Donnerstag, 23. November 2023

Skinamarink

Ein filmischer Albtraum, der durch einen Leak vor seinem offiziellen Release durch das World Wide Web rauschte und viral ging. Gehypt auf Social Media. Ein Phänomen, vielleicht so kurzlebig, wie es die im Internet entstandenen Hypes heute sind. Geboren aus dem, womit sein Schöpfer Kyle Edward Ball über Jahre seine Community unterhielt und faszinierte, indem er deren Angstträume verfilmte und avantgardistische, auf Film gebannte Nachtmahre schuf, unheilvoll und kryptisch, die eher im Unterbewusstsein der Zuschauerinnen und Zuschauer stochern, als verborgene Furcht und Traumata aufbereiten möchten. Auf den Kurzfilm Heck folgt mit Skinamarink der erste Langfilm, der eigentlich als Grundmotiv ein gängiges Horrortrope beackert und doch gegen den Strich gebürstet erscheint. Zwei Kinder erwachen irgendwann im Jahr 1995 Nachts in einem Haus, die Eltern scheinen verschwunden zu sein und mit ihnen jegliche Fenster und Türen. Die Suche nach dem Vater bleibt zuerst vergebens, dafür machen sie Begegnung mit einer im Dunkeln lauernden Präsenz, welche versucht, den beiden Kindern böse Dinge einzureden.

Motivisch eine Haunted House-Story, stilistisch grob mit Found Footage-Filmen zu vergleichen. Skinamarink ist allerdings mehr als eine Vermischung beider Spielarten. Der Film mag ein (über)langer Bitesized Nightmare sein; das, womit Regisseur Ball über die Jahre seinen YouTube-Kanal befüllte. Der Film zielt auf das Unterbewusstsein seines Publikums und beschwört dessen kindliche Angst vor der Dunkelheit herauf. Auf ein durchgängiges Narrativ sowie herkömmliche Suspense-Momente wird weitgehend verzichtet. Die Geschichte ist gleichermaßen nachvollziehbar wie abstrakt. Die Bilder schwammig; zeigen nichtige, unwichtig erscheinende Dinge, Banalitäten. Die Kamera verharrt auf Winkeln, Ecken, lässt alltägliche Gegenstände irgendwann seltsam erscheinen. Und dann die Dunkelheit. Sie gähnt uns qualvoll lang erscheinende Minuten an. Das in ihm verortbare analoge Rauschen lässt uns nach Anhaltspunkten, Ankerpunkten suchen. Ohne mit Hilfsmitteln nachzuhelfen, lässt er uns glauben, darin Dinge zu sehen; so, als wären wir die Protagonisten selbst nochmal vier bzw. sechs Jahre alt.  

Skinamarink schafft ständige Irritation, greift Sehgewohnheiten an und ließ selbst mich die ersten zwanzig Minuten eine stetig wachsende, ablehnende Haltung gegenüber dem Gesehenen annehmen. 
Seine Bilder, die Schemen, das fast nicht oder schwerlich hörbare; es sind für Ball Instrumente, um den Horror seines Films in der Zuschauerin und dem Zuschauer heraufzubeschwören. Diese Subtilität mag manchen Individuen abgehen, lassen den Film im gesamten als langweilig oder Zeitverschwendung abstempeln. Wer es schafft und dazu bereit ist, sich auf diesen Avantgarde-Horror einzulassen, erlebt eine ungleichmäßig verlaufende Fahrt in die eigenen Ängste im Kindesalter. In seinen richtig starken Szenen schafft es der Film, diese an die Oberfläche zu treiben, und lässt das, was man in den letzten Einstellungen erblickt, noch lange in uns nachhallen. Leider verwehrt die an sich löbliche experimentelle Haltung gänzlichen Zugang; die Dechiffrierung mancher belanglosen Bildarrangements mag nicht funktionieren und erscheint beliebig. Mehr vermag Skinamarink (zumindest bei mir) noch durch die bei den Fans hervorgerufenen Reaktionen - zwischen kompletter, mit beschreibenden Superlativen herrschender Ablehnung und wohlwollender Anerkennung scheint nichts zu existieren - zu gefallen. Ein Umstand, den heutzutage nur noch wenige Filme hinbekommen.
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Freitag, 6. Oktober 2023

An Ideal Place To Kill

Selbst als Anhänger des Hippietums muss man manchmal nach den Regeln des Systems spielen. Um Klartext zu sprechen: ohne Moos nix los. In Umberto Lenzis Giallo An Ideal Place To Kill stellen dies die beiden Hauptfiguren Dick und Ingrid mehr als einmal fest. Um an Kohle zu kommen, verhökern sie auf ihrem Trip durch den alten Kontinent in Dänemark erstandene Pornographie oder schaffen, unter wortwörtlich vollem Körpereinsatz, neues Material um dieses wiederum zu verkaufen. Da (seinerzeit) in Italien der Verkauf von solcherlei erotischen Erzeugnissen verboten ist, wird dem jungen Pärchen von der Polizei 24 Stunden Zeit gegeben, dass Land zu verlassen, als Ingrid beim Verhökern an einen verdeckten Ermittler gerät. Komplett möchte man sich nicht damit abfinden. Die beiden versuchen nochmal, ihre selbst produzierten Pornos an einer Tankstelle an den Mann zu bringen, werden aber vom Tankwart wieder bei der Polente angeschwärzt. 

Auf ihrer Flucht geht das Benzin aus und in einer nahegelegenen, auf den ersten Blick verlassen erscheinenden Villa naht die Rettung in Form einer offen stehenden Garage und einem dort abgestellten Pkw. Als Dick diesen, um an Sprit zu gelangen, anzapft, werden die Hippies von Hauseigentümerin Barbara überrascht. Als diese die Polizei verständigen möchte, benötigt es viel Überzeugungskraft, sie von ihrem Vorhaben abkommen zu lassen. Letzten Endes lässt Barbara das Paar die Nacht bei sich verbringen, ohne das die beiden ahnen, was die Dame eigentlich im Schilde führt. Die beiden Liebenden werden dabei nicht nur Opfer einer Intrige der nur oberflächlich harmlos anmutenden Barbara. Über die Handlung hinaus gehend ist das Duo, den Ansichten der konservativen Schöpfer des Films nach, stellvertretend für alle negativen Aspekte im gesellschaftlichen Wandel der damaligen Zeit. Diese Haltung des rechtskonservativen Lenzi und seiner Kompagnons ist sehr offen und mit wenig Zurückhaltung im Film auszumachen.

Diese sorgt etwas für Irritationen, da An Ideal Place To Kill gleichzeitig sehr darum bemüht ist, sich dem Liebespaar soweit zu widmen, dass einem die locker und natürlich aufspielenden Ornella Muti und Ray Lovelock schnell ans Herz wachsen. Das ihnen viel Schlechtes widerfährt, ist nicht einfach nur eine zugegeben gekonnt erzählte Zuspitzung der Geschichte. Es scheint den Autoren ein persönliches Bedürfnis zu sein, die jungen Protagonisten viel durchleiden zu lassen. Für den Zuschauer entsteht so ein spannendes Giallo-Kammerspiel, dass gekonnt bis zu seinem bitteren Ende den Suspense schön hochkochen lässt. Der Nachgeschmack, der beim Schluss des Films bleibt, entsteht beileibe nicht nur durch das negative Finale. Die Ideologie, die An Ideal Place To Kill an den Tag legt, war bereits zu seiner Entstehungszeit reaktionär und lässt einen zweigespalten zurück, auch wenn die positiven Eindrücke überwiegen. Zeigt dieser Giallo doch auch, dass Lenzi durchaus auch auf der Erzählebene und nicht nur im aktionsbetonten Teil von Filmen Spannung erzeugen konnte.


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Freitag, 29. September 2023

Spasmo

Wer beim Begriff Giallo seine Erwartungen auf als Phantome umherschleichende Meuchlerinnen und Meuchler, hübsche Frauen, eine extravagante Optik und abwegige oder seltsame Motive für die Morde beschränkt, dem wird von Filmen wie Spasmo vor den Kopf gestoßen. Der von Umberto Lenzi inszenierte Film dürfte Freunde traditioneller Werke aus dem Topf italienischer Thriller- und Krimi-Reißer sicher häufig auf dem falschen Fuß erwischen. Mord findet zwar ebenfalls statt, doch versteht sich der Film mehr als Paranoia-Film, welcher sich mehr für die Psychologie seiner Hauptfigur interessiert. Diese hört auf den Namen Christian, ist ein reicher Industriellensprössling und fällt gleich in den ersten Minuten seiner Freundin Xenia und dem Publikum dadurch auf, dass er eine Anekdote aus seiner Kindheit, die den Fund eines toten Hundes betrifft, seltsam stark betont. Gleich darauf finden sie eine vermeintlich Tote am Strand, die dann doch quicklebendig ist und sich als Barbara vorstellt. Kurz darauf treffen sich alle Personen auf einer Yacht wieder, zwischen Christian und Barbara funkt es und beide brennen miteinander durch. 

Die angedachte "sexy Time" beider Frischverliebten wird von einem Unbekannten durchkreuzt, der Christian im Bad des vom Pärchen gemieteten Motelzimmer angreift. Der Angreifer zieht gegen diesen den Kürzeren, bekommt eine Kugel in den Leib gejagt und damit fangen die seltsamen Ereignisse erst richtig an. Das Liebespaar flüchtet in den Wohnsitz einer verreisten Freundin Barbaras, trifft dort mit Malcolm und Clorinda auf zwei weitere Fremde, die sich dort angeblich eingemietet haben und der tote Gangster aus dem Motelbad ist verschwunden. Diese und die nachfolgenden, rätselhaften Ereignisse tragen nicht gerade dazu bei, dass sich der Geisteszustand des junges Mannes stabilisiert. Christian fühlt sich mehr und mehr verfolgt. Nichts ist, wie es scheint. Dieses die Hauptfigur beschleichende Gefühl gibt Lenzis 1974 entstandenes Werk auf eigentümliche, aber wirksame Weise an seine Zuschauerinnen und Zuschauer weiter. Ab der Flucht in das Anwesen von Barbaras Freundin löst sich Spasmo von uns bekannten, filmischen Rationalitäten.

Seltsam lautet ab da das einfache - und wirksame - Kredo des Films. Alles scheint und verhält sich eigenartig, die Stimmung wirkt entrückt. Er gleitet ins alptraumhafte und surreale, samt klischeehafter Symbolik in Form von, zuerst anscheinend grundlos, in die Landschaft drapierter Schaufensterpuppen. Verzichtet wird dabei auf atmosphärisch unterstützende Dunkelheit und Schatten. Spasmo ist ein heller Film - nur vereinzelt macht man bildsprachliche Einflüsse des Gothic Horrors aus - und konterkariert damit auf einer weiteren Ebene üblichen Genrekanon. Es fehlt schlicht an Fluchtpunkten und Aussparungen. Lenzi bezieht hiermit sein Publikum weit mit ein, lässt es Punkte der Hauptfigur beziehen, nur dass dieses sich von seinem Posten als Beobachter aus fragt, was es da überhaupt sieht und hört. Man könnte die im Film vorkommende Irrationalität als Schwäche ausmachen, gleichzeitig unterstreicht sie dessen Stimmung. Im guten, aber wenig überraschenden Finale - seinen Twist kann man trotz des in der Handlung implementierten Verwirrspiels vorausahnen - bewegt sich Spasmo etwas mehr in den Bahnen der Konvention, ohne einen zu großen Bruch in der Gesamtwirkung zu erzielen. Mehr fügt sich diese schlüssig in einen der besten Gialli Lenzis ein, der es hier versteht, die Schwächen des Films zeitgleich zu einer gewissen Art Stärke werden zu lassen.

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Freitag, 15. September 2023

Das Rätsel des silbernen Halbmonds

Was 1959 mit Der Frosch mit der Maske begann und ein jahrelanger Garant für volle Kinosäle war, wurde 1972 von Umberto Lenzi mit Das Rätsel des silbernen Halbmonds zu Grabe getragen. Die Anstrengungen von der Rialto Film, dem Rückgang der Besucherzahlen ihrer Filmreihe an Edgar-Wallace-Verfilmungen mit einem neuen, internationalen Anstrich entgegenzuwirken, sollten keine Früchte ernten. Die Serie hatte schon ordentlich Patina angesetzt, war vor allem dem jungen Publikum zu piefig und den alten Fans war das, was man ihnen vorsetzte, einfach zu sehr gegen den altbekannten Strich laufend. Die deutsch-italienischen Co-Produktionen, welche 1969 mit Riccardo Fredas Das Gesicht im Dunkeln begannen, folgten dem offenherzigeren gesellschaftlichen Zeitgeist und lockerten sich für mehr Sex and Violence, was für viele Zuschauerinnen und Zuschauer offensichtlich zu viel des Guten war. Es folgte Massimo Dallamanos Das Geheimnis der grünen Stecknagel, bevor mit Lenzis Beitrag eine Ära zu Ende ging. Leider konnte das bundesdeutsche Publikum wenig mit dem, was wir heute unter der Genre-Bezeichnung Giallo zusammenfassen, anfangen. 

Dabei bietet Das Rätsel des silbernen Halbmonds eine altbekannte, aber interessant umgesetzte Murder Mystery um eine wahllos erscheinende Mordserie, bei welcher der Täter am Tatort ein Schmuckstück in Form eines Halbmonds zurücklässt. Nach dem vom Meuchler nicht komplett durchgeführten Mordversuch an der von Uschi Glas sehr fade dargestellten Giulia, versucht die Polizei, den Mörder hinters Licht zu führen. Man inszeniert ihren Tod mitsamt gestellter Beerdigung und bringt sie in einem von ihrem Verlobten Mario unter falschem Namen gemieteten Anwesen unter. Weil die Gesetzeshüter mit ihren Ermittlungen nicht richtig voran kommen, stellt das Pärchen eigene Ermittlungen an und finden heraus, dass die bisherigen Opfer einschließlich Giulia vor einigen Jahren an einem bestimmten Tag alle im selben Hotel unterkamen. Mario, verkörpert vom Spanier Antonio Sabato, verfolgt diese Spur und stößt auf einen Amerikaner, welcher ebenfalls an diesem Tag im Hotel war, und an dessen Schlüsselbund eben jenen Halbmond befestigt war. Beim Versuch, diesen geheimnisvollen Gast ausfindig zu machen, stößt Mario bald an seine Grenzen.

Den traditionellen Formeln des Genres folgend, bietet Lenzi dank seiner routinierten Arbeit eine spannende Mörderhatz, die allerdings auch etwas generisch wirkt. Das Geheimnis des silbernen Halbmonds mag einige spannende Momente besitzen, doch fehlt dem Film das letzte Quäntchen, um ihn innerhalb des Genres in höhere Sphären und gleichzeitig nachhaltig im Gedächtnis zu verankern. Zur schnellen Unterhaltung reicht es dennoch. Schwerer wiegt das Problem, welche man mit den Hauptfiguren hat. Neben der Bundes-Uschi, welche ihre Rolle arg distanziert zum Besten gibt, ist die von Señor Sabato immer ein Stück weit unsympathisch. Komplett mag man sich nie mit diesem anfreunden. Er ist ein Macho-Arsch, überheblich und leider legt ihm das deutsche Dialogbuch ein paar "flotte", platte Sprüche in den Mund, die heutzutage auch nur noch Applaus von beinharten Fans der Synchronisationen von Karlheinz Brunndemann oder Rainer Brandt ernten. Die fehlende Identifikationsfigur lässt die Zuschauerin und den Zuschauer nie zur Gänze in die Geschichte eintauchen. Für kurzweiliges Plaisir taugt der letzte "richtige" Edgar-Wallace-Film aber durchaus.


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Sonntag, 6. August 2023

Nackt über Leichen

Lucio Fulci war nicht nur abseits der Leinwand ein Querkopf. Diese Eigenschaft übertrug sich des Öfteren auch auf seine Filme. Während seine Beiträge zur Untoten-Welle im Kino der 80er den wandelnden Leichnamen schon mal ein gespenstisches Wesen wie in Ein Zombie hing am Glockenseil (hier besprochen) verlieh oder sie zur pervertierten Verkörperung des allgegenwärtigen Todes innerhalb eines surrealen Albtraums wie in Über dem Jenseits (hier besprochen) wurden, waren seine Gialli nie zu einhundert Prozent das, worüber man das Subgenre heute definiert. Bereits mit seinem ersten Beitrag Nackt über Leichen geht der Italiener eigene Wege und schuf innerhalb seiner sehr diversen Filmographie wohl einen seiner besten Filme. Mit diesem kredenzt er dem Publikum eine vordergründig ruhig erzählte Kriminalgeschichte um den Arzt George Dumurrier, Leiter einer Privatklinik, um deren Finanzen es nicht gerade gut steht. Nachdem seine ungeliebte Gattin Susan ihrer langjährigen Krankheit erliegt, winkt ihm durch die damit verbundene Erbschaft finanzieller und dazu persönlicher Segen. Einer Heirat mit seiner Geliebten Jane scheint damit an sich ebenfalls nichts mehr im Wege zu stehen.

Doch wo das Glück ist, ist in der negierten Welt des Giallo das Unglück nicht weit. In einer Stripbar stößt das Paar auf die Tänzerin Monica Weston, die Georges toter Gattin zum Verwechseln ähnlich sieht. Mit dem Auftauchen der Doppelgängerin brauen sich über dem Kopf des Doktors pechschwarze Wolken zusammen und zu spät bemerkt dieser, dass er Opfer eines Komplotts ist, der ihm schnurstracks den Weg in die Todeszelle weist. Die unterhalb der Schönen und Reichen schwelende Niedertracht findet man im Giallo nicht gerade selten. Nackt unter Leichen unterscheidet sich von ähnlich gelagerten Filmen dadurch, dass Fulci in deren Darstellung jegliche Überspitzungen fürs Erste außen vor lässt. Bevor er zeigt, wie abgrundtief böse die Verschwörung gegen George eigentlich ist, lässt er dies die Menschen vor der Leinwand oder dem heimischen TV-Gerät vage spüren, ohne dass der Protagonist im Plot bereits etwas von der Konspiration ahnt. Das die Geschichte im finalen Akt doch einige sich überschlagende Wendungen in petto hat, ist eher als "großer Knall", den irreversiblen Climax, zu bezeichnen, der alles, was bisher unterschwellig im Plot brodelte, eruptieren lässt. Selbstverständlich kann man diese Handhabe als für den Giallo durchaus übliche Art der Narration, die bereits in Filmen, die vor und nach Fulcis Giallo-Erstling auftritt, bezeichnen.

Was Nackt über Leichen von einem Teil der beliebten italienischen Thriller und Krimis unterscheidet, ist seine Art der Präsentation. Der Film, dessen Handlung in den Vereinigten Staaten spielt, fühlt sich auch amerikanischer an. Während viele Gialli mehr dem "German Krimi", also den Edgar-Wallace-Verfilmungen, nacheifern und auch nicht unerheblich von der europäischen schwarzen Romantik beeinflusst sind oder sich später häufig auf das Œuvre von Hitchcock berufen, kreuzt Fulci in seinem Werk den Film Noir mit dem im damaligen, pop-kulturellen Zeitgeist angesagten, psychedelischen Look. Die dargestellte filmische Hardboiled-Welt ist aufregend bunt, fabelhaft fotografiert und über allem thront die in einer Doppelrolle auftretenden, österreichische Darstellerin Marisa Mell, eine markante Schönheit, als Femme Fatale. Ihr erstes Auftreten als Monica heizt die Stimmung des Films, die vom jazzigen Soundrack Riz Ortolanis prächtig unterstützt wird, ordentlich auf und ist quasi die Schlüsselszene, welche einen imaginären Schalter umlegt und die Perversion Story vollends ins Rollen bringt. 

Diese auch im Namen des Werks vorkommende, Perversion Story ist ein englischer Alternativtitel, und konkret benannte Pervertierung ist innerhalb des Genres, bei der Konstruktion des jeweiligen filmischen Kosmos, gern genutzt. Nackt über Leichen mag im Vergleich mit anderen Gialli und deren Zeichnung ihres Weltbild zurückhaltender sein, aber Fulci wäre nicht er selbst, wenn er nicht noch einen drauf legen würde. Hintergründig fühlt sich sein Film abgründiger, schwärzer, als andere an. Wer bislang an den Qualitäten Fulcis zweifelte, sollte sich durch Nackt über Leichen eines Besseren belehren lassen. Gelingt es ihm dort doch die zukünftig mehr herausstechenden bzw. herausgearbeiteten Übertreibungen innerhalb des Giallo griffiger, dezent subtiler und damit rationaler darzustellen. Gleichzeitig zeigt der Italiener bereits hier, dass diese Spielart des italienischen Kinos und er gut zusammenpassen sollten. Mit Nackt über Leichen beginnt der Reigen von dunklen, ungeheuren Geschichten, die er in seinen späteren Gialli erzählen sollte und bereitet zu einem Teil auch den Umbruch im Genre vor, der 1970 mit Argentos Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe erfolgen sollte. Gemessen an noch kommende Werke des streitbaren Regisseurs gelang diesem hier ein aufgeräumter wie gleichermaßen komplexer Film, der über wenige Zweifel - im Gesamtgefüge mutet manche Wendung leider zu konstruiert an - erhaben ist.

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Montag, 31. Juli 2023

Project Wolf Hunting

Nachdem im letzten Jahr der aus Taiwan stammende The Sadness die Gorehounds verzücken ließ, legt heuer Südkorea einen nach. Project Wolf Hunting positioniert sich zwischen knallharter, körperlicher Action, dessen Prügelszenen an den mehr als zehn Jahre zurückliegenden Überraschungs-Hit The Raid denken lassen, und aktionsorientierte Science-Fiction á la Predator oder Terminator. Die Geschichte ist natürlich schnell erzählt: die Überführung von gefährlichen Schwerstverbrechern von den Philippinen nach Südkorea via Frachtschiff geht gehörig schief. Unterwandert von Saboteuren, werden die für den Transport abgestellten Polizistinnen und Polizisten überwältigt und die Kriminellen befreit. Innerhalb der Reihen der Gangster entbrennt ein Kampf um die Vorherrschaft, während die überlebenden Beamten im Staatsdienst versuchen, ihrer menschlichen Fracht Herr zu werden und die Kontrolle zurück zu erlangen. Beide Seiten ahnen jedoch nicht, dass im Rumpf des Schiffs Alpha, eine Art Supersoldat, welcher bei der Auslieferung der Verbrecher nach Südkorea geschmuggelt werden sollte, erwacht und seinem Blutdurst ungehemmt nachgeht.

Mit dem Auftritt des metallisch stumpf durch die Frachter-Räumlichkeiten stapfenden menschlichen Superwaffe entfacht sich ein blutiges Actionfeuerwerk, das die in punkto Gewalt von The Sadness hoch angelegte Messlatte scheinbar übertreffen möchte. Einzelne Schläge treffen ihre menschlichen Ziele sofort tödlich, Körper werden mit purer, übermenschlicher Kraft zerschmettert oder zerrissen und als absolut absurdes Highlight, dass den comichaften Charakter der dargestellten Gewalt unterstreicht, werden Menschen mit ihrem eigenen, abgerissenen Körperteil totgeprügelt. Eine Szenerie, wie man sie eigentlich nur in einem Troma-Film zu sehen vermag. Die Schlacht entbrennt, der Film enthemmt, der Zuschauer stumpft ab. In zwei Stunden ziehen zunächst die Schwerstkriminelle und dann Alpha eine Schneise der Verwüstung hinter sich her. Während das Schiff in dunkler Nacht über den Ozean gleitet, watet in seinem Inneren seine humanoide Fracht durch ein blutrotes Meer. Drei Anläufe benötigte der deutsche Verleiher Capelight, bis die FSK den Film in seiner ungekürzten Version freigab. 

Die einzigen Wendungen, welche der Film für sein Publikum in Petto hat, sind ständige Verschiebungen im Fokus auf die Gegenwehr leistenden Überlebenden. Kaum scheint einer der austauschbaren Charaktere als Hauptfigur ausgemacht, so haucht sie ihr Lebenslicht unfreiwillig aus. Man sucht weiter nach einem Bezugspunkt inmitten der sich dem Zuschauer förmlich aufdrängenden Körperlichkeit des Films. Dessen schmutziger Look und die betont natürliche Darstellung seines fantastischen Tropes verhindern, dass Project Wolf Hunting übertrieben comichaft wie beispielsweise die vom Fandom zum Kultfilm aufgebauschte Manga-Verfilmung Story of Ricky wirkt. Komplett funktioniert das nicht. Die Laufzeit und die wenigen Variationen im Plot bringen die Geschichte schwer voran und lassen einzig die ganz Hartgesottenen bis zum Ende eine durchaus gekonnte Action-Schlachtplatte durchstehen, deren mäßige bis ärgerlich schlechte Special Effect-Arbeit den angestrebten, natürlichen gritty and grungy Look and Feel sabotiert. Dieser Art von den Zuschauer kraftvoll überrumpelndes Spektakel fehlt es an Langzeitwirkung und seine in voller Blüte stehende Pracht dürfte im Gedächtnis der Menschen nur allzu schnell verflogen sein.

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Freitag, 2. Juni 2023

Milly... und sowas nennt sich seine Mutter

Tausendmal geseh'n, tausendmal hat's nicht tangiert und auch beim tausendundeinen Mal ist die ohnehin allseits bekannte Prämisse eines Films nicht so prickelnd, dass es einen beim Genuss des Werkes vom bevorzugten Sitzmöbel hebt. Der durch seine Fernsehausstrahlungen auch unter dem Alternativtitel Der Todesengel von San Francisco bekannte Thriller aus der dritten (oder vielleicht auch vierten) Reihe schickt seiner im Mittelpunkt der Handlung stehenden Familie ein Schwiegermonster par excellence, frisch aus einer psychiatrischen Anstalt ausgebüxt, auf den Hals, welche weniger harmlos schrullig scheint, als es der erste, oberflächliche Eindruck erwecken mag. Nach zehn Jahren Funkstille steht Milly urplötzlich vor der Tür des trauten Heimes ihres Sohnes Bill, wird von diesem gegen Willen seiner Frau Arlene im geräumigen Domizil der Familie einquartiert und darf mit einigen Auffälligkeiten glänzen. Ob die eventuell mit der Situation heillos überforderte Verwandtschaft der alten Dame deren psychologischen Zustand unterschätzen, ignorieren oder als exzentrischen Zug abtun, bleibt Interpretationssache des Zuschauers.

Gleichermaßen darf geraten werden, was der Film eigentlich sein möchte. Als reiner Thriller lässt er eben diesen Part arg schleifen und paart die verschrobenen Auftritte Millys mit einem überraschungsarmen, sattsam bekannten Handlungsaufbau in dem sie alles aus dem Weg räumt, was in ihren Augen moralisch verkommen ist oder zwischen ihr und dem geliebten Sohn steht. Wenn Milly im letzten Drittel des Films völlig von der Rolle ist und man in einigen Szenen merklich Richtung Slasher steuert, steigert das den Unterhaltungswert zwar nicht in ungeahnt höhere Sphären, aber bringt eine dringend benötigte, aber zu späte Abwechslung. Bis dahin wirft Milly die Frage auf, wieso das dezent vorhandene Potenzial als gallige Satire auf die amerikanische Vorbildsfamilie bzw. Fernsehfamilien aus US-TV-Shows der 70er und 80er nicht komplett abruft. Der Culture Clash zwischen der harmonischen und damit schrecklich ätzenden Vorzeigefamilie und der verschütt' geglaubten Milly lodert kurz auf und löst sich schneller wieder in Rauch auf, als man den deutschen Filmtitel komplett ausgesprochen hat. Das Problem liegt zum größten Teil darin, wie sich der Film präsentiert.

Obwohl anscheinend eine Produktion für den Direct To Video-Markt, wirkt Milly... und sowas nennt sich seine Mutter mehr wie ein Fernsehfilm. Auch die wenigen Effekt- und Nacktszenen, welche man zu Gesicht bekommt, können nicht verhehlen, dass der ganze Rest immer etwas bieder und mit angezogener Handbremse inszeniert wirkt. Als wolle man mit erhobenem Haupte und Restwürde wissentlich im schundigen Filmmorast untergehen und sich ein gewisses (nicht unbedingt vorhandenes) Niveau herbeidenken. Ausgerechnet diese damit vorherrschende Stimmung ist es, die bei Stange halten kann. Das wenige Budget, die Ideenlosigkeit, sichtlich bemühte Darstellerinnen und Darsteller, eine uninspirierte Regie die nur in einzelnen und wenigen Szenen nette Einfälle bietet (gleiches gilt übrigens auch für die Kameraarbeit): es scheint den Menschen vor und hinter der Kamera immer bewusst gewesen zu sein, was man da überhaupt fabriziert. Neben dem über dem Film schwebenden Umstand ist es zuletzt Marilyn Adams, die Ehefrau des in der Comicwelt mehr als geschätzten Neal Adams - der Batman nach seiner durch die TV-Serie der 60s begonnenen quietschbunten Phase zurück in die ernsthafte Düsternis zurückführte - welche mit ihrem leicht daneben wirkenden Overacting in jeder Szene, in der sie zu sehen ist, dem Werk etwas positives schenkt.

Zuletzt irgendwann durch seine häufigeren Ausstrahlungen im Nachtprogramm diverser Privatsender gesehen, war es für mich wie für die Familie von Bill (im übrigens von Joe Estevez gemimt) ein eigenartiges Wiedersehen mit Milly. Ganz wahrscheinlich wäre das die meiste Zeit über cringe, aber auch wenn einem bewusst ist, dass das, was sich da auf dem Bildschirm abspielt alles andere als gut ist, kann man sich als schundfilmaffiner Filmfreund dem verschrobenen Charme des Films nicht ganz verwehren. Nachdem der Film hierzulande vor kurzem leider nur als augenscheinlich leidlich aufgehübschter Videorip auf DVD veröffentlicht wurde (ein Schelm, wer böses dabei denkt...), bleibt zu hoffen, dass sich ein auf solchen Schlock spezialisiertes US-Label wie beispielsweise Culture Shock Releasing dem Werk annimmt und ihn auf ansprechendere Weise auf Blu Ray veröffentlicht. Immerhin haben diese mit der SOV-Produktion The Flesh Merchant bereits ein Werk mit Joe Estevez in der Hauptrolle veröffentlicht, was ein wenig hoffen lässt.

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