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Samstag, 8. April 2023

[Rotten Potatoes #07] Hinter den Augen die Dämmerung

Der filmische Retro-Trend scheint abgeebbt zu sein; die Implikation des 80s-Look-and-Feel in modernen Produktionen nahm in der letzten Zeit deutlich ab und darf nun wahrscheinlich selig vor sich hinschlummern, bis irgendwas das nächste Revival ausgelöst wird oder ambitionierte Filmemacherinnen und -macher sich der Charakteristika von Produktionen aus dem Jahrzehnt bedienen. Komplett von der Bildfläche wird die Prämisse, einen Film so wirken zu lassen, als stamme er aus einem vergangenen Jahrzehnt, nie verschwinden. Eventuell stehen nach Ti Wests überraschend gutem X bald die dreckigen Exploitation-Werke aus den 70ern im Trend. Ebenfalls deutlich in den 70ern sowie den ausgehenden 60ern verwurzelt ist Kevin Kopackas Hinter den Augen die Dämmerung, welcher mit seinem Werk mehr dem europäischen Genre-Kino der genannten Jahrzehnte huldigt. 

Wenn seine beiden Protagonisten, das Ehepaar Margot und Dieter, nach ihrer Fahrt zu einem frisch geerbten und halb verfallen Schloss dieses inspizieren und bald die Erkenntnis kommt, dass es um die Beziehung der beiden nicht gut bestellt ist und es im Schloss nicht mit rechten Dingen zugeht, erkennt man die Nähe des Films zu den vielen Genre-Werken vergangener Jahre, die ihren Platz zwischen Pulp und Arthouse suchten. Das wären beispielsweise die sehr eigenen und ungewöhnlichen Gialli der Scavolini-Brüder Sauro (Liebe und Tod im Garten der Götter) und Romano (Un bianco vestito per Marialé), generell später Gothic-Horror aus Europa, die Werke des Franzosen Jean Rollin und selbst den frühen Jess Franco mag man an einigen Stellen erkennen. Erfreulicherweise gestaltete Kopacka mit seiner Co-Autorin Lili Villányi den Film nicht bloß als hübsches, aber schnödes, voller Anspielungen überlaufendes Referenzwerk.

Eher spielen die beiden mit den Erwartungen des Publikums und stoßen mit dem ersten und größten Bruch innerhalb der Geschichte diesem schon fast vor den Kopf. Zwar übernimmt man erfreulicherweise die pro-feministische Haltung, wie man sie in einigen Gialli ausmachen kann und bietet starke, unabhängige Frauenfiguren, versucht sich jedoch dann mehr daran, die Sicht auf die weiblichen Protagonistinnen und ihre Emanzipierung gegenüber der negativ gezeichneten, männlichen Hauptfiguren zu legen und bemüht sich Eigenständigkeit. Das man gleichzeitig dabei versucht, bei einem thematischen Aspekt des Plots ein vielschichtiges Meta-Werk zu kreieren, mag konzeptionell nicht ganz aufgehen. Die Verweigerungshaltung des Films gegenüber den Publikums-Erwartungen könnte man schon fast als dessen Ausgrenzung auslegen, weil Kopacka anscheinend viel lieber für sich in seiner erschaffenen filmischen Welt sein und sich darin austoben möchte.

Die Verbindung zu seinen Zuschauern geht damit gegen Ende ein Stück weit verloren und der Film bleibt "nur" ein visuell und künstlerisch sehr hübsches Werk, welches zwar aufregend anders geartet, aber gleichzeitig sehr introvertiert ist. Kopacka verpasst es, sich dem Publikum insofern zu öffnen, als das alle Absichten von Hinter den Augen die Dämmerung komplett nachvollziehbar sind. Es bleiben nach dem Ende einige Fragezeichen zurück, die zwar zu mehr Sichtungen des Films einladen, allerdings auch den Eindruck erwecken, dass die geschaffene Filmkunst selbst jenem Teil des Publikums unzugänglich bleibt, welches sich gerne durch die verschiedenen Schichten eines Werks "durcharbeitet". Trotzdem lohnt es sich, den Film zu entdecken; vor allem, wenn man Freund von oben genannten Filmen bzw. Regisseuren ist und Spaß daran hat, wenn Filme weniger von ihrer Handlung sondern mehr von Stimmungen bestimmt werden. In diesem Punkt hat Kopacka nämlich alles richtig gemacht.

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Donnerstag, 17. Dezember 2020

Die Bande des Captain Clegg

Packt man gleich zu Beginn der Worte, die ich über die Produktion der altehrwürdigen Hammer Studios verlieren möchte, die Negativ-Kelle aus, dann kann man nicht abstreiten, dass Die Bande des Captain Clegg seine Geschichte auf überschaubaren Bahnen bewegt. Große Überraschungen bleiben aus; die als spektakuläre Twists geplanten Wendungen, die der Plot parat hält, kann man mit wenig Mühen erahnen. Und es ist nicht mal mein beim Schauen von Filmen des britischen Studios öfter aufkommender, verklärter Blick auf dessen Filme, selbst wenn sie sich als eher mäßig gebaren, dass mich auch dieses Film-Abenteuer gut unterhalten hat. Seinen Charme hat er sich bis heute bewahrt und zusammen mit dem verschmitzt aufspielenden Peter Cushing in der Hauptrolle kann der Film schnell die Zuschauer auf seine Seite ziehen. Selbst wenn dieser anhand der großen Gothic Horror-Tradition von Hammer mit seiner Quasi-Piraten-Thematik für den Unkundigen zunächst untypisch erscheinen mag.

Komplett verabschiedet man sich selbst in Die Bande des Captain Clegg aber nicht vom atmosphärischen Grusel. Gespenster sollen im Moor nahe einer kleiner englischen Ortschaft umgehen, erzählt man sich in dieser und auch dem dort ankommenden Captain Collier und dessen Truppe, welche auf der Suche nach einem angeblich in der kleinen Ortschaft operierenden Schmuggler-Ring sowie dem ebenso grausamen wie legendären Piraten-Kapitän Clegg sind. Collier, dem Clegg in der Vergangenheit bereits einmal entwischt ist, muss vom örtlichen Geistlichen Dr. Blyss erfahren, dass dieser mittlerweile verstorben und auf dem Dorf-Friedhof begraben ist. Richtig möchte dies der Captain nicht glauben und bei seinen Nachforschungen stößt er neben Hinweisen darauf, dass tatsächlich ein reger illegaler Handel mit Alkohol betrieben wird auch auf Hinweise, dass sein alter Widersacher Clegg noch am Leben sein könnte.

Während der amerikanische Verleih den Film Aufgrund der Szenen mit den Moor-Geistern den Film mehr in die Horror-Ecke zu drängen versuchte, sind deren Einsätze spärlich gesät. Insgesamt drei Auftritte gewährt man ihnen um das atmosphärisch dichte Abenteuer mit den bekannten Hammer Trademarks aufzuwerten, welches sich ansonsten am ersten Auftritt des literarischen Schmuggler-Königs Dr. Syn, "Dr. Syn: A Tale of the Romney Marsh" von 1915, orientiert. Da zur Zeit der Produktion Unklarheiten über die Rechte um Dr. Syn herrschten -Walt Disney hatte diese wie Hammer ebenfalls erworben und es galt zu klären, wer inwieweit nun tatsächlich die Filmrechte an den Büchern hielt - änderte man sicherheitshalber einige Teile der Geschichte und benannte Syn in Clegg um, bevor ein teurer Rechtsstreit drohte. Dass Peter Cushing ein großer Freund der Bücher war, merkt man seinem euphorischen Spiel an. Der Mime legt eine tolle Performance hin und kann wie das hübsche Set Design von den simpleren Momenten des Films gekonnt ablenken.

Die damit mitschwingende Naivität erinnert mich an Begegnungen in frühester Kindheit mit dem Medium Film, wenn ich - der öfter bei seiner Oma war als bei den Eltern - bei dieser ^^^^^^^^^^^^^^^^^^ihr im Wohnzimmer mit spielen beschäftigt war und von dem im Fernsehen laufenden bunten Kintopp, welches Anno dazumal im Vormittagsprogramm der damals noch spärlichen Spartensender der öffentlichen-rechtlichen liefen, plötzlich abgelenkt wurde und fasziniert dem Treiben auf dem Bildschirm folgte. Irgendwann wandte ich mich mehr wieder meiner eigenen Fantasie und dem Spielen zu, doch bevor ich in späteren Jahren durch den Horrorfilm komplett auf den Geschmack gebracht wurde und mich das Goutieren unzähliger B-Filme cineastisch sozialisierte, war dies die erste prägende Begegnung mit dem Medium. Dann unterhält Captain Clegg nicht einfach nur durch Mimen, welche der Geschichte förderlich in schwächeren Momenten unter die Arme greift (neben Cushing ist z. B. Hammer-Regular Michael Ripper als Sargmacher Mipps ein Genuss) und dem im richtigen Moment ansteigenden Tempo, sondern auch durch das von ihm hervorgerufene nostalgische Gefühl.

Dann ist man im Hinterkopf unmerklich in diese unbekümmerte Zeit zurückgekehrt, kann das, was man damals so ähnlich schon mit seinem kindlichen Gemüt von der Flimmerkiste aufgesogen hat, noch besser greifen und verstehen und sinkt mit dem ansteigenden wohligen Gefühl zufrieden in den Sessel und erfreut sich an diesem einfach gestrickten, aber mit viel Charme ausgestatteten Abenteuer. Hinzu kommt, dass die Darstellung der Figuren die Sympathien des Zuschauers auf die rational betrachtet eigentlichen Kriminellen lenkt. Die Macht emotionaler Manipulation beherrscht er mehr als ordentlich, so dass man ihm seinen steifen Nebenplot mit obligatorischer Liebesgeschichte mitsamt etwas blasserem Auftritt von Oliver Reed verzeiht. Die Bande des Captain Clegg ist einer dieser Sonntags-Filme, für die man nicht so viel Aufmerksamkeit braucht und der durch seine Gesamtwirkung jeden Tag zum Sonntag macht, wenn man ihn anschaut. Egal ob wie ich etwas mehr hintergründig oder vordergründig empfänglich für solcher Art Werke von früher, wo alles - auch die Abenteuer - besser war, ist: man kann durchaus seinen Spaß damit haben.

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Montag, 23. Dezember 2019

Wish Upon

Alle Jahre wieder, mindestens ein- oder mehrmals, schnappt man sich als Filmfreund und/oder -blogger die deutlich abgegriffene Tatsache, dass die Hollywood'sche Traumfabrik diese Bezeichnung schon lange nicht mehr zu recht trägt. Einfallslosigkeit macht sich breit; Cineast, Bingewatcher und Allesglotzer leiern ihre Beschwerde deutlich müde in die Welt hinaus, dass softe oder harte Reboots, Remakes, Prequels, Sequels, der x-te Superhelden-Blockbuster oder was auch immer die eigene filmische Bubble bzw. Wahrnehmung stört, von einem übergroßen Kreativitätsdefizit zeugt. Der Wunsch nach Innovation, egal in welchem Genre, sprießt seit Jahren und ist so unvergänglich wie Unkraut. Über die Jahre, seitdem dieses Blog existiert, dürfte auch meine Wenigkeit so unermüdlich gewesen sein, diesen Meinungskanon herunter zu beten. Und Wish Upon? Das ist beileibe nicht der erhoffte Heilsbringer des Horrorgenres, die schon längst in Gestalt von Regisseuren wie Ari Aster, dem Duo Justin Benson und Aaron Moorhead oder Jordan Peele sich daran machen, den verdorrten Acker des Genres umzupflügen.

Die Tagline des Films mahnt bereits: Be careful what you wish for! Vielschichtige Charaktere, intelligenter, am besten noch mit Meta-Ebene versehener Horror mit wendungsreicher Story, eine visuell ansprechende Präsentation, eine spannende und mitreißende Art der Erzählung: Wish Upon kann kaum etwas davon bieten. Meine für viele Horror-Produktionen jüngeren Datums zum Lieblingswort gewordene Umschreibung generisch - eigentlich auch erster Todesstoß für einen Film - lässt sich passend auf diesen anwenden. Zwischen Mystery-Thriller und seichtem Horror schwankend erzählt man die Geschichte der Schülerin Clare, einer Bilderbuch-Außenseiterin, mitsamt ebenfalls weniger beliebten Freundinnen und einem Highschool-Beau als heimlichen Schwarm. Die armen Verhältnisse, in denen sie heranwächst, sind ihr peinlich und bei jeder sich bietenden Gelegenheit wird sie in der Schule den Grausamkeiten von Schul-Liebling Darcie ausgesetzt. Vom alltäglichen Leid geplagt, spricht sie mit der von ihrer Vater beim Schrott sammeln gefundenen, chinesischenWunschbox im Arm den Wunsch aus, dass Darcie doch am besten verrotten soll.

Einen Tag später wird diese mit einem aus dem Nichts aufgetauchten nekrotischen Befall großer Hautteile ins Krankenhaus eingeliefert. Anfänglich noch als Zufall von Clare abgetan, merkt sie bald, dass die geheimnisvolle Box die Kraft besitzt, ihre Wünsche Realität werden zu lassen. Nach dem plötzlichen Tod ihres Onkels erfüllt sich mittels der Box der Traum vom besseren Leben; sie wird an der Schule beliebt, ihr Schwarm interessiert sich für sie und auch ihr sich als Schrottsammler durchs Leben schlagender Vater wird dank Clares Wünsche mit einem neuen Leben bedacht. Dabei bemerkt das Mädchen zuerst gar nicht, dass die Box für jeden getätigten Wunsch einen hohen Preis fordert. Erst durch ihren Mitschüler Ryan und dessen Cousine Gina, die auf Clares Bitten die altchinesische Schrift auf der Box übersetzt, dämmert ihr langsam, dass in den unscheinbaren Holzkasten eine böse Kraft ruht. Umgesetzt wird dies als durchaus interessante, wie leider auch überraschungsarme Mystery-Story, deren Horror-Ausflüge zu einer Art Final Destination Light werden. Anders als die Filme dieser Reihe werden die dort immer unglaubwürdigeren Zufallsabfolgen, die zum Tod der Figuren führen, glücklicherweise nicht übernommen.

Wish Upon bleibt angenehm auf dem Teppich und schafft es in diesen Szenen durch gutes Timing und dem Spiel mit den Erwartungen der Zuschauer, Spannung aufzubauen. Die Sterbeszenen fallen eine ganze Ecke unspektakulärer als beim mutmaßlichen Vorbild aus. Zum Stil des Films mag das durchaus passen, der Final Impact dieser Sequenzen wird zeitgleich leider auch beschnitten: der erwartete große Knall wird ein leises Puffen. Überraschend gut funktionierte da die offensichtliche Botschaft, die man der jungen Zielgruppe vermitteln will. Die Träume sind Schäume-Message des Scripts winkt merklich ab der zweiten Hälfte wenig galant, aber nicht zu aufdringlich mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl durch die Szenerie. Dank Hauptdarstellerin Joey Kind, die aus Clare eine Figur formt, zu der selbst ältere Semester unter den Zuschauern einen Zugang finden, gelingt es Wish Upon aus einem objektiv betrachtet beliebigen Teenie-Horror-Beitrag einen durchaus sehenswerten Vertreter seiner Zunft zu machen, ungeachtet dessen, dass man vieles, was der Film bietet, als Zuschauer bereits häufig vorgesetzt bekam.

Die in den Medien und sozialen Netzwerken wie z. B. Instagram dauerpräsente Verlockung der schönen, vermeintlich perfekten Welt von Menschen mit makellosem Leben und Aussehen ist eine trügerische Oberflächlichkeit, die selbst mit dem Aufstieg zu diesem Level nicht die dahinter klaffende Leere verbergen kann. Man kann auch mit dem, was einem gegeben wird, zufrieden sein und was gutes daraus machen, gibt Wish Upon seinem (jungen) Publikum mit auf dem Weg und rät diesem mit seiner Moral, den eigenen Blick niemals von diesen Versuchungen blenden zu lassen. Unbedachte ausgesprochene Wünsche bringen wahr geworden lediglich kurzzeitige Erfüllung und irgendwie könnte man das auch als spöttischen Kommentar gegenüber anspruchsvollem Horror-Publikum sehen. Wenn die Phantastik und ihre Möglichkeiten tatsächlich an der Endlichkeit angekommen sind, sollte man sich mit dem, was einem aufgetischt wird, zufrieden geben. Bodenständigkeit ist keine schlechte Eigenschaft, nur ruhen sich Filmkreative leider viel häufiger darauf aus, als ein Wagnis einzugehen. Leider beraubt sich Wish Upon durch sein unglücklich übergroßes Foreshadowing zu Beginn fast jeden Überraschungsmoments. Einzig das fiese Finale kann kurzzeitig schocken, bevor man wieder den Boden der Tatsachen unter den Füßen hat. Diese zeigt, dass bekannte Elemente gekonnt miteinander kombiniert durchaus kurzweilige Unterhaltung bieten kann, Wish Upon aber auch eher im Kurzzeitgedächtnis der Fans haften lässt, weil bei allen positiven Merkmalen die Durchschnittlichkeit vorherrscht. Ich für meinen Teil mochte das und fand vieles sympathisch und nett, wobei leider auch letzteres Adjektiv immer einen kleinen Hauch Negativität mit sich bringt.
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Dienstag, 30. Juli 2019

American Rikscha

Wild Strömungen des (aktuellen) populären Kinos in ein einzelnes Drehbuch stopfen, ohne Rücksicht auf Verluste, praktizierten italienische "Billigfilmer" noch Ende der 80er, als deren Rip Off-Industrie schon stark angeschlagen in den Seilen hing. Ich hatte schon immer leicht meine Probleme mit italienischem Genrekino, welches in dieser Zeit entstand. Das einzigartige Flair, welches die Filme aus dem Mittelmeerland wenigstens bis Mitte der 80er besaßen, ging immer mehr flöten und wich einem generischen Videolook und einer krampfhaften, dem noch geringeren Budget der damaligen Produktionen verschuldeten billigen Amerikanisierung des fertigen Werkes. Man konnte sie von anderen Massenproduktionen für den DTV-Markt nicht mehr von bräsigen US-Schoten unterscheiden. Seit dem internationalen Erfolg des Italo-Westerns versteckten sich die Italiener im Bestreben um eine bessere, internationalen Vermarktung hinter Pseudonymen und ließen durch eine internationale Besetzung ihre Produktionen größer wirken.

Den italienischen Kern, das Herz dieser Filme - eine unbedarfte, mutige und selbstbewusste Herangehensweise an den Stoff - spürte man den Werken, die Ende der 80er entstanden, nicht mehr an. Hinter aufgesetzten Plots und einem austauschbaren Look zwischen US-TV-Serie und C-Movie-Videoproduktionen verbarg sich der Versuch, damaligen 08/15-Videotheken-Allesleihern filmisches Fast Food zu verticken. Meine Erwartungen an American Rikscha waren gering; insgeheim loderte in meinem Fanherzen die Hoffnung, dass Sergio Martino mit seinem Spätwerk mir ein halbwegs spannendes Werk serviert. Die ersten zehn Minuten des Films ließen diese wachsen. Sein Stamm-Kameraman Giancarlo Ferrando bietet einige hübsche Einstellungen und eine in Zeitlupe ablaufende Sequenz erinnert leicht an die Rückblenden von Martinos bestem Film und meinem Lieblingsgiallo Der Killer von Wien. Wenn dort Hauptdarsteller Mitch Gaylord (!) in seiner Funktion als unbekümmerter Strahlemann eine alte chinesische Lady allein durch seine Muskelkraft im strömenden Regen von einer Bank hebt, blitzt dieses Gefühl aus italienischem Wahnwitz mit großen Sympathiewerten, trotz seiner rational betrachtet unfreiwillig komischen Darstellung, kurz auf.

Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße. Mit dem sich ausbreitenden Plot um einen Studenten (Gaylord), der seinen erkrankten Mitbewohner bei dessen Nebenjob als Rikschafahrer vertritt und die Bekanntschaft der Stripperin Joanna macht, die ihn mit einem eindeutigen Angebot auf eine Yacht lockt, macht das kurz aufgetauchte Potenzial der Routine Platz. Auf dem kleinen Luxuskahn angelangt, entdeckt Student Scott, dass ihn ein schmieriger Geselle, versteckt hinter einem Spiegel, beim Schäferstündchen mit der Stripperin filmen wollte. Erzürnt darüber, verpasst Scott dem Kamerawiderling eine Schelle, konfisziert das Videotape und stapft davon. Weil er im Trubel das falsche Video mitgenommen hat, kehrt er an den Ort des Geschehens zurück um sich das richtige Material aushändigen zu lassen. Alles was er vorfindet, ist Chaos und die frische Leiche des filmenden Spanners. In Panik flieht Scott vor dem sich noch auf dem Schiff befindlichen Killer, setzt die Yacht in Brand und befindet sich fortan auf der Flucht vor dem geheimnisvollen wie muskelbepackten Killer und der Polizei, für die er zum Hauptverdächtigen wird.

Das Thrillereinerlei bietet im weiteren Verleih Menschen auf der Suche; der Killer zuerst nach dem versehentlich mitgenommenen Videoband, später nach einer Statue und dem dazugehörigen Schlüssel, die Polizei nach Scott und dieser nach Joanna. Wenn der Student die Stripperin findet, folgt das obligatorische Extremsituationsbumsen und das unfreundlich gegen die Hauptfiguren arbeitende Schicksal, welches diese zusammenschweißt. Um den Plot aufzupeppen, baute man in das Drehbuch - an dem u. a. Sauro Scavolini, Regisseur des Giallodramas Liebe und Tod im Garten der Götter (hier besprochen) beteiligt war - asiatisch gefärbte Mysteryelemente ein. Funktionell grätschen diese in die Handlung rein wie einst Bernd Hollerbach in seine Gegenspieler. Schlagartig brechen sie den Plot auf und überziehen das hitchcock'sche Grundgerüst des Films mit übernatürlichem Effektwerk. Nach langsamer Steigerung übernimmt es gegen Ende die Handlung komplett und lässt American Rikscha zu einer obskuren Mischung aus seichter Mystery und klischeebehafteten Dutzendwaren-Thriller werden. Auf den behäbig hingearbeiteten Genrewechsel folgt eigentlich charmant kruder Humbug, der den in einer Nebenrolle auftretenden Donald Pleasence als TV-Prediger in den Fokus rückt.

Was das Drehbuch ab diesem Zeitpunkt abbrennt, lässt den Zuschauer zwischen belustigtem Schmunzeln und skeptischen Stirnrunzeln schwanken. Der grobe Wechsel möchte nicht richtig passen, obwohl er gleichzeitig American Rikscha aus der Zone der Beliebigkeit leicht heraus pusht. Die wenigen Gore-F/X, die urplötzlich abgebrannt werden (Stichwort: Pleasence lässt wortwörtlich die Sau raus) verwundern, erfreuen und wirken nachhallend wie der verzweifelte Versuch, die traditionelle Formel des italienischen Genrefilms vergangener Jahre zwischen wildem kopieren und kreativer Eigenständigkeit noch einmal wie früher aufleben zu lassen. Die Magie war damals leider schon komplett verflogen. Selbst solche Regisseure wie Sergio Martino, der leicht zwischen routinierter Auftragsarbeit und künstlerisch angehauchten Pulp-Kino wechseln konnte, schafften es nicht mehr, einem Drehbuch das lediglich Einflüsse damaliger Filmhits ohne jeden frischen, kreativen Impuls lieblos aneinanderpappt, im Drehprozess mehr Pepp zu verleihen. Selten fühlt man sich an die glorreichen alten Zeiten erinnert, wenn ein Einfall gleichzeitig hirnrissig wie charmant erscheint, wofür ich italienisches Genrekino u. a. so liebe.

American Rikscha
ist ein leidlich unterhaltender Thriller, der sich wenig von anderen italienischen (Genre-)Filmen der damaligen Zeit unterscheidet. Die geheimnisvolle Katze, welche immer dann erscheint, wenn die Lage für Scott und Joanna brenzlig wird, ist ein nettes Unikum; leider mit geringer Langzeitwirkung. Neben bemühtem Schauspiel kann Paco-Darsteller Daniel Greene den Kenner bei der Stange halten. Die nostalgischen Gefühle halten sich ingesamt wie ein positiver Eindruck des Films in Grenzen. Man will das mögen; nur irgendwann verkommt das in sich ständiges Zwingen und der Kapitulation, die wenige Jahre bzw. Monate von der italienischen Filmindustrie wie sie damals bestand, ausging. Man kann Sergio Martino zugute halten, dass er anders als einige seiner Kollegen nicht komplett dazu überging, schlicht US-Filme in allen belangen zu kopieren. Den anfänglich so tollen Vibe, kann er nicht den ganzen Film über aufrecht erhalten. Man merkt ihm, dem Film und dem Genrekino d'Italiano die Müdigkeit in jeder Minute an.
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Dienstag, 26. Februar 2019

Elizabeth Harvest

Das Jetzt, der augenblickliche Moment, rinnt uns wie Sand durch die Finger. Diesen festzuhalten, damit er nicht nur eine über die vergehende Zeit verblassende Erinnerung in unserem Gedächtnis bleibt, ist eine der vielen Prämissen der darstellenden Kunst. Gemälde, Fotografie, Filmaufnahme: sie sind eine visuelle Unterstützung unseres Gedächtnisapparats, mittels denen man die eigenen Erinnerungen wach rütteln kann. Selbst die Videoproduktion, die uns vom erlebenden Protagonisten der Szenerie zum Beobachter degradiert, schafft es nicht, diesen einen Moment exakt gleich zu reproduzieren. Sie bleiben einmalig; ganz gleich, ob es sich um wenige Sekunden, Minuten oder zeitlich längere Abschnitte handelt. Die in der Vergangenheit erfahrenen Augenblicke, die gefühlten Emotionen, das eigene Be- und Empfinden bleiben Geschichte. Das kollektive Bewusstsein, die Gesellschaft, flüchtet sich neben einzelnen Menschen im nostalgisch rückwärtigen Blick gerne in diese zurück, was man aktuell in der gegenwärtigen Popkultur mit dem x-ten 80er-Trend erfährt.

Elizabeth Harvest behandelt die Flucht eines Menschen in die eigene Vergangenheit bzw. dessen Versuch, diese Zeit mittels modernster Technik wieder aufleben zu lassen. Im Mittelpunkt steht der geniale wie schwerreiche Wissenschaftler Henry, welcher mit seiner jungen und frisch angetrauten Gattin Elizabeth auf dem Weg zu seinem luxuriösen wie modernen Anwesen in den Bergen ist. Es ist ein Traum vom edlen Ritter, dem die Schönheit den Atem raubt, damit er sie aus allem gewöhnlichen und hässlichen raubt, der für die junge Frau in Erfüllung geht, wie sie Eingangs erklärt. Das von nun an gemeinsame Anwesen entpuppt sich beim Rundgang als ein neuzeitliches Märchenschloss, samt Bediensteter in Gestalt von Claire und dem blinden Oliver, in dem sich Elizabeth entfalten darf. Einzig eine Tür im Keller muss verschlossen bleiben. Getrieben von ihrer Neugier, gibt sie dieser während einer Geschäftsreise ihres Mannes nach und betritt den verbotenen Raum und macht eine schreckliche Entdeckung.

Der nicht unentdeckt bleibende Ausflug in Henrys Labor lässt den kultivierten Wissenschaftler zu einem blutrünstigen Blaubart werden und ist Auftakt für die mit einigen Wendungen gespickte Geschichte über Henry, der seinen persönlichen Moment der Momente um jeden Preis wieder aufleben lassen möchte. Regisseur und Drehbuchautor Sebastian Gutierrez webt in seine freie Interpretation des französischen Märchens "Blaubart" mit Geschick leichte Science-Fiction- und Mystery-Elemente ein, die im Verlauf des Films zu dessen Stützpfeilern werden. Damit wendet sich das Script dem schnell als Antagonist wahrgenommenen Henry zu und lässt ihn - anders wie das Märchen - nicht zur simplen Manifestation des Bösen werden. Ihm wird ein dramatischer Background geschenkt, der ihn zum makaber-romantischen Tragikhelden und Mad Scientist macht, dessen Rettungsversuch seiner großen Liebe die Grenzen des moralisch vertretbaren sprengen lässt. Love made him do it. Elizabeth Harvest erlebt man wie eine phantastische Moritat, die uns die Schattenseiten dieser großartig schönen wie überwältigenden Emotion zeigen möchte.

Der düster-romantische Unterton wird durch die schlichtweg hübsche Präsentation des Films verstärkt. Der Film wechselt zwischen sanften und warmen Farbpaletten und kühler Moderne; dies unterstützt die gewollte Stimmungen in den einzelnen Szenen gut. Mit technischen Spielereien wie Splitscreens und dem zeitlichen aufgeweichten Production Design zwischen eindeutiger Gegenwart und Vintage Settings sucht der Film den Bezug zu augenscheinlichen Vorbildern Gutierrez' in der Gestaltung seines Werks. Es unterstützt den Eindruck, dass Henry nicht nur emotional und gedanklich in der Vergangenheit hängt: das moderne Heim erinnert trotz seines zeitgenössisch klaren und aufgeräumten Stil architektonisch an geräumige Villen der 60er und 70er. Diese Jahrzehnte halten unaufdringlich wie gleichzeitig spürbar Einzug in die Gestaltung der Einrichtung und das Wesen des Films. Seine Ausleuchtung und einige inszenatorische Kniffe lassen Elizabeth Harvest gialloesk wirken. Die örtliche Beschränkung auf die Luxusvilla mit ihren dunklen Winkeln und geheimnisvollen Kellerräumen erheben den Film zu einem Modern Gothic-Werk.

Dem hübschen Schein gegenüber steht die ernüchternde Erkenntnis, dass der Wille zum Stil mit der zweiten Hälfte aufbricht. Rückblenden auf die Vergangenheit Henrys durchbrechen den sorgfältig aufgebauten Filmstil; hier fällt Elizabeth Harvest zurück auf einen fast herkömmlichen, kammerspielartigen Terror-Thriller. Elizabeth erwehrt sich dem von seinen Erinnerungen und damit verbundenen, vergeblichen Sehnsüchten besessenen Ehemann letztendlich. Vorhersehbar wie schade, entwickelte sich der Film zu einem düster-eleganten Stück über die bitterböse Wirkung tragischer Liebesschicksale. Gutierrez' Film hätte das Zeug zu einem späten Klassiker, wenn nicht gleichzeitig mit dem Aufbrechen des sorgsam aufgebauten Settings zu Tage gefördert wird, dass die Kniffe des venezolanischen Regisseurs keineswegs frisch und neu sind. Viel mehr verfügt er über das Talent, mit hübschen Bildern davon abzulenken, dass er sich bei Thrillern aus der Belle Etage bedient. Das wiederum gar nicht mal so schlecht und durchaus sehenswert.
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Samstag, 23. Februar 2019

Your Name.

Das Konstrukt Liebe und Zweisamkeit passt sich in den Zeiten der Generation Always On(line) und von Dating-Apps wie Tinder deren Aufmerksamkeitsspanne und Halbwertszeiten von aktuellem Shizzle an. Mit einem Wisch ist alles weg. Beim checken von Feeds und Timelines ist der erste Eindruck wichtig, coole Profile mit ansprechenden Bildern ersetzen den ersten Eindruck und "sparen" Zeit. Schnelles skippen, scrollen, wischen lässt von der Jugend ein schreckliches Bild voller Oberflächlichkeiten zeichnen. Es ist eindimensional, alle Menschen ab 16+ über diesen Kamm zu scheren, auch wenn die gefühlte Wahrnehmung diesem Bild gleich kommt. Es mag schwer vorstellbar sein, dass ein tiefgreifendes Gefühl wie Liebe überhaupt noch fassbar und vorhanden ist. Deren Wirkung, Kraft und Magie ist der Kern von Your Name., dem erfolgreichsten Anime aller Zeiten. Makoto Shinkais Film fühlt sich wie ein romantischer Gegenentwurf zu unserer im Leben immer tiefer vernetzten und technisierten Welt ein, in der für sowas keine Zeit mehr zu sein scheint.

Ironischerweise punktet er auf technischer Seite besser als auf narrativer. Seine Animationen und Zeichnungen sind liebevoll, die detaillierten Hintergründe werden, von einigen pompösen Kamerafahrten unterstützt, zu epischen Bildern, deren Schönheit schlicht beeindruckend ist. Der Anime braucht sich damit nicht vor Realfilm-Blockbustern zu verstecken; es verleiht ihm eine Lebendigkeit, die sich auf die beiden Hauptfiguren überträgt. Mitsuha lebt mit ihrer kleinen Schwester und Großmutter in der japanischen Provinz und träumt von einem aufregenden Leben in Tokio. In dieser Metropole lebt Taki, der seine Zeit mit der Schule, dem Abhängen in angesagten Cafés und seinem Nebenjob in einem italienischen Restaurant verbringt. Zwischen beiden Jugendlichen liegen hunderte Kilometer Entfernung, beide verbindet die gleichen, sich seltsam real anfühlenden Träume, in denen sich Taki im Körper eines Mädchens, das im ländlichen Teil des Inselstaates lebt und Mitsuha im Körper eines Jungen, der in Tokio lebt, wiederfindet.

Was als launige und leichte Body Switch-Komödie beginnt, wandelt sich im Verlauf zu einem Mysterium aus esoterischen Lebenssichtweisen und Zeitreise-Drama, das dem zuckersüßen Stoff einen ernsten Unterbau verschafft. Irgendwann hört der Körpertausch, mit dem sich die Jugendlichen mittels Nachrichten und Tagebucheinträgen auf dem Handy arrangierten um den jeweils anderen zu informieren, was am Tag des Tausches passiert ist. Mitsuha macht so ein Date für Taki mit dessen Chefin klar, die zuvor so unerreichbar schien; Taki schenkt dem unsicheren Mädchen mit seinem in der Stadt als überspielende Coolness wahrgenommenen Wesen Selbstbewusstsein. Taki begibt sich, ohne ihren genauen Wohnort zu kennen, auf die Suche nach Mitsuha um zu erfahren, was mit dem Mädchen passiert ist. Bevor Shinkai seine Geschichte von einer schicksalsbestimmten Liebe und Seelenverwandtschaft erzählen lässt, verläuft er sich beinahe in den Sprüngen zwischen verschiedenen Zeitebenen.

Die gepriesene Emotionalität, auf die der Regisseur zielt und beim Zuschauer rauskitzeln mag, bleibt im Geflecht aus Vergangenheit und Gegenwart stecken. Die Your Name. innewohnende gewaltige Epik auf visueller und auditiver Ebene wird zu Lasten der Geschichte auf diese übertragen. Die sich zuspitzende Dramatik lässt mit Taki und dem sich langsam lichtenden Geheimnis um Mitsuhas Verbleib mitfiebern, die entscheidenden Twists verlieren ihre gewollte große Wirkung im ausufernden ausgestalten der entsprechenden Szenen. Erst zum Ende besinnt sich Shinkai auf die einfache wie sympathische und herzzerreißend liebenswerte Grundaussage seines Films, die in ihrer Einfachheit die leicht umständliche Erzählweise der Geschichte als unnötigen Ballast kennzeichnet. Die Kraft der Liebe überdauert jegliches Schicksal, Zeit und Entfernung. Wenn es den oder die Eine/n gibt, dann findet man auch zusammen. Egal, wie beschwerlich dieser Weg ist. Für manche Rationalisten sowie Menschen, die ihre eine übergroße Liebe - aus welchen Gründen auch immer - ziehen lassen mussten, eine schwer zu akzeptierende Philosophie; egal wie schwer man sich mit dem Wesen von Your Name. tut: seine schiere Schönheit und das hübsche Ende brechen selbst die härteste Nuss.
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Mittwoch, 11. April 2018

The Tall Man

Pascal Laugier brauchte wenige Versuche, um sich in den Herzen hartgesottener Horrorfilmfans zu verankern. Die New Wave of French Horror erhielt durch seinen zweiten Film Martyrs einen ersten Höhepunkt. Es ist auch einer der wenigen Filme, deren Durchschlagkraft dauerhaft wirkt: es mag paradox klingen, dass ich diesen zwar gerne wieder in Sammlung stellen, aber so schnell nicht mehr schauen würde. Aktuell läuft mit Ghostland Laugiers neuester Anschlag auf die Nervenkostüme der Zuschauer in den Kinos. Zwischen diesen beiden Werken schuf Laugier The Tall Man, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob der Druck nach seinem Erfolgsfilm zu groß war oder er aber bewusst nicht noch einen blutigen Schocker machen wollte. Da der Film weitaus leisere Töne von sich gibt, war die Enttäuschung im Lager der nach Blut und Gekröse gierenden Fans groß. The Tall Man ist mehr ein Mysterythriller, der in seinem finalen Akt auch gerne ins dramatische Fach wechselt.

Einer Sache bleibt Laugier treu: in seine Geschichte nicht erwartete Wendungen einzubauen, die - das muss man zugeben - mit der ersten in der besten Tradition Hitchcocks dem Zuschauer vor den Kopf stößt und wirklich überrascht. Er wendet das beim Publikum entstandene Bild über seine Protagonistin Julia um 180 Grad zu einem Zeitpunkt, in dem man in jedem weiteren Moment mehr mit dieser bei ihrer Suche nach ihrem verschwundenen Sohn David mitfiebert. Julias Sprössling ist leider nicht das erste Kind, welches im verarmten und heruntergewirtschafteten Dorf Cold Creek verschwindet. Das durch die Schließung der einst (über)lebenswichtigen Miene stark gebeutelte Örtchen kämpft schwer damit, dass immer wieder in unregelmäßigen Abständen die Töchter und Söhne der am Existenzminimum wandelnden Familien verlorengehen. In Cold Creek geht die Legende um vom "Tall Man", einer schwarz gewandeten Kreatur, welche in den nächtlichen Stunden die Kinder des Dorfs entführt und mit sich nimmt. Julia, Witwe des Dorfarztes und Krankenschwester, macht sich nach Davids Verschwinden entschlossen auf, diesen aus den Fängen des unheimlichen Wesens zu befreien und entdeckt dabei die Wahrheit hinter dem Tall Man.

Ab diesem Zeitpunkt schüttelt Laugier seine Geschichte gründlich durch und setzt deren Grundgerüst anhand dieser Twists immer neu zusammen. Ein Rezept, dass auch bei Martyrs vortrefflich funktionierte. Die zwei größten Wendungen, die nahe beieinander liegen, rütteln nicht nur die Grundkonstellation der Story gründlich durch. Der Regisseur und Autor platzierte sie unglücklich zu einem Zeitpunkt, in der man als Zuschauer mehr und mehr Zugang zur kühlen und in konventionellen Bahnen laufenden Mysterystory bekam. Nach den ersten Sichtungen des titelgebenden Geschöpfs und seinem Lastwagen, werden kleine Erinnerungen an Victor Salvas Jeepers Creepers wach und wecken Erwartungen an die Geschichte, die Laugier bewusst nicht erfüllen möchte. Auch wenn der Franzose mit der ersten Hälfte das Rad nicht neu erfindet, dafür aber die Settings des Orts mit trostlos kühlen Bildern und einem Gespür für Details sehr authentisch erscheinen lässt, findet man - wenn auch mühsam - einen Weg in die Geschichte. Deren um Spannung bemühter Aufbau mit altbekannten Mustern wird von Hauptdarstellerin Jessica Biel aufgewertet, durch deren engagiertes und gutes Spiel die in der Erzählung mangelnden Emotionen beigefügt werden. Die Entscheidung Laugiers in seiner Funktion als Autor, die bisherigen Ereignisse auf den Kopf zu stellen, stoßen nicht nur wie angesprochen vor den Kopf: sie hinterlassen sogar einen säuerlichen Nachgeschmack. Ein gewolltes Anecken, ein Spiel mit Wahrnehmung der Protagonisten und des Zuschauers, das nicht richtig aufgehen mag.

Bald kann man dem franzözischen Filmemacher Faulheit vorwerfen. Halbwegs funktionierende, schockierende Twists lenken The Tall Man weg vom angedeuteten, übernatürlichen Mysteryschocker zu einem Thrillerdrama, das den schemenhaften bösen, schwarzen Mann als einen vom Menschen geschaffenen Schrecken enttarnt. Schon in Martyrs ließ Laugier den übernatürlichen Aspekt fallen um einem realistischeren Unterbau Platz zu machen. Man kann nachvollziehen, dass der Regisseur nicht 1:1 das gleiche, nur mit einigen Änderungen schaffen wollte. Es war mutig, nach einem eben auch bei Splatterfans gefeiertem Film nun den entgegengesetzten Weg zu gehen. Laugier schuf damit seine Form der Provokation, will aber um deren Willen heraus es so einfach wie möglich machen. Dazu kommt eine Auflösung, die mit weiterem Handlungsverlauf ein fragwürdiges Gedankenkonstrukt offen legt, gebettet in einen Thriller mit Sozialdramazügen. Richtig konnte ich mich damit nicht anfreunden; zu verquert erscheint das, wobei Laugier schon interessante Fragen aufwirft. Im Endeffekt kehrt er selbst hier zu Martyrs und den darin aufkommenden Gedanken zurück, wie weit der menschliche Wille des Forschens gehen kann bzw. sollte. In The Tall Man beschäftigt sich Laugier mehr damit, wie weit man als Mensch gehen kann und verloren geglaubte Existenzen mit neuen Chancen im Leben geben kann und dabei auch billigend neu aufkommendes Leid zu schaffen. Das ist durchaus interessant Horror oder Mystery mit sozialethischen Fragen zu kombinieren, kann im gesamten nur bedingt fesseln. Irgendwo wiederholt sich Laugier doch, trotz seines Versuchs, eine neue Geschichte zu erzählen. The Tall Man positioniert sich damit leider im Mittelmaß, lässt seinen Macher dafür weiterhin ebenfalls interessant erscheinen.

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Samstag, 23. Dezember 2017

Crimson Peak

Seien wir ehrlich: manchmal sind Trailer kleine Arschlöcher. Anders kann man das gar nicht ausdrücken. Je nachdem, wie geschickt die Vorschauen montiert sind, schüren sie Erwartungen, die vom fertigen Film nicht gehalten werden (können). Hauptsache er lockt genügend Menschen ins Kino. Immerhin ist der Trailer auch eine Anpreisung und nichts anderes als schnöde Werbung für ein Produkt. Wie in anderen Bereichen, möchten auch die Studios und Verleiher, dass sich genügend Leute in die Vorstellungen verirren. Bei manchen Trailern kann man nach dem Genuss des kompletten Films den Kopf schütteln. Weil er eben die Erwartungen so hochsteckte, dass das Endprodukt, manchmal auch leider, nur verlieren kann. Oder weil er suggeriert, dass das betreffende Werk etwas ist, was überhaupt nicht oder nur bedingt zutrifft. Die Trailer zu Guillermo del Toros Crimson Peak gehören zur letzten Kategorie.

Die darin noch omnipräsenten Geister sind in der Geschichte des Mexikaners lediglich nur Beiwerk. Die Enttäuschung der normalen Kinogänger, die durch den Trailer ein weiteres Jumpscare- und Gruselfeuerwerk, wie es im Horroreinheitsbrei der letzten Jahre zu hauf auftauchte, erwarteten, ist fast verständlich. Passiert hier für ein desensibilisiertes Publikum, welches sich den Kopf in Schockern mit Eventcharakter von krassen Sound- und Bildeffekten wegblasen möchte, herzlich wenig. Del Toro wandelt weniger auf den Pfaden eines Conjuring, der trotz aller schön ausgearbeiteten Szenen gegen Ende in seinem eigenen Schockspektakel ertrinkt. Er beruft sich mit seinem Film auf die Schauerliteratur vergangener Tage, als Autoren wie Mary Shelley oder Edgar Allan Poe noch lebten und schenkt ihm eine herrlich opulente Optik, die an die großen Gothic Horror-Filme der Hammer Studios erinnert.

Crimson Peak kann man auch mehr als Hommage, del Toros persönliche Verbeugung vor diesen Dingen verstehen. Das stimmt einen als Zuschauer, der einerseits die altmodische, konservativ erzählte Geschichte stimmig, andererseits diese schnell durchschaubar findet, milde. Neue Impulse schenkt der Mexikaner dem Genre nicht. Seine Erzählung um die junge Edith Cushing, eine ambitionierte Autorin aus reichem Hause, die den abgebrannten Adeligen Thomas Sharpe heiratet und mit ihm nach der Hochzeit in sein halb verfallenes Haus Allerdale Hall zieht, welches er gemeinsam mit seiner Schwester Lucille bewohnt, gewinnt keinen Preis für Originalität. Das dunkle Geheimnis, dass auf dem Geschwisterpaar und ihrem Familiensitz lastet, ist leicht durchschaubar. Vielleicht wusste das del Toro auch. Seine Einstellung seinem Stoff gegenüber bleibt respektvoll, seine Liebe zum Detail lenkt von der narrativen Schlichtheit ab.

Die Schönheit seiner Bilder lässt selbst verzeihen, dass Crimson Peak manchmal wie eine Hochglanzversion alter Gothic-Klassiker wirkt. Die technische Umsetzung besitzt ein hohes Niveau und wenn Edith mit Thomas nach Allerdale Hall mit seinem riesigen Loch im Dach, durch das Laub und später Schnee in die Eingangshalle fällt und den langen, unheimlichen Gängen zieht, ist es bei Liebhabern solcher Filme vollends um einen geschehen. Irgendwann stört man sich auch nicht mehr daran, dass der hier versprochene Horror einem Mystery-Drama untergeordnet ist. Lieber ergötzt man sich an seiner angenehmen altmodischen Erzählung, den vielen eingewobenen Referenzen (z. B. der farblich bavaeske Beginn mit leichtem Nosferatu-Zitat, einem am Anfang gialloesk aufgebauten Mord, die immer wieder an Daphe du Mauriers "Rebecca" erinnernde Story an sich usw.) und den gut aufgelegen Darstellern. Seine knapp zwei Stunden Laufzeit bemerkt man nicht; del Toros spürbare Liebe zum Stoff lässt den Film eine hübsche Sogwirkung geben, der man sich gerne hingibt. Wenige Tage nach der Sichtung huschte mir hin und wieder ein positiv gestimmtes, leichtes Lächeln über die Lippen, wenn ich mich nochmal an Crimson Peak erinnerte. Liebhaber von Gothic Horror-Filmen aus den glorreichen Tagen von Hammer und Co. kommen voll auf ihre Kosten. Das gemeine Publikum sah dies leider anders: Crimson Peak war an den Kinokassen leider ein Flop. Es ist schade, zeigt der Film, wie viele andere aus dem Oeuvre des Mexikaners, welch wunderschöne, fantastische Welten del Toro in seinen Filmen schaffen kann. Ein mutiges Studio sollte ihm endlich all das Geld geben, welches er für seine seit langer Zeit geplante Verfilmung von H. P. Lovecrafts "At The Mountains Of Madness" benötigt. Er wäre der richtige Mann, um den kaum greifbaren Wahnsinn im Unterton seiner Geschichten adäquat auf die Leinwand zu bringen. Bis dahin (wenn überhaupt) muss man sich am fantastischen Pans Labyrinth oder dem sehr charmanten Crimson Peak erfreuen.
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Sonntag, 16. April 2017

Lost Things - Strand der verlorenen Seelen

Vier Jugendliche, zwei Jungs und zwei Mädchen, machen einen Ausflug an einen abgelegenen Strand. So oder leicht abgewandelt beginnen sehr viele Horrorfilme, die meistens mit einer flachen Story, aber dafür vielleicht wenigstens mit einer guten Portion Gore und im besten Falle auch noch einigermaßen spannende Momente unterhalten können. Lost Things hätte sich besser auch auf diese Formel beschränken sollen. Man entschied sich letztendlich dafür, die simpel gestrickte Geschichte des Films in den Dialogen aufzublähen, ihm einen mystischen Touch zu schenken, der für einige seltsame Momente gut ist, dies im Ganzen aber immer noch weit entfernt von einem guten Film ist.

Die angesprochenen Jugendlichen - Gary, Emily, Tracy und Brad - machen am im deutschen Titel reißerisch umschriebenen Strand der verlorenen Seelen bald die Bekanntschaft des geheimsnisvollen Zippo, der die jungen Leute davor warnt, länger am Strand zu bleiben. Es sollen dort vor einiger Zeit Menschen umgebracht worden sein. Man lässt sich nicht beirren, trotz immer öfter auftretender, seltsamer Geschehnisse. Aus der gewählten Prämisse Sonne, Surfen und Sex wird bald Streit, Misstrauen und Angst. Es treten Konflikte innerhalb der Gruppe auf und dank der unheimlichen Stimmung, dem immer wieder auftauchenden Zippo und den Streitigkeiten untereinander wird aus dem erhofften, kurzweiligen Trip schnell ein Ausflug des Grauens.

Die Exkursion des Quartetts wird nicht nur für die vier Protagonisten des Films richtig zäh, auch als Zuschauer muss man einiges aushalten. Wobei ich beim Schauen von Lost Things selten so viel Spaß daran hatte, einem Film beim Scheitern zuzuschauen, der nicht in die für Trashologen bevorzugte "So bad it's good"-Richtung geht. Eher sieht man immer wieder Potenzial aufblitzen, welches im ersten Aufkommen mit Leichtigkeit gegen die Wand gefahren wird. Immerhin auch ein Talent! Wobei Lost Things visuell sogar was auf dem Kasten hat. Er wirkt wie ein trister TV-Film mit knalligen Farben, über den viel Weichzeichner gekippt worden ist um so die Naturbilder - von denen es einige gibt - stimmig einzufangen. Dies kann man bei einigen atmosphärischen Bildern sogar gelungen nennen. Sie bestechen mit gut gewählten Perspektiven und können wenigstens die unwirkliche, mysteriöse Stimmung des Strands einfangen.

Alles, was Lost Things sonst aufwartet, ist abgestandenes Storytelling der uninspiriertesten Sorte. Der Beginn des Films lässt den geübten Zuschauer sogar noch schneller als ohnehin schon ahnen, wohin die Geschichte sich bewegt und was der überraschende Twist sein soll. Zwischen den wenigen, sehr gezwungenen Momenten, welche Spannung oder sogar Grusel erzeugen sollen, versucht man Teenie-Figuren, deren Charakterzeichnung man aus dem Handbuch für 08/15-Slasher entnommen zu haben scheint, schlaue und nachdenkliche Dinge sagen zu lassen. Es entsteht inhaltsleeres Dampfplauern, welches sich um das erwachsen werden, dem Führen von Beziehungen und der menschlichen Existenz dreht und aufgesetzt wirkt. Wo andere abwinken und auf Durchzug schalten hatte ich hier wenigstens Spaß, diesem grausigen Dialogtreiben zuzuhören. Da reiht sich eine Schwachsinnszeile an die Nächste und man kommt immer mehr ins Grübeln, wieso der Film zu seiner Erscheinungszeit als Australiens Blair Witch Project angepriesen wurde.

Vielleicht empfand man ihn ähnlich nervig wie die Mutter aller modernen Found Footage-Horrorschocker. Der Mix aus seichtem Mystery und Erzählstrukturen des Slasherkinos fährt sein durchaus vorhandenes Potenzial einfach an die Wand. In den wenigen guten Momenten wirkt er wie ein leicht surrealer Horrortrip, wird in den nächsten Sekunden dann aber doch nur wieder dieser fade Mysterythriller wird, der durch die angesprochenen pseudophilosophischen Dialoge, vorgetragen von Darstellern mit beschränktem Talent die dafür sorgen, dass keine ihrer Figuren wirklich sympathisch ist, auffällt. Die wenigen tollen Bilder auf der fotografischen Seite, werten eben nicht komplett die flache Geschichte auf. Trotz des gewissen Amüsement, welches ich beim Schauen von Lost Things hatte, kam ich nicht drumherum am Ende zuzugeben, dass es ein doch eher schlechter Film ist.
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Dienstag, 8. November 2016

The VVitch - A New-England Folktale

Das Review könnte kleinere Spoiler beinhalten!

Ich kann meine Begeisterung über Vertreter des Horrorfilmgenres meist schwer im Zaum halten, wenn dieses "nur" der Überbau für eine sowohl schaurig-schöne als auch intelligente Auseinandersetzung für gewisse Thematiken ist. Wenn der Horror nur noch beiläufig ist, Platz für ein "größeres Ganzes" macht und teils auch sehr unterschiedliche Genres miteinander verbindet. So ging es mir mit dem interpretationsreichen It Follows, welcher für mich zum besten Horrorfilm des letzten Jahres wurde. Über die letzten Jahre kamen aus dem Indie-Bereich so einige Vertreter eines gewissen intellektuell fordernden Horrors und ohne hier jetzt komplett ins Namedropping zu verfallen, seien hier noch der österreichische Ich seh, ich seh (Review gibt es hier), der wirklich tolle Starry Eyes oder auch mit gewissen Abstrichen Eat genannt.

Jetzt haben wir nun mit The VVitch - A New-England Folktale einen Film, der genau dies bedienen soll und seit seinem Anlaufen in den Kinos als auch der Veröffentlichung im Heimkino-Bereich die Zuschauer polarisiert. Langweilig sei dies, manche Zuschauer haben im Kino bei einigen Szenen laut gelacht. So Follower meines privaten Twitter-Accounts. Auf der anderen Seite gibt es Kollegen wie Björn oder Oliver Nöding, die durchaus wohlwollende bis sehr lobende Worte über Robert Eggers Langfilmdebüt verloren. Mit durchaus großer Erwartungshaltung ging ich an diesen Film heran und wurde keinesfalls, wie das durchaus schon einmal vorkommen kann (gerade wenn eine Sache sehr groß gehyped wird), enttäuscht. Das schöne an diesem Film ist, dass man zwei unabhängige Lesarten hat bzw. ihn ganz unterschiedlich interpretieren kann.

The VVitch behandelt ein zutiefst trauriges Drama innerhalb einer Familie, die an einem schweren Schicksalsschlag zu zerbrechen droht: um das Jahr 1630 werden William und Kate mit ihren Kindern Mercy, Jonas, Thomasin und Caleb wegen zu strenger Glaubensauslegung des Vaters aus ihrer Siedlung verbannt. Auf der Suche nach einer neuen Bleibe, lassen sie sich auf einem geeignet aussehnden Stück Land nahe eines Waldes häuslich nieder und Kate schenkt bald darauf dem fünften Kind Samuel das Leben. Eines Tages verschwindet der Säugling unter der Aufsicht der Älteste, Thomasin, spurlos. Wurde er von einem Wolf oder doch einer Hexe geholt? Die Tragödie führt dazu, dass sich Misstrauen innerhalb der Familie und Schuldzuweisungen häufen. Vor allem bleibt die Frage im Raum, was denn nun überhaupt Samuel geholt hat und ob dieses etwas nicht längst innerhalb der Familie wandelt.

Schaut man sich die Entwicklung des Horrorfilms in den letzten Jahren mit all seinem lauten und krachigen Wesen an, der manchmal mit wahren Bombardements an Jumpscare-Szenen zu einem gewissen Overkill führte (trotz derer gutem Timing in einigen Filmen), so gibt sich The VVitch angenehm zurückhaltend. Der Schrecken schleicht sich auf leisen Sohlen an, behält die ganze Laufzeit über seine angenehme Subtilität und wird erst im Finale - und das nur ganz kurz - entfesselter. Der Untertitel "A New-England Folktale" passt ohnehin sehr gut: Aufgrund der Zeit, in die der Film spielt und der Entwicklung seiner Story wohnt ihm eine Märchenhaftigkeit inne, die sich auf die düsteren Elemente der Volkserzählungen konzentriert. Eggers Film klärt uns zudem an seinem Ende auf, dass für die authentischen Hintergründe für The VVitch sehr genau recherchiert wurde. Laut dieser Einblendung stammen angeblich einige Dialoge des Filmes direkt aus historischen Dokumenten.

So fühlt sich The VVitch wirklich sehr authentisch und greifbar an, was die Wirkung der im dunklen Wald lebenden Bedrohung, verstärkt. Die Hexe lebt in den Schatten der Bäume, tief im Wald verborgen, wird als alte und hässliche Frau dargestellt, ohne hier in typische Klischeevorstellungen abzudriften. Wenn man sich, wie ich, mit der Entwicklung von altem Volksglauben á la Vampirismus, Lykanthropie oder auch Hexenglauben beschäftigt und ein wenig über die damaligen Vorstellungen bescheid weiß, fühlt sich dies wohl gleich (trotz des phantastischen Aspekts) doppelt so glaubhaft an. Als Beispiel sei hier die Szene genannt, in der sich die Hexe an Samuel zu schaffen macht: die darauffolgende Sequenz, in der sie sich zum Flug in die Lüfte aufmacht, beeinhaltet sowohl einen übernatürlichen Touch als auch eine Darstellung überlieferter Hinweise, wie Hexen anhand ihrer Flugsalben und der Wirkung der darin enthaltenen psychoaktiven Pflanzen in die Lüfte "aufsteigen". Das ist auch die große Stärke dieses Films: Es wird zu keiner Zeit wirklich verleugnet, dass das, was sich da abspielt, nur auf den starken christlichen Glauben der Familie zurückzuführen ist. Es ist eine Lesart des Films und er spielt hier auch gut mit der Wahrnehmung seiner Figuren und kann die Zuspitzung der Geschehnisse innerhalb der Familie transportieren.

Die Hexe, die Bedrohung von Außerhalb, gibt den immer offener zu Tage tretenden Problemen innerhalb der Familie nur den Rest. Diese äußere Gefahr kann allerdings auch nur eine Projektion dessen sein, was sich in den Köpfen der streng gottesfürchtigen Leuten abspielt. Es mag sein, dass dieses alte Geschöpf wirklich existiert oder - wie angesprochen - nur ein Hirngespinst ist, eine Manifestation des im Glauben der Familie existierenden Negativen. Die Verbannung aus der Siedlung ist hier nur der Anfang einer ganzen Reihe von Geschehnissen, welche die Eheleute zusammen mit ihren Kindern hinnehmen müssen und den Glauben schwer erschüttert. Dieser ist in seiner streng christlichen Auslegung beinahe schon prädestiniert für Wahnvorstellungen, die sich anhand der schwer verdaulichen Rückschläge nach der Verbannung, entwickeln könnten. Dazu kommt das zarte Aufkeimen der menschlichen Sexualität, die Erwachsenwerdung von Thomasin und auch Caleb steckt im Übergang von Kind zum Jugendlichen. Es kommt hier für William und Kate einiges zusammen, mit dem sie sich schwerlich auseinandersetzen können. Gerade letzteres ist für Kate ein präsentes und sie beschäftigendes Problem.

Robert Eggers verbindet dies in The VVitch zu einem stark gespielten Familiendrama mit leisem Mysteryhorror der auf allzu grobe Schocksequenzen verzichtet. Der Schrecken hier entsteht aus der Wechselwirkung zwischen Zuspitzung der misslichen familiären Schräglage und einer heute im Reich der Volkslegenden anzufindenden Kreatur bzw Figur, die sich sehr wohl auch das Leid der Personen zunutze macht und daraus ihre Stärke bezieht. Verstärkt wird dies mit einer aufgeräumten Fotografie, die sowohl distanziert als auch sehr Nahe an den Figuren dran ist. Die auf zusätzliche Beleuchtung verzichtenden Aufnahmen im inneren der spärlichen Hütte der Familie, nur von Kerzenlicht beleuchtet, sind atmosphärisch stark und brillant eingefangen. Wenn der Film gegen Ende hin die Ereignisse der Geschichte auf die Präsenz eben jener titelgebenden Hexe schiebt, so ist dies nicht enttäuschend, weil es sich das Drehbuch hier zu einfach macht, sondern konsequent die beibehaltene Richtung, die der Film von Beginn an gegangen ist. Er bleibt der im Untertitel angesprochenen Volkserzählung treu und ist einfach ein starkes, intelligentes und subtil arbeitendes Horrormärchen für Erwachsene. Trotz einiger anderer guter Filme des Genres und dem neuesten Winding-Refn-Films The Neon Demon, der allerdings beiweitem kein wirklicher Horrorfilm ist sondern nur beiläufig mit dessen Mechanismen spielt, ist für mich The VVitch der stärkste und somit beste Horrorfilm 2016.
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Sonntag, 12. Juli 2009

Witchboard - Die Hexenfalle


Auf der Party des Pärchens Jim und Linda kommt es nicht nur zu einem Streit zwischen den ehemals besten Freunden Jim und Brandon, sondern auch noch zu einem unheimlichen Zwischenfall, nachdem Jim den anwesenden Gästen ein Ouija-Board, mit dem man Kontakt zu Geistern herstellen kann, vorgeführt hat. Der von ihm beigerufene Geist David, ein im Alter von 10 Jahren gestorbener Junge, scheint einen Groll gegen den skeptischen Jim zu hegen und verläßt die Sitzung so schnell, wie er gekommen ist. Doch dann fangen die mysteriösen Begebenheiten erst an. Linda benutzt das Brett, welches Brandon bei ihr vergessen hat, immer öfters um mit David zu kommunizieren und scheint langsam aber sicher von diesem besessen zu werden. Obwohl Jims Meinung weiterhin skeptisch bleibt, hat auch er einige seltsame Begebenheiten erlebt und geht auf Brandons Warnung bezüglich des Geistes und Lindas Besessenheit ein. Erst recht, als die ersten mysteriösen Todesfälle einsetzen.

Der im Jahre 1955 auf Hawaii geborene Regisseur gab mit diesem kleinen, aber durchaus gelungenen Okkult-Horrorschinken sein Filmdebut und sollte sich im Laufe seiner Karriere zu einem soliden Handwerker im undurchsichtigen Wust der B-Film-Hölle entwickeln. Besitzt schon Witchboard, welcher zwei Fortsetzungen (eine davon nochmals von Tenney inszeniert) mit sich zog, im Horrorfandom einen gewissen Bekanntheitsgrad, schuf er mit seinem zweiten Werk gleich einen kleinen Kultfilm. Der Dämonenstreifen Night of the Demons sollte ebenfalls Auftakt einer insgesamt dreiteiligen Reihe werden, besticht durch seine liebevollen Effekte und einer tollen 80er Jahre-Atmosphäre und in diesem Jahre wurde davon ein Remake gedreht. Er ist vor allem ein sorgfältiger Handwerker der sich Zeit läßt was man auch seiner Filmographie anmerkt, besitzt diese trotz der gut 20 Jahre im Geschäft doch gerade mal dreizehn Einträge, wenn es rein um die Regiearbeit geht. Erst vor kurzem wurde einer seiner jüngeren Filme - die ziemlich garstige Low Budget-Splatterkomödie Brain Dead (nicht zu verwechseln mit Peter Jacksons Kultkunstblutschleuder gleichen Namens aber mit unterschiedlicher Schreibweise) - in deutschen Gefilden auf DVD veröffentlicht. Tenneys bisher letzter Film ist übrigens ein Familienfilm über Amerikas Yetiversion Bigfoot.

Kommt man aber wieder auf seine Anfänge im Genre zurück, so muss man Tenney vor allem attestieren, das er ein sehr bequemlicher Mensch zu sein scheint und so auch seine Filme erzählt. Zeit und Geduld sollte man für das Erzähltempo seines Filmes mitbringen, läßt er die Sache doch wirklich recht langsam angehen und führt erst einmal ein klein wenig seine Figuren ein, auch wenn dazwischen schon der erste kleine übernatürliche Einschub stattfindet. Trotz aller erster, leichter ins mysteriöse rückende Vorkommnisse in der Handlung bleibt Tenney aber auch dabei, die Konflikte der Charaktere untereinander zu beobachten. Von Ausarbeiten möchte man nicht sprechen, da der Film als ein eines Genreprodukt natürlich nur an der Oberfläche bleibt, aber gerade die aufgeriebene, streitgenährte Stimmung zwischen Jim und Brandon bleibt in den ersten Momenten von Witchboard ein zentrales Handlungselement.

Erst später läßt Tenney das Grauen von der Leine, bleibt allerdings bei leiseren Tönen und versucht seinen Horrorfilm eher durch Atmosphäre und dezenten Schockeffekten punkten zu lassen anstatt durch grelle und laute Effektegewitter. Dies gelingt dem Amerikaner sogar recht gut, auch wenn die Handlung von Witchboard einem eigentlich guten Grundsetting trotzdem etwas den Wind aus den Segeln nimmt. Schon als der Film aktuell war, war der Stoff alles andere als innovativ und so sind einige Handlungsabläuft sehr vorhersehbar. Der Kniff besteht in so einem Fall aber darin, ob nun der Regisseur und der Stoff an sich es verstehen, daraus eine gute Sache zu machen. Dies gelingt, vor allem durch die wirklich sehr gut herausgearbeitete Atmosphäre, die für einige kleine Schauer beim Zuschauer sorgt. Hier gibt sich Witchboard angenehm altmodisch, vermengt gängige Genremuster zu einem durchaus unterhaltsamen Ganzen und geizt auch mit den Bluteffekten. Der nach Gore lechzende "Spläddafreund" erlebt hier eine herbe Enttäuschung. Auch wenn Witchboard nicht ganz ohne den roten Saft auskommt, so stehen äußerst effektiv und einfallsreiche Todesszenen nicht im Vordergrund des Geschehens.

Das Script schickt seine Protagonisten auf eine für diese unangenehme Reise durch die Welt des Okkultismus, garniert mit allerlei bösem Schabernack aus der Geisterwelt. Die Figuren sind dabei recht schnell umrissen, werden dabei allerdings solide von ihren Darstellern ausgefüllt. Es besteht für den Zuschauer schnell eine Bindung zu den drei Hauptcharakteren des Films und selbst dem anfänglich sehr unsympathischen Brandon, kann man durch seine leichte Wandlung doch etwas abgewinnen. Ein kleines Highlight ist übrigens die von Kathleen Wilthoite dargestellte, sehr schräg und exzentrisch daherkommende Medium Zarabeth. Einzig die Figur des Polizisten Dewhurst ist schlicht und ergreifend fehl am Platze und scheint herangezogen zu sein, um einige kleine Szenen zur Handlung hinzuzupinnen. Diese hätte Tenney ruhig aus dem Drehbuch streichen lassen können, oder seinen Polizisten etwas anders darstellen können. Dieser entpuppt sich als ein großer Freund der Magie und redet während seinen Ermittlungen nach einem Unfall eher von Siegfried und Roy oder anderem aus der Welt des Hokuspokus, als sich mit seinem Fall zu beschäftigen. Dies ist weder lustig noch schräg noch cool, sondern schlicht und ergreifend peinlich und unpassend.

Wenigstens können dafür die restlichen Darsteller überzeugen, wobei Tawny Kitaen sogar noch ein hübscher Blickfang für das männliche Publikum darstellt. Die 1961 als Julie Kitaen geborene Darstellerin wurde durch ihre Hauptrolle in der 1984 entstandenen Fetischcomic-Verfilmung Gwendoline von Emmanuelle-Schöpfer Just Jaeckin und dem der Teenie-Komödie Bachelor Party mit einem jungen Tom Hanks bekannt und glänzte durch ihr wildes Privatleben, das Tief in der damaligen Hair Metal-Szene verwurzelt war und in einer Beziehung zu Whitesnake-Frontmann David Coverdale gipfelte. Vor einigen Jahren fiel die hübsche Rothaarige zudem mit den Nachrichten eines Kokainfundes bei ihr in den amerikanischen Medien auf. Ihr Partner in Witchboard, Todd Allen, glänzt als rauhbeiniger und mit sehr trockenem Humor ausgestattetem Herr, der seine gesunde Skepsis gegenüber der Ouija-Sache erstmal bei Seite legen muss um dann seiner Partnerin in ihren schwersten Stunden beizustehen. Nur leider sind diese, bezogen auf das Finale von Witchboard, ein wenig misslungen.

Das Ende ist im Vergleich zum bisherigen Verlauf des Films sehr banal und umgangssprachlich ausgedrückt reichlich Banane. Es mag nicht wirklich zur Handlung passen und erscheint sogar irgendwie angepappt aus lauter Verzweiflung, ein laues Ende eines ansonsten gut unterhaltenen Films der auch technisch sehr begeistern kann und einige schöne Kamerafahrten bietet. Das Ende ist allerdings ein sehr lauer Abschluß eines soliden und guten Gruselfilms, der sogar ein wenig 80er Jahre Hochglanzschick vermittelt was seinen Look angeht. Seine behende von statten gehende Erzählweise steht ihm zwar nicht direkt im Weg, sie paßt sogar recht gut, doch auch eine im Aufbau recht althergebrachte Geschichte und das angesprochene Ende verwehren ihm ein rundum zufriedenes Endurteil. Seinen kleinen Kult- bzw. Klassikerstatus, den er bei manchen Fans nach gut 20 Jahren aufgebaut hat, trägt er aber zurecht. Witchboard bleibt ein guter Okkulthorrorstreifen und Einstand von Kevin S. Tenney.
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