitig bedauerlich, dass nicht konsequent bis zum Schluss ausgespart und eben mal nicht erklärt wird. The Ritual wandelt sich zu einem traditionell agierenden Monsterfilm, der der unausweichlichen Konfrontation zwischen dem einzigen Überlebenden und der Kreatur hinarbeitet. Diese wartet zwar mit einer Überraschung auf, ist im Kontext des restlichen Films irritierend wie unbefriedigend. Da taucht das Problem auf, an dem V/H/S und Southbound leiden: dieser ungezwungene, krampfige Versuch entgegen dem Strich und den Erwartungen zu arbeiten. Ein löbliches Unterfangen, das in zu gezwungener Weise leider nicht immer funktioniert. Glücklicherweise funktioniert der Rest von The Ritual gut genug, um ihn zu einem kleinen und feinen Highlight des noch frischen Horrorjahres zu machen.
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Samstag, 24. Februar 2018

The Shape of Water

Leider sitzt Guillermo del Toros The Shape of Water zwischen den Stühlen; zwischen zu vielen Stühlen. Nachdem er mit seinem (hier besprochenen) Crimson Peak eine Verbeugung vor dem Genre der viktorianischen Schauerliteratur bzw. dem Gothic Horror-Film abgeliefert hat, liefert er mit seinem in insgesamt 13 Kategorien für den Oscar nominierten Werk eine eierlegende Wollmilchsau ab, die vieles soll, aber leider in diesen Bereichen selten komplett überzeugen kann. Der Mexikaner versucht mit seinem neuesten Film eine Brücke zwischen Genrefilm und Arthouse zu schlagen, was ihm mit seinem für mich weiterhin besten Film Pans Labyrinth wunderbar gelang. Mit The Shape of Water schielt er ebenfalls auf den Mainstream: es ist del Toros Version eines Liebesfilms, in der Phatastik verwurzelt, der von tragischer und zarter Liebesbande zweier Außenseitern erzählt. Bei aller zugegeben seichten Romantik zwängt del Toro diese Geschichte in seinen Stil. The Shape of Winter ist damit eine düstere Liebeserzählung, angesiedelt in den beginnenden 60er Jahren, mit einem dezenten Vintage-Look ausgestattet.

Gleichzeitig ist die Verwurzelung der Story in der Vergangenheit zusammen mit seiner liebevollen Ausstattung eine auf zwei Stunden ausgedehnte Huldigung klassischer Liebes- und Musicalfilme der 50er und 60er Jahre. Anders als in Crimson Peak, der nicht nur durch seinen Look sondern mit seiner Geschichte konkret Stellung zum geehrten Genre nimmt, lässt del Toro hier die Anspielungen im Hintergrund bzw. nebenher geschehen. Giles, Nachbar von Protagonistin Elisa, lässt die Klassiker fast pausenlos im Fernsehen laufen. Hin und wieder schaut er sich die Filme mit der stummen Putzhilfe eines Labors gemeinsam an: eine Flucht aus einer Welt voller Entbehrungen und Enttäuschungen. Während Giles, ein Werbegrafiker, einer Anstellung in seiner alten Firma hinterher läuft, scheint seine beste Freundin Elisa von einer anderen, aufregenderen Welt zu träumen. Diese, fest durch einen immer gleichen Tagesablauf mitsamt getimter morgendlicher Masturbation in der Badewanne strukturiert, wird durch das neue Objekt im Labor gründlich durcheinander gewirbelt. Ein Monster, der Kreatur aus Der Schrecken vom Amazonas nicht unähnlich, wird dort nach ihrer Gefangennahme zur näheren Untersuchung eingeliefert.

Als eigentliches Monster entlarvt sich Richard Strickland, Fänger der Kreatur und neuer Sicherheitschef der Einrichtung. Del Toro bündelt in dieser Figur alle nur erdenklichen Widerwärtigkeiten und negative Eigenschaften eines Menschen; die verkörperte Negativität steht symbolisch für das, was der Regisseur und Autor mit seinem Film ansprechen möchte. The Shape of Water ist eine, bei allen gezeigten Brutalitäten, Hymne für die Außenseiter dieser Welt, für alle Unterdrückten und gesellschaftlich geächteten Menschen. Kurz flackert in einer Szene ein Bericht über Rassenunruhen über den Fernseher, bevor Giles dies wegschaltet. Die Welt von The Shape of Water ist zu Beginn und für die Figuren ein gewollt heil erscheinender Kosmos, in dem alltäglicher Schrecken ausgeblendet wird. Es ist, als sei hier diese von aller Schlechtigkeit bereinigten Welt, die man auch aus den angeschnittenen Musical- und Liebesfilmen kennt, am sterben. Mit Strickland, von Michael Shannon wunderbar hassenswert gespielt, schiebt sich u. a. Sexismus und Rassismus in die Welt der dort lebenden Figuren. Strickland quält seine Kreatur, sieht in ihr nur eine Abartigkeit im Laufe der Natur und das nur, um im kalten Krieg das Wettrennen um die Bemannung des Alls gegen die Sowjets zu gewinnen.

Elisas zufälliger erster Kontakt zu diesem fremdartigen Wesen, der sie von Beginn an vollkommen vorurteilsfrei begegnet, ereignet sich nach einem blutigen Zwischenfall im Labor. Mit der Zeit sucht sie immer mehr Kontakt zur Kreatur, verbringt heimlich ihre Mittagspause mit ihr, in der sie diese mit Essen versorgt, Musik vorspielt oder versucht, ihr Gebärdensprache beizubringen. Nachdem sie von Strickland, der sie immer auf dem Kieker zu haben scheint ein anzügliches Angebot bekommt und eine weitere Misshandlung der Kreatur mitbekommt, fasst sie den Beschluss, das Monster aus seiner Gefangenschaft zu befreien, was zu einem gefährlichen Unterfangen wird. Entgegen dieser einfach klingenden Storyzeichnung wird das Drehbuch noch um eine Spionagestory ergänzt, die sich leider die ganze Zeit über wie ein Fremdkörper anfühlt. Sie hilft weder der Story selbst als Ergänzung für den Spannungsbogen noch einer darin verwickelten Nebenfigur weiter. Vielmehr wird die Geschichte des Films damit sogar blockiert. Die detailverliebte Ausstattung, der hübsche Look, die Kleinigkeiten die del Toro in die Geschichte streut: die kleine Momente in denen sie komplett wirken, sind rar gesät.

The Shape of Water
lässt nicht zu, dass der Zuschauer sich richtig in seiner Welt verlieren kann. Das Erwachsenenmärchen des Mexikaners bremst sich mit seiner unnötig aufgeblähnten Geschichte selbst aus, trotz seiner einzelnen, richtig hübschen Szenen. Das lässt die von der Story vermittelte Botschaft des Films, ein Plädoyer für Toleranz, eine klares Bekenntnis gegen Rassismus und andere Ismen, in der kreierten Welt untergehen. Die ebenfalls angedeuteten Themen, u. a. angedeutete Homophodie, die Konfrontation mit der damaligen Rassentrennung: ebenfalls Nebensache, wobei dies Gründe für gesellschaftliches Ausgrenzung und weitgreifendes Außenseitertum sind. Das findet zu kurz statt und schnell konzentriert sich die Geschichte auf den nächsten Punkt einer imaginären, lange erscheinenden To Do-Liste. Leider hakt Del Toro all das fix ab um alles, was ihm am Herzen lag, in den Film zu packen. Damit schafft der Autor und Regisseur ein Oxymoron, dass die vollgepackte Story gleichzeitig eine bedauerliche Leere zwischen ihren dichten Zeilen bekommt.

Es fehlt der berühmte Funke, der alles glänzen lässt, der zum Zuschauer überspringt. Den guten Leistungen vor und hinter der Kamera zum Trotz. Leider wird The Shape of Water damit zu einem schwächeren Film del Toros, dem ich trotzdem bei der Verleihung der diesjährigen Academy Awards jeden errungenen Preis gönne. Auch wenn die Konkurrenz stark ist. Manchmal spürt man sie doch, diese grenzenlose Liebe, diese Ver- oder Besessenheit del Toros. Komplett abgeholt hat er mich mit seinem adulten Märchen leider nicht, wohl auch, weil er selbst unentschlossen zwischen Arthouse, Mainstream und Genre saß und im Bestreben, es allen recht zu machen (wir erinnern uns: sowas gelingt selten bis nie), nicht dort ankommt, wo er gerne hin möchte. Beim nächsten Mal wünsche ich mir wieder einen fokussierten Regisseur, mehr noch Autoren zurück, der in seinen Momenten straighte Geschichten voller Fantasie und Hintersinn erzählen kann. Mit dem besseren Märchen für Erwachsene, dem bereits erwähnten Pans Labyrinth, hat del Toro bewiesen, dass er sowas kann. Nicht, dass ich The Shape of Water, der durchaus seine Qualitäten hat (man darf z. B. den tollen Cast nicht vergessen), an diesem Messe. Er ist lediglich der Beweis, dass es fokussierter und (leider) noch etwas besser geht.
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Dienstag, 20. Februar 2018

Here Comes The Devil

Nach dem Schauen von Adrian Garcia Boglianos Here Comes The Devil stellt sich zuerst die Frage: Wer ist der Teufel? Wo ist der Teufel? Das dieser in Gestalt zweier dämonischer Wechselbälger in das Leben einer Familie eintritt, scheint zu einfach. Das dies darüber hinaus in nur wenigen Szenen thematisiert wird, wenn der Film des Spaniers sich Horrorkonventionen beugt, die im Kontext der Geschichte nicht uninteressant, aber eben zu konservativ für den restlichen Film sind, lässt die Fragen relevant bleiben. Bogliano lässt den Teufel in seinem Film, getreu der bekannten Redewendung, viele Gesichter haben. Eines davon tragen Adolfo und Sara, die Kinder von Felix und Sol. Diese kehren Abends bei einem Familienausflug, die Geschwister erkunden einen Hügel während sich die Eltern im Auto der körperlichen Liebe hingeben, nicht wieder heim. Die Sorgen sind groß und erst dann aus der Welt des Paares, als die Polizei ihre Kinder aufgabelt und nach Hause bringt. Seitdem verhalten sich Sara und Adolfo merkwürdig. Sie sind zurückgezogen, reden kaum noch ein Wort und besuchen anstatt der Schule lieber immer wieder den geheimnisvoll erscheinenden Hügel. Felix und Sol stellen Nachforschungen an, was einen fürchterlichen Verdacht mit sich bringt.

In diesen Phasen gefällt der Film, wenn er die in kurzen Höhepunkten hervorstechenden Horrorszenen schnell zugunsten subversiver Elemente abflauen lässt. Here Comes The Devil ist bedeutungsschwanger und lässt erkennen, wie clever er hätte sein können. Dies soll keineswegs heißen, dass er es nicht ist. Der im Entstehungsland Mexiko und dem Geburtsland Boglianos, Spanien, vorherrschende strenge Katholizismus und der heutzutage offene Umgang der Gesellschaft mit Sexualität, dieser für die Kirche und ihre Lehre großen Sünde, ist tief in den hintergründigen Zeilen der Geschichte verwurzelt. Zu Beginn erleben wir die Sünde pur, mit einer verschwitzten, hitzigen Lesbensexszene die in einem deftigen Mord gipfelt. Homosexualität, offen ausgelebt und zur Schau gestellt, wird zugleich - trotz eines schlechten Gewissens einer der beiden Frauen - wie im konservativ gefärbten US-Slasher der 80er Jahre mit dem Tod bestraft. Dass der hier eingeführte Serienmörder nur eine Randerscheinung ist, ein Storyfaden, der leider irgendwann fallen gelassen wird, lässt die ganze Anfangsszene leicht aus der Spur gefallen erscheinen. Diese und eine in der Mitte des Films platzierte, äußerst blutige Szene wollen nicht komplett passen. Rückstände, die zeigen, dass Bogliano bei früheren Werken wie dem irrwitzigen Cold Sweat oder dem ebenfalls nicht sehr zimperlichen, vor langer Zeit besprochenen Rape and Revenge-Film I'll Never Die Alone nicht gerade zimperlich war.

Mit diesen und der sleazigen, wenn auch gut umgesetzten Sexszene von Felix und Sol im Auto ist Here Comes The Devil ein offenes zerrissen sein zwischen Aufgeschlossenheit, die in exploitativen Eruptionen mündet und der Behandlung von Sexualität als Form des Bösen. Eingeleitet von Saras erster Monatsblutung, die während des Ausflugs eintritt und vom Bruder zuerst als Verletzung gedeutet wird, deutet der Film in Richtungen sexueller Tabus und Grenzen. Es folgen Andeutungen auf ein inzestuöses Verhältnis der Geschwister bis zum sexuellen Missbrauch und einem daraus mündenden Trauma. Ein geistig leicht zurückgebliebener, am Hügel in seinem Wohnmobil lebender Mann Namens Lucio wird von den Eltern ausfindig gemacht. Dessen Arbeitswagen wurde bei der Suche nach den Kindern von Felix gesehen; andere Begebenheiten lassen den Verdacht der Eltern erhärten, das dieser als abnormal gesehene Mensch den Kindern etwas angetan haben muss. Fleischeslust, der menschliche Trieb, wird als Auslöser der Tragödie(n) dargestellt. Der blutig rote Fleck auf Saras Hose, das Zeichen der plötzlich gekommenen Monatsblutung steht als Übergang vom unschuldigen Dasein als Kind zur sündigen Existenz des Erwachsenen.

Viel mehr ist dies gleichzeitig das Zeichen des Teufels, wobei es nur eines von vielen ist. Boglianos Teufel ist vielseitig. Er ist die aufkeimende Sexualität, dieses erwachen der Lust, aber auch die leichte Entfremdung in der Beziehung von Felix und Sol. Diese wirken als hätten sie sich trotz der Beziehung gemeinsam bzw. gegenseitig verloren und finden nurr wieder durch Sex zueinaner. Deren Leichtfertigkeit, die Kinder alleine auf den Hügel gehen zu lassen, um sich selbst den Trieben hinzugeben, kann schnell als Schuldbringer ausfindig gemacht werden. Der Teufel wird sogar namentlich herangezogen, wenn die Todsünde Zorn zu blutiger Rache führt. Wirklich schade, dass das Buch nicht richtig weiß, etwas damit anzufangen. Der bedrohlichen Stimmung zum Trotz, kulminiert vieles in den angesprochenen Horrorszenerien, die durch den ungelenken Umgang mit den Themen manche Subtilität tötet, indem dämonisches Treiben und Besessenheit als vordergründige Erklärung für Saras und Adolfos seltsames Verhalten herhalten muss. Für den dazwischen stattgefundenen Verlauf ist das zu dick aufgetragen. Here Comes The Devil ist da zu unkonstant und fühlt sich, kennt man Boglianos Nachfolgefilm Late Phases, ein hübsches Vater-Sohn-Drama mit Werwolfhorror-Aufsatz, wie eine Fingerübung an.

Das Finale mit seiner groß geglaubten Auflösung schadet den feinfühligeren Momenten leider mehr, als das es dem Film hilft. Die angedeuteten inzestuösen Momente, das zurückgezogene Verhalten der Kinder, dass man auch als Missbrauchstrauma verstehen kann: jeder subversive, subtile Moment des unterschwelligen Horrors wird für die einfacher gehaltene Seite des Films aufgegeben, nahezu geopfert. Es ist ein Wermutstropfen für einen sonst sehr interessant gehaltenen Film, dessen Buch und Regie an einigen Stellen für diese Ansätze zu plump agiert. Leider lässt das digitale Filmmaterial auch keine richtige bzw. dichte Atmosphäre zu. Here Comes The Devil ist damit zu seiner eigenen Geschichte manches Mal seltsam distanziert und zu geleckt in seinem Look. Die Distanz passt zu den nuancierten Szenen, komplett greif- und fühlbar ist die Geschichte indes leider nie. Mehr Mut zu Feingefühl und das loslassen von kruden Horrorelementen, die dem Film mehr schaden (das zieht sich bis zum rumpeligen Death Metal-Stück im Abspann) als helfen. Seine Verworrenheit, die mit der Pubertät und dem erwachsen werden ebenfalls auftaucht wie die hier verteufelte, langsam aufblühende Sexualität, schadet den ansonsten tollen Anflügen subtilen, hintergründigen Horrors. Letztendlich ist so manche ungelenke Herangehensweise wie sie auch bei Here Comes The Devil praktiziert wird, sehenswert, den damit verbundenen Schwächen zum Trotz.
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Donnerstag, 15. Februar 2018

Night of the Virgin

Wir kennen sicher alle diese eine Person, die im Freundes- oder Bekanntenkreis ist, die nicht müde wird, infantile und pubertäre Witzchen zu reißen. Manchmal gibt's diese Person auch bei den Verwandten als dieser eine Onkel, meist vielleicht sogar Langzeitsingle (das scheint sich als klischeehafter Standard durchgesetzt zu haben), der immer diese Zoten reißt. Zu Beginn ruft das wohl noch den einen oder anderen Lacher hervor, der mit der Zeit immer müder wird. Alles was im entferntesten Zweideutigkeiten mit sich bringt, wird in Spitzenzeiten für den nächsten Witz verwurstet. Die Fremdscham wächst und selbst wenn man diesen Mensch wegen anderer Vorzüge durchaus mag, ist man froh, wenn das Aufeinandertreffen zu Ende ist. Vielleicht ist Roberto San Sebastián das ein bisschen. Wäre sein Langfilmdebüt Night of the Virgin ein Mensch, könnte man den Film durchaus so beschreiben.

Was als schräge Mixtur aus Horror und Teeniekomödie beginnt, steigert sich über knappe zwei Stunden in eine krude Sammlung aller erdenklicher Körperflüssigkeiten, die schwerlich merkt, wann es mal gut ist. Der Film schießt über sein Ziel hinaus und zeigt deutlich, dass es San Sebastián an Timing fehlt. Szenen werden bis zum Äußersten in die Länge gezogen, was schon den ansehnlichen Beginn des öfteren zum Straucheln bringt. Da könnte man Night of the Virgin fast als hintergründig ätzende Satire sehen, die sich das bemühte Paarungspartner suchen in der Disse zur Brust nimmt. Protagonist Nico ist dabei die starke Überzeichnung eines typischen Verlierertypen, der nur schwer Erfolg beim anderen Geschlecht hat. Mit schlechter Frisur, wenig hübschem Gesicht, Überbiss und einem geschmacklosen alten Anzug sitzt er einsam in einer Disse, bekommt von einer auserwählten Schönheit auf die Schuhe gekotzt und hakt den Abend geistig als gelaufen ab. Da trifft er auf die ältere Medea, die den jungen Mann mitsamt seines aufgepumpten Hormonspiegels mit in ihre bescheidene Behausung mitnimmt.

Dort angekommen soll er auf die Kakerlaken (!) aufpassen, wenn er auf eine treten sollte, brächte das Unglück mit sich (!!). Kaum in der Wohnung, passiert Nico dieses Missgeschick, welches er erfolgreich verbergen kann. Doch zum erhofften Geschlechtsakt kommt es nicht. Entweder lenkt ihn die sich seltsam benehmende Medea ab oder Nico schafft es nicht, über seinen Schatten zu springen. Als es zum erhofften Akt kommen soll, schläft Medea mitsamt Penis in der Hand auf ihm ein und dann klopft "Spinne", der Ex-Freund der Hausherrin, an die Tür und bittet mit harschem Ton um Einlass. Während Nico dadurch immer mehr die Lust daran verliert, den Akt endlich zu vollziehen, drängen ihn von drinnen Medea und von außen Spinne, endlich Sex zu haben. Warum beide so scharf darauf sind, was das ganze mit einer nepalesischen Gottheit und einer im Bad in einem Kelch aufbewahrten Monatsblutung zu tun hat, erfährt der zu seinem Unglück mit zu großer Notgeilheit ausgestattete Nico schmerzlich am eigenen Leib.

Bis die Geschichte dort ankommt, hat der Film mit seinem Protagonisten gemein, dass beide nicht so richtig wissen, was sie tun sollen. Sein ungelenkes, halb peinliches, halb mitleiderregendes Balzen und der Versuch, Medea näher zu kommen, führt zu einigen witzigen, wenn auch kurzen, Momenten in der Geschichte. Die verpuffen schnell, Nico blitzt ab oder wird von eigenen Hemmungen aufgehalten und dann steht er trostlos in der Gegend herum. Ein Sinnbild für die erzählerischen Schwächen des Films, der hier merklich unentschlossen ist, um schon nach gefühlt dutzenden Andeutungen über Medeas Geschichte endlich zum Punkt zu kommen. Anstatt dies durchzuziehen, nimmt man sich den nächsten faden Kalauer zur Brust. Ein fataler Fehler. Das raubt Night of the Virgin jegliche Subversivität und lässt ihn mit Medeas Wandlung zur tödlichen Gefahr den Film in Geschmacklosigkeiten (ent)gleiten, aus den er sich nicht mehr retten kann. Schlimmer noch wird sein Unterton recht zweifelhaft. Nicos gespielter Machismo ist da keine entlarvende Karikatur von sexistischen Alphamännchen dümmlichster Natur, sondern mit der zunehmenden Verwendung des Wortes schwul als Schimpfwort einfach nur peinlich, dumm und sexistisch.

Autor Guillermo Guerrero trägt lieber zur Schau, dass er es unglaublich lustig findet, literweise Körperflüssigkeiten vergießen zu lassen und so oft wie möglich obszöne Wörter zu nutzen. Ich bin beileibe kein Sensibelchen oder erbitterter Verfechter hundertprozentiger Political Correctness. Obwohl ich mich von meinem Denken her sehr weit links einordne, finde ich die krampfhafte, überkorrekte Political Correctness in manchen (linken) Kreisen äußerst seltsam und übertrieben. Was Night of the Virigin in seiner zweiten Hälfte zelebriert, ist wie oben beschriebene, peinliche Person und irgendwann nicht mehr lustig. Mit den Timingproblemen innerhalb der Geschichte wird sowohl der Twist als auch eine beabsichtigt provokante, in die Länge gezogene Geburtenszene weder herausfordernd, noch eklig, noch lustig. Das lässt nur genervt und peinlich berührt hoffen, dass das gezeigte bald vorbei ist. Diese Art von überderbem Humor schien eigentlich ausgestorben und ich frage mich schon, ob das außer irgendwelche Gorebauern überhaupt noch jemand lustig findet. Das dürfte die richtige Klientel sein, wenn in der zweiten Hälfte die leicht feministisch gezeichnete Medea verbal und später auch physisch für dieses Verhalten abgewatscht wird. Das lässt auch den eigentlich so herrlich versifften Look des Films mit seinen manchmal richtig tollen Kameraeinfällen, wenige positive Punkte bei dieser verunglückten Horrorkomödie, vergessen. Wer wirklich Lust auf eine zu lange Ansammlung schlimmsten Humors und literweise Kunstblut hat, die ihren positiven Ansatz wegen Timingproblemen und infantil zweifelhaftem Witz der plumpen Sorte schnell verspielt, sollte - warum auch immer - mal in Night of the Virgin reinschauen.
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Mittwoch, 14. Februar 2018

The Cloverfield Paradox

Stell' dir vor, du willst endlich mal einen Film drehen, aber hast keinen Plan, worüber. Du überlegst hin, überlegst her, schreibst ein paar Ideen auf, findest einige gut, andere wieder nicht. Leider kommen wenig Einfälle zusammen, da ist es besser, die schlechteren auf dem Zettel zu lassen. Dann ist dieser nach einiger Zeit total chaotisch vollgekritzelt, Notizen überschneiden sich und du blickst nicht mehr durch. Um dem Chaos Einhalt zu gebieten, schreibst du alle Notizen ins Reine. Dabei fallen dir einige doofe Dialoge ein, die gleich mit aufgeschrieben werden, bevor sie ins Reich der Vergesslichkeit abdampfen. Zwischendrin blitzen Vorstellungen für deine Figuren auf. Schnell noch mit dazu kritzeln und merken, dass alles noch ziemlich wirr ist. Beim neuerlichen ordnen der Textfetzen werden diese mit weiteren kleinen Gedankenspielen verbunden bis irgendwann, ohne es zu wollen, ein Drehbuch daraus wird.

Das ist dann Science-Fiction, ein bisschen Horror und Mystery. Das könnte vielleicht bald wieder angesagt sein, einige andere Studios haben bald Filme mit dieser Mische am Start. Beim Durchlesen der Seiten fällt dir zwar auf, dass da einige Logikbrüche drin sind, die allerdings nur gleichgültiges Schulterzucken erzeugen. Wer achtet da schon drauf? Einige übergenaue Nerds vielleicht. Der Rest der Menschen die ins Kino kommen, ist doch mehr mit dem Fressen überteuerten Junkfoods, Süßigkeiten oder dem lauten Schlürfen von Getränken, dem Glotzen auf das Smartphone und dem Plappern mit den Sitznachbarn beschäftigt. Dazwischen knallen diese tolle Szenen rein, für die du dir selbst öfter gerne auf die Schulter klopfst. Da muss ich dir sagen: die gibt es wirklich. Der Arm, der in der Wand feststeckt und dann ein Eigenleben entwickelt. Das macht Spaß. Hast du nicht eben einige Zuschauer lachen gehört? Das geht runter wie Öl. Scheißegal, dass die lachen, weil das ganze so irrsinnig und trashig ist.

Nix gegen Trash. Den magst du ja auch. Aber du verortest deinen Film schon eher im Premium-Segment. Immerhin ist doch dieser eine Deutsche mit an Bord, der es wie viele seiner Kollegen hier in Hollywood versucht und dabei halb im Sumpf der B-Filme versinkt. Oh, jetzt kam das böse Wort. B-Film vergessen wir schnell mal wieder. Das ist kein B! Das Budget ist jetzt nicht ganz so hoch, aber die Darsteller, die man jetzt gecastet hat, die lesen sich doch ganz gut. Sicher, von denen ist dieser Deutsche, Brühl oder so, der bekannteste. Aber egal. Wenn die alle aus dem Kino draußen sind, können sich nur wenige an die Namen der Chargen oder die Geschichte erinnern. Wegen deinem kritzeligen Anfangsdurcheinander bekommst du die auch kaum noch richtig zusammen. Irgendwas mit knapper Elektrizität auf der Erde, Experimente im All mit einem Teilchenbeschleuniger um dieser Knappheit Herr zu werden und einem Fehlschlag. Dann sind die internationalen Astronauten schon so verwirrt wie die Leute, die richtig beim Film aufpassen. Wo ist die Erde hin? Ist sie zerstört worden? Ist man nur in einer anderen Dimension? Kreuzen sich verschiedene Dimensionen und sorgen so - wie auf dem Papier - für unerklärliche Dinge? Oder hat man einen Spion eingeschleust, der vielleicht dafür Sorgen soll, die Arbeit zu sabotieren? Sind da Außerirdische im Spiel? Am Besten ist es, wenn vielleicht eine der Figuren, die du nie über ihre ersten Entwürfe auf der alten Wendys-Serviette hinaus entwickelt hast, gar nicht ins All wollte und nun mit ihrem Ehemann auf der Erde in Kontakt ist. Emotionaliät sollte man nicht vergessen! Die haben also noch ein bitteres Schicksal in der Vergangenheit gehabt. Das zieht! Keine Ahnung, warum das alles beim Studio nicht zieht und das immer noch auf einen Kinostart wartet.

Stell' dir vor, du hast ein Film-Franchise und keinen Plan, was du damit anfangen sollst. Du hast einen famosen Erstling hingelegt, der alteingessene Genrefans wegen des Gewackels auf der Leinwand immer noch das Hirn auseinander springen, ansonsten das Found Footage-Genre aufleben ließ und wohlwollende Stimmen mit sich brachte. Der zweite Teil war ganz was anderes, der gut Anfing, bei der Verbindung mit deinem Franchise ziemlich versagte aber von dem guten, alten Schauspieler zusammengehalten wurde. Der Rest war ja schon ziemlicher Standard. Was könntest du jetzt als dritten Streifen machen? Vielleicht betätigst du dich wieder als dieses smarte Marketing-Genie, der damit seine Filme manchmal interessanter erscheinen lässt, als sie sind. Das kann sicher funktionieren. Dieser komische God Komplex den du letztens im Giftschrank von Paramount gefunden hast, der könnte doch funktionieren. Da werden ein paar Szenen dazu gewürfelt, die Leute aus der CGI-Abteilung können bei dieser einen Szene auf der Erde einen Schatten in den Hintergrund bauen, der an das Monster aus dem ersten Film erinnert. Das hat man ja nie komplett gesehen. Das passt doch super!

Dann wirst du das alles zusammenknüppeln lassen, immerhin musst du ja noch bei dieser tollen Science-Fiction-Saga mitmachen, die mit jeder weiteren Fortsetzung noch mehr Richtung Bedeutungslosigkeit (als sie sowieso schon ist) driftet. Aber die Nerds kaufen es ja (wortwörtlich) ohnehin. Und bei so einem kultigen Franchise mitzuwirken ist weitaus cooler. Naja. Wenigstens wichtiger für deinen Geldbeutel. Vielleicht kannst du ja noch einige coole Ideen aus dem Hut für den Franchise zaubern. Mit der dünnen Verknüpfung mit den zwei Vorgängern und der Erklärung, woher die Monster aus dem Ursprungswerk kommen, halten dich zwar viele für bekloppt, weil das so alles so abwegig und konstruiert wirkt. Aber egal. In der Werbepause beim Superbowl fickst du die ganze Internetgemeinde und Filmfreaks weg. Gut, dass Reed mit dir und Paramount den Deal fertig gemacht hast. Die Allesbinger von Netflix und deine Fanboys oder die paar, die Cloverfield und 10 Cloverfield Lane wirklich gut fanden, werden sicher auch den Neuen beklatschen. Du musst zugeben: manches ist an dem echt nicht verkehrt. Der kann sich nur nicht entscheiden. Das ist willkürlich und wirkt, als hätte man dutzende einzelner Fragmente mit einem hauchdünnen roten Faden verknüpft. Das wäre wohl eigentlich ein Wegwerf-DTV-Film geworden. Leicht trashig, ziemlich beliebig und irgendwann nur noch eine Fußnote in der Geschichte des Genrefilms. Jetzt hast du den The Cloverfield Paradox genannt. Einerseits weil du das noch schnell als Namen des Phänomens des fehlgeschlagenen Versuchs in die Geschichte eingebaut hast, andererseits weil der Name Programm ist. Paradox ist das Buch wirklich. Dir ist mal kurz The Cloverfield Mix Up durch den Kopf gegangen.

Das beschreibt den Film besser, wäre als Titel aber zu ehrlich. Später, zwischen dem Meeting mit George und dem Stuhlgang, machst du dir mal Gedanken über den vierten Teil. Der spielt dann plötzlich im Zweiten Weltkrieg. Egal, ob einige Fans das jetzt schon kritisch beäugen. Die nervigen Internetheinis wissen alles besser... Egal, das einige sagen, mit dem dritten Film hast du das ganze Franchise an die Wand gefahren. Mit dieser Erklärung kannst du so locker irgendwelche gescheiterten Filme oder zuvor eigenständige Filme in dieses planlose Universum einfügen, dass da sicher auch noch Fortsetzungen drin sind, die im wilden Westen oder zur Zeit der Renaissance spielen. Für die paar Fans mit der Aufmerksamkeitsspanne einer Filzpantoffel könnte dieses Ding schon ein Hit sein. Hoffst du. Insgeheim. Wenn du mal ganz tief in dich gehst und ehrlich bist, dann musst du ja auch eingestehen, dass die Entscheidung, dieses Ding ins Cloverfield-Universum zu packen nicht die beste Entscheidung war. Dafür ist der Film totaler Mumpitz. Leider hast du an zwei Stellen zu oft geschmunzelt und dich entschieden, dass so zu machen. Einem J. J. Abrams gelingt immerhin alles. Scheißegal, dass viele schon geschrieben und gesagt haben, dass du hier etwas weniger gutes abgeliefert hast.
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Dienstag, 6. Februar 2018

Peter Stults What if-Filme: neue Blockbuster aus alten Zeiten


Remixe von Filmpostern sind nicht neu. Auch die Werke von Peter Stults selbst schwirren seit einigen Jahren regelmäßig durch das Internet und die Blogs. Was der Designer da seit 2011 mit seinen Filmplakaten abbrennt, ist aber ganz großer Sport. Seine Detailverliebtheit und die schön authentisch wirkenden Poster entführen uns in ein Paralleluniversum, in dem aktuelle Kinofilme und moderne Klassiker in andere Epochen geführt und umbesetzt werden. True Romance mit James Dean in der Hauptrolle. 12 Monkeys von Ken Russell mit Oliver Reed, Charlotte Rampling und Dennis Hopper. Bruce Lee als Regisseur und Hauptdarsteller von Blade Runner 2049. Robert Mitchum wird zu Wolverine in Logan. Alain Delon in The Nice Guys, der plötzlich von Jean-Pierre Melville ist. Jim Kelly macht The Matrix zum Blaxploitation-Science Fiction-Klopper. Und Woody Allen in The Shining, natürlich von ihm inszeniert. Irgendwann nickt man anerkennend und jauchzt verzückt auf, wenn Stults Poster am Auge vorüber scrollen. Seine Vorstellungen von diesen "What if..."-Filmen fangen im Kopf an zu funktionieren.

Seit 2011 beglückt uns Stults mit diesen neu kreierten Filmen bzw. Postern, die man sich auf seiner Künstlerseite anschauen kann. Man darf mir glauben, dass dort einige sehr tolle und aberwitzige Umgestaltungen auf uns Filmfreunde warten. Wirklich sehr schön!

via pulpster
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Blade of the Immortal

Legende. Unsterblich. Viele Fans klatschen diese beiden Wörter gerne mal einigen gar nicht mal so talentierten Regisseure diese Attribute an die Backe, wenn sie mit verklärtem Blick an eben diese denken. Man kann sich trefflich darüber streiten, ob der Japaner Takashi Miike schon mit diesen Status bedacht werden kann. Bei mittlerweile 100 Filmen, die auf das Konto des umtriebigen Regisseurs gehen, sind auch eher maue bis weniger goutierbare Werke darunter vorzufinden. Dazwischen finden sich allerdings wirklich großartige Werke wie Audition oder The Bird People in China, die gar nicht mal für die Trademarks des Japaners, entfesselte, wahnwitzige Verrücktheiten, stehen. Die findet man z. B. eher in der splattrigen Manga-Verfilmung Ichi - The Killer. In seinem Jubiläumswerk, ebenfalls die Verfilmung eines Mangas, lassen diese auf sich warten. Blade of the Immortal fühlt sich trotz exzentrischer Eigenheiten seiner Nebenfiguren und zwei episch ausgelegten Kampfszenen geerdet und zurückhaltend an.

Miike erreicht die Dreistelligkeit in seiner Filmographie; die Besonderheit des Jubiläums scheint grenzenloses Gaga, das verrückt sein, nicht zu erlauben. Bedeuten 100 Filme das erwachsen werden des seit mehr als 27 Jahren hinter der Kamera hantierenden Mannes? Erlaubt anders als die Comicvorlage der festliche Umstand es nicht, den Irrsinn walten zu lassen? Der Einstieg verspricht gegenteiliges. Was anderen ein ausgedehntes Frühstück, ist für Protagonist Manji ausgedehnte Rache. In hübschem Schwarzweiß metzelt der herrenlose Samurai nach der Ermordung seiner Schwester den Mörder und seine Kumpanei gnadenlos nieder um sich dann dem Fluch der Unsterblichkeit zu ergeben. Der schwer verwundete Kämpfer wird von einer geheimnisvollen, alten Frau behandelt, indem sie ihm Blutwürmer in die Wunden und den Mund stopft, woraufhin diese auf schnellste Art heilen. Fünfzig Jahre später wird Manji von der kleinen Rin angeheuert, um ihren getöteten Vater zu rächen. Widerwillig lässt sich der Einsiedler darauf ein, streift mit dem kleinen Mädchen, dass ihn an seine tote Schwester erinnert, durch die Lande und sucht nach Anotsu, dem Mörder von Rins Vater und Entführer ihrer Mutter.

Auf dieser Reise trifft das Duo auf skurrile Personen, die ihnen nach dem Leben trachten und Manji zum Duell fordern. Dieser gewinnt diese zwar, bekommt dabei selbst ordentlich auf die Nuss. Seine Unsterblichkeit lässt ihn apathisch das Schwert schwingen; der herbeigesehnte Tod bleibt ohnehin aus. Am Ende steht der Schmerz, der einen niedergeschlagenen Tanz mit einer sehnsüchtigen Lebensmüdigkeit aufführt. Unsterblichkeit wird hier nicht als Glück spendendes Privileg beschrieben. Es ist ein Fluch, der Manji am Leben bleiben lässt, in dem er lange keinen Sinn mehr sieht. Nachdem er Rins Bitte nachkommt, scheint zuerst keine Besserung in Sicht. Weiterhin schleppt er sich durch die blutigen Konfliktbewältigungen. Egal wie groß die Verwundungen, wie tief die Schnitte der fremden Waffen: am Ende steht Manji als Sieger da. Eine Haltung, die man Miike andichten kann: egal was abgeliefert wird, egal was die Kritik oder die scharfen Worte der (alten) Fans aussagt: am Ende gewinnt er doch, wenn die Kasse - zumindest in seinem Heimatland - wieder klingelt.

Steht Manji stellvertretend für einen müden Regisseur, der mit Herzblut bei der Sache ist, sich aber ausgebrannt fühlt? Blade of the Immortal lässt diesen Eindruck nicht komplett von der Hand weisen. Die geradlinige Geschichte gaukelt Epik vor, dabei ist sie im Endeffekt nur aufgebläht. Einzelne Szenen werden genüsslich ausgedehnt, durch die ständige Konfrontation mit neuen Kontrahenten, bis Manji (endlich) auf den "Endboss" Anotsu trifft, quält der Film fast schon mit seiner redundanten Art. Das trifft zum Leidwesen des Gesamtprodukts auch die Actionszenen, die bemüht knackig inszeniert und durch leicht holpriges Pacing nicht richtig zünden wollen. Der Jubilar und sein Autor Tetsuya Oishi, der für das Buch der japanischen Real-Adaption von Death Note verantwortlich ist, vergessen bei aller Feierlichkeit den richtigen Pepp. Der bekannte Miike-Wahnsinn, auf den der Japaner in meinen Augen leider von vielen Fans festgenagelt wird, hätte dem Film gut zu Gesicht gestanden. So muss man sich mit Ideen, die aus dem Manga stammen und ordentlich umgesetzt worden sind, abfinden. Das hätte zumindest einige Längen auffangen können.

Das alles ist am Ende in der Gleichgültigkeit versunken. Der Staub der Erde legt sich, das Blut der Opfer ist längst in dieser versickert und der sich aufrappelnde Manji, der um sein Leben und für Erfüllung von Rins Wunsch kämpfen muss, als seine Blutwürmer vergiftet werden, kann wieder als filmisches Sinnbild seines Regisseurs gesehen werden. Miike kann straucheln, angeschlagen wirken, richtig sterben kann er (seine Karriere) nicht mehr. Auch Blade of the Immortal war mit 6,8 Million Dollar an den japanischen Kinokassen ein veritabler Erfolg. Miike hat sich längst einen Platz in der Filmwelt geschaffen, einen kleinen, eigenen Thron auf dem er sitzt und von dem er schaltet und waltet. Auch ein König kann einmal müde sein und am Ende eines Tages ein müdes Produkt vorzeigen. Einen Tag später kann alles wieder ganz anders sein und man wird von einem neuen Wunderwerk überrascht. Blade of the Immortal schafft das nicht. Miikes ersten Dreistelligen kann man Aufgrund fehlender Spannungsspitzen und seinen nicht zu ignorierenden Längen Richtung Durchschnitt davonwandern sehen. Man spürt aber, dass der Japaner ein von starkem, inneren Drang getriebener Vollblutregisseur ist. Vielleicht bekommt er wie sein leider verstorbener, spanischer Kollege Jess Franco noch auf die 200, was uns die Hoffnung gibt, dass noch einige größere Highlights in der wohl noch lange andauernden Karriere Miikes anstehen werden.
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Donnerstag, 1. Februar 2018

Before I Wake

Die einen stürzen sich jede Nacht in wohliger Vorfreude in Morpheus Arme um ihr Heil im Schlaf zu finden, die anderen erleben den Schlaf als unheilvolle Stunden, welche die Ruhe der Nacht mit schrecklichen Träumen zu stören vermag. Before I Wake spielt mit letzterem und der simplen wie interessanten Frage, was wäre, wenn sich Träume eines Menschen in der Realität manifestieren. Der mit dieser Gabe gesegnete Cody ist ein Waise, der in seinem jungen Leben schon bei einigen Pflegefamilien unterkam. Mark und Jessie, welche ihren leiblichen Sohn durch einen tragischen Unfall verloren haben, nehmen den Jungen liebevoll auf und lernen in den ersten Nächten seine Fähigkeiten auf wunderschöne Weise kennen: bunte und leuchtende Schmetterlinge bevölkern die Wohnstube des Ehepaares, erleuchten mit ihren bunten und warmen Farben den von schwerer, unüberwundener Trauer geschwängerten Raum und lassen die zwei Menschen überrascht und fasziniert zurück. Den Grund, warum ihr Pflegesohn unter dem Bett Koffeintabletten hortet, lernen sie bald kennen.

Wie jedes Kind hat auch Cody Albträume; vom Ausmaß seiner Gabe wissend, hält sich der Junge mit diesen Hilfmitteln vom schlafen ab, bevor seine schreckgespenstigen Albtraumgestalten in der Realität für (weiteren) Schmerz sorgen. Irgendwann helfen auch die Tabletten nicht mehr, Cody wird in seiner neuen Schule vom Schlaf übermannt und der Klassenbully macht Bekanntschaften mit den nachtmahr'schen Dämonen aus dem Unterbewusstsein Codys. It could be gruesome when dreams become reality. Before I Wake beschreitet den klassischen Weg des Horrorfilms, in dem ein innerfamiliäres Trauma/Problem durch eine übernatürliche Bedrohung verarbeitet wird. Der Unfalltod des eigenen Todes ist weitaus präsenter, als sich Mark und Jessie eingestehen. Ohne das die beiden sie selbst beantworten, zeigt der Film ausführlich die Antwort auf die Frage der Jugendamtmitarbeiterin, ob das Paar bereit ist für den Schritt, ein Pflegekind aufzunehmen. Mark scheint gefestigter, bemüht sich redlich darum, Cody als neues Familienmitglied, den neuen, zweiten Sohn in die Familie zu integrieren.

Seine Gattin Jessie hat mehr mit dem tragischen Tod ihres Jungen zu kämpfen. Als der tote Sohn Nachts als Traumgebilde Codys erscheint, setzt sie alles daran, dass dieser nicht mehr gegen den Schlaf ankämpft. Er wird zu ihrem Werkzeug, um jede Nacht wieder mit dem leiblichen Kind zusammen sein zu können. Manipulativ setzt Jessie alles daran, dass dessen Traumabbild so echt wie möglich erscheint. Das Pflegekind, dessen todbringende Albträume selbst einem tief verwurzelten Trauma entstammen, wird damit systematisch missbraucht. Before I Wake zeigt diese Szenen in stoischer Ruhe, in unaufgeregter Erzählweise um die ruhige Stimmung mit den Traumgebilden aufzubrechen. Regisseur Mike Flanagan, dessen ebenfalls sehr ruhig ausgelegter Oculus von vielen Seiten gelobt wird, nutzt den phantastischen Aspekt, um seine Geschichte und deren Dramatik voranschreiten zu lassen. Sein Film ist mehr Drama, mehr Mystery als reiner Horror. Versatzstücke und Spielweisen von letztgenanntem Genre werden abgeklärt in die Handlung eingefügt. Das bringt kleine, nette Schauerszenen zu Beginn, bevor in der zweiten Hälfte augenscheinlich wird, dass Flanagans Bestreben, Before I Wake vom Drama zum Horrorfilm wandeln zu lassen, nicht ganz aufgeht.

Die von Cody gefürchtete (Alb)Traumkreatur lässt durch mittelmäßige Animation zu wünschen übrig, die angestrengt kreierten, atmosphärisch aufgeladenen Szenen enttäuschen mit dem Einsatz des kleinen Einmaleins des Horrors: die auswendig gelernten Formeln lassen ein Finale mit vorhersehbaren Szenen ohne große Spannung entstehen. Das bittersüße Happy End ist, trotz Verlust für Jessie, vorprogrammiert. Das eigene Trauma wird überwunden, das von Cody im Vorbeigehen aufgeklärt und verarbeitet. Es möchte zum subtileren Beginn des Films nicht wirklich passen, dass ohne Versteifung auf tiefergehende Charakterisierung der Hauptfiguren einerseits hübsche Szenen schuf, in dem die Eheleute auf die Realität gewordenen Traumbilder Codys treffen und dazwischen die Entfremdung dieser Aufgrund des Unfallstodes ihres Sohns knackig erzählt mit diesen verband. Man muss mit einem leider feststellen, dass Before I Wake trotz des netten Bestrebens, sich Zeit für seine Figuren zu lassen, einfach gestrickt ist. Es ist ein hübscher Genrefilm, mehr leichtes Mysterydrama, denn Horrorfilm. Für letzteres ist Flanagans Film zu wenig Schocker und schafft es nicht, zu packen. Die Jump Scares kommen gänzlich erwartend, dank der einfach gehaltenen Symbolik des Schmetterlings, der seit jeher für Auferstehung steht, ist, auch durch die restlichen, simplen Merkmale von Codys Albtraum(a), der Twist weit weniger überraschend wie wohl vorgesehen.

Die kleinen Geschöpfe zeigen nicht nur, dass auch die Endlichkeit des Menschen durch den Tod nicht das komplette Ende zeigt. Die Menschen existieren weiter, als Erinnerung, so schmerzlich sie auch zu Beginn sein kann. Der Tod kann bei weitem schrecklich sein, sollte aber nicht das Angst bringende Gespenst sein, dass im Hintergrund umherspukt. Der Schmetterling, Lieblingstier Codys, ist auch ein Teil dieser Erinnerung im Film. Er kündet nicht nur von der (traumhaften) Auferstehung von Jessies und Marks Sohn sondern auch von Codys schwersten Verlust, den er im frühen Kindesalter erfahren hat und wird zum Schluss zum physikalischen Andenken. Diese kindlich anmutende Einfachheit, die sich hier durch Before I Wake zieht und seine durchaus interessante Herangehensweise lassen ihn zu einem durchaus sehenswerten Film werden. Für reinen Horror ist das zu wenig, sein Spiel mit dem persönlichen Schicksal seiner Figuren, das so bodenständig und unaufgeregt ohne künstlich aufgeplustertes Drama daherkommt, bleibt durch die gekonnt zurückhaltende Regie auf einem gutklassigen Level. Vielleicht gelingt es Flanagan ja in noch kommenden Filmen, seine persönliche Vorliebe für zurückgenommenes, nüchternes Drama und Horror noch gekonnter zu verbinden.
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