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Donnerstag, 18. August 2022

Dark Glasses

Richard Morgan Fliehr dürfte manchen unter seinem Ringnamen Ric Flair ein Begriff sein. Der 16-fache World Champion war schon längst vom aktiven Geschehen im Squared Circle zurückgetreten und bestritt vor kurzer Zeit an der Seite seines Schwiegersohns sein (angeblich) allerletztes, großes Match. Viele Wrestler sprechen davon, dass es wie eine Sucht ist, immer und immer wieder in die Halle zu treten und die Stimmung, für die die Zuschauer sorgen, in sich aufzusaugen und zu spüren. Flair ist mittlerweile 73 Jahre alt und wurde sicherlich zu einem gewissen Teil von ebenjener Sucht nochmal in den Ring getrieben. Nötig hat er es eigentlich nicht mehr. Dario Argento ist mittlerweile 81 Jahre alt und wurde nach zehn Jahren wieder dazu getrieben, mit Dark Glasses nochmal einen Film in die Kinos und Buden der Filmliebhaber zu schicken. Vielleicht ist es bei Argento auch eine Getriebenheit und Sucht, die ihn dazu treiben, zu drehen. Nötig hat auch er es eigentlich nicht mehr.

Wie (nicht nur) seine anderen Spätwerke polarisiert der Film kurz nach Veröffentlichung im Heimkino die Gemeinde. Während manche nach einigen Totalausfällen Milde und Anerkennung zeigen, sogar von selbstreferentiellem Kino reden oder schreiben und alte Stärken ausmachen, knüppeln andere munter auf den Italiener ein und drehen ihn und seinen Film durch den Fleischwolf. Kann und darf man mit dem Kult-Regisseur hart ins Gericht gehen? Sollte man nachsichtig mit ihm sein? Im Bezug auf Dark Glasses schwierige Fragen, deren Beantwortung durch das dargebrachte Filmwerk nicht leicht gemacht wird. Auf den Spuren von Die neunschwänzige Katze wandelnd, stellt uns Argento ein ungleiches Protagonisten-Duo, bestehend aus der blinden Edel-Prostituierten Diana und dem Waisenjungen Chin vor, deren Schicksal eng miteinander verbunden ist. Von einem Serienmörder in einer Verfolgungsjagd durch die halbe Stadt gehetzt, verursacht Diana einen schweren Unfall, durch den sie ihr bereits angeschlagenes Augenlicht komplett verliert. 

Jener Unfall raubte dem Jungen Chin beide Elternteile und zunächst vollkommen ablehnend, findet der womöglich auch aus Mitleid doch zur von Selbstvorwürfen geplagten Diana. Sie raufen sich in Szenen voller hölzerner Emotionalität zusammen und als Zweckgemeinschaft zweier Außenseiter werden sie mit jenem Mörder konfrontiert, der es Diana und ihre Kolleginnen aus dem horizontalen Gewerbe abgesehen hat. Diese Konfrontation bestimmt nahezu die zweite Hälfte des Films und schickt die Hauptfiguren und den Zuschauer auf eine Tour de Force. Mit dümmstmöglichen Verhaltensweisen und Plot-Konstruktionen ziehen sich die Kreise des Mörders enger, nur das es Argento verpasst, dies in einen befriedigenden Höhepunkt gipfeln zu lassen. Das Ende ist so schwach wie die vorangegangenen Versuche, spannungsreiche Momente zu kreieren. Die Selbst- bzw. Eigenreferenzen des Italieners sind bloße Staffage. Er schmückt sich quasi mit sich selbst; plagiiert mehr als eine Hommage an sich selbst zu schaffen.

Seien es die Farbspiele in der Ausleuchtung oder eigenwillige Kameraperspektiven: die von Fans verehrten Stilmittel vergangener Zeiten drapiert er in einen kalten, sterilen Film, der ein blasses Abbild seiner Selbst ist. Der alte Argento funktioniert nicht mit dem Genrekino der Gegenwart. Seit seinem The Card Player nutzt er gerne Motive des modernen Serial Killer-Films, eine Spielart des Thrillers, das zu einem gewissen Maße selbst von den Gialli der 60er und 70er beeinflusst wurde. Bis zum heutigen Tag gewann es durch prägende Filme ein eigenständiges Profil, während Argento den Giallo alter Tage mit jenem Subgenre ungelenk kombiniert. Gleichermaßen überspannt er den Bogen mit einer enervierenden Gefühlsduseligkeit zwischen Diana und Chin, die unglaubwürdig konstruiert ist und einen großen Teil der ersten Hälfte einnimmt. Der Versuch, die Figurenzeichnung tiefgründig zu gestalten, schlägt als Aufbau für die anstehende Dauerverfolgungsjagd fehl. Erschlagen von der gewollten, nicht gekonnten Charakterkonstellation können einem diese nicht egaler sein.

Mit Filmen wie Dark Glasses fügt Argento seinem Ruf eine große Schramme mehr hinzu. Die vom Italiener auch hier aufgegriffene Thematik über Wahrnehmung und das Sehen an sich, begonnen mit Dianas ungeschützter Blick in eine Sonnenfinsternis zu Beginn des Films, zusammen mit Reminiszenzen an seine filmische Hochzeiten hätten mit etwas mehr Enthusiasmus und Leidenschaft ein letztes Aufbäumen Argentos sein können. Doch nur der innere Trieb, hinter die Kamera zu drehen und nochmal das gewisse Argento-Feeling aufleben zu lassen, kann es allein nicht mehr richten. Die Wahrheit mag hart sein: das jüngste Werk des Maestro ist ein weiteres Fiasko seiner späten Filmographie. Atmosphärisch zu kühl, narrativ schwächelnd, darstellerisch bemüht, dazu ein technoider Sountrack bei dem der gialloeske Soundtrack-Melodien auf Bumsbudenclub-Mucke trifft: es gibt kein gutes Haar, dass man an dem Film lassen kann. Wo Argento draufsteht, ist schon lange keiner mehr drin.

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Donnerstag, 18. Oktober 2018

Horrorctober 2018: Suspiria (6/13)

Es war einmal ein junges Mädchen, fast schon eine junge Frau, die sich von New York aus auf den weiten Weg über den großen Teich nach Deutschland aufmachte. Dort war die renommierte Schule der einst weltbekannten Tänzerin Elena Marcos ihr Ziel, um die Künste des Tanzes zu studieren und selbst einmal eine berühmte Tänzerin zu werden. In der fest von Sturm und Regen im Griff gehaltenen Nacht ihrer Ankunft trifft die Reisende, Suzie Bannion ihr Name, auf eine Schülerin die durchgeschüttelt von Angst und Panik aus der Schule stürzt, für das junge Mädchen unzusammenhängende Worte in das dunkle Gebäude hinein schreit, bevor sie durch die Regenwände hindurch in den nahe gelegenen, finsteren Wald rennt. Das ängstliche Mädchen wird von ihren Beinen zu einer Freundin getragen, in deren Wohnung sie unter mysteriösen Umständen zu Tode kommt. Die Hüter des Gesetzes ermitteln im ungewöhnlichen Todesfall, während Suzie im strengen Umgang der Lehrerinnen während einer Tanzstunde einen Schwächeanfall erleidet und von ihren Mitschülerinnen fast ferngehalten wird. Dem Mädchen und einer schnell gefundenen Freundin fallen ungewöhnliche Dinge in der Schule auf, über deren Leiterin Elena Marcos seltsame Geschichten erzählt werden.

Es war einmal ein italienischer Regisseur, Dario Argento genannt, der dem Giallo der 70er mit seinem Debüt Das Geheimnis der Schwarzen Handschuhe sein Gesicht gab. Er schuf nicht einen, nicht zwei, sondern drei an der Zahl: die Tier-Trilogie. Nicht zusammenhängende Filme, alle dem psychologisierten Pulp-Thriller Italiens verschrieben, zusammengehalten durch die im Titel vorkommenden Tiere (beim Debüt allerdings nur im Original und englischen Titel). Den Filmemacher zog es weiter zum Fernsehen, zu einer Kriegskomödie mit Italiens bekanntem Bespaßer Adriano Celentano bevor er den Proto-Giallo Profondo Rosso schuf. Der Höhe- und Endpunkt des Genres. Formvollendung auf der Leinwand. Danach packte Argento den Schrecken an und schuf den Auftakt einer weiteren Trilogie. Erzählungen dreier Mütter der dunklen Seite der Welt. Mater Lachrymarum, Mater Tenebrarum und Mater Suspiriorum. Tränen, Dunkelheit und Seufzer. Mother of Tears, Inferno und Suspiria. Unterschiedlicher könnten sie qualitativ nicht sein; musste die Vollendung der Trilogie über Jahrzehnte auf sich warten lassen und endete in einem traurigen Abschluss, begann Argentos Ausflug in die Welt der Ängste und der Hexen mit einem atmosphärischen Opus.

Es war einmal ein Horrorfilm, der wie zuvor und danach entstandene Werke Argentos nicht verhehlen kann, dass der italienische Kult-Filmemacher Probleme hat, Geschichten mit durchgehend gestärktem Erzählbogen zu schildern. Nirgends ist es so egaler wie bei Suspiria. Und: am Anfang war Hitchcock. Selbst Argentos erster Ausflug in das Horrorgenre birgt dessen klassisches Motiv der gestörten Wahrnehmung, des vergessenen Schlüssels zur Auflösung in seinem Kern was Argento immer wieder in seinen Gialli aufgriff. Suzie kann durch den laut peitschenden Regen die Worte der ängstlich flüchtenden Schülerin bei ihrer Ankunft nicht richtig verstehen, deren Zusammenhang nicht in Verbindung mit den Geheimnissen der Schule bringen. Suspiria besitzt damit ein klassisches Grundmotiv des Giallo; klassische Ermittlungsarbeit der ebenfalls vollkommen unbehelligt in seltsame Vorgänge hineingezogene Protagonistin kann man deren Ergründen der Geheimnisse um die Schule und deren Besitzerin Elena Marcos nicht nennen. Wie das Kind zur Jungfrau kommt, ergründet Suzie die Wahrheit. Beiläufig, in kurzen lichten Momenten während ihres delirierenden Zustands nach ihrem Zusammenbruch lichten sich die Schleier im doppelten Sinne.

Je länger ihr Aufenthalt in der Akademie andauert, desto mehr brechen geläufige Narrationsregeln auf. Suspiria entpuppt sich als unheimliches Erwachsenenmärchen mit Alptraumlogik und die Tanzschule wird zu einer ganz eigenen Welt, losgelöst vom Rest unserer bekannten Realität. Sinnbildlich betritt Suzie diese schon als sie den Flughafen nach ihrer Ankunft in Deutschland verlässt, was Argento beiläufig mit Gegenschnitten auf die Öffnungsmechanik in Nahaufnahme, deren Geräusche man deutlich auf der Tonspur vernehmen kann, darstellt. Suzie gleitet, begleitet vom Beginn des markanten Themes der Experimental-Prog-Rock-Band Goblin, durch den Regen und wird mit einer simplen, markant ausgeleuchteten Taxifahrt in das Herz dieser anderen Welt transportiert. Bevölkert ist sie abermals von obskur anmutenden Nebenfiguren, denen Argento eine Aura des unheimlichen schenkt. Hinzu kommen von Neid und Selbstsucht durchfahrene Mitschüler und Alida Valli als gestrenge Lehrerin, Argentos Version von Fräulein Rottenmeier. Inmitten dieser Ansammlung unmenschlich handelnder Menschimitationen ist das verlorene, verschreckte Mädchen Suzie. Mit den Schritten aus dem Flughafen sprang sie Alice gleich in ein Loch zu dieser anderen Welt in der alte, böse Mächte schlummern.

Daraus schafft Argento mit übersteuerten, nahezu pervertiert bavaesken Farbspielereien und einem allpräsenten Score einen Rausch filmgewordener Nachtmahre. Der Italiener machte nie einen Hehl daraus, dass er mit seinen Filmen stets gewisse Eigentherapie betrieb und darin seine Alpträume verarbeitete. Man darf dem Unterbewusstsein des Mannes dankbar sein, dass er zu solch einem Film fähig war. Suspiria vermochte formell bereits in seiner Entstehungszeit mit seinem Verständnis von Horror keine Neuerungen in das Genre zu bringen. Er öffnete es aber vielleicht für Filme, die von ihrer Stimmung getragen werden. Weniger Film, mehr Trip spricht Suspiria das Innerste an und schenkt stilisierte Bilder des unterbewussten Schreckens der sich selten zu wortwörtlich blutig roten Schocker- oder Todesszenen wandelt. Mit letzteren sucht Argento in deren Inszenierung nochmals die Nähe zum Giallo, um mit den stilisierten Ableben der Figuren und dem Aufblitzen scharfer Rasiermesserklingen die bösen Mächte in der Gegenwart zu verwurzeln. Manchmal stört das den traumartigen Sog der episodisch ausfasernden Geschichte, die mich persönlich auch bei dieser Sichtung wieder von Beginn an packte. Ist man einmal im eigenartigen Rausch dieser gefangen, gleitet man zusammen mit Suzie herzlich gerne durch die Gänge der Tanzschule deren Herz uns im Finale mit MC Escher-artigen Wandgemälden, bombastischem Getöse und entfesselten Farben nochmals all ihre traumhafte Schönheit des Seltsamen zeigt.
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Dienstag, 10. Juli 2018

Settegialli: Vier Fliegen auf grauem Samt

Ich habe es bereits in meiner Besprechung zu Die neunschwänzige Katze, dem mittleren Teil von Argentos sogenannter Tier-Trilogie, angesprochen: es macht Freude, sich die ersten Filme des "Godfathers of Giallo" anzuschauen und dort die meist offensichtlichen Hitchcock-Einflüsse zu betrachten. Argento beruft sich dort und in seinem Debüt Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe deutlich auf den englischen Meisterregisseur. Im Abschluss seiner anfänglichen Giallo-Trilogie, Vier Fliegen auf grauem Samt, begegnet man einem gereifteren Regisseur, der das Grundgerüst seiner Geschichte wieder auf Hitchcock'schen Einflüssen bettet, dabei weitaus mehr eine eigene Handschrift entwickelt hat, als man es nach dem rückschrittlichen Die neunschwänzige Katze hätte vermuten können. Wirkte der doch mehr als ein erster Versuch, den sich durch den Erstling entfaltenden Giallo einem breiten Publikum näher zu bringen, was eine Krimigeschichte zwischen drögen und gutklassigen Momenten mit sich brachte.

Bei Vier Fliegen auf grauem Samt konzentriert sich Argento mehr auf die Stimmung seiner Anfangs äußerst undurchsichtig erscheinenden Geschichte. Sein Protagonist, der Musiker Roberto, wird über Tage hinweg von einem älteren Herren verfolgt und stumm aus der Ferne beobachtet. Als es ihm zu bunt wird, dreht er den Spieß um, folgt dem Mann in ein baufälliges Theater und möchte ihn zur Rede stellen. Es kommt zu einer lautstarken Diskussion, gefolgt von einem Handgemenge, bei dem der mit einem Messer bedrohten Roberto den Mann versehentlich ersticht. Just in diesem Moment erhellen Scheinwerfer die Szenerie und ein Maskierter fotografiert die verfängliche Tat. Dieser beginnt, Roberto mit den Fotos in den unmöglichsten Situationen zu konfrontieren und zu erpressen. Es scheint, dass der Erpresser aus dem nächsten Umfeld Robertos zu kommen scheint, da dieser in dessen Wohnung ein und ausgehen kann, wie es ihm beliebt. Der durch die Situation an den Rande des Wahnsinns getriebene Musiker stellt nach weiteren Morden in seinem Umfeld einen bisher erfolglosen Detektiv ein, um Licht ins Dunkel zu bringen.

Da dieser leider vom uns und Roberto (noch) unbekannten Mörder mittels gut platzierter Giftspritze in den vorzeitigen Lebensabschluss geschickt wird, braucht es noch eine Zeit, bis sowohl der Protagonist als auch der Zuschauer vollends durchblicken. Bis dahin und davor offenbart uns Vier Fliegen auf grauem Samt noch offensichtlicher, was sich in Die neunschwänzige Katze abzeichnete und in vielen weiteren Werken Argentos zu bemerken ist. Der Italiener besitzt beim Schreiben seiner Bücher keine große Ausdauer; wie hier gehen seinen Filmen in der zweiten Hälfte oder den letzten Akten die Puste aus; die Ideen scheinen wie ausgesaugt zu sein. Was für einen grandiosen Build Up und fantastische Sequenzen zu Beginn genutzt wird, fehlt am anderen Ende des Films. Bei Vier Fliegen auf grauem Samt schickt uns Argento in eine unbehagliche Atmosphäre, überrascht uns wie Roberto mit dem fotografierenden Puppengesicht auf dem Theaterbalkon und kreiert eine dichte Stimmung der Paranoia.

Die unausweichlich scheinende Kollision mit dem Wahnsinn als albtraumhafte Sequenzen, direkt aus dem Unterbewussstsein Robertos kriechend. Allein dagegen ankämpfend, als Mörder der Polizei verraten zu werden. Argentos Inszenierung dieser Szenen so, dass diese mit der filmischen Gegenwart zusammenstoßen, um den vermeintlichen Nachtmahr als reelle Konfrontation mit dem erpresserischen Übeltäter zu enttarnen. Das die Geschichte bei der Logik hier schon hinkt, wird durch die filigranen Kameraspielereien und Einstellungen übertönt. Die gleichermaßen plausible wie aufgesetzte Auflösung vermag bedingt, die früh zu Tage tretenden Lücken in der logischen Erzählfolge zu schließen. Argento kommt nicht umhin, sich selbst auszubremsen. Frank Trebbin widmete dem Plot in seiner Besprechung in seiner Horrorlexikareihe "Die Angst sitzt neben dir" genau zwei Sätze. Konzentriert man sich auf dessen Kern, bietet Vier Fliegen auf grauem Samt eine dünne Geschichte, die der Italiener durch konstruierte Komplexität versucht aufzublähen. Das funktioniert bis in die zweite Hälfte hinein, in der dem Regisseur und Autoren merklich die Ideen ausgehen und er auf herkömmliche Thriller-Muster zurückgreift.

Weit weniger ein Problem des Films wäre es, wenn die Figur des Robertos im Verlauf der Geschichte nicht verblassen würde. Er ist kein wahrer starker Charakter, wahrscheinlich absichtlich so gezeichnet, um seine Schwäche, sein Leiden in seiner ausweglos erscheinenden Situation, herauszuarbeiten. Leider kann Hauptdarsteller Michael Brandon den Film nicht tragen. Da treten die Nebendarsteller, darunter Mimsy Farmer als seine Frau Nina, Jean-Pierre Marielle als der herrlich herumschwurbelnde, homosexuelle und erfolglose Privatdetektiv Arrosio und Bud Spencer als Robertos Kumpel Gott (sic!) besser in Erscheinung. Man ist Argento ein wenig dankbar, wenn er für einige Minuten Arrosio in den Mittelpunkt der Handlung stellt. Trotz der erzählerischen Schwächen, die am Ende in eine konstruierte Auflösung (was man ja aber häufiger im Genre hat und ich persönlich an diesem auch sehr mag, eben weil manches so hanebüchen und an den Haaren herbeigezogen ist) kulminieren. Freudig ist zwischen den Zeilen und herrlichen Sequenzen (u. a. der - man kann es nicht anders sagen - hübschen Mordsequenz an Ninas Cousine Dalia) wieder Argentos Entwicklung zu betrachten.

Für mich fühlte es sich so an, als würde man während Vier Fliegen auf grauen Samt der vollständigen Entwicklung des Regisseurs beiwohnen. Wie bei Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe und Die neunschwänzige Katze bevölkern auch hier obskure Nebenfiguren die Handlung, die während der Laufzeit mehr und mehr in den Hintergrund rücken und vollends verschwinden. Selbst Hitchcock macht Platz, auch wenn Argento hier wie in späteren Werken immer wieder zum Motiv des unbescholtenen Bürgers, der durch Zufall in ein Verbrechen verwickelt wird, zurückkehrt. Vier Fliegen auf grauem Samt ist noch mehr eine Fingerübung, ein letztes probieren, bevor der Italiener gefestigt durch seine Tier-Trilogie zu den Filmen fähig war, mit denen er sich bei den Fans den Titel des "Godfathers of Giallo" verdiente. Selbst wenn der Italiener sich leider für einige Zeit in seiner eigenen Story verirrt, den Zuschauer kurz vorm abdriften in den Logiklöchern mit seinen visuellen Ideen und Morricones stark rockigen Soundtrack zurückholt, bietet Vier Fliegen auf grauem Samt dank seiner starken (stärkeren) ersten Hälfte schöne Giallo-Unterhaltung. Hätte (hätte Fahrradkette...) der gute Dario sich mehr auf die dort vorkommenden, starken Momente konzentriert, wäre dies womöglich sogar ein meisterlicher Paranoia-Thriller geworden.
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Samstag, 7. Juli 2018

Settegialli: Die neunschwänzige Katze

Mein eigentlicher Plan war es, über die wie für mich geschaffene Blogaktion des Abspanngucker-Podcasts noch separat zu schreiben um auf diese hinzuweisen. Das habe ich leider verschwitzt und somit steige ich mit diesem Text sofort bei Settegialli ein. Das Prinzip ist so simpel wie beim Horrorctober: für den Juli soll man sich sieben (ital. sette) Gialli aussuchen, als Liste bei letterboxd anlegen, schauen und darüber schreiben. Auf dem Blog, bei Twitter, bei letterboxd etc. Wie ich schon vor kurzem bei Twitter geschrieben habe, überlegte ich zwar wegen der momentan knapp bemessenen Zeit sehr genau ob ich mitmachen soll, aber an einer Aktion über mein liebstes italienisches Filmgenre kann ich nicht vorübergehen. Insgesamt haben es acht Filme auf meine Liste geschafft, vier davon zu schauen schaffe ich bestimmt und wie ich mich kenne, werden es am Ende dann doch die gewollten sieben. Als Einstieg wurde der zweite Teil von Dario Argentos sogenannter Tier-Trilogie ausgesucht, wurde doch vor kurzem schon der Erstling Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe gesehen.

Nachdem Argento mit seinem Debüt das zuvor biedere, teils noch stark am traditionellen Kriminalfilm orientierte Genre nahezu entfesselte und eine Blaupause für viele in den 70ern entstehenden Gialli vorlegte, entpuppt sich der Zweitling des Regisseurs selbst als eher biedere Angelegenheit. Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe war für seine Macher ein unerwarteter, aber äußerst profitabler Erfolg. Um diesen zu wiederholen, wirkt Die neunschwänzige Katze größer, internationaler und im direkten Vergleich mit dem Erstling zurückgenommen. Argento verzichtet weitgehend auf seine visuelle Extravaganz, diese pompösen wie epischen Kamerafahrten und Einstellungen, die dessen Filmen einen Teil ihrer Besonderheit verleiht und von den Schwächen des Regisseurs im Storytelling ablenken können. Selten wird darauf zurückgegriffen und selbst dann sind diese wenigen Kameraspielereien weit weniger ausgedehnt wie das, was den Zuschauer die Jahre danach erwartete.

Leider ist der strenge Fokus auf die Geschichte selbst bei Die neunschwänzige Katze nicht dienlich für den Film. Die Übernahme des gleichen Prinzips wie bei den schwarzen Handschuhe will in der Kalkulation Argentos nicht aufgehen. Wieder widmet er sich dem Motiv des nicht- und übersehens, das diesmal nicht nur einen, sondern zwei Außenstehende in einen Kriminalfall verstrickt. Nach dem Einbruch ins Institut des renommierten Dr. Terzi, bei dem verwunderlicherweise augenscheinlich nichts gestohlen wurde, kommt einige Tage Dr. Calabresi, einer der am Institut beschäftigten Wissenschaftler, bei einem Unfall ums Leben. Der frühere, erblindete Journalist Franco Arno und der über den Einbruch berichtende Reporter Carlo Giordani tun sich zusammen, um Nachforschungen in diesen Fällen anzustellen. Erkannte Arnos Nichte Lori in der Zeitung in Calabresi als einen der Männer, den Arno am Abend des Einbruchs auf seinem Nachhauseweg aus einem parkenden Auto heraus über eine Erpressung reden hörte. Als weitere Tote folgen, wittern die beiden Männer einen Zusammenhang und stoßen dabei auf Forschungen darüber, anhand der Gene potenzielle Verbrecher zu erkennen, die in Verbindung mit den Toten stehen könnte.

Wie dessen Spätwerke, offenbart Die neunschwänzige Katze, dass Argento erzählerisch ein Umstandskrämer ist. Noch einfachster Stoff mag möglichst komplex erzählt werden, die gewünschte Komplexität entwickelt sich in viel zu komplizierte Storyhaken. Das Resultat ist, dass der Regisseur seinen Weg aus den Augen verliert. Am deutlichsten wird dies, wenn sich zum Einbruch und Unfall die von Arno und Giordani entdeckten Forschungen über das "Verbrechergen" gesellen. Diesen wird zu viel Raum eingeräumt, obwohl sie keineswegs unwichtig für die Story sind. Immerhin wurde der Italiener durch einen Zeitungsbericht über solche Bestrebungen in der Wissenschaft zu seiner Geschichte inspiriert. Es scheint, als solle der Film weit mehr sein, als ein typisches Murder Mystery. Ohne irgendwelche Agentenfiguren oder andere ähnliche Elemente einzuflechten, schrammt Argento gefühlt damit am damals durch den James Bond-Erfolg recht beliebten Spionagefilm, ohne dessen Qualitäten zu nutzen, um seine Geschichte damit aufzuwerten.

Es bleibt beim Versuch dabei, der einem durchweg positiven Gesamturteil im Weg steht. Mit diesem weit ausschlagenden Haken entstehen in der Spannungskurve Schwankungen, die nicht komplett ausgebügelt werden können. Selbst ich als Freund mancher filmischer Belanglosigkeiten, die meditativ am Auge des Zuschauern vorüber wabern, musste manchmal mit meiner Ungeduld kämpfen. Das Argento durchaus zu spannenden Szenen fähig ist, beweist er auch hier. Der Beginn und die erneute Zuwendung hin zu den Todesfällen schenkt dem Film einige hübsche Momente. Diese bringen gleichzeitig die Freude, die offensichtlichen Hitchcock-Bezüge im Frühwerk Argentos betrachten zu können. Neben dem wie bei Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe stark vom englischen Regisseur geprägten Motiv baut der Filmemacher eine spannende, wunderbar getimte Hommage an das Glas mit der vermeintlich vergifteten Milch in Hitchcocks Verdacht. Das die Geschichte durch eine blinde Hauptfigur einiges an Potenzial mitbringt, den Kern der Geschichte über Wahrnehmung auf die Spitze zu treiben, hat Argento leider übersehen (no pun intended).

Die international ausgerichtete Besetzung, die neben den beiden amerikanischen Hauptdarstellern auf italienischer Seite einige bekannte Nebendarstellergesichter und sogar den deutschen Kultmimen Horst Frank bietet, macht ihre Sache ordentlich und bemüht sich wie der ganze Film ein Flair von Hollywood aufkommen zu lassen. Das ist auch der springende Punkt, der mich an Die neunschwänzige Katze stört. Die Unzulänglichkeiten in der Narration stören weniger als der konsequente Versuch, den "neuen" Giallo in den damaligen Mainstream zu pressen. Das will alles so leicht wie die damaligen großen Werke aus der Traumfabrik wirken, endet mit seiner stocksteifen Konzentration darauf zu mancher Zeit in einem biederen Filmwerk, dem man die Unentschlossenheit des Regisseurs anmerkt. Der greift hier sogar in den Topf mit dem Humor, was wenige lustige und einige unpassende Szenen entstehen lässt. Selbst die deutsche Synchronisation aus dem Hause Brunnemann mit Dialogbuchschreiber Rainer Brandt, der beim verfassen des Dialogbuchs wohl auch vom ersten Erfolg der Serie Die Zwei in Deutschland beflügelt wurde, haut mehr Sprüche als noch bei Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe raus. Somit ist Die neunschwänzige Katze eher ein kleiner und erster Ausrutscher Argentos, den man im Ganzen recht mögen kann, der in seinem verplant wirkenden Eindruck immer einen Beigeschmack von "ganz nett" beibehalten wird.

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Donnerstag, 31. Mai 2018

Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe

Copy & Paste. Das italienische Genrekino lebt(e) seit Jahrzehnten vom schamlosen kopieren, einfügen und remixen. Auch Dario Argento. Der zuvor als Drehbuchautor in Erscheinung getretene Regisseur orientiert sich in seinem Debüt Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe klar an Vorbildern. Der Unterschied zu seinen Kollegen ist, dass es hier mit Respekt geschieht. Orientierte sich der Giallo in den 60ern, seit Mario Bavas das Subgenre begründende Filmen La ragazza che sapove troppo (aka The Girl Who Knew Too Much) und Blutige Seide, am manches Mal arg gemächlichen britischen und deutschen Krimi, steht Argento für den italienischen Thriller Anfang der 70er für den Aufbruch zu neuen Ufern. Er entstaubt den Giallo, frischt ihn auf, fügt ihm Elemente hinzu, die sich in unzähligen folgenden Werken wiederfinden. Mit seinem Debüt legt Argento eine Blaupause vor, an der sich nachfolgende Regisseure mit ihren Werken orientieren.

"This italian fellow is starting to make me nervous." - Die Worte von Alfred Hitchcock, nachdem er Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe sah. Kennt man die Filme des Master of Suspense, ist der Einfluss dessen auf Argento bei seinem Erstlingswerk unübersehbar. Die Geschichte bietet schon das erste für den Briten typische Motiv, das ein vollkommen unbehelligter, unschuldiger Mensch urplötzlich in einen Kriminalfall hineingezogen wird. Bei Argento ist das Sam Dalmas, ein in Rom Urlaub machender Autor, der Nachts bei einem Spaziergang Zeuge eines versuchten Mordes an der Galeristengattin Monica Ranieri wird. Durch sein versuchtes Eingreifen verhindert er diesen so, dass die schwer verletzte Frau überlebt und versucht fortan, die Polizei und den ermittelnden Kommissaren Morosini bei der Lösung des Falls zu helfen. Er stößt auf eine zuerst zusammenhanglos erscheinende Serie von Morden an jungen Frauen und ein geheimnisvolles Bild, welches etwas mit diesen zu tun haben scheint. Der Mörder bekommt Wind von der Sache und versucht fortan, Sam und seiner Freundin Giulia nach dem Leben zu trachten.

Violence and sexy suspense. Der Kern, die Grundformel und -aussage des (traditionell ausgerichteten) Giallo, welche dessen unbändigen Willen nach Stilisierung von Mord und Sex mit diesem Film festgelegt wurde. Hintergründig wird sie von Argento definiert und in wenigen Szenen angewandt. Der gesellschaftliche Wandel, der Einfluss der friedlichen Protestbewegungen seit 1968, schlägt sich merklich ab diesem Jahr auch in der Popkultur nieder. Das triviale Kino selbst wird ebenfalls von den auf ihm lastenden dicken Staubschichten letzter, überholten Moralvorstellungen befreit. Sex und Gewalt drängen aus dem Untergrund, dessen mehr oder minder halbprofessionellen Low Budget-Werken, hervor; das katholische Italien befreit sich auch mit Hilfe solcher Filmemacher wie Argento von einer Fessel der Zensur. Wie bei Hitchcock erhalten einfache Krimigeschichten einen psychologischen Unterbau. Weniger mit der Tiefe des Engländers verbunden. Italienische Filmemacher orientieren sich an den dem Subgenre seine Bezeichnung schenkende Groschenromankrimis mit seinen gelben Einbänden. Sie setzen die psychosexualisierten Motive der Täter spekulativ ein. Argento hält sich in Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe weitgehend zurück, lässt den Morden an weiteren Opfern des unbekannten Täters einiges an Raum und inszeniert eine Tötung wie eine stilisierte Vergewaltigung.

Wie bei Hitchcock ist das gezeigte Bild der Frau auch bei Argento nicht das allerbeste. Eine Feindlichkeit gegenüber dem Geschlecht, wie sie dem Italiener damals vorgeworfen wurde, kann man ihm nicht komplett abstreiten. Der Film wirkt manchmal wie das Abbild einer leichten Angst vor stark wirkenden Frauen. Ihnen wird mit dem Protagonisten das typische Bild des markanten Mannes entgegengestellt; kantig, ein guter Job für Darsteller Tony Musante. Ein, wie man sagt, damals schwieriger Geselle. Infolgedessen ist er nicht nur Hobbyermittler. Er ist auch Held für seine Freundin, der schützenswerten Frauenfigur, die den Killer, das wortwörtlich schwarze Phantom, stärker als Bedrohung etabliert. Dazwischen spielt Argento mit Wahrnehmung und Erinnerung. Motive, die er in seinem Profondo Rosso etabliert. Es ist nicht nur die vage Annahme des Kommissaren, dass Salmas vielleicht was mit dem versuchten Mord an Ranieri zu tun hat. Der Autor jagt den Mörder und dieses eine Detail, das fehlende Puzzlestück, mit dem er alle Indizien verbinden kann. Once again: Hitchcock.

Und was macht der deutsche Verleih daraus? Bryan Edgar Wallace. Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe wurde als Verfilmung eines Stoffs des Wallace-Sohnes vermarktet, der eigentlich mehr mit Spionagegeschichten unterwegs war und dessen Werke man im Zuge der Edgar Wallace-Filmreihe versuchte, ebenfalls im Kino zu etablieren. Was macht die deutsche Synchro daraus? eine gutklassige, zu Beginn leicht besorgniserregende Synchronisation, wenn Rainer Brandt auf Tony Musante arg flapsig um die Ecke stapft. Die Sorge wird groß, dass, wie andere Werke des Sprechers und Dialogbuchautoren, die deutsche Sprachversion arg kalauernd ausfällt. Es hält sich in Grenzen. Ausgerechnet die obskuren Nebenfiguren werden hierdurch in ihren Eigenschaften verstärkt. Na servus! Was macht aber nun Argento aus dem Film? Es ist mehr als eine Fingerübung, obwohl, und da liegt eine Schwäche, Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe unentschlossen wirkt. Das, was der Giallo in späteren Jahren bietet, ist da: die stilisierten Mordszenen, hier noch nicht so groß ausgedehnt; eine ansprechende Fotografie, weit weg von späteren Verspieltheiten des Regisseurs, wie sie z. B. Profondo Rosso bietet. Ein tief verwurzeltes Trauma, das den Mörder den Antrieb für seine Taten bietet.

Argento sucht mit diesem Film seinen Weg, zeigt aber dem Kenner seiner späteren Werke deutlich, in welche Richtung es noch gehen sollte. Den Suspense eines Hitchcocks erreicht er nur selten. Die spannendsten Szenen werden von klassischen Spannungsszenen des Krimis, teils sogar am gothischen Horror orientiert, beeinflusst. Nebelschwaden wabern durch die dunkle Stadt, in Hut und Mantel gehüllte Polizisten erscheinen wie mögliche Meuchelmörder in einer nächtlichen Stadt, die in ihrer Ausleuchtung an den Film Noir erinnert. Die Orientierungslosigkeit, das Suchen nach der filmischen Identität Argentos hält den Film manchmal auf. Man merkt, dass er sich noch ausprobieren will. Was der Italiener hier schon gefunden hat, ist das Talent für spannende Sequenzen, die hier durch einen experimentellen, dissonanten Score von Ennio Morricone verstärkt werden. In vielerlei Hinsicht ist Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe ein Übungsfilm, der dafür sehr gelungen ausgefallen ist. Wenige schaffen zudem, für ein Subgenre eine Blaupause, beinahe ein Regelwerk aufzustellen. Argento gelingt es und trotz der starken Orientierung an Hitchcock blitzt hier schon seine eigene Handschrift auf, die er spätestens Mitte der 70er perfektionierte. Es ist ein toller, aufregender Startschuss für die Hochphase des Giallo mit minimalen Schwächen.
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