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Montag, 31. Juli 2023

Project Wolf Hunting

Nachdem im letzten Jahr der aus Taiwan stammende The Sadness die Gorehounds verzücken ließ, legt heuer Südkorea einen nach. Project Wolf Hunting positioniert sich zwischen knallharter, körperlicher Action, dessen Prügelszenen an den mehr als zehn Jahre zurückliegenden Überraschungs-Hit The Raid denken lassen, und aktionsorientierte Science-Fiction á la Predator oder Terminator. Die Geschichte ist natürlich schnell erzählt: die Überführung von gefährlichen Schwerstverbrechern von den Philippinen nach Südkorea via Frachtschiff geht gehörig schief. Unterwandert von Saboteuren, werden die für den Transport abgestellten Polizistinnen und Polizisten überwältigt und die Kriminellen befreit. Innerhalb der Reihen der Gangster entbrennt ein Kampf um die Vorherrschaft, während die überlebenden Beamten im Staatsdienst versuchen, ihrer menschlichen Fracht Herr zu werden und die Kontrolle zurück zu erlangen. Beide Seiten ahnen jedoch nicht, dass im Rumpf des Schiffs Alpha, eine Art Supersoldat, welcher bei der Auslieferung der Verbrecher nach Südkorea geschmuggelt werden sollte, erwacht und seinem Blutdurst ungehemmt nachgeht.

Mit dem Auftritt des metallisch stumpf durch die Frachter-Räumlichkeiten stapfenden menschlichen Superwaffe entfacht sich ein blutiges Actionfeuerwerk, das die in punkto Gewalt von The Sadness hoch angelegte Messlatte scheinbar übertreffen möchte. Einzelne Schläge treffen ihre menschlichen Ziele sofort tödlich, Körper werden mit purer, übermenschlicher Kraft zerschmettert oder zerrissen und als absolut absurdes Highlight, dass den comichaften Charakter der dargestellten Gewalt unterstreicht, werden Menschen mit ihrem eigenen, abgerissenen Körperteil totgeprügelt. Eine Szenerie, wie man sie eigentlich nur in einem Troma-Film zu sehen vermag. Die Schlacht entbrennt, der Film enthemmt, der Zuschauer stumpft ab. In zwei Stunden ziehen zunächst die Schwerstkriminelle und dann Alpha eine Schneise der Verwüstung hinter sich her. Während das Schiff in dunkler Nacht über den Ozean gleitet, watet in seinem Inneren seine humanoide Fracht durch ein blutrotes Meer. Drei Anläufe benötigte der deutsche Verleiher Capelight, bis die FSK den Film in seiner ungekürzten Version freigab. 

Die einzigen Wendungen, welche der Film für sein Publikum in Petto hat, sind ständige Verschiebungen im Fokus auf die Gegenwehr leistenden Überlebenden. Kaum scheint einer der austauschbaren Charaktere als Hauptfigur ausgemacht, so haucht sie ihr Lebenslicht unfreiwillig aus. Man sucht weiter nach einem Bezugspunkt inmitten der sich dem Zuschauer förmlich aufdrängenden Körperlichkeit des Films. Dessen schmutziger Look und die betont natürliche Darstellung seines fantastischen Tropes verhindern, dass Project Wolf Hunting übertrieben comichaft wie beispielsweise die vom Fandom zum Kultfilm aufgebauschte Manga-Verfilmung Story of Ricky wirkt. Komplett funktioniert das nicht. Die Laufzeit und die wenigen Variationen im Plot bringen die Geschichte schwer voran und lassen einzig die ganz Hartgesottenen bis zum Ende eine durchaus gekonnte Action-Schlachtplatte durchstehen, deren mäßige bis ärgerlich schlechte Special Effect-Arbeit den angestrebten, natürlichen gritty and grungy Look and Feel sabotiert. Dieser Art von den Zuschauer kraftvoll überrumpelndes Spektakel fehlt es an Langzeitwirkung und seine in voller Blüte stehende Pracht dürfte im Gedächtnis der Menschen nur allzu schnell verflogen sein.

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Dienstag, 11. Februar 2020

Parasite

Anfang 2019 war es Jordan Peele, der mit seinem Horrorfilm Wir (hier besprochen) in einem Genrewerk über den tief klaffenden Graben zwischen arm und reich referierte und den Aufstand aus dem Untergrund mit den Formeln des postmodernen Invasions- und Terrorkinos schilderte. Ende 2019 schickte der Südkoreaner Bong Joon-ho dann den frisch gebackenen Oscar-Gewinner Parasite in die Kinos dieser Welt, um - auch nicht weit von genre-narrativen Elementen entfernt - ebenfalls die tief schürfenden Unterschiede einer Zweiklassengesellschaft zum Thema zu machen. Die Invasion der armen Leute gestaltet der Südkoreaner weniger krachig wie Peele; Bong Joon-ho lässt die vierköpfige Familie der Kims die reichen Parks gewitzt infiltrieren. Es beginnt damit, dass Sohn Ki-woon die Chance erhält, Englisch-Nachhilfelehrer von deren Tochter zu werden. Die dafür erforderliche Identifikation als Student, der er nicht ist - zusammen mit dem Rest seiner Familie hält er sich mit schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs über Wasser - bastelt ihm seine Schwester Ki-jung via Bildbearbeitungssoftware zusammen.

Bei den ersten Nachhilfestunden in der imposanten Villa der Parks entgeht Ki-woon nicht, dass Yeon-kyo Park, die Mutter seiner Schülerin, leicht beeinflussbar ist. Mit perfiden und wahnwitzigen Aktionen verschafft sich dadurch der Rest seiner Familie als frisch eingestelltes Personal Zugang zu deren Heim und erschleicht sich das Vertrauen der reichen Familie, die abgelenkt durch ihre eigenen Probleme aus ihrer neureichen Welt, nicht bemerkt, welches Spiel die Kims mit ihnen spielen. Geblendet von der imposanten Kulisse ihrer Wirkungsstätte und dem verlockenden, im Vergleich zum eigenen anscheinend sorgenfreien Leben treiben es die Kims immer weiter und erliegen nahezu den Verlockungen des Luxus. Der Plan und dessen Verlauf erscheinen nahezu perfekt, bis die zuvor rausgeekelte ehemalige Haushälterin der Parks eines Nachts auftaucht, in welcher die Kims die Villa der zu einem Camping-Ausflug ausgeflogenen Familie für ein ausgelassenes Gelage nutzt.

Der Verlauf dieser Nacht bringt tiefgreifende Veränderungen im Leben der beiden porträtierten Familien und in der Stimmung des Films mit sich. Ist Parasite bis dahin eine gallige Sozialsatire, die leicht überspitzt die wortwörtlich ganz unten, in einer verfallenen Kellerwohnung hausenden Kims in das Leben der privilegierten Kims crashen lässt, switcht das Drehbuch die Story in einen clever konstruierten Thriller um, der durch den manipulativen Erzählstil der ersten Hälfte den Zuschauer längst auf seiner emotionalen Seite hat. Das schwere Leben der sozial benachteiligten Menschen und rational betrachtet abwegige Wendungen erscheinen hierdurch schlüssig; Bong Joon-ho drückt seinen Finger tief in eine unbemerkt geöffnete Wunde und lässt diese durch den Verlauf seiner Geschichte schmerzlich brennen. Vordergründig lässt er mit Blick auf die südkoreanische Gesellschaft kein gutes Haar an dieser und stellt die darin besser gestellten als vordergründig harmlose Menschen dar, die in ihrer Blase existierend, mit ganz eigenen Problemen kämpfend, vor sich hin vegetieren. Entfremdung in der eigenen Familie, Traumata, Neurosen: First World Business Sickness, von der die Kims parasitär ihren sich erhöhenden Lebensstandarf füttern.

Bong Joon-ho vermeidet es, in seinem Film zugunsten der Kims einseitig auf die Geschichte zu blicken. Zugegen haben sie durch die unsentimentale Darstellung ihres Alltags und den gewieften, bitterbösen Plan die Sympathie des Zuschauers auf ihrer Seite; unsympathisch sind ihre reichen Epigone keineswegs. Die harmlosen Parks erscheinen freundlich, gleichzeitig nahezu unbemerkt gleichgültig gegenüber ihren Untergebenen, von denen sie sich gleichermaßen parasitär ernähren: ohne ihre Vereinnahmung der Kims, wäre beinahe gar kein geregeltes Leben für die Familie möglich. Der Hund frisst den eigenen Schwanz. Parasite strickt daraus ein erschütterndes Thrillerdrama, in dem feine Risse in der heiteren Fassade entstehen. Verborgen brodelnde Missgunst, Hass gegenüber den Privilegierten, nebenbei geäußerte Aussagen über den Muff der Kellerleute die wie Gleichgültigkeit und Arroganz gegenüber den sozial schwächeren klingt, obwohl es vielleicht gar nicht so böse gemeint ist, kochen hoch und kulminiert in einem hochdramatischen Massaker bei der aufgestaute Wut und Emotionen ungefiltert in Leiber gestoßen und geschlagen wird.

Nach Snowpiercer und Okja, in denen der Südkoreaner ebenfalls Klassenkampf und Kapitalismuskritik einbaute und daraus eine düstere Gesellschaftsdystopie bzw. eine überzogene, bunte gemischte Kritiktüte zeichnete, schaltet er in Parasite einen Gang zurück, scheint seinen Stil gefunden zu haben und ist dann am besten, wenn er gleichzeitig leichtfüßig und messerscharf beide sozialen Schichten beobachtet und mit schwarzem Humor angereichert der Gesellschaft damit den Spiegel vorhält. Fast bedauerlich, wenn er in der zweiten Hälfte wieder lauter wird, als hätte ihn die in den Kims und anderen benachteiligten, traurigen Figuren seiner Geschichte schlummernde Wut übermannt. Das lässt die Tonalität des Films sachte beben und schafft darin Unebenheiten, über die er stolpert. Richtig ins Straucheln gerät er deswegen nicht. Elegant hält er sich auf den Beinen; spätestens wenn ein sintflutartiger Regen die Existenz von Ki-woons Familie fast gänzlich hinfort spült und die Ausweglosigkeit gepaart mit steigernder, gespürter Ungerechtigkeit in Gewalt gewandelt wird, kriecht Bong Joon-ho mit seiner Geschichte zurück ins emotionale Bewusstsein seiner Zuschauer. Parasite ist hierbei angenehm zurückhaltend im Versuch, diesen mit einer Moral zu indoktrinieren bzw. zu beeinflussen.

Lieber beobachtet Bong Joon-ho bis zum Schluss und lässt uns mit den aus den Verstrickungen der Geschichte entstandenen Konsequenzen allein zurück. Das mag nicht jedem gefallen und scheint für manche im Gefälle beider Filmteile weiterhin zu grob. Im dargestellten System, in dem wir alle leben, gibt es nur eben kein Zuckerschlecken. Der viel zitierte Ponyhof existiert weder in Castrop-Rauxel, München, Palermo oder irgendwo in Südkorea. Der Kapitalismus frisst kontinuierlich weiter die sozial Schwachen auf und lässt Menschen mit gut gepolstertem Konto, sinnbildlich durch den Wohnort der Parks gezeigt, über dem niederen Volk thronen. Scheint der Regisseur in früheren Werken mit Stilistiken, Genres und Formeln der Narration experimentiert zu haben, hat er nun seinen eigenen Weg gefunden und seine Handschrift verfeinert. Parasite ist eine scharfe, ob seiner Laufzeit  von gut zwei Stunden niemals langweilig werdende Beobachtung einer Gesellschaft zweier Klassen, die aufeinander losgelassen, überspitzt ausgedrückt sich gegenseitig niedermetzelt. Die vorherrschende Kontrolle funktioniert noch; Bong Joon-ho gelingt es mit seinem dezent überspannten Bogen dies aufzuzeigen und gleichzeitig eine wunderbar böse, sympathische und bewegende Geschichte zu erzählen.
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Mittwoch, 9. Mai 2018

The Villainess

Die eigene Vergangenheit lässt einen nie richtig los. Zwischen Tränendrüsendrücker-Melodram und State of the Art-Action zelebriert Jeong Byeong-gil dies in seinem dritten Film The Villainess und lässt die Prämisse seiner Geschichte irgendwo auf der Strecke. Sie wird wie Protagonistin Sook-hee verschluckt. Während diese langsam in den Schlund der näher schleichenden Monster der bisherigen Lebensgeschichte gleitet, lässt der Film aus, blendet aus, ignoriert. Es wird angerissen, als würden nach einer Amnesie dämmernde Fetzen der Erinnerung aufblitzen und im dunkel des Vergessens verschwinden. Darüber packt man atemberaubende Actionsequenzen, in langen One-Takes, nahe am Geschehen dran gefilmt. Es fühlt sich an, als möchte der Film die Lücken seiner Story damit ausstopfen und davon ablenken.

Sook-hee ist eine junge, unscheinbar erscheinende, aber brandgefährliche Frau. Sie mäht im Alleingang ein ganzes Haus vollgestopft mit halbseidenen Gestalten der Unterwelt nieder um dann, nach der erlangten Katharsis, von der Polizei aufgegriffen zu werden. Dem Untergrund, wie uns The Villainess in verschachtelt montierten Rückblenden lehrt, selbst entstiegen, wechselt Sook-hee dort die Seiten. Eine geheime Organisation bildet sie zur Schläferin in einem abgeriegelten Camp aus, um nach erfolgreicher Ausbildung in einem ihr geschenkten, bürgerlichen Leben samt neuer Identität, Auftragsmorde auszuführen. Nicht wissend, das ihr neuer Nachbar ein von der eigenen Organisation abgestellter Spitzel zu ihrer Überwachung ist, verliebt sie sich in den unnachgiebig um sie werbenden Herren, wird allerdings von ihrer Vergangenheit bei einem Auftrag während der eigenen Hochzeit eingeholt. Alte, vergessen geglaubte Gefühle schwappen in ihr hoch und es entbrennt ein Konflikt um Leben und Tod.

So unglaublich und technisch einwandfrei The Villainess in den Actionszenen ist, ein gutes Gleichgewicht zwischen leisen und lautstark krachigen Momenten findet er wenig. Die Konzentration auf Sook-hees Leben außerhalb der Organisation, das langsame Anbandeln mit ihrem hartnäckigen Verehrer, das sich zurechtfinden in dem neuen Leben bis ihr alter, innewohnender Rachegeist erneut erwacht: es treibt auf einer narrativen Oberfläche ohne komplett eine emotionale Ebene erschaffen zu können. Die ausgesparten, wenig erklärten Hintergründe über die Organisation, die sich der Frau, mehr ihres Lebens, annimmt, über das alte Leben Sook-hees, ist hinderlich für die Entwicklung der Story. Richtig kann dies den Zuschauer nicht packen. Die melodramatischen Einschläge, wie sie viele Actionfilme aus Korea besitzen, können sich nur bedingt entfalten. Der ihnen eingeräumte Platz wird mit guten Leistungen im Schauspiel, einigen stimmigen Momenten und hübschen Bildern ausgefüllt; dahinter verbirgt sich leider ein dünnes, brüchiges Geäst emotionaler Zwangsmomente, die sich nicht auf den Zuschauer übertragen können.

Bedauernswert, ist The Villainess in seinen besten Momenten tatsächlich ein einnehmendes, modern ausgestaltetes Actionspektakel, dass sich grob an furios choreographierter Action wie in Atomic Blonde (hier besprochen) oder dem traditionellen Heroic Bloodshed-Film des Hong Kong-Kinos orientiert. Ganz selten dringt auch die Tragik in einigen Momenten dorthin, wohin die Geschichte von Beginn an zielt. Dann hetzt man wie Sook-hee der herbeigesehnten Erlösung entgegen; ein vollständiges Aufgehen in der Geschichte, dem Versinken darin bzw. auf Seiten der Protagonistin den andauernden Durst der blutig gewünschten Rache stillend. Doch dann ist jede Träne und jeder Tropfen Blut vergossen, die Credits rollen ihren Weg über den Bildschirm und The Vilainess lässt einen verloren zurück. Irgendwas fehlte da zum kompletten Filmglück. Es beginnt so wie es endet; im Film wie vor dem Bildschirm: das vermeintliche Ende ist der Beginn einer Geschichte, die ob all' ihrer Tragik, all' der unvermeidbaren Gewalt nach mehr dürsten lässt. Weil man den aufblitzenden Geist, die Seele einer melodramatischen Geschichte aufblitzen sieht, der leider allzu schnell verblasst. Im Vergleich mit manchen Actionblockbustern aus der Traumfabrik besitzt der Film immer noch mehr als diese.
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Sonntag, 29. April 2018

The Wailing - Die Besessenen

Schon die Bibel lehrte uns, das der Glaube Berge versetzen kann. Innere Überzeugtheit, Konzentration auf bestimmte Dinge: man muss nur daran glauben, um eine zuerst nicht meisterbare Situation zu bewältigen. Schon diese Redensarten beweisen, wie stark unsere geistige Fähigkeiten sein können, um durch reine Kraft der Gedanken sich zu motivieren oder zu kräftigen. Ebenso haben wir die Fähigkeit diese Kraft auszunutzen und zu manipulieren. Na Hong-jins The Wailing zeigt extremere Beispiele dieser Glaubenskraft inmitten seiner fahrigen Mischung aus Drama, Horror und Thriller. Es beginnt alles mit dem grausamen Mord in einem kleinen Dorf an einer Familie, deren Mörder scheinbar den Verstand verloren hat und mit einem unschönen, großflächigen Ausschlag übersät ist. Der im Fall ermittelnde Polizist Jong-Goo glaubt zuerst daran, dass eine Pilzvergiftung schuld an der Wesensveränderung des Täters ist. Alsbald verlieren weitere Bewohner der Ortschaft ihre Beherrschung und fallen durch blutiges Treiben, Raserei und dem gleichen Ausschlag auf ihrem Körper auf.

Jong-Goo kommt zu Gehör, dass in den Wäldern die das Dorf umschließen ein japanischer Einsiedler lebt, dem die gesunden Bewohner bald die Schuld an den Begebenheiten geben. Der einfältige Polizist glaubt diesen Gerüchten und versteift sich bei seinen Ermittlungen auf den Japaner. Dessen Schuld wird von einem von Jong-Goo zu Rate gezogenen Schamanen untermauert, als dessen Tochter im Verhalten die gleichen Anzeichen zeigt wie die zuvor durchgedrehten Bewohner. Jong-Goo macht weiterhin jagt auf den Einsiedler, während der Schamane mit einem aufwändigen Ritual versucht, das Mädchen von ihrer fortschreitenden Besessenheit zu befreien. Bald kommen Zweifel auf, dass der Japaner wirklich der Schuldige an den Vorkommnissen Im Ort ist. Leider verpasst es Na Hong-jin dabei, die gegebenen Möglichkeiten seiner Geschichte klar herauszuarbeiten. The Wailing könnte ein Statement,  eine Studie sein; er verliert sich in sich selbst. Wie sein Protagonist sind der Film und sein Regisseur ziellos, was auch die immense Laufzeit von gut zweieinhalb Stunden erklärt. Na Hong-jin reduziert nicht. Er baut The Wailing episch auf, lässt ihn als Thriller beginnen, der durch seinen Look leicht an Bong Joon Hos Memories of Murder erinnert.

Bei der Einführung seines Protagonisten lässt er sich Zeit; die zugegeben sehr gute Darstellung Do Won-Kwaks des einfachen, etwas furchtsamen und faulen Polizisten erhält in der ersten Hälfte viel Raum. Diese ausführliche Beleuchtung des Charakters lässt ihn als unsympathischen Zeitgenossen erscheinen. Der Eindruck wird verstärkt, als er mit unschönen Mitteln dem Japaner zu Leibe rückt. Leider wenig hilfreich, hier eine Verbindung zwischen Hauptfigur und Zuschauer aufzubauen. Verstärkt aufkommende Mysteryelemente bereiten in der zweiten Hälfte die Wandlung in einen Horrorfilm vor um, nicht untypisch für koreanische Genrefilme, dies mit dramatischen Tönen zu verbinden. Eines der Probleme des Films hierbei ist, dass er sich auch dafür ausufernd Zeit nimmt. The Wailing ist eine gute halbe Stunde zu lang, mag er an einigen Stellen doch schwerlich auf den Punkt kommen. Na Hong-jin schlägt innerhalb seiner Geschichte nicht unbedingt nötige Haken, anstatt sich auf einen bestimmten Aspekt zu konzentrieren. Möglichkeiten hätte er, könnte man seinen Film doch eigentlich wunderbar als Studie über die Stärke(n) des Glaubens lesen. Verwurzelte Vorurteile, dass von Fremden nichts gutes ausgehen kann, somit gut und gerne als eingepflanzt zu bezeichnende Xenophobie, die schwer aus den Köpfen einiger Menschen zu vertreiben ist, zeigt The Wailing zwar im Ansatz, gibt dies mehr oder minder für den übernatürlichen Plot auf.

Jong-Goo ist allein durch seine Zeichnung, die weit entfernt vom typischen Heroenbild ist, ein gutes Beispiel dafür, wie einfach Glauben mittels Gerüchten etc. zu beinflussen ist. Trotz seines Berufs, durch den er eine gesunde Portion Skepsis und eigene Meinungsbildung mitbringen sollte. Auf der anderen Seite spielt The Wailing mit der Frage, inwieweit Aberglaube als kollektives Erlebnis die Wahrnehmung beeinflussen kann. Lange lässt das Drehbuch die Frage im Raum schweben, ob die paranormalen Elemente überhaupt reell oder doch nur reines Konstrukt der menschlichen Wahrnehmung sind. Bevor das näher beleuchtet oder ausgearbeitet werden kann, gibt sich Na Hong-jin der Bequemlichkeit hin und bewegt seine Geschichte in Richtung Phantastik. Die eigentliche Unsitte deutscher Verleiher, gefühlt jedem dritten Film einen Untertitel zu verpassen, passt hier ausnahmsweise und greift eine Thematik von The Wailing auf, die durchaus eine hübsche Doppeldeutigkeit besitzt. Besessenheit ist der Kern der Geschichte, die man durchaus auch darauf münzen kann, dass die bisher verschonte Dorfgemeinschaft von ihrem Aberglauben besessen ist. Dies ist auch Jong-Goo mit seinen Verdächtigungen gegenüber des Japaners. Und auch dieser zuerst so rätselhaft erscheinende Charakter ist dies in seiner Handlung.

Glauben kann in seiner extremsten Form eine Besessenheit sein. The Wailing lässt seine Möglichkeiten links liegen, subversiven Horror zu gestalten und lässt den westlichen Zuschauer manchmal auch recht ratlos zurück, wenn er sich auf traditionelle asiatische Mythen und Rituale konzentriert und diesen viel Raum bietet. Das lässt einen atmosphärisch starken Film zurück, dessen Geschichte mehr Straffheit, mehr Struktur gut getan hätte. Irgendwann findet man sich mit dem eingeschlagenen Weg ab, ohne nicht doch leicht wehmütig den liegengelassenen Möglichkeiten hinterher zu schauen. Dort hat man sich von The Wailing geistig schon längst gelöst und festgestellt, das der Film weit weniger in die Tiefe geht, wie gewünscht oder möglich wäre. Man verliert förmlich den Glauben an das Werk. Trotz seiner zwei bis drei starken Szenen, besitzt The Wailing nicht die Kraft, sich in den Kopf des Zuschauers festzubeißen. Viel zu oft fällt einfach auf, dass die Geschichte aufgebläht ist. Mit mehr Fokus und einem besseren Blick auf die Perspektiven in Richtung Glauben, welche die Story durchaus erlaubt, wäre hier ein durchaus famoser Film entstanden. Im Endeffekt ist The Wailing zwar nicht richtig schlecht, aber leider auch nicht richtig gut.
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Dienstag, 3. Oktober 2017

Horrorctober 2017: Train To Busan (2/13)

Filmisch darf man in Südkorea meiner bescheidenen Meinung nach gerne öfter den Zug nehmen. Nachdem ich vor einigen Monaten von Bong Joon-hos dystopischen Snowpiercer nach anfänglicher Skepsis angenehm überrascht wurde, konnte mich auch Train To Busan (mehr als) überzeugen. Der Film baut seine auf den ersten Blick einfach gestrickte Geschichte zügig und auf den Punkt gebracht auf: Su-An, die kleine Tochter der viel beschäftigten Fond-Managers Seok-Woo, möchte an ihrem Geburtstag mit dem Zug nach Busan zu ihrer Mutter reisen. Am besten alleine, damit sie ihrem Vater nicht die kostbare Zeit stehlen muss. Der über und über in Arbeit steckende Seok-Woo lässt dies nicht zu, zumal er versucht, die voranschreitende Vernachlässigung seines Kindes zu unterbinden. Er schaufelt sich Zeit frei und besteigt mit ihr in den frühen Morgenstunden den Zug Richtung Mutter des gemeinsamen Kindes und Ex-Frau.

Entspannt wird die Zugfahrt keineswegs. Eine schwer verwundete Frau rettet sich kurz vor Abfahrt in das Hochgeschwindigkeitsgefährt, verstirbt in einem Gang und steht kurz darauf wieder auf und ist von rasender Blutgier angetrieben. In dieser fällt sie über die Passagiere her, infiziert und verwandelt diese ebenfalls in nach dem roten Lebenssaft gierende Bestien. Die überlebenden Zuginsassen kämpfen in den schmalen Gängen um ihr Überleben und müssen über Lautsprecher erfahren, das in Korea immer mehr Städte von diesen mordlüsternen Kreaturen überrannt werden. Nur das Endziel, Busan, scheint sich noch erfolgreich zur Wehr zu setzen. Bis die zweitgrößte Stadt Südkoreas erreicht ist, schickt Regisseur Yeon Sang-ho seine Protagonisten, wie für das Subgenre üblich eine Gruppe grundverschiedener Persönlichkeiten, innerhalb des Gefährts auf eine gefahrenvolle Reise, die bei allen Massenszenen und Horden an Zombies, die über die Fahrgäste hereinbrechen, auch immer Zeit für Zwischenhalte mit leisen Tönen findet.

Train To Busan ist nur auf den ersten Blick ein krachendes Filmerlebnis, das gekonnt mit dem beschränkten Raum des Zuges spielt. Die Kamera ist Nahe am Geschehen, hält dabei geschickt auf den (Todes-)Kampf der Passagiere und lässt trotzdem vieles im Kopf des Zuschauers geschehen. Wie einige andere Zombiefilme, wobei genaugenommen die Kreaturen wie in Danny Boyles 28 Days Later im gesamten Film nie so genannt werden und wie dort rasend schnelle, blutdurstig und tollwütig-animalisch agierende Infizierte sind, steht Train To Busan mehr in der Tradition der Katastrophen- als Horrorfilme. Ist die Grenze im Zombiefilm zwischen beiden Genres fließend und springen einige Vertreter dieser Gattung innerhalb ihrer Geschichte hin und her, entschieden sich die Autoren hier auf den schnell über die Menschheit hereinbrechenden apokalyptischen Zerfall der Zivilisation, die hier von den Insassen eines Hochgeschwindigkeitszuges repräsentiert wird. Der von Night Of The Living Dead aufgegriffene Kammerspielaspekt mit dazugehörigen Konflikten innerhalb der Protagonisten-Gruppe ist, wie im großen Vorbild, stellvertretend für die menschliche Gesellschaft.

Für einen Mainstream-Film, was Train To Busan alleine schon trotz aller Zombiemassen- und Kampfszenen durch seine hier angesprochene Zurückhaltung ist, gibt er sich hier äußerst clever. Die benutzten Klischees sind ebenfalls gängige Vorurteile, die von einem werdenden, der wohl einfachen Mittelschicht entstammenden Vater Seok-Woo ständig an den Kopf geworfen werden. Fond-Manager, Finanzjongleure, Geldfresser, Blutsauger: die benutzten Synonyme für Seok-Woos Beruf sind Beschreibungen für seine Berufsgruppe, die sich vom einfachen Menschen ernährt und diese auffrisst. Hier werden klaffende, gesellschaftliche Gräben deutlich, die in der herrschenden Ausnahmesituation nur mit Mühe überwunden werden können. Auch weil (nicht allein) diese Gesellschaft, das bemerkt selbst Su-An, sich immer nur um sich kümmert. In der heutigen Zeit scheint - so der Tenor von Train To Busan - Egoismus und das um sich selbst kümmern auf den ersten Blick überlebenswichtig zu sein, um nicht von der Menschheit aufgefressen zu werden. Auf den zweiten, viel wichtigeren Blick, ist dies der Untergang eines funktionierenden Miteinanders. Wer nur auf sich selbst achtet und die sozialen Scheuklappen nicht ablegt, geht seinen Weg so lange, bis er gefressen wird.

Die Erkenntnis kommt für Seok-Woo und andere Figuren spät bis gar nicht. So ist der "Endboss" für den Vater keineswegs irgendein Zombie-Obermufti, sondern eine besonders unsympathische Erscheinung seines Gesellschaftsstandes, eine Art überzogenes Spiegelbild seinesgleichen, welches er überwinden muss. Das Train To Busan hier im Ende dieser Sequenz äußerst emotional zu Werke geht, ist für das Genre keine Selbstverständlichkeit. Allem aufkommendem Kitsch zum Trotz ist dies so mitreißend, wie die vielen Actionszenen und darin verwendeten Ideen. Übermäßig innovativ ist das nur bedingt, einige Wendungen der Geschichte sind vorauszuahnen und dennoch packt der Film bis zum Ende. In knapp zwei Stunden Laufzeit zeigt uns Regisseur Yeon Sang-ho, dass sein Gespür für gut getimte, spannende Szenen äußerst hoch ist. Nur gegen Ende, wenn eine Wendung nach der anderen dafür sorgen möchte, noch dramatischer, noch packender als die vorausgegangene zu sein, will man zu viel. Ansonsten ist Train To Busan ein gut konstruierter Action-Horrorfilm, der seinen Handlungsort sehr gut für viele spannende Szenen zu nutzen weiß und dazwischen zeigt, dass der steigende Egoismus des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft der falsche Weg ist, seinen Weg in dieser Welt zu gehen. Das sind einfache Werte, andere Filme können das Zombiethema mit tiefer greifender Sozialkritik füllen. Im Gesamten ist Train To Busan allerdings das Beste im Jahr 2017, wenn es um untote Wiedergänger geht.

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