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Donnerstag, 23. November 2023

Skinamarink

Ein filmischer Albtraum, der durch einen Leak vor seinem offiziellen Release durch das World Wide Web rauschte und viral ging. Gehypt auf Social Media. Ein Phänomen, vielleicht so kurzlebig, wie es die im Internet entstandenen Hypes heute sind. Geboren aus dem, womit sein Schöpfer Kyle Edward Ball über Jahre seine Community unterhielt und faszinierte, indem er deren Angstträume verfilmte und avantgardistische, auf Film gebannte Nachtmahre schuf, unheilvoll und kryptisch, die eher im Unterbewusstsein der Zuschauerinnen und Zuschauer stochern, als verborgene Furcht und Traumata aufbereiten möchten. Auf den Kurzfilm Heck folgt mit Skinamarink der erste Langfilm, der eigentlich als Grundmotiv ein gängiges Horrortrope beackert und doch gegen den Strich gebürstet erscheint. Zwei Kinder erwachen irgendwann im Jahr 1995 Nachts in einem Haus, die Eltern scheinen verschwunden zu sein und mit ihnen jegliche Fenster und Türen. Die Suche nach dem Vater bleibt zuerst vergebens, dafür machen sie Begegnung mit einer im Dunkeln lauernden Präsenz, welche versucht, den beiden Kindern böse Dinge einzureden.

Motivisch eine Haunted House-Story, stilistisch grob mit Found Footage-Filmen zu vergleichen. Skinamarink ist allerdings mehr als eine Vermischung beider Spielarten. Der Film mag ein (über)langer Bitesized Nightmare sein; das, womit Regisseur Ball über die Jahre seinen YouTube-Kanal befüllte. Der Film zielt auf das Unterbewusstsein seines Publikums und beschwört dessen kindliche Angst vor der Dunkelheit herauf. Auf ein durchgängiges Narrativ sowie herkömmliche Suspense-Momente wird weitgehend verzichtet. Die Geschichte ist gleichermaßen nachvollziehbar wie abstrakt. Die Bilder schwammig; zeigen nichtige, unwichtig erscheinende Dinge, Banalitäten. Die Kamera verharrt auf Winkeln, Ecken, lässt alltägliche Gegenstände irgendwann seltsam erscheinen. Und dann die Dunkelheit. Sie gähnt uns qualvoll lang erscheinende Minuten an. Das in ihm verortbare analoge Rauschen lässt uns nach Anhaltspunkten, Ankerpunkten suchen. Ohne mit Hilfsmitteln nachzuhelfen, lässt er uns glauben, darin Dinge zu sehen; so, als wären wir die Protagonisten selbst nochmal vier bzw. sechs Jahre alt.  

Skinamarink schafft ständige Irritation, greift Sehgewohnheiten an und ließ selbst mich die ersten zwanzig Minuten eine stetig wachsende, ablehnende Haltung gegenüber dem Gesehenen annehmen. 
Seine Bilder, die Schemen, das fast nicht oder schwerlich hörbare; es sind für Ball Instrumente, um den Horror seines Films in der Zuschauerin und dem Zuschauer heraufzubeschwören. Diese Subtilität mag manchen Individuen abgehen, lassen den Film im gesamten als langweilig oder Zeitverschwendung abstempeln. Wer es schafft und dazu bereit ist, sich auf diesen Avantgarde-Horror einzulassen, erlebt eine ungleichmäßig verlaufende Fahrt in die eigenen Ängste im Kindesalter. In seinen richtig starken Szenen schafft es der Film, diese an die Oberfläche zu treiben, und lässt das, was man in den letzten Einstellungen erblickt, noch lange in uns nachhallen. Leider verwehrt die an sich löbliche experimentelle Haltung gänzlichen Zugang; die Dechiffrierung mancher belanglosen Bildarrangements mag nicht funktionieren und erscheint beliebig. Mehr vermag Skinamarink (zumindest bei mir) noch durch die bei den Fans hervorgerufenen Reaktionen - zwischen kompletter, mit beschreibenden Superlativen herrschender Ablehnung und wohlwollender Anerkennung scheint nichts zu existieren - zu gefallen. Ein Umstand, den heutzutage nur noch wenige Filme hinbekommen.
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Samstag, 4. März 2023

Fathers Day

Konzeptionell ist der Rape and Revenge-Film sehr orthodox; zumeist wendet sich die zuerst von Männern ausgehende Aggression gegenüber einer oder mehrerer Frauen im Verlauf der Handlung gegen diese, wenn die Täter zum Opfer der Rache werden. Binäre Geschlechterordnungen und gewaltsame Auseinandersetzungen dieser scheint eine unumgängliche Norm für den Exploitation-Film zu sein. Wieso also nicht einmal eine Figur erschaffen, welche ihre Bluttaten innerhalb des gleichen Geschlechts ausübt? So war anscheinend eine der Überlegungen, als sich die kanadische Indie-Produktionsfirma Astron-6 daran machte, ihre Exploitation-Film-Parodie Fathers Day zu schreiben. Darin kehrt der tot geglaubte Serien-Vergewaltiger und -Mörder Chris Fuchman (Fuckman gesprochen) nach vielen Jahren zurück um wie viele Jahre zuvor Familienväter auf brutalste Art und Weise zu schänden und umzubringen. Ein Trio bestehend aus dem jungen Priester Sullivan, seinem Schützling Twink, dessen Vater dem Mörder zum Opfer fiel und dem ein Eremitendasein verbringenden Ahab, welcher damals in einem Rachefeldzug Fuchman vermeintlich zur Strecke brachte, versucht alles in seiner Macht stehende, um den mittlerweile mit diabolischer Unterstützung wütenden Fuchman aufzuhalten.

Anfangs wirkt das Werk des Autoren- und Regie-Kollektivs wie eine pure Hommage an die vielen Film-Vigilantinnen und Vigilanten der 70er und 80er, bei der visuell die Art der Übertreibung zu Tage tritt, welche später auch die Handlung von Fathers Day bestimmen soll. Mit überbordendem Farbspiel, welches selbst direkt in den 80ern eine Spur zu dick aufgetragen gewesen wäre, lässt man den finalen Kampf zwischen Ahab und Fuchman Revue passieren, bevor die Geschichte in die Gegenwart springt. Bereits im Prolog watet man bei einer pervertiert lustvollen Zerstückelung einer Leiche knöcheltief im Kunstblut und auch im weiteren Verlauf ist der Gebrauch des Gores nicht gerade zimperlich und bereits als weitere Ausdrucksform der Übertreibung etabliert. Wie in anderen Filmen von Astron-6, beispielsweise dem sich deutlich am Giallo orientierenden The Editor, werden einige humoristische Einlagen gestreut. Fathers Day wandelt sich damit zu einer Parodie, die mit Augenzwinkern und Respekt die Eigenwilligkeiten der behandelten Genres behandelt, aber gleichzeitig deutlich Spaß am absurden Schabernack besitzt, den seine Schöpfer ins Script eingebaut haben.

Geflissentlich ignoriert man dabei die Grenzen des guten Geschmacks, was für ein Kult-Indie-Studio  wie Troma selbstverständlich eine willkommene Eigenschaft darstellt. Begeistert von einem von Astron-6 produzierten Fake-Trailer, ließ Troma-Chef Lloyd Kaufman 10.000 Dollar springen, damit aus Fathers Day ein Spielfilm werden konnte. Glücklicherweise umschiffen die Macher, darunter Steve Kostanski und Jamie Gillespie, welche einige Zeit später die 80er-Horror-Hommage The Void  (hier besprochen) drehen sollten, den bei vielen neueren Troma-Filmen vorherrschenden Zwang zu absoluter Hässlichkeit und Bad Taste und wollen eher stetig zwischen Hommage und Parodie wechseln, was nur bedingt funktioniert. Der Eingangs etablierte ernsthafte Ton verträgt sich nicht mit den zugegeben manchmal sehr sympathischen Albernheiten (z. B. Ahabs Ahornsirup-Leidenschaft) bzw. Witzeleien, was mehr ermüdet als erheitert. Zum Finale hinarbeitend wirft man das eigene Konzept ohnehin über den Haufen und scheint sich dem Geist von Troma zu ergeben und lässt alles in einer einzigen Blödeleien- und Blutorgie gipfeln. Vielleicht sollte sich die Handlung im Sinne seiner Autoren diesbezüglich ohnehin zuspitzen. Leider haben diese anscheinend übersehen oder ignoriert, dass ihr Film in gemäßigteren Szenen besser funktioniert als auf dem Tromay way of movies.


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Samstag, 15. Januar 2022

Xtro II - Die zweite Begegnung

Wenigstens ist Harry Bromley Davenport ehrlich, wenn er Auskunft über die Entstehung des ersten X-Tro-Sequels gibt. Aus Mangel an Moneten wurde für ein schnelles Cash-In ein Drehbuch zusammengeschustert, dass sich nicht weiter vom Ursprungsfilm entfernen könnte. Grund hierfür war, dass er zwar die Rechte am Franchise, jedoch nicht an der Story seines eigenen Films besaß. Deswegen orientiert sich Xtro II mehr an damals gängiger Videoregal-Massenware als eigene Akzente zu setzen. Von der kauzigen Eigentümlichkeit des Vorgängers ist leider nichts mehr vorhanden. Lieber leimt man im Script verschiedene Teile aus dem Baukasten für Außerirdischen-Horror zusammen, die im Endergebnis auf wackeligen Füßen stehen. Action-orientierte Komponenten, wie man sie aus Aliens kennt, treffen auf den Versuch, aus einem alten Lagerhallen-Komplex ein ähnlich todbringendes wie spannendes Labyrinth in James Camerons Film zu schaffen.

Zum Scheitern verurteilt ist das Vorhaben bereits durch die auf Komplexität gebürstete Geschichte, die mehr Quatsch als interessante Entwicklung bietet. Das Militär werkelt in einem unterirdischen Labor am Projekt Nexus, mit dem man versucht, in Parallel-Dimensionen vorzudringen. Nachdem Jahre zuvor das Vorhaben nach einem Unfall aufgegeben und vom damaligen Leiter Dr. Shepherd zerstört wurde, wagt man einen zweiten Versuch. Die Verbindung zum in die fremde Dimension vorgedrungene Team reißt ab und Leiterin Dr. Casserly sieht sich dazu gezwungen, den zurückgezogen lebenden Shepherd zu überreden, dass er ihnen und einer für die geplante Rückholaktion angeheuerte Einheit Marines hilft. Bei deren Durchführung holt das Team nicht nur eine Überlebende sondern auch eine fremde Kreatur ins Labor, welches von dieser unsicher gemacht wird.

Der von Christian Keßler geprägte Begriff des Krauchfilms, von diesem ursprünglich für Bruno Matteis Dystopien-Horror The Riffs III - Die Ratten von Manhattan kreiert, lässt sich prima auf Xtro II anwenden. Wenn der Film seine umständlich lange Exposition, in der mehr pseudo-wissenschaftliche Schwafelei als einem lieb ist über den Zuschauer ausgeschüttet wird, hinter sich gelassen hat, bietet er unspektakuläre Minimal-Action innerhalb von gefühlt endlos langen Wanderschaften der Mimen durch das Set. Der Film ist ein wahrhaftes Krauchwerk, der angesteckt von der berichteten und sichtbaren Lustlosigkeit von Hauptdarsteller und Ex-Airwolf Jan-Michael Vincent seinem Finale entgegen deliriert. Weitaus seltener kraucht an der Kamera das zu bekämpfende Monstrum vorbei, welches für wenige, halbwegs sehenswerte Effektarbeit sorgt.                                                             

Selten habe ich bei einem B-Film das Desinteresse seiner Schöpfer am Werk deutlicher wahrgenommen. Die vorherrschende Cash-In-Charakteristik nimmt dem Film jeden kleinsten unterhaltsamen Ansatz. Bevor Spaß aufkommt, wird die dünne Geschichte bereits wieder mit viel Füllmaterial aufgebauscht um auf eine spielfilmtaugliche Laufzeit zu kommen. Dazwischen spult der Film seine geliehenen Inspirationen derart belanglos ab, dass er - wäre er nicht Teil einer qualitativ wechselhaften Reihe - längst komplett vergessen worden wäre. Seinen Zweck scheint Xtro II - Die zweite Begegnung erfüllt zu haben. Bromley Davenport dürfte einigen Videothekengängern ein besser gefülltes Bankkonto verdanken zu haben und fünf Jahre später folgte mit X-Tro 3 ein zweites und letztes Sequel, für das sich der Brite abermals verantwortlich zeigte. 

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Donnerstag, 23. September 2021

The Kid Detective

Ruhm ist manchmal wie die Blüte eines Löwenzahns. Seine Hochphase bzw. Blütezeit kann kurz und ansehnlich sein; doch ehe man sich versieht zerstreut er sich in alle Winde. Cast-Mitglieder von allseits umjubelten, aber längst beendeter Serien können davon ein trauriges Lied anstimmen. Von einer steilen Karriere während oder nach dem Hype um das Next Big Thing profitieren wenige. Manche tingeln hinterher von Convention zu Convention und rühmen sich dort, gleich der tatsächlichen Größe ihrer Rolle, ein Teil der Serie gewesen zu sein oder verkommen zum Nebenrollengesicht in Filmen, die im Niemandsland der Publikumswahrnehmung versauern. Nicht gänzlich schlimm, aber auch nicht befriedigend ist durch geschickte Rollen- oder Filmwahl das kurze Auftauchen aus der Schauspiel-Versenkung, bevor man bis zum nächsten Kurzzeit-Hit die nächsten Jahre wieder aus dem Gedächtnis der Filmwelt verschwindet. Schlimmstenfalls gerät man vollends in Vergessenheit bis sich wenige Fans oder Promi-Postillen fragen, was eigentlich aus der Person wurde.

Adam Brody könnte man zwischen den beiden letztgenannten Möglichkeiten verorten. Anfang der 2000er einer der Hauptdarsteller der zu ihrer Zeit beliebten Teenie-Serie O. C., California, gerät man schnell ins Rätselraten, wo Brody nach deren Ende bis zum heutigen Datum noch zu sehen war. Bis auf das Megan Fox-Horror-Vehikel Jennifer's Body will so recht kein weiterer Titel einfallen. Mit diesem Hintergrund erhält seine Rolle des Abe Applebaum in The Kid Detective gewisse Meta-Qualitäten: ein verblasster Serien-Stern mimt einen seinem damaligen Ruhm als Kinderdetektiv hinterher trauernden und in Selbstmitleid versinkenden Typen, der immer noch Detektiv spielt und - sofern sich ein Klient in sein Büro verirrt - banale Fälle löst. Einst gefeiert, als er den Dieb der Schulspenden ausfindig machen konnte, sucht er heuer nach verschwundenen Katzen. Aufwind erhält seine Karriere, als die junge Caroline ihn anheuert, um herauszufinden, wer ihren Freund ermordet hat.

Der im Nebel des Glanzes seiner alten Tage lebende, vor Selbstüberschätzung strotzende und innerlich um die eigene Fehlbarkeit wissende, sich auch deswegen selbst bemitleidende Abe wäre schnell als Unsympath abgestempelt. Der immer etwas als Dauerjugendliche rüber kommende Brody schenkt der Figur eine kindliche Naivität und den Charme des armen Jungens, dem man für seine Schwächen schwer böse sein kann. Ganz egal, in welches Fettnäpfchen er jüngst getreten ist. Auf der anderen Seite offenbart eine Rückblende auf die ruhmreichen Tage das wahre Dilemma von Abes Persönlichkeit. Die Entführung der Gracie Gulliver, Tochter des Bürgermeisters und Sekretärin seiner Kinder-Detektei, sitzt als tiefes Trauma in seiner Persönlichkeit. Weder die scharfe Beobachtungsgabe noch seine schlauen Schlussfolgerungen reichen aus, um in der Erwachsenenwelt und den Ermittlungen mitzuspielen. Der Helfer in der Not ertrinkt in seiner Hilflosigkeit.

Die Gratwanderung zwischen dem Drama um Abes Phlegma, längst mehr Depression als schwerfällige Faulheits-Zelebrierung und einem mal lakonischen, mal hinreißend kindischen und sympathischen Humor ist das eine, was The Kid Detective zu einer kurzweiligen und sympathischen Dramödie werden lässt. Noch herziger ist seine Auslegung als immer etwas aus der Zeit gefallen zu scheinender Film, in dem unsere Gegenwart mit einer 50er-Jahre-Stilistik verschmilzt und immer mit einem Augenzwinkern versehen den Film Noir mit seinen tragischen Detektiv- bzw. Ermittler-Figuren persifliert. Begleitender Off Kommentar, die gescheiterte Existenz von Applebaum, der gerne mal ein oder zwei Gläser Brandy frühstückt, immer abgebrannt, der fantastische Jazz-Soundtrack und ein Fall, der sich als größere Sache als gedacht entpuppt: ohne ständige Veralberung oder Übertreibung gängiger Klischees ist The Kid Detective gespickt von hübschen Ideen, eine Not Quite Hard Boiled-Story, die eine Geschichte um Erwachsene mit einem kindlichen Gemüt erzählt.

Ein weiterer Durchhänger des Protagonisten geht leider zu Lasten des Plots, der mit seiner Hauptfigur in der zweiten Hälfte in den Seilen hängt und sich mit leichten Mühen wieder aufrappelt. Die dunkle Seite der Geschichte um Abe und der Entführung Gracies, die nicht nur dem ehemaligen Kinder-Detektiv sondern auch seiner Heimatstadt und ihren Bewohnern das sonnige, unbeschwerte Gemüt und die Unschuld nahm, bricht stark mit der unbeschwerten Tonalität der ersten Hälfte. Es mag eine Vorbereitung auf die niederschmetternde Auflösung am Ende sein; dem Film gelingt dieser Übergang nicht ganz so sauber. Wenn Abe seiner Nemesis in Form des Entführungsfalls von einst gegenüber tritt, diesen nochmal aufrollt und wie bei Hitchcock zuvor nicht beachtete Details einen Zusammenhang ergeben, klatscht dem Zuschauer das Ausmaß der Auflösung nicht so schonungslos schockend ins Gesicht wie beabsichtigt.

Ihre Wirkung verfehlt sie nicht,  nur fehlt ihr die ganz große Überraschungswirkung. The Kid Detective muss sich beim vorbereitenden Aufbau im Plot und der gewollten Wendung in der Stimmung um 180 Grad einen Vergleich mit dem RKSS-Hit Summer of 84 gefallen lassen. Glücklicherweise liegt es dem Film fühlbar fern, seine Vorbilder im Bereich des Noirs oder auch den genannten Film des kanadischen Trios plump kopieren zu wollen. Was Applebaum hier aufdeckt, hallt nach. Ihm, seiner Klientin Caroline, der ganzen Stadt. Das Finale von The Kid Detective ist ein bittersüßes, dass seinen Figuren die letzte Erinnerung an das Vergangene nimmt, von dem der Film selbst bis dahin größtenteils beseelt ist. Gleichzeitig ist es Abes vermeintlicher Übergang von der Verlierer- auf die Gewinnerstraße und der Geruch von Aufbruch und Hoffnung liegt für ihn und seine Heimat in der Luft. Diese Hoffnung hat man auch für Adam Brody, der hier sichtbar Lust und Spaß an dieser Rolle hatte; vielleicht auch, weil der Werdegang seiner Figur Gefühle in den weniger ruhmreichen Momente in der Karriere nach O. C., California spiegeln und gewissermaßen verarbeiten ließen. Vielleicht hilft ihm die kleine Rolle im jüngst größtenteils wohlwollend aufgenommen Promising Young Woman. Bei The Kid Detective, der bislang letzte Eintrag in seiner Filmographie, darf man derweil hoffen, dass dieser noch kleine, unbekannte Film bekannter wird. Verdient hat er es auf jeden Fall.



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Dienstag, 25. August 2020

Lake Placid

Es dürfte mittlerweile eine ungeschriebene Tradition sein, dass Tierhorror-Filme über tödliche Lebewesen aus den Tiefen des Meeres oder alternativ Seen und Flüsse pro Jahrzehnt eine Renaissance erleben. In den ausgehenden 90ern versuchte sich auch Autor und Produzent David E. Kelley daran, ein monströs erscheinendes Getier aus dem Wasser auf das Kinopublikum loszulassen. Der daraus entstandene Lake Placid besticht dabei weder durch innovative und frische Ideen oder atemberaubende Spannung bis zum Schluss, sondern hat mir persönlich wieder bestätigt, dass Kelley ein besonderes Talent dafür besitzt, schrullige Figuren und absurde Situationen oder Dialoge punktgenau zu kreieren. Gelang ihm dies in Ally McBeal - eine meiner Lieblingsserien im Jugendalter - fast durchgehend, ist sein Gespür für interessante Charakterzeichnung eine Stärke der Stephen King-Adaption in Serienform Mr. Mercedes, die ansonsten durchaus an ihrem nicht vorhandenen, eigenen Charakter und schleppender Story krankt und einen schwankenden Gesamteindruck bietet. 

Deren Hauptdarsteller Brendan Gleeson dürfen wir in Lake Placid als leicht bärbeißigen und wortkargen Sheriff Hank Keough erleben, in dessen County - Kelley siedelte die Handlung in seiner Heimat Maine an - eine zunächst unidentifizierte Kreatur für Unruhe in der Umgebung um den von den Bewohnern Lake Placid getauften See sorgt. Vor den Augen des Sheriffs wird ein Taucher in zwei Hälften geteilt, was die ruhige Idylle in einen Tummelplatz voller nervöser Gestalten verwandelt, die der Sache sprichwörtlich auf den Grund gehen wollen, was in dem Gewässer lauert. Zu Keough und Wildhüter Jack gesellen sich die nervöse Paläontologin Kelly und der exzentrische wie steinreiche Professor Hector, der eine sehr eigene Beziehung zu Krokodilen pflegt und auch im See einen Vertreter dieser Spezies vermutet. Möchte man ihm zuerst keinen Glauben schenken, ändert sich die Meinung schnell, als das Quartett Zeuge davon wird, wie das riesige Tier einen ausgewachsenen Braunbären in die Fluten zieht.

Bis dorthin und darüber hinaus baut Kelleys Script brav das gewohnte Setting eines Tierhorror-Films mit übellaunigen Wasser-Bewohnern auf und wird unter der routinierten Regie von Steve Miner bis zum Schluss durch die verschiedenen Szenerien des Subgenres gezogen. Von schlechter Qualität ist das nicht und neben einigen anschaulichen Special Effects, darunter die von Stan Winston geschaffenen Animatronics des heimlichen Hauptdarstellers verschafft der Film der Zuschauer wenige, aber gut aufgebaute und spannende Szenen. Mehr bleibt von Lake Placid der vergnügliche Culture Clash im Aufeinandertreffen von Keough, Hector, Kelly und Jack hängen. Die vom Luxus der Urbanität ihrer Heimat verwöhnte Kelly tut sich schwer mit dem ländlichen Idyll ihres Aufenthaltortes und deren Vertreter Jack, während Keough, stellvertretend für die gemütlichen Gemüter der Örtlichkeiten ständig mit dem exzentrischen Hector aneinander gerät. Die Leichtigkeit, mit der Kelley dies in sein Script gepackt hat, sorgt für einige amüsante Momente und lässt Lake Placid zu einem kurzweiligen Screwball-Horror werden.

Den Höhepunkt erreicht der Film mit der Einführung von Golden Girl Betty White und deren schrulliger Figur Mrs. Bickerman, die mehr über das Krokodil zu wissen scheint, als sie zuerst zugeben möchte. Die hinzu kommende Absurdität lässt über die standardisierte Abarbeitung des Horror-Szenerien hinwegsehen. Dem Charme, den Kelley seinen Figuren und dem Film damit schenkt, erliegt man nur allzu gerne und verzeiht so manchen Griff in die Klischee-Kiste. Weit weg vom Attribut outstanding ist Lake Placid ein dazu hübsch gefilmter und atmosphärisch ansprechender - hin und wieder wirkt es so, als hätte Stephen King für die Vorlage gesorgt - kleiner Horrorfilm, der Dank der Konzentration auf die komödiantischen Aspekte des Plots für kurzweilige Unterhaltung sorgen kann. Ein kleiner, aber durchaus schmackhafter Happen für den großen, gierigen Schlund des Genre-Fans.
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Freitag, 7. August 2020

Leprechaun: Origins

Mir als Wrestling-Fan tut Dylan Postl ein wenig leid. Ungeachtet davon, ob der kleinwüchsige Sports Entertainer für die Muskelprotz-Soap Opera das nötige Talent mitbringt oder nicht, meinte man es während seiner Anstellung bei World Wrestling Entertainment in Bezug auf die Storylines, in die man Postl steckte, nicht gut mit ihm. Nachdem er für den irischstämmigen Dave "Fit" Finlay als fieser Kobold in Kämpfe zu dessen Gunsten eingreifen durfte und mit diesem im Team zusammen für das amerikanische Publikum die Klischee-Iren verkörperten, wurde er in einer groß angelegten Storyline Ersatz für den leicht unbequemen und deswegen von der Company entlassenen Kenneth Anderson, welcher den Fans eigentlich als unehelicher Sohn des WWE-Besitzers Vince McMahon präsentiert werden sollte. Plötzlich wurde dies Hornswoggle, so Postls Ringname, und fortan wurde er vermehrt in den von uns Smart Marks (Fans, welche sich intensiv mit den Hintergründen des Business beschäftigen und denen deswegen auch jederzeit bewusst ist, dass die Kämpfe gescriptet sind) verhassten und von McMahon so geliebten Comedy-Segmenten eingesetzt. 

Als seinerzeit von WWE Studios, dem Filmableger der Wrestling-Liga, ein Reboot des langlebigen Leprechaun-Franchises angekündigt wurde, lag es Nahe, Postl zum Erben von Warwick Davis zu machen. Er sollte ernster und düsterer werden; sich mehr vom komödiantischen Wesen der zuvor produzierten Filme um den irischen Gnom entfernen. Gleichzeitig bewegte man sich mit Leprechaun: Origins noch weiter vom schon in der Original-Reihe kaum vorhandenen Niveau weg, welche zumindest mit den ersten drei Teilen unspektakuläre, aber zumindest solide Horror-Kost bot, die es auf insgesamt sechs Filme brachte. Bei allen schlechten Kritiken, synchron mit der Gesamtzahl an Filmen innerhalb des Franchises ánsteigend, zogen sie weiterhin noch genügend Leute vor die heimischen Videorekorder bzw. DVD-Player, welche die Reihe für einige Jahre überleben ließ. Never change a running system. 

Man hat die Rechnung leider nicht ohne den (neuen) Wirt gemacht. Das letzte bisschen Profil des Franchise wurde komplett platt gewalzt und die Origins des neuen Leprechauns, der gut und gerne gegen jedes x-beliebige Ungeheuer aus volkstümlichen Sagen ausgetauscht werden könnte, werden zur unrühmlichen Beerdigung im 90-Minuten-B-Film-Format. Irgendwelche angehende Studenten erreichen fernab der bekannten Tourismus-Routen der grünen Insel ein kleines Dorf, welches nahezu alle Klischees über Irland bedient. Dort erzählt man ihnen im Pub von einer in unmittelbarer Nähe befindlichen Höhle und der darin angeblich befindlichen Wiege des Keltenreichs. Die begeisterten wie naiven Kids erfreuen sich an der vermeintlichen Hilfsbereitschaft zweier Dorfbewohner, sie dorthin zu führen, ohne zu ahnen oder zu erkennen, dass sie von diesen als frische Opfergabe für einen Leprechaun auserwählt wurden, welcher für den Diebstahl seines Golds durch die Vorfahren der Dorfbewohner weiterhin Vergeltung bzw. Wiedergutmachung fordert und deswegen am liebsten doofe Kids terrorisiert und unerschrockene Allesglotzer nervt.

Der mit jedem Sequel immer dünner werdende Wiedererkennungswert der ursprünglichen Reihe ist quasi nicht existent. Der Film stolpert über die schon oft bemühten ausgelatschten Pfade des Horrorfilms und steht mit seinem Unvermögen für das, was selbst aktuell im Tagesgeschehen von WWE den geneigten Fan nervt. Storytelling nach Schema F, dass man woanders wegen besserem Verständnis für den Stoff bzw. des Genres wenigstens mit mehr Gespür umgesetzt sehen kann, dass von einem gesichtslosen Cast vorgetragen wird, die von einem stocksteifen Monster-Gnom heimgesucht werden, der mit dem von Warwick Davis meist launig dargestellten boshaften Schalk nichts mehr gemein hat. Der Leprechaun hier wird als uralte, animalische Kreatur mit viel Appetit dargestellt, von dessen schlechter Maske mit einem während seiner Screentime ständig eingesetzten Verfremdungseffekt abgelenkt werden soll. Postl kann noch so beherzt und mühsam agieren, sein schlecht gemachtes Kostüm und das fade Script lassen ihm keine Chance.

Nach 78 Minuten hat der uninspirierte Spuk ein Ende. Die restlichen 12 Minuten verbraucht der Film für einen in die Länge gezogenen Abspann. Ein irrsinniger Schachzug, um das Vehikel aufzublähen und ihm die üblichen 90 Minuten an Laufzeit zu schenken. Wer erwartet, dass das Reboot der Reihe ein in irgendeiner Weise spaßiger oder zumindest kurzweiliger Horror-Royal Rumble ist, wird maßlos enttäuscht. Leprechaun: Origins ist das eine Sequel to dismember um das ganze Franchise in einen Sarg zu werfen und den Deckel zuzuknallen. Ich bin immer noch ungläubig, dass sich die Reihe mit dem letzten Eintrag Leprechaun Returns sowas wie erholte. Bevor ich hier im Blog mich diesem widme, hole ich lieber nochmal den Erstling hervor und versuche mich nicht nur an diesem, sondern auch an all seinen Sequels. Welche bei allen unrühmlichen Teilen ab den 2000ern wahrscheinlich immer noch mehr unterhalten können als dieser von Anfang bis Ende verbotchte Film.

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Freitag, 17. Juli 2020

Nachtschicht (1987)

Eben noch versuchte der Taxifahrer mit dem markanten Gesicht seinem weiblichen Fahrgast, die wenige Minuten zuvor ihren Körper und ihr Leben den kalten Gewässern des Sees im städtischen Park überlassen wollte, Trost zu spenden. Die Stimmung kippt, die aufgelöste Blondine ist plötzlich gebannt von dessen magisch wirkender Aura, die Szene wird in dunkles, rotes Licht getaucht, welches man sonst nur als Beleuchtung im Freudenhaus vermutet und die beiden geben sich ihrer aufsteigenden körperlichen Gelüste hin. Mitten beim Erkunden des Körpers der Unbekannten schnellt der Taxifahrer mit seinem Oberkörper hoch, reißt den Mund auf, als würde er ihr von animalischer Lust übermannt das rohe Fleisch aus dem Leib reißen wollen und offenbart uns zwei große Fangzähne, welche er nicht wie man vermuten könnte, in den Hals, sondern in die Brust der Frau rammt und genüsslich beginnt, das Blut auszusaugen. Als Pubertierender schwerlich angetan von der Szenerie und dem ganzen Film, muss ich nun, gut zwanzig Jahre nach der ersten Sichtung von Nachtschicht mich mehr als einmal über diesen und seiner Art der Inszenierung wundern.

Der unterschwellig ohnehin sexualisierte Akt des Vampirbiss wird in beschriebener Szene vom auch als Graveyard Shift bekannten Film in einen Softporno-Kontext gebettet und lässt den Horror außen vor. Die Existenz des Vampirs ist in Nachtschicht mehr eine schwere Bürde für den in den von den Lichtern der Großstadt erhellten Nächten mit seinem Taxi umher fahrenden Stephen Tsepes, der sich das für ihn überlebenswichtige Blut fast ausschließlich von Frauen mit suizidalen Absichten nimmt und ihnen gleichzeitig ewiges Leben schenkt. Als er während einer Schicht die Regisseurin Michelle kennen lernt, ist es um ihn geschehen. Die in einer unglücklichen Ehe steckende Frau verfällt ebenfalls schnell dem sich geheimnisvoll gebenden Stephen, welcher durch diese Liaison seine früheren Liebschaften aufscheucht, die nun ruhelos und von Eifersucht getrieben, in der Stadt wahllos Männern das Leben aushauchen. Dies wiederum scheucht logischerweise die Polizei auf und macht sie auf Stephens weibliches Vampir-Gefolge und ihn selbst aufmerksam.

In einigermaßen nett anzuschauenden, durchgestylten Bildern bietet Regisseur und Autor Jerry Ciccoritti einen Vampir-Film, erdacht für ein adultes Publikum zwischen spekulativen Nackt-Szenen und abgeschmackter Romanze, die schlagartig herbei geführt wird und beispielhaft für einen löchrigen Plot steht, in dem die Handlung sprunghaft aufgebaut wird. Ohne größer dargebrachte Motivation flickt Ciccoritti Szenen zusammen, die schwerlich bemüht sind, Nachtschicht im Gleichgewicht zwischen Drama und seichtem Horrorthriller zu halten. Halten kann der Film dies nicht. Die schwülstige Liebelei zwischen Stephen und Helen dominiert einen großen Teil der Handlung, die mit den Ausbrüchen von vampiristischer Aktivitäten und kurzen Auftritten des ermittelnden Kommissaren-Duos drapiert wird. Ciccoritti baut seinen ganzen Film auf ein fragiles Gerüst, und erschafft ein sichtlich hohles Gebilde, dessen Oberflächlichkeit die Pseudo-Ernsthaftigkeit als fade Fassade nutzt. Letztendlich kann er nicht verbergen, dass er mit Nachtschicht nur Stereotypen des Genres in einen scheinbar neuen, urbanen Kosmos setzen mag.

Der leidende Vampir, dessen Liebe in einem vorhersehbar dramatischen Ende gipfelt, nimmt sein jahrelanges Wandeln auf dem Erdenrund als große Last wahr; seine menschliche Auserwählte ist gebeutelt von der angeschlagenen, eigenen Gesundheit und untreuem Ehemann und dankbar für seine Aufmerksamkeit und Leidenschaft. Ciccorittis Urban Gothic kann den schweren Staub des Genres, den er vermutlich locker wegwischen will, schwerlich aufwirbeln. Das Ungleichgewicht des Films, dessen dramatische Seite schwerlich TV-Film-Niveau erreicht und der im Verlauf der Geschichte immer härter werdende Horroranteil schenken Nachtschicht einen seltsamen Gesamteindruck. Hohle Phrasen werden gedroschen, die ruhelosen Vampir-Damen, allesamt mental mit Stephen verbunden, gehen auf ihren nächtliche Beiß- und Mordtour und die Romanze zerrt mehr an den Nerven, als dass es das Herz des Zuschauers erreicht. Dazwischen blitzen Ideen auf, die Stephen als einzigen Mann in einer von weiblichen Vampiren dominierten Welt als letztes Überbleibsel alter Zeiten, einem Denkmal patriarchaischer Blutsauger-Geschichten, niedergerissen von aggressiv um ihre Stellung kämpfender Weiblichkeit; ein Paradoxon zu ihrer Gleichzeitigen Verbundenheit und Verfallenheit zu Stephen, von dem sie sich entweder befreien wollen oder einfach nur nicht teilen wollen. Dieser latente Feminismus kann Nachtschicht zwar nicht retten, aber verstärkt den eigenartigen Gesamteindruck, den er hinterlässt. Die Magie, die er in der Wahrnehmung meines pubertären Ichs, versprühte: verflogen. Seine Eigenheiten machen ihn prädestiniert für eine eventuelle zukünftige Veröffentlichung beim US-Label Vinegar Syndrome, Fachmänner für B-Film und seltsame Auswüchse der Filmwelt, zu der ich doch nicht nein sagen könnte.


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Montag, 10. Februar 2020

Der Leuchtturm

Now Fiddler's Green is a place I've heard tell, where the fishermen go when they don't go to hell. In einer Szene spricht Leuchtturmwärter Thomas Wake Fiddler's Green, ein Paradies, die Vorstellung des Lebens nach dem Tod in der maritimen Folklore des 19. Jahrhunderts, gegenüber seinem Gehilfen Ephraim Winslow an, als für beide Männer längst die Hölle losgebrochen ist. Ein Boot brachte die beiden Männer auf die kleine, karge Insel, welche für die nächsten vier Wochen zu deren Lebensort werden soll, um den darauf befindlichen Leuchtturm und die dazu gehörigen, langsam verfallenden Gebäude zu warten und instand zu halten. Arbeit findet sich zuhauf: der ältere Wake übergibt dem frisch angeheuerten Winslow viele der Tätigkeiten, während er einer Motte gleich um das magisch anmutende Licht des Leuchtturms schwirrt und sich ausschließlich um dieses kümmert. Letzterer beruft sich auf die Vorschriften, besteht auf das vorgeschriebene Abwechseln bei der Wache und anderen Beschäftigungen und bricht das Tor zur persönlichen Hölle beider so unterschiedlichen Menschen auf.

Der Wahnsinn ist nur eine schmale Brücke, die unter den Egos der Männer zusammenbricht. Ihre Charaktere prallen aneinander und zerschellen kontinuierlich an den scharfkantigen Felsen ihrer Persönlichkeiten, für die das kleine Eiland sinnbildlich zu stehen scheint. Einsamkeit, Tristesse, das alles durchdringende Dröhnen des Nebelhorns und der Maschinen, billiger Fusel und zwei komplett unterschiedliche Wesen greifen nach den Männern wie unsichtbare Klauen schwarzer Monstren, die in ihrem innersten wohnen. Im Wachzustand ereilen Ephraim Nachtmahre, Einbildung und Realität verschwimmen und die Vergangenheit rollt aus den hintersten Winkeln im Kopf des jungen Mannes zurück in die Gegenwart. Er und Thomas werden zu Duellisten, deren Waffen Worte, hemmungsloser Irrsinn und Destruktion sind. Der Horror in Robert Eggers zweitem Spielfilm Der Leuchtturm ist kein greifbares Abstrakt, dargestellt als Monstrum oder ähnlichem. Mehr ist es blanker Wahnsinn, der von der ersten Minute an eine unheilvolle Stimmung gebiert.

Mit der Essenz Lovecrafts im Geiste kreiert Eggers, der das Script zusammen mit seinem Bruder Max verfasste, einen Film, der schier explodiert und dessen Detonationswellen den Zuschauer mitreißt. In die Tiefe seiner beiden Figuren; Wake, der als alter Seebär die Farce eines Seemanns damaliger Zeit ist, vom Alkohol berauscht viel Seemannsgarn spinnt und seine Machtposition seinem Gehilfen gegenüber lustvoll ausspielt. Wake selbst ist ein anfangs wortkarger Eigenbrötler, distanziert zu seinem Kollegen, der widerwillig dessen Befehlen folge leistet und versucht, mit den offiziellen Vorschriften zu kontern. Das etwas nicht mit ihm stimmen mag, lässt sich schnell erahnen. Bis Eggers Winslow in ein anderes Licht rückt, lässt er seine beiden Schauspieler Willem Dafoe und Robert Pattinson, die beide auf Augenhöhe agieren und großartig ihre jeweiligen Figuren zum Leben erwecken, aufeinanderprallen wie Schiffe an steilen Klippen und Felsen, die ohne Leuchtfeuer eines titelgebenden Leuchtturms auf offener See navigieren müssen. Die Derbheit, mit der das alles geschieht, mag zuerst kurzzeitig irritieren.

Eggers orientierte sich hierbei an den Erzählungen von Herman Melville und Logbüchern echter Leuchtturmwärter; die Subtilität seines Vorgängerfilms The Witch (hier besprochen) sucht man vergeblich. Thematisch sind sich beide Filme nicht unähnlich: Eggers erschafft ein Szenario von Isolation, in dem sich Paranoia auf deren feuchten und ertragreichen Boden einem Schimmelpilz gleich schnell ausbreitet. Die Doppeldeutigkeiten, interpretationsreichen Momente, die man in The Witch findet, lässt Eggers in Der Leuchtturm zugunsten von emotionalen Eskalationen fallen und paart sie mit albtraumhaften Visionen. Der maritime Horror, der sich ebenfalls in Lovecrafts Werk wiederfindet, manifestiert sich in Meerjungfrauen, mit denen ekstatisch körperliche Liebe zelebriert wird oder Tentakeln, bei denen man entfernt an die großen alten Monstrositäten aus dem Cthulhu-Mythos denken könnte. Ohne jemals zu direkten Bezug darauf zu nehmen, tauchen innerhalb der charakterlichen Duelle zwischen den beiden Männern Sequenzen auf, die eine Brücke zu bekannten Symbolen aus dessen Werk schlagen. Mysteriös und alptraumhaft, ohne die beiden Figuren faul in einen fischigen Orkus voller Tentakelmonster zu schicken.

Eggers überlässt es dem Zuschauer und seiner Fantasie, dessen Interpretierung, ob auf der Insel andere, inhumane Mächte wirken oder die karge Beschaffenheit und die beengten Verhältnisse des Aufenthaltsorts die Psyche beider Männer angreift. Inszenierte er The Witch mehr handlungsgetrieben und kontrolliert, filmt sich der Amerikaner in einen Rausch, in den er den Zuschauer mitnimmt. Man könnte Der Leuchtturm mit Leichtigkeit überbordend, überfrachtet nennen; ein interpretationsreicher Film zwischen düsterer Folklore, prometheusscher Sage, psychologisch fein gezeichnetem Horrordrama und Lovecraft'schem Abstieg in stetigem Wahnsinn. Eggers legt in seiner Geschichte Fährten aus, die er den Zuschauer lesen lässt. Das gewählte Bildformat von 1,19:1, das schwarzweiße Bild, die detailversessene Ausstattung des Films lässt ihn wie ein Relikt aus vergangenen Jahrzehnten wirken, in das der Regisseur trostlose Ausweglosigkeit im beengten Handlungsort seiner Erzählung und karge Schönheit - wenn Dafoe und Pattinson in einer Einstellung für einen Moment nebeneinander still stehen wirkt dies wie eine uralte Fotografie aus dem letzten Jahrhundert, dass diese vergangene Zeit mit seiner Stimmung zurückzubringen vermag - mischt.

Als Zuschauer folgt man den beiden Männern in die Umnachtung, schlingert im Wahnwitz der Geschichte und schwankt auf deren lauten wogen. Mag Der Leuchtturm selbst nur ein Sinnbild für die innere Zerrissenheit einer der beiden Figuren stehen, hervorgerufen durch ein dunkles Geheimnis in deren Vergangenheit, so hat Robert Eggers nichts weiter als einen Geniestreich hingelegt. Der dröhnende Klang des Nebelhorns, die lauten Maschinentöne, der disonante Soundtrack; monochrome Bilder, mit Linsen aus den glorreichen Tagen eines Murnaus oder Langs gefilmt, die das Seelenleben der beiden dargestellten Männer nach außen tragen und das wenige Land um den Leuchtturm zu einer maritimen Hölle werden lässt; zwei Herren, die sich gegenseitig alles abverlangen, Machtverhältnisse ausloten, sich anschreien, schlagen, rangeln und um dann - plötzlich - eine ungeahnte Zärtlichkeit für wenige Sekunden zulassen und ihre Hassliebe aufs äußerste treiben. The Lighthouse beeindruckt auf allen Ebenen und hallt im Kopf nach wie das Geschrei der Möwen, die über die felsige Insel kreisen. Am Ende überlässt es Eggers einem, wie man die Geschichte sehen möchte und ob man dabei in das Licht der Erkenntnis blickt und seinen tiefschwarzen Kern wie das eigene Innere ergründet. Bis ich selbst meine eigene Sicht und Interpretation gefestigt habe, bleibt am Ende im sich lichtenden Nebel der Beurteilung ein Wort für den Film zurück: outstanding.
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Donnerstag, 28. November 2019

Das Gehirn

Seinen Kopf anstrengen, diesen zum Rauchen bringen, Gedanken kreisen lassen; das Gehirn benutzen. Cogito ergo sum. Die kognitiven Fähigkeiten unserer Spezies lassen uns damit selbst an die Spitze der Evolution stellen und obwohl jeder Mensch ab einem gewissen Alter diese Fähigkeit verschieden ausgeprägt nutzt, können Denker, intellektuell als überlegen angesehene Persönlichkeiten mit oder durch ihr Hinterfragen für einige Zeitgenossen als bedrohlich wahrgenommen werden. Macht über den Menschen und dessen Gedanken erlangen, gleich ob beispielsweise in despotisch regierten Staaten oder religiös/spirituell geprägten Sekten, stellt für deren Führer die ultimative Kontrolle über uns dar; Querdenker unerwünscht. Diese aus der grauen, gleichgeschalteten Masse herausstechenden roten Punkte und ihre Nutzung des Gehirns lässt diese zu den angeblichen Frieden bedrohenden Störenfrieden werden. Überspitzt formuliert erscheinen diese und ihr Denkapparat in den Augen dieser blendenden Lenker als monströse Erscheinungen.

Es verwundert nicht, dass im phantastischen Film schon häufiger sich selbstständig machende, eigenständig operierende Hirne als monströse Antagonisten herhalten durften. Im amerikanischen Science-Fiction- und Horror-Kino der 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, das nicht arm an paranoiden Motiven über Ängste vor fremden, invasiven Mächten und deren Versuch, den amerikanischen Traum und die Menschheit zu untergraben und auszuhöhlen ist, führte dies unter anderem zu Werken wie Die Augen des Satans. Die bösen Kommunisten, das Unbekannte was im nach und nach erschlossenen Weltall lauern könnte, Schattenseiten der weiter voranschreitenden Wissenschaft: die Furcht hatte viele Gesichter, was für Schöpfer kostengünstiger B-Streifen ein wunderbarer Nährboden dafür war, um das Kinopublikum mit ihren Visionen zu schocken. Monster, unsichtbare Feinde, Außerirdische und verrückte Wissenschaftler bestimmten den phantastischen Film dieser Tage.

Aus dieser Schnittmenge bedient sich auch Ed Hunts Das Gehirn und fügt dem Ganzen eine nicht gerade subversive Medienkritik über deren Macht, das Denken der Gesellschaft zu manipulieren und den in den 80ern in den USA groß im Kommen befindlichen TV-Gurus hinzu. Mittels seiner Sendung "Independent Thinking" versucht der Wissenschaftler Anthony Blakely mithilfe eines mutierten, extraterrestrischen Gehirns und seiner Fähigkeiten, seinen Zuschauern einer Gehirnwäsche zu unterziehen um somit die Kontrolle über deren Denken zu erlangen. Ihm dazwischen funkt der intelligente wie rüpelhafte Highschool-Chaot Jim Majelewski, dem nach einem weiteren Schulstreich bei dem er erwischt wurde, von seinem Direktor auferlegt wird, sich im Institut des Wissenschaftlers behandeln und läutern zu lassen. Bei Querdenker Jim funktioniert die Hirnwäsche nicht, einzig Halluzinationen machen ihm nach seinem Besuch in Blakelys Psychological Research Institute zu schaffen. Der Wissenschaftler kann den Fehlschlag nicht auf sich sitzen lassen und will Jim zurück in seinem Institut sehen. Seine Freundin Janet und sein bester Kumpel Willie versuchen dem Jungen zur Hilfe zu kommen und stehen ihm auch im zuerst ungleichen Kampf gegen Blakely und sein monströses Hirn zur Seite.

Die durchaus als hanebüchen zu bezeichnende Geschichte des Scripts wird ganz in Tradition der Vorbilder aus den 50ern mit notwendigem Ernst vorgetragen, nicht ohne hier und da eine Prise Humor einzuwerfen. Hauptfigur Jim wird als vager Feris Bueller-Verschnitt gezeichnet und sein Darsteller Tom Bresnahan gelingt es meist, genügend spitzbübischen Charme für seine Rolle abzurufen. Mit seinem Gegenspieler landete man mit David Gale einen kleinen Casting-Coup. Der durch Re-Animator bekannte und durch seine Rolle darin auch für Das Gehirn prädestinierte Mime darf als Dr. Blakely punkten, erreicht hier allerdings nicht die kongeniale Verrücktheit wie in Gordons Lovecraft-Adaption. Gale spielt zurückhaltender; die mit dieser Darstellung vermutlich beabsichtigte aalglatte Ausstrahlung der Figur möchte nicht immer zünden. Zumindest das Tempo stimmt; Ed Hunt pflügt regelrecht durch die Geschichte und kann durch die aufgenommene Geschwindigkeit zumindest halbwegs deren Leerlauf umkurven. Jims Kampf gegen Blakely und das herrlich krude dargestellte Monster-Gehirn, welches irgendwann im Film durch sein Wachstum sogar ein Gesicht erhält, tritt manchmal auf der Stelle.

Zu offensichtlich versucht Das Gehirn seine einzelnen Einfälle mit der Kreuzung durch Kritik an der manipulativen Kraft der Medien aufzupeppen und dem erzählten Schlock etwas mehr Seriosität zu schenken. Selten funktioniert das eindringlich; mehr kippt der Film in die Richtung des satirischen Horrorfilms, was weiter eher in seichten Fun-Splatter mündet. Richtig böse kann man den Schöpfern des Films nicht sein. Das Gehirn mag in einigen Momenten zu generisch erscheinen und sticht auch durch seinen dem geringen Budget geschuldeten, leider recht trist gehaltenen Look nicht weiter hervor wie einige andere damals diese Richtung beschreitenden Werke. Besäße er nicht größtenteils den spitzbübischen Charme seiner Hauptfigur, dem man seine Ausfälle eben so gerne verzeiht wie dieser und zum Schmunzeln einlädt. Da drückt man schon einmal ein Auge zu, wenn die Story auf der Stelle tritt oder das Finale regelrecht schlapp wirkt. Als dem B-Film der 50er nacheiferndes Werk geht Das Gehirn weitgehend in Ordnung.
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Freitag, 14. Juni 2019

S-VHS

Im Kern ähnelt S-VHS seinem Vorgänger V/H/S (hier besprochen) sehr: abgesehen von den für Episodenfilme meist üblichen, qualitativen Schwankungen bei den einzelnen Geschichten, erscheinen diese auch im Sequel manchmal als wildes drauflos gefilme ohne größeren Plan. Teils gar nicht so uninteressante Gedankenspiele entwickeln sich im Found Footage-Stil des Films zu nicht ausgearbeiteten, skizzierten Erzählungen. Verwackelte, gefilmte Treatments sozusagen. Dafür bleibt man dem ungeschriebenen Gesetz der Fortsetzungen treu und versucht, noch einen drauf zu setzten. Das negative voraus geschickt, funktionieren die unsauberen, nicht ausgestalteten Geschichten weniger gut als im ersten Teil. Bestes und traurigstes Beispiel ist die Entführung von Außerirdischen, welche die Pyjamaparty von einigen Kids sprengen. Der dortige Terror der extraterrestrischen Besucher ist eine chaotische und stressige Ansammlung an Geschrei, Übergriffen der Aliens und der Flucht vor diesen.

Jason Eiseners Beitrag ähnelt einem planlosen Amateur-Video, in dem alle als cool empfundenen Ideen hintereinander gereiht und ohne Rücksicht auf Verluste im Hardcore-Modus runtergenudelt wurden. Übersetzt man super aus dem Lateinischen, so bedeutet das Wort über. Der selbsternannte Auftrag der Macher und des Endprodukts, dem Zuschauer gesteigerten Horror im Vergleich zu Teil Eins und überdrehte Storys zu präsentieren, lässt auf den Titel des Films blickend eine Meta-Ebene entstehen. Höher, schneller, weiter. Weil ein Sequel sowas tun muss. Ironie bei Eiseners Episode: sie erinnert daran, wodurch das Format S-VHS am bekanntesten wurde: als ein bei Amateur- und semiprofessionellen Filmen beliebtes System. So stumpf wie deren Elaborate - gemessen am Output älterer Amateur-Filme aus hiesigen Gefilden - manchmal waren, überrascht es wenig, dass eine der spaßigsten Episoden uns eine via GoPro gefilmte Zombie-Apokalypse präsentiert, in die ein Fahrradfahrer hineinschlittert, von Untoten angefallen und letztendlich zu einem wird.

Der Zombie-Film aus der Ego-Perspektive nutzt die Einfachheit des Subgenres der Untotenfilme um gleichzeitig spannend und rasant die Verbreitung einer Zombieseuche zu zeigen. Hier nutzt S-VHS die um Authentizität bemühte Syntax der Found Footage-Stilistik fast perfekt. Weniger ist mehr: die minimalistische Geschichte ohne Schnörkel packt den Zuschauer besser als die beispielsweise mit einer guten Idee auskommenden erste Episode über ein implantiertes künstliches Auge mit Kamera, womit dessen Besitzer plötzlich tote Menschen wahrnehmen kann. Die heutzutage an Black Mirror erinnernde Idee bleibt interessant; die Ausarbeitung hingegen verkommt schnell zu generischem Geisterhorror zwischen The Sixth Sense 2.0 und stylischem Indie-Horror. Hier wie in der besten Episode über ein Kamerateam, welches über eine seltsame Weltuntergangs-Sekte eine Dokumentation drehen möchte wirkt S-VHS trotz seines Found Footage-Stils manchmal weniger wie zufällig oder gewollt mitgefilmtes Amateurmaterial, welches einem Horror bringen soll sondern mehr nach mit diesem Stil arbeitender Film.

Gegenschnitte aus zwei verschiedenen Videoquellen mögen zwar die Narration der Geschichte besser voran treiben, stehen der strengen Auslegung der gewählten Stilistik nach eher in Tradition von konventionell erzählen Filmen und sind kontraproduktiv, um die angebliche Echtheit des Materials wirken zu lassen. Man könnte S-VHS more of all als Untertitel andichten. Der Wille, mehr von allem zu bieten, lässt das Vergnügen im Gegensatz zum ebenfalls nicht perfekten, aber gesamt gesehen besseren Vorgänger schmälern. Die Geschichten um den Biker und die Sekten-Reportage können den qualitativ abfallenden Rest des Films nicht retten. Man bleibt der Charakteristik seines Produkts verglichen mit V/H/S treu. Die Rahmenhandlung um einen Detektiv und seiner Begleiterin, die auf der Suche nach einem vermissten Jugendlichen in ein verlassenes Haus auf eine Installation aus Fernsehgeräten und Videorekordern stößt, bleibt bis zum Ende sinnentleert und ein dürftiger Rahmen, der die einzelnen Episoden zusammenhält. Kruder als der Rahmen des Vorgängers und weiterhin aufgesetzt. Das letzte Flimmern der rollenden Endcredits hinterlässt einen trüben Gesamteindruck von mehr verspieltem Potenzial als im ersten Teil. Die sich versammelten Videorebellen scheitern mit ihrer Horrorrevolution und dem durchaus interessanten Konzept an den eigenen Überambitionen.
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Dienstag, 2. April 2019

Alita: Battle Angel

Noch regiert uns - trotz foranschreitend schneller Entwicklung und Digitalisierung - die Technik nicht zur Gänze. Die über den Globus verteilten Techlabore dringen mit ihren künstlichen Intelligenzen in neue Dimensionen vor, was die sprachgesteuerte Damen á la Alexa z. B. für den faulen Filmfan und bequemen Dauerkunden von Jeff Bezos' Milliarden-Unternehmen dutzendfach überholt erscheinen lässt. In dunklen, muffigen Kammern oder alternativ weiß durchfluteten Quasi-Influencer-Showrooms fragen sich derweil einige Männlein und Weiblein, ob Androiden von elektrischen Schafen träumen oder nicht. Derweil macht sich nicht nur die ganze Menschheit offensichtlich der Technik untertan. Darunter Robert Rodriguez, der es mit seinem neuesten Film schafft, dass Besprechungen seiner Filme durch die ständig wiederholenden Mängel seiner Werke beinahe obsolet werden.

Nach seiner Comic-Verfilmung Sin City (hier besprochen) muss nun ein Manga durch den Blockbuster-Drehwolf der Traumfabrik gequetscht werden. Der bereits 1991 erstveröffentlichte Comic wird durch die Feder James Camerons zu einer Quintessenz des über die Jahrzehnte gewachsenen Universums einer postapokalyptischen Welt, in der das Cyborgmädchen Alita von einem im  Standardschauspielprogramm durch den Film wandelnden Christoph Waltz in Frankenstein-Manier aus vom Schrottplatz aufgesammelten Teilen zusammengeschraubt und belebt wird. Vollkommen funktionstüchtig, nur der Erinnerung an die Vergangenheit beraubt, lernt das Alita getaufte Mädchen durch ihren "Vater" Dr. Ido die Welt kennen. Aufgeteilt ist diese in die durch den Großen Krieg einzige verbliebene Stadt auf dem Erdenrund selbst, Iron City, einem unruhigen, überkochenden Schmelztiegel und Salem, der letzten schwebenden Stadt, die den Privilegierten vorenthalten zu sein scheint.

Mehr die von James Cameron als (Mit-)Autor und Regisseur Rodriguez geschaffene Welt und ihre Details vermag den Zuschauer bei der Stange zu halten, als die Geschichte selbst. Das World Building präsentiert ausgiebig und mit viel Liebe zum Detail das dystopische Universum von Alita: Battle Angel mit seiner von Cyborgs und Menschen gleichermaßen bewohnten, randvoll gefüllten Stadt. Sie beherbergt die gutmütigen wie Dr. Ido, seine Assistentin, den mit verwegenen Bubi-Charme ausgestatteten Hugo und die unheimlichen, wie den Kopfgeld-Jägern, Hunter-Warriors genannt, welche teilweise offizielle Gesetzes-Vertreter sind, dieses manchmal um ihre eigenen Vorteile bedacht, verbiegen oder Vector, dem zwielichtigen Veranstalter von Events des angesagten Sports Motorball. Die in der Geschichte des Films vereinten ersten vier Bände des Mangas lassen einen umfassenden Blick auf das bunte wie düstere Treiben in der Metropole und der Welt Alitas zu. Merklich darauf ausgelegt, ein neues Franchise einzuführen, fühlt sich die filmische Origin-Story wie ein gehetztes abarbeiten verschiedener Meilensteine an.

Technisch beeindruckend, mit großen Aufwand betriebene CGI-Animationen für Hauptfigur Alita, für die Schauspielerin Rosa Salazar u. a. mit zwei Gesichtskameras aufgezeichnet wurde, um diese so lebendig wie möglich erscheinen zu lassen, lassen Cameron und Rodriguez ihrer Geschichte wenig Luft zum Atmen. Der Glaube an die Macht der Illusion, das Vertrauen auf die Technik, lässt das vermissen, was vielen Rodriguez-Filmen fehlt: Emotion und Seele. Propagiert die Heldin des Films, nachdem sie in Fragmenten ihrer Vergangenheit auf die Spur kommt, für ein Zusammenarbeiten von Mensch und Maschine bzw. Cyborgs mit einer emotionalen Ansprache im Treffpunkt der Hunter-Killer, macht sich der texanische Regisseur der Technik untertan, mehr noch: zum Sklaven. Waren seine früheren Werke von durchaus lässiger, umgarnender Coolness geprägt, ging dem späten Rodriguez in der Konzentration auf die Vorzüge des Offensichtlichen jegliche Emotionalität flöten.

Das bremst den sehr guten Sin City auf dem Weg zu einem modernen Meisterwerk aus und auch Alita: Battle Angel krankt daran. Die sorgsam herausgearbeiteten Einflüsse der Vorlage lassen den Film in seinem Storytelling austauschbar werden. Die erkennbaren Versatzstücke werden abgehakt wie es der Film in seiner Erzählstruktur mit den jeweiligen Milestones der Gesamtgeschichte macht. Bedauerlicherweise kann man auf potenzielle Sequels vergebens warten. Der eher als Flop eingestufte Kinofilm scheint langsam auch dem Blockbuster-Publikum die Augen zu öffnen, dass bis auf das interessante Drumherum Alita: Battle Angel an chronischem Blockbusterstandardismus leidet und wenig dafür tut, die interessante Vorlage adäquat umzusetzen. Robert Rodriguez sollte seinen Filmen mehr Seele schenken und weniger darauf vertrauen, dass die Technik das meiste schon macht. Ironischerweise ist in der Zeichnung der Figur Alitas am menschlichsten, während Figuren wie Ido und Vector sowie deren Darsteller Christoph Waltz und Mahershala Ali gnadenlos verschenkt werden. Da hätte viel mehr drin sein können.

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Samstag, 2. März 2019

Humongous

Verkorkst. Müsste man Humongous mit genau einem Wort beschreiben, würde dies auf einigen Ebenen den Film treffend bezeichnen. Gleichzeitig wäre es voreilig anzunehmen, dass in den folgenden Zeilen ein Verriss eines Werks folgt, welches allgemein eher schlechte Stimmen, maximal durchschnittliche Urteile, abbekommt. Bei vielem, was ihm vorgeworfen wird, kann ich sogar zustimmen. Einfallsreich geht anders, wandelt man doch zwischen frühem Slasher und seichten Mystery-Gefilden und schenkt allem eine ganz eigene Definition von Backwood-Setting. In diesem stolpert eine Gruppe austauschbarer Jugendlicher über die sogenannte Hundeinsel, auf welche diese sich nach einem Unfall mit ihrem Boot retten. Der überzeichnete wie gleichzeitig verkorkste Nick bekommt in einem Anfall aus Wut und Eifersucht auf seinen Superduper-Bruder Eric die Idee, während ihres kleinen Trips das Boot des Nachts wieder auf Kurs nach Hause zu bringen. Dem Disput mit Eric folgt eine Rangelei, mit unglücklicher Kettenreaktion aus Auflaufen auf einem Felsen, ausbrechenden Feuer und einer Explosion.

Zuvor erfuhren die jungen Leute vom gekenterten und von ihnen geretteten Bert vom geheimnisumwitterten Eiland, auf dem Ida Parsons mit ihrem Sohn und ihren Hunden zurückgezogen leben soll. Nach einem nicht näher bekannten schweren Schicksalsschlag soll sich die Frau auf die Insel zurückgezogen haben und wurde seitdem fast nicht mehr gesehen. Im Prolog des Films lernen wir Zuschauer, dass Idas Sohn aus einer intensiv wie böse gefilmten Vergewaltigung entstanden ist. Um schnelle Rettung bemüht, will sich ausgerechnet Nick durch den dichten Wald der Insel zum Anwesen Parsons durchschlagen. Als dieser nicht zurückkommt, machen sich Eric und seine Freundin Sandy ebenfalls auf dem Weg zum Haus in der Mitte der Insel um den verschollenen Bruder und Parsons Haus zu finden und entdecken dabei die Skelette der wilden Hunde und machen, den Regeln des Genres brav folgend, am Ziel angekommen Bekanntschaft mit dem augenscheinlich schlecht gelaunten und mörderisch veranlagten letzten Bewohner der Insel.

War das von Humongous zum größten Teil bediente Slasher-Genre 1982 auf seinem ersten Höhepunkt angekommen, scheinen die Macher für ihren Film dessen Grundgerüste einzig dafür zu nutzen, eilig zusammenkonstruierte Spannungsszenen aneinander zu leimen ohne großes Gespür für die Story zu haben. Regisseur Paul Lynch beschränkt sich darauf, die Geschichte im Minimalprinzip ihrem Ende entgegen zu bringen. Er ist weiter nichts als der Zivi, welcher dem fragilen, weil dünn zusammengehaltenen, damals wohl als alt(backen) wahrgenommenen Konstrukt an Genre-Fragmenten in reiner Arbeitsroutine feststeckend zum Ende hilft. Mehr hätte Lynch nicht aus dem Stoff herausholen können, dessen konservative Auslegung von Horror und Spannung so vorhersehbar ist, dass der Film zum größten Teil unspektakulär vor sich hin plätschert. Wäre da nicht - zumindest für mich - dieses kleine aber, was mich den Film mögen lässt. Manchmal gibt es diese ereignislosen, in ihrer Tiefe leeren Filme, in denen ich mich aus den verschiedensten Gründen verlieren kann.

Transportiert durch eine melancholische Stimmung des Verfalls, durchzieht diese Leere Humongous und macht ihn zu einem objektiv langweiligen Film, dessen Atmosphäre einen betörenden Duft süßer Schwermut verströmt. Verspricht der Anfang durch die im Off stattfindende, mit subjektivem Shot auf den Täter bedrohlich intim und brutal eingefangene Vergewaltigung und dem von getragenen Jazz-Klängen und vergilbten Fotografien geprägten Vorspann einen ansprechenden Film. Gebrochen wird es direkt im Anschluss an diesen mit Figuren, die wenig Empathie beim Zuschauer aufkommen lassen, die bis auf wenige Ausnahmen unsympathisch gezeichnet sind und einer Handlung, deren Bestandteile man woanders schon ansprechender gesehen hat. Dann sind da aber diese Bilder, die Kameraarbeit beschert dazu ein paar hübsche Einstellungen, die vom Verfall durchzogen grob eine ähnliche Stimmung erzeugen wie im von mir sehr geschätzten Dead & Buried. Im Vergleich mit diesem fehlt es Humongous an feinerer Ausarbeitung.

Die grobschlächtige Art und manchmal fehlende Feinfühligkeit ist eine Eigenschaft des B-Horror-Kinos, das in seiner Nutzung einfachster Mittel zur Erzeugung von Effektivität seit jeher einen Reiz auf mich ausübt. Gebremst wird dies in den als entscheidend deklarierten Szenen des Films durch seine viel zu dunklen Nacht-Szenen. Der Day-For-Night-Filter (einige dieser im Trailer vorkommenden Szenen, z. B. Nicks Flucht durch den Wald, spielen darin bei hellichtem Tag) ist leider eine ganze Spur zu dunkel geraten. Der Wechsel auf die Tagszenen kommt da richtig einer Wohltat gleich und erinnert weniger an das schauen eines x-fach kopierten Videotapes. Bei Humongous ist es äußerst bedauerlich, dass man es sich hier zu einfach machte. An Obskuritäten (Stichwort: Blaubeer-Dekolleté), gorigen Schauwerten, richtige Entscheidungen für die Handlung (selbst wenn man schnell erahnt, wer auf der Insel für Tod und Verderben sorgt, wird der Killer erst im Finale richtig vor der Kamera präsent) um alles wenigstens irgendwie aufzuwerten oder den Zuschauer bei der Stange zu halten, bietet er zu wenig. Wäre da subjektiv wahrgenommen nicht diese modrig hübsche Stimmung von der ich mich gerne einlullen ließ. Christian Keßlers Urteil über Matteis The Riffs 3 - Die Ratten von Manhattan, dass dieser "geil langweilig" ist, ist ebenso gut auf Humongous anzuwenden. Steigernd lässt sich über den Film urteilen, dass er bei allen negativen Punkten geil verkorkst ist. In den kommenden Jahren lasse ich mich sicherlich gerne immer mal wieder mit einer modrig umschmeichelnden Böe aus Langeweile an den Strand der Hundeinsel treiben.
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Mittwoch, 20. Februar 2019

Let Her Out

Eigentlich haut die kanadische Indie-Produktion Let Her Out voll auf die psychologische Kacke: VTS (Vanishing Twin-Syndrome), die damit verbundenen Folgen für die Betroffenen sowie dissoziative Persönlichkeitsstörungen und das Foetus in foetu-Phänomen wirft der Film munter zusammen mit Elementen des Psycho- und Bodyhorrors. Böse Zwillinge oder abgespaltene Persönlichkeiten als Manifestation der schwarzen, dunklen Seite des Menschen sind in der Phantastik seit Robert Louis Stevensons "Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde" ein gefälliges Sujet für ebenso gefällige Geschichten. Der seltsame Fall von Protagonistin Helen beginnt für diese laut Intro des Films schon im Mutterleib. In einer beinahe argentoesk ausgeleuchteten Szene verschafft sich ein in schwarz gehüllter Mann Zutritt in das Motel-Zimmer einer jungen, sich als Prostituierte verdingende Frau und vergewaltigt diese. Die daraus resultierende Schwangerschaft lässt die Frau zu einer Verzweiflungstat hinreißen: mit einer Schere sticht sie auf sich ein; die Mutter stirbt, das Kind überlebt.

Dreiundzwanzig Jahre später sehen wir dieses erwachsen: der Film bringt uns Helen in ihrem Job als Fahrradkurier näher. Ein Unfall ist der Auslöser für wiederkehrende Halluzinationen und Blackouts, nach denen Helen regelmäßig an anderen Orten aufwacht. Nach einem MRT wird festgestellt, dass die junge Frau bereits im Mutterleib ihre Zwillingsschwester absorbiert zu haben scheint. Vollkommen unlustig auf das anscheinend zu langweilige Leben Helens versucht dieser Zwilling, die Kontrolle über Helen zu erlangen. Wieso die Manifestation der bösen Zwillings-Helen wie eines der vielen, langhaarigen Geistermädchen aus Ringu, Ju-On und Co. dargestellt werden muss, bleibt eine offene Frage an die Filmemacher und eine unpassende Erscheinung. Let Her Out bezieht seine Stärken mehr aus der psychischen Darstellung seiner Hauptfigur und ihrem Leiden, mit der neuen Situation um ihren Zwilling und den gleichzeitigen Aussetzern zurecht zu kommen.

Vorhandene soziale Kontakte, gute Freunde lassen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Helen eine ständig präsente Einsamkeit umgibt. Die Mutter tot. Die Zwillingsschwester ging im eigenen Körper auf. Lost alone and feeling incomplete. Let Her Out nähert sich der orientierungslosen Twentysomething-Dame in meist stylishen Bildern langsam an, möchte scheinbar mit seiner Protagonistin, stellvertretend für deren ganze Situation, die Sinnsuche körperlich äußerst schmerzhaft erfahren lassen. Der Weg zum Innersten, zur ganzen Persönlichkeit, inklusive dunkler Seiten wird zum Body-Horror der Marke Cronenberg Light. Im Inneren kämpft sich ihr Zwilling, stellvertretend für die negativen Seiten einer Persönlichkeit, ans Licht, was auch Helens Körper in Form von Hämatomen, Ausschlägen und anderen Hautveränderungen wiedergibt. Der Kampf um den Körper, um die gewinnende Persönlichkeit, steigert sich, bis Helen im anstehenden Finale dem Filmtitel nach wortwörtlich sie herauslässt.

Dargestellt mit günstigen wie gleichzeitig effektiven Bluteffekten wird das mal richtig aus sich heraus gehen, die Inkontrollnahme des Bösen über Helen, drastisch bebildert. Die dramatische Zuspitzung im Finale verpufft leider etwas, weil das Drehbuch an einigen Stellen auf der Stelle tritt. Bei aller bemühter Charakterzeichnung schafft es dieses nicht, tiefer in seine Hauptfigur vorzudringen. Lieber versucht man sich darin, den persönlichen Mindfuck Helens auf den Zuschauer zu übertragen und die Handlung in Richtung Psychohorror zu lenken. Die von den Machern gewünschte Wirkung des Finales verpufft. Die zur Verfügung stehenden Ressourcen in der Ausgestaltung oder Ausformulierung des im Film brodelnden Potenzials werden zugunsten gängiger Regeln des Horrorgenres aufgegeben. Das lässt Let Her Out eine ganze Menge verlieren, rennt das Drehbuch hier schnurstracks in die Abteilung der Küchenpsychologie. Das ist erwartbar, wenig überraschend, wenn in der beibehaltenen Drastik bis zu einem Punkt packend, allerdings nicht schockierend. Let Her Out hätte ruhig noch etwas tiefer schürfen dürfen, um den Zuschauer richtig mitzunehmen.

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Sonntag, 23. Dezember 2018

Summer of 84

Sommer. Ferien. Abenteuerzeit. Das Geheimnis dieses einen Sommers, der so magisch Erwachsenen im Gedächtnis nachhallt, mag durch die voranschreitende Zeit und winziger Details, die so vergessen werden, im Verborgenen bleiben. Die Essenz der Erlebnisse bleibt haften. Mag es der erste Kuss mit der ersten Freundin, das langsame entdecken der Freuden körperlicher Liebe, oder einfach nur Episoden guter Zeiten mit den besten Kumpanen sein. Dieser eine Sommer bleibt im Kopf haften. Buchautoren und Filmemacher schenken ihren heranwachsenden Protagonisten zudem tragische oder gleich mörderisch gefährliche Abenteuer; einen kompletten Umbruch im Leben ihrer Figuren, der alles vorherige nicht mehr so erscheinen lässt, wie es einmal war. Nicht erst seit dem Netflix-Serien-Hit Stranger Things geht diese Formel für Regisseure und Autoren auf und beschert zeitgleich einen immensen Erfolg. Schon Stephen King sorgte in den 80ern mit Büchen und deren Verfilmungen wie Es oder Stand By Me für zeitlose wie erfolgreiche Geschichten, die auf dieser Formel beruhen.

Bereits ein Jahr vor dem für die Renaissance der x-ten 80er-Nostalgie-Welle im Film sorgenden Hype um Stranger Things schuf das frankokanadische Regie-Trio RKSS mit Turbo Kid einen schrägen wie herrlichen Mix aus dystopischer (Splatter-)Action sowie Jugendabenteuer á la Die BMX-Bande. So krude wie der Vorgängerfilm, dort auch teils vom limitierten Budget herrührend, tritt Summer of 84 nicht in Erscheinung. Anouk und Yoan-Karl Whissell sowie Francois Simard scheinen eher bemüht, sich am großen Vorbild des Streaming-Giganten, der in seiner akribischen Reproduktion der 80er im Auftreten und erzählerisch selbst (zugegen effektiv wie charmant) bemüht ist, Spielberg'schen und King'schen Geschichten in ihrer Art nachzueifern, zu orientieren. Davey, Eats, Woody und Curtis befinden sich gleichzeitig in den letzten kindlichen Tagen und knietief in der Pubertät. Nach abendlichem Fangen-Spiel verwandelt sich Eats Baumhaus zur gemeinsamen Mancave, in der von Erlebnissen mit dem weiblichen Geschlecht berichtet wird oder man sich zumindest wünscht, mit einer hübschen Dame intim zu werden.

Bis Davey den Verdacht schöpft, dass sein Nachbar Wayne Mackey, ein in der kleinen Ortschaft angesehener Polizist, etwas mit dem regelmäßigen Verschwinden von Kindern und Jugendlichen im Umland zu tun hat. Er erkennt auf dem Vermisstenbild auf einer Milchtüte einen Jungen, der er einige Abende zuvor beim Fangen-Spiel von seinem Versteck aus in der Küche Mackeys sitzen sah, wieder. Während die Eltern Daveys ihrem Jungen und seinen abenteuerlichen Theorien keinen Glauben schenken, kann er seine Freunde davon überzeugen, Mackey zu beschatten und Beweise zu sammeln. Zwischen den irgendwann erschöpfend wirkenden pubertären Sprüchen und Witzchen der Freunde und der ausgedehnten Einführung der Figuren blitzt beinahe unbemerkt die Finesse von RKSS auf, dass sie in den seichten Jugend-Sommerfilm-Plot eine Hitchcock'sche Thriller-Geschichte einweben. Einleuchtend wie simpel erzählt Davey im Voice Over zu Beginn des Film davon, dass auch Serienmörder die Nachbarn von jemandem sind. Zwar beobachtet der Junge anders als James Stewart in Das Fenster zum Hof keinen Mord, doch RKSS gelingt es, in Summer of 84 parallel zwei eng miteinander verwobene Stories zu erzählen.

Während die Jungs in ihrem Geifern nach weiblichem Fleisch einerseits schnell nervig sein können, der Film allerdings trotzdem mit hübschem 80s-Vibe gefällt und eine tolle Atmosphäre aufbauen kann und durch die Zeichnung von Normalo-Davey überzeugt, entwickelt sich gleichzeitig um seinen Verdacht, dass Polizist Mackey ein Serienmörder sein könnte, ein netter Paranoia-Thriller. Dessen Darsteller Rich Sommer ist eine passende Wahl für einen freundlichen, ehrbaren Nachbarn dessen unspektakuläres Auftreten und markantes Gesicht gleichzeitig auch den Zuschauer auf Daveys Seite zieht und ihn verdächtigt, das irgendwas nicht mit ihm stimmt. Ohne in die Gefilde von Lynchs Blue Velvet oder Twin Peaks zu steigen, zeigt Summer of 84 das bekannte Bild der augenscheinlich perfekten Vorstadtsiedlung, hinter deren Fassaden das unaussprechliche geschieht. Die Macher zielen auf die Faszination des Bösen, welches in unseren Mitmenschen lauern kann, wovon u. a. True Crime-Publikationen, -Dokumentation etc. zehren. Selbst unbekanntere Monster, die keine weltweite Berühmtheit wie z. B. Jeffrey Dahmer, David Berkowitz oder Ted Bundy erlangten, waren, wie diese, Nachbarn.

Augenscheinlich normale Menschen, deren Auftritt in der Öffentlichkeit - hier im begrenzten Kosmos des Films - zuerst keinen Verdacht schöpfen lässt, dass mit ihnen nichts stimmt. Summer of 84 spielt mit der Frage, wie normal Normalität sein kann, ohne auffällig zu werden und ob man seine unmittelbaren Nachbarn, mit denen man vielleicht ein oberflächliches, gutes oder sogar freundschaftliches Verhältnis hat, so gut kennt, wie man annimmt. Die Regisseure kombinieren das mit der Fantasie und Einbildungskraft, die Kindern innewohnt. Der schwarze Mann, das Monster unter dem Bett: manchmal entpuppen sie sich doch nur als Schatten unscheinbarer Dinge im Dunkel des Zimmers. Als Thriller mag der Film spät zünden, überzeugt dafür im stetigen Wechsel der Positition des Zuschauers zu Daveys Verdacht. Die Perspektive der Kids lässt ihn schnell zum Täter werden, bevor der Film schnell in die Sicht der Erwachsenen wechselt und manches als vorschnelle Meinung abtut. Das Drehbuch gestaltet dies abwechslungsreich, obwohl die Autoren generische Thrillerformeln bedienen, um ihre Handlung in diesem Bereich vorantreiben. Das man am Ball bleibt, ist den Figuren zu verdanken.

Die Scriptautoren Matt Leslie und Stephen J. Smith bedienen sich großzügig im Fundus ihrer Vorbilder und präsentieren eine Konstellation von Charakteren, wie sie aus anderen 80er-Filmen mit jugendlichen Hauptfiguren bekannt sind. Deren Darsteller schenken diesen Leben und eine Persönlichkeit. Mit viel Charme und dem bis auf kleine Ausnahmen gekonnten Auflebens des Kult-Jahrzehnts bedient Summer of 84 all' die Nostalgiker, welche bei den kleinsten Anzeichen der glory 80s mit seligem Lächeln am Bildschirm kleben. Man schenkt den Autoren und den Regisseuren das Vertrauen, dass man ein tolles wie spannendes Abenteuer aus längst vergangenen Zeiten erlebt, nach dessen Ende man in die Gegenwart zurückkehrt und in den letzten Böen der angeflogenen Nostalgia verweilt. Schenkten allein die großen Vorbilder, an denen sich die Werke der aktuellen Retro-Welle orientieren, am Ende jenen Feel Good-Moment, dem man mit jenen Filmen wieder aufleben lassen möchte. Die vergangenen Sommer der alten Werke lassen positive Erinnerungen zurück; Happy Ends nach aufregenden Wochen und der Vorstellung im Kopf des Zuschauers, dass der nächste Sommer für die liebgewonnenen Charaktere vielleicht wieder ein großes Abenteuer bereit hält.

RKSS und ihre Scriptautoren reißen derweil dem Fan die Nostalgie-Brille brutal von der Nase, wenn Summer of 84 ohne große Vorzeichen den Ton verschärft. Bitterer Ernst und schonungslose Brutalität regieren, die Atmosphäre verdüstert sich mit dem Anflug schwarzer Wolken, welche die sonnige Grundstimmung trotz des Serienmörder-Sujets komplett verdeckt. Mit dem depressiven Ende lässt der Film den Zuschauer alleine im Dunkel des Raums zurück. Die simple Aussage von Davey, die gleichzeitig effektiv einen Teil des ganzen Films zusammenfasst, dass auch Serienkiller die Nachbarn von jemandem sind, wird nochmal wiederholt und hallt nach. Vielleicht trug der radikale Bruch gegen Ende dazu bei, dass Summer of 84 einen kleinen Hype erhielt. Ohne diesen wäre der Film ein durchaus spannender wie sympathischer Vertreter all' dieser Filme, die uns Vorgaukeln wollen, aus einem anderen Jahrzehnt zu stammen. Durch den Mut der Macher, nicht gänzlich den Wegen der damaligen Werke zu folgen, erhebt er sich ohne großkotziges Auftreten zum ultimativen 80er-Retro-Film. Nach Summer of 84 sollte eigentlich nichts mehr kommen, was erneut, schon wieder, noch einmal von vorn die 80er aufleben lässt und sich so gibt, als wäre er via Zeitreise in unsere Gegenwart geschleudert worden. Nie fühlte sich dazu der Coming-of-Age-Teil dieser Filme so niederschmetternd wie düster an. Es gibt eben auch diese Sommer in denen das Kind sein endet. Selbst wenn es noch etliche Jahre dauert, bis man tatsächlich nicht mehr als Kind (oder Jugendlicher) bezeichnet wird und diesem Status entwachsen ist. Summer of 84 ist dabei keine weitere Jubelarie auf dieses von vielen geliebte, von vielen auch gehasste Jahrzehnt und seine Filme. Es nutzt dessen Vibe, um gleichzeitig eine verhaltene (weitere) Hommage an diese zu sein und zeigt dem aktuellen Trend gleichzeitig den Mittelfinger: er glorifiziert eine Zeit, in der wahrlich nicht alles schlecht war, die viel Kult gewordene Dinge in die Popkultur brachte, aber manchmal auch zu viel glorifiziert wird. Das muss man auch als ausgemachter Retro- und 80er-Fan zu denen ich mich selbst zähle, einziehen. Hut ab vor diesem Film!
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Samstag, 17. November 2018

Pyewacket

Pyewacket ist ein Film des Schleichens. Selten wird der zweite Langfilm des Kanadiers Adam MacDonald, der bisher häufiger als Schauspieler in Fernsehproduktionen denn als Regisseur in Erscheinung trat, richtig laut. Im okkult gefärbten Kosmos des Films sind die dort anwesenden Dämonen (meist) gesichtslose, tief in der Dunkelheit lauernde Schatten. Titelgebendes Wesen Pyewacket wächst zu einer omnipräsenten Bedrohung, zugleich überall und nirgendwo und immer verwachsen mit Protagonistin Leah. Der von dem Mädchen aus Frust und Wut gerufene Dämon soll einen im pubertären Wutaffekt herausgeschleuderten Wunsch in die Tat umsetzen: Leahs Mutter soll sterben. Ein Resultat aus Missverständnissen und unüberbrückbar erscheinenden Differenzen zwischen der Jugendlichen und ihrer Mutter, die trotz ihres kleinen, engen Familienverbunds einsam erscheinen.

Der Tod des Mannes bzw. Vaters riss sichtlich ein großes Loch in die Seelen der beiden Frauen. Während sich die Mutter im stillen Kämmerlein tränenversunken mit Hochprozentigem betäubt, flüchtet sich Leah in die Arme alternativer Subkulturen. Ihre Gothic-/Metal-Freunde geben ihr halt in schweren Stunden und mit Aaron ist da ein erster, leichter Schwarm, der in den gemeinsamen Szenen die Unsicherheit Leahs offenbart. Verloren, alleingelassen in der Trauer schöpft sie Kraft mit nach außen gestülptem Seelenleben, dass sie die Subkultur ihrer Freunde ausleben lässt. Das einst brav und unschuldige Mädchen entwickelt Interesse am Okkulten, liest Bücher darüber und besucht Lesungen ihres Lieblingsautoren. In ihrer sozialen Blase fühlt sie sich sicher; die Mutter bringt sie mit dem Plan eines Neuanfangs, sprich eines Umzugs, zum Platzen. Die angestaute Teenage Angst birst vor Angst, Enttäuschung, Trauer und Wut.

Trotz des Kompromiss, dass Leah die alte Schule weiter besuchen kann, spitzt sich die angespannte Situation zu. Nach einem weiteren von vielen Streits kommt es zur schicksalhaften Kurzschlussreaktion und das Mädchen beschwört Mittels eines Rituals im das neue Heim umschließenden Wald eine alte, bösartige Kraft. Bis auf wenige Ausnahmen lässt MacDonald, gleichzeitig Autor des Scripts, diese immateriell. Eher tritt sie als atmosphärisches Stimmungsmittel für den Filmemacher und listig boshafter Geist für Leah auf. Sein Schabernack wirkt für den Freund des düsteren Unterhaltungsfilms altbacken: nur sie selbst scheint dessen Treiben wahrzunehmen, seltsame Geräusche auf dem Dachboden zu hören oder das Gefühl zu haben, verfolgt zu werden. Dazu manifestiert sich der Dämon im Zimmer Leahs, als diese längst dem Schlaf erlegen ist um drohend über ihr zu wachen. Die direkte Begegnung folgt im im Vergleich mit dem bisherigen Ton des Films hektischen Finale.

Dort angelangt, ist für uns als Zuschauer längst nicht mehr klar, was Realität oder Einbildung Leahs ist. Pyewacket ist psychologischer Horror, eine Dämon gewordene Psychose eines in ihrer Trauer umherirrenden, stumm nach Hilfe schreienden Mädchens. Die vom Drehbuch gestiftete Verwirrung lässt ratlos zurück, unentschlossen, ob offensichtliche Logikfehler in Beziehung mit MacDonalds Absicht den Eindruck schmälern. Der Kanadier beherrscht von ihm leise angeschlagenen Töne; als Mutter-Tochter-Drama wäre Pyewacket feinstes Indiekino. Den Beginn von Leahs Reise in die vermeintlich dämonische oder doch innere Dunkelheit gestaltet sich indes einfallslos. Das Spiel mit Wahrnehmung, geisterhafte Schatten, mysteriöses Gepolter stehen im Gegensatz zu gut gespielter, in den besten Momenten bodenständig authentische, fühlbare Tragödie um den Verlust des geliebten Ehemanns und Vaters. Ganz gleich, ob Pyewacket im Film ein tatsächlich übersinnliches Wesen ist: als Verkörperung aller negativen Gedanken und Gefühle in der Protagonistin existiert er. Sein endgültiger Ausbruch, die komplette Besitzergreifung von Leahs Körper und Geist, ist schockierend und erinnert an eine ähnliche Szene im famosen Eden Lake.

MacDonalds Ansatz, Horror und Drama zu verschmelzen und den realen Schrecken des Coming of Age zu einer übernatürlichen Metapher werden zu lassen, vermag nicht komplett auf die Seite des Regisseurs zu ziehen. Den guten Absichten fehlt es an Kraft in der Umsetzung, obwohl Pyewacket seine Geschichte angenehm zurückgenommen erzählt. Das erzeugt zugleich eine Distanz zum Zuschauer, die bei allen guten mimischen Momenten auf der Leinwand von Nicole Muñoz und Laurie Holden nie richtig verschwindet. Diese Schranke verwehrt Pyewacket, im Rotten Tomatoes-Ranking der besten Horrorfilme des Jahres immerhin auf Platz 9, das er den Zuschauer gänzlich mit seinem Wesen gefangen nimmt. Aber es kann nicht alles so interpretationsreich und gleichzeitig packend sein wie It Follows. Gut war das Erlebnis mit MacDonalds Film trotzdem.
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Freitag, 5. Oktober 2018

Horrorctober 2018: The Heretics (2/13)

Die zweite Runde des 2018'er Horrorctobers beschert mir mit The Heretics einen Film, der irgendwann mit jeder fortschreitenden Minute sein durchaus vorhandenes Potenzial verschenkt. Interessant ist hierbei, dass die Qualitätskurve nicht rapide abstürzt, sondern wie auf einer kurvigen Bergstraße ins Schlingern gerät, sich auf der Strecke halten kann, aber immer gefährlich nahe am Abgrund entlang verläuft. Regisseur Chad Archibald verliert im weiteren Verlauf die Kontrolle; The Heretics rauscht frontal über die Strecke und selbst wenn die Mängel von einem Totalschaden entfernt sind, ist das Endergebnis ernüchternd mäßig. Sein Beginn verspricht solide Okkulthorror-Kost und nimmt sich angenehm Zeit um seine Figuren einzuführen. Im Zentrum der Geschichte steht Gloria, welche vor Jahren von einer Gruppe Satanisten entführt wurde. Nach einem blutigen Ritual, welches in Massensuizid endete, entkam die junge Frau und leidet seitdem an Alpträumen.

Diese werden wieder real, als sie nach einem Besuch bei ihrer Freundin Joan, welche sie bei ihren regelmäßig stattfindenden Therapiegruppensitzungen kennenlernte, erneut entführt wird. Gloria gelingt es, ihrem Kidnapper ihr entwendendes Handy zu entreißen und einen panischen Hilferuf auf den Anrufbeantworter ihrer Mutter zu sprechen. Ihre Freundin Joan organisiert in halb hysterischem Zustand auf eigene Faust einen Suchtrupp, während Gloria von ihrem Entführer in einer kleinen Berghütte festgehalten wird. Dort offenbart sich dieser ihr als Überlebender des damaligen Massakers und das er sie vor den Brüdern und Schwestern des Kults schützen will, da durch das Ritual ein Dämon in sie gefahren sei. Das entpuppt sich über erste Strecken mehr als Thriller, denn als Horror, der in kleinen Dosen in die Story integriert wird. The Heretics spielt dabei mit der Wahrnehmung seiner Figuren und des Zuschauers, lässt den besagten Dämonen bedrohlich im Dunkel der Hütte für wenige Sekunden auftauchen und genau so schnell wieder verschwinden.

Leider geht der Film den weniger subtilen Weg und konzentriert sich nicht auf die aufkommende Frage, ob es sich dabei um kollektive Wahnvorstellungen von Gloria und ihrem Entführer sind. Um den nach Effekten gierenden, einfachen Genrefan zu befriedigen, entschließt man sich, Gloria nach und nach äußerlich torturreich zu etwas dämonischen transformieren zu lassen. Dieser an Bodyhorror heranreichende Schritt kulminiert in einigen ekligen Effektszenen, raubt der Geschichte aber gleichzeitig die gering vorhandene Doppelbödigkeit. Der Subplot um die immer stärker emotional entgleisende Joan, die durch die Entführung ihrer Freundin den Verstand zu verlieren scheint, wird erst durch den späteren Twist mit der Hauptstory verbunden und fühlt sich vorher als seltsamer Fremdkörper im Storygefüge an. Ist die Katze einmal aus dem Sack, wird The Heretics aller aufkommenden Stärken nahezu beraubt. Es bleibt ein Horrorthriller, der mit geringer Spannung, dafür straightem Weg Richtung Finale einen maximal okayen Gesamteindruck hinterlässt.

Den Machern des Films scheint das Potenzial der Geschichte, daraus einen subtil arbeitenden, okkult gefärbten Horrorthriller über die wahnhafte Macht des Glaubens entgangen zu sein. Die durchaus dichte und hübsche Atmosphäre, verstärkt durch die ansehnliche Ausleuchtung während der Szenen in der Hütte, wäre ein idealer Nährboden für eine solche Art von Film gewesen. Der eingeschlagene Weg ist durchaus goutierbar, lässt allerdings die vergebenen Chancen der Story nach Ende des Films lange nachhallen. Lieber setzt man noch einen drauf und präsentiert in der letzten Einstellung einen derart dummen Einfall, der zwar nicht alles, aber einiges zuvor aufgebautes, zunichte macht. Auch wenn er vorhersehbar ist, setzt er allem die Krone auf und lässt das aufgebaute Ansehen von The Heretics beim Zuschauer sinken. Eben weil man zuvor behutsam, langsam an die eigene Geschichte herangegangen ist, zwar keine gut gezeichneten, aber bemüht charakterisierten Hauptfiguren präsentiert und Pfade für einen im Subtext mitnichten gut gefüllten, aber leicht cleveren Film geebnet hat. Im Endeffekt hat man als Zuschauer durch weniger gute Entscheidungen der Macher, lieber auf Nummer sicher gehen zu wollen, einen durchschnittlichen Mix aus Okkult- und Bodyhorror.
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Samstag, 18. August 2018

Ghostland

Pascal Laugier hat ein Problem. Ob bewusst oder unbewusst, misst man seine neuesten Werke bis zu einem gewissen Punkt immer an seinem Opus Magnus Martyrs. Mit The Tall Man (hier besprochen) schien er bewusst einen anderen Weg einzuschlagen und gab dort leichte Töne von sich. Mit seinem neuesten Film bringt er den Terror zurück in sein Schaffen. In Ghostland konfrontiert der Franzose die alleinerziehende Mutter Pauline und deren Töchter Vera und Beth nach ihrer Ankunft im neuen Heim, dem Haus von Paulines verstorbener Tante, mit den Insassen eines schäbigen Eistrucks. Kaum dort angekommen, leuchten die Scheinwerfer des Trucks fahl und bedrohlich aus der Dunkelheit. Seine Insassen, ein hagerer Transsexueller und sein breitkreuziger, geistig zurückgebliebener Partner, brechen unbemerkt in das alte Haus ein und überwältigen die drei Frauen. Es folgt eine Nacht voller Terror und Folter. Wie von Laugier fast gewohnt, folgt ein harter Schnitt und ein Sprung in eine andere Zeit. Beth, seit ihrem Teenageralter eine glühende Verehrerin von H. P. Lovecraft, hat es von der unsicheren, schüchternen Jugendlichen, die für sich selbst Kurzgeschichten verfasste, zu einer erfolgreichen Horrorromanautorin geschafft.

Zuerst wird Beth von Alpträumen über die damalige Schreckensnacht geplagt, bevor sie ein verstörender Anruf ihrer Schwester Vera erreicht. Die alarmierte junge Frau lässt den Gatten und ihren Sohn zurück und reißt zu ihrer Familie, die immer noch im gleichen Haus lebt. Kaum dort angekommen haben Beth und ihre Mutter große Probleme, die vollkommen traumatisierte Vera, die zurückgezogen im Keller des Hauses lebt, unter Kontrolle zu halten. Ihre Panikattacken werden länger und schlimmer und bald steigt bei Beth der Verdacht, dass etwas aus der damaligen Nacht in irgendeiner Weise wiederkehrt. Schnörkellos, ohne große Umschweife und auf maximale Durchschlagkraft bedacht, baut Laugier Ghostland auf. Zügig führt er seine drei Hauptpersonen ein um genau so schnell die Konfrontation mit den Antagonisten zu erwirken. Nahezu brachial explodiert die über die Protagonisten hereinbrechende Gewalt. Schnelle Schnitte, extreme Nahaufnahmen. Man wird förmlich in diese Horrornacht mit hineingerissen. Die gewollte Wirkung erzielt Laugier so plötzlich, wie das psychopathische Pärchen auftaucht, um dann einfach die Stimmung herumzureißen.

Pascal Laugier hat ein weiteres Problem. Ihm gehen die Ideen aus. Es fehlt dem Franzosen an Inspiration. Der zeitliche Sprung bringt als erstes einen Starken Bruch in der Atmosphäre; als zweites entpuppt sich der Handlungsbogen um die traumatisierte Vera als unentschlossenes Pendeln zwischen verkappten Besessenheitshorror und Psychothriller. Die vom Regisseur ausgelegte Fährte, ob das im Haus erlebte nun Einbildung ist oder nicht, sein hinarbeiten auf die eintretende Wendung und diese selbst ist - nicht nur für geübte Genrefreunde - leider sehr offensichtlich ausgelegt. Es nimmt Ghostland einen Großteil seiner Spannung. Einzig die von Laugier angestimmte Tortour de Force kann das Abgleiten in die Mittelmäßigkeit aufhalten. Nach besagter Wendung macht Laugier das einzig richtige und widmet sich dem Kampf seiner weiblichen Protagonisten gegen ihre Peiniger. Terror kann der Franzose, auch wenn sich dieser in Ghostland abgenutzt anfühlt. Vieles kennt man aus ähnlich gelagerten Home Invasion-Filmen. Es ist routiniert umgesetzt, aber auch altbekannt. Einzig das Tempo des Films und das düstere, dreckige Haus, von oben bis unten mit beängstigend leblosen Puppen vollgestopft, halten bei der Stange. Würde Laugier nicht wie ein wütender Berserker mit tosendem Schritt durch die Geschichte donnern, wäre Ghostland viel enttäuschender.

Langsam aber sicher sollte der Mann sich von seinen bevorzugten Themen lösen. Laugiers Werke sind ein Kino verdrängter Traumata, welches bevölkert ist von Frauenfiguren, die einen gewaltsamen und beschwerlichen Weg auf sich nehmen müssen. Meist erscheinen sie so gebrochen wie die Gesicht auf dem Kinoplakat von Ghostland. Aber alles, was er in seinem eng gesteckten Themengebiet aufgreift, brachte er bereits mit Martyrs auf den Punkt. Ob The Tall Man oder Ghostland: es sind Variationen seiner Grundthematik. Sujet, Erzählweise, Anreicherung mit anderen Stoffen mögen sich ändern, im Kern bleiben die Geschichten des Franzosen gleich. Jetzt gilt es nach diesem Film aufzupassen, sich nicht ständig zu wiederholen und auf diesem Grundrezept auszuruhen, bevor Laugier plötzlich zu einem Künstler wird, der gefühlt seit vielen Jahren das ein und selbe bringt, nur immer etwas anders verpackt. Das er die Formeln des Terrorkinos beherrscht, zeigt er. Ghostland ist für die Figuren des Films selbst wie auch den Zuschauer eine physische Erfahrung. Was er mit fehlenden Variationen und der missglückten Wendung verpasst, schafft er mit einer Geschwindigkeit, die zusammen mit der kompromisslosen Gewalt schier überrollt. Es fehlt nur an neuen Sichtweisen und Perspektiven, um sich aus der Hölle der Wiederholungen raus zu holen.
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